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Drittes Kapitel: April 1143

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Adolf II., Edler Herr von Schauenburg, war vom jungen Sachsenherzog Heinrich, den man später den Löwen nannte, im Jahre des Heils 1142 erneut mit der Grafschaft über Holsten und Stormarner belehnt worden. Zugleich aber verlieh der Herzog ihm gräfliche Gewalt auch über das Gebiet der Wagrier, um endlich den Widerstand der Wenden dort zu brechen und Wagrien dem Herzogtum und damit dem Reich endgültig einzugliedern.

Es waren unruhige Zeiten, und zwischen Wagriern und Holsten herrschte abgrundtiefer Haß. Fürst Pribislaw von Liubice hatte den Tod Kaiser Lothars genutzt, um ins Holstenland einzufallen. Vor allem die kaiserliche Burg auf dem Siegesberg, dessen Kalkfelsen schier uneinnehmbar über der Trave thronte, war den Slawen ein Ärgernis, ein sichtbares Symbol des deutschen Herrschaftsanspruches über ihr Land. Doch es gelang Pribislaw, die Burg zu erstürmen, und nichts war ihm dringlicher, als sie gründlich zu zerstören. Daß er zugleich auch die Kirche zu ihren Füßen nicht verschonte, von der aus jener Missionar Vicelin seine Reisen ins Land der Wagrier unternahm, war nur konsequent, denn Mission bedeutete für die Slawen nicht nur Unterwerfung unter den Christengott, sondern auch unter die Macht des Kaisers. Und beide forderten Abgaben von den wendischen Untertanen. So verheerten Pribislaws Krieger das umliegende Land, raubten und brandschatzten die Dörfer der Holsten.

Die aber antworteten nicht weniger gewalttätig. Ohne die Zustimmung ihres Grafen zu erbitten, fielen sie im Winter 1138 in Wagrien ein und raubten, töteten und brannten nieder, was auch immer in die Nähe ihrer Äxte und Spieße kam. Weder Graf noch Herzog waren erfreut über diese Entwicklung, denn von ausgeplünderten Untertanen ließen sich nur schwer Steuern eintreiben, und Tote konnten keine Frondienste leisten, gleich, ob es nun deutsche oder wendische Tote waren.

Es war keine leichte Aufgabe, vor der Graf Adolf nun stand. Als erstes ließ er die Burg auf dem Siegesberg erneut instand setzen, und als die Sonne wieder höher am Himmel stand und die Wege nach der Schneeschmelze einigermaßen passierbar waren, sammelte er eine Gruppe Bewaffneter um sich und brach auf, um dieses neue Lehen Wagrien in Augenschein zu nehmen.

Drei Tage waren sie nun schon im Sattel, und die Siedlungen, die sie antrafen, boten ein erbärmliches Bild: Überall niedergebrannte und verlassene Hütten, daneben Häuser, die ihre Bewohner notdürftig wieder bewohnbar gemacht hatten. Überall verängstigte Bauern, die dem Trupp Gewappneter scheu entgegensahen. Und überall von Unkraut überwucherte Äcker neben wenigen, die noch bestellt waren. Dabei war das Land fruchtbar, ausgedehnte Wälder boten Holz im Überfluß, immer wieder trafen sie auf Seen, die reich waren an Fischen.

Am Morgen des vierten Tages erreichte die Truppe ein Dorf namens Porin. Graf Adolf sprang aus dem Sattel, seine Gefährten folgten. Vorsichtig führten sie die Pferde auf den Dorfanger, um den herum sich kreisförmig die niedrigen Häuser reihten. Auf einigen Grundstücken standen nur ärmliche Grubenhäuser, auf anderen stattlichere Gebäude aus Flechtwerk, das sauber mit Lehm verputzt war.

„Hier scheinen unsere Leute nicht gewütet zu haben,“ bemerkte Reginald, ein hochgewachsener junger Mann mit Lederwams und einem Lederhelm. Es war einer der gräflichen Ministerialen, Verwalter und Vogt der Burg in Faldera. Adolf hatte ihn in seine Nähe geholt, denn er beherrschte die Sprache der Slawen und diente dem Grafen nun als Dolmetscher. „Du hast recht,“ antwortete der Schauenburger, „dieses Dorf liegt aber auch abseits aller Straßen. Ruf die Leute zusammen!“ Reginald schlug mit seinem Kurzschwert dreimal an eine eiserne Stange, die in der Mitte des Dorfangers aufgerichtet war und deren Bedeutung die Deutschen nicht erraten konnten. Dann rief er etwas in der merkwürdig konsonantenreichen Sprache, die den meisten fremd und barbarisch klang, und langsam, zögernd und misstrauisch erschienen einige Männer, viele in häufig geflickten kurzen grauen Wollkitteln und den schräggestreiften Beinlingen, die Füße nur mit Stroh umwickelt. Obwohl der Rufer sein Schwert in die Scheide zurückgesteckt hatte, hielten sie vorsichtig Abstand zu den Fremden.

„Frag sie nach dem Dorfältesten,“ befahl der Graf, „und sag ihnen, wer wir sind.“ Der Dolmetscher gehorchte; ein alter Mann mit blauen Augen im zerfurchten Gesicht, fast so groß wie Reginald und trotz seiner Jahre aufrecht und von stolzer Haltung, trat vor die anderen und verbeugte sich vor Adolf, ohne doch unterwürfig zu erscheinen. Der Graf musterte ihn eine Weile, dann winkte er ihn zu sich heran.

„Ihr seid Christenmenschen?“ fragte er, und sein Ministeriale übersetzte. Der Alte zögerte einen Augenblick und warf einen Blick auf die anderen Männer, ehe er antwortete. „Man hat uns getauft. Ein Mönch ist hier gewesen, doch seitdem sind schon viele Winter vergangen. Wir haben keinen, der uns lehren könnte, was wir tun müssen als Christen.“ „Ihr feiert nicht die heilige Messe?“ wollte Adolf wissen. „Zu wem betet ihr dann?“ Wieder überlegte der Dorfälteste sorgsam seine Antwort: „Wir verehren den Sohn Gottes und seine heilige Mutter, manchmal wenigstens. Aber viele rufen auch die alten Götter an, wenn das Vieh krank wird oder die Ernte von Hagel bedroht wird. Sie sind der Erde näher als die Himmlischen, die uns der Mönch verkündet hat.“

Adolf zog die Brauen zusammen. „Heiden sind sie immer noch, diese einfältigen Bauern,“ sagte er grimmig. „Aber das wird sich ändern, bald. Schließlich ist es nicht ihre Schuld, wenn kein Priester da ist, sie zu unterweisen. Frag ihn, ob er einen Priester kennt.“ „In Liubice gab es einen heiligen Mann, bei den Deutschen. Doch der ist geflohen, als die Ranen die Stadt überfielen. Er hat auch hier zu uns gesprochen, ein oder zwei Mal, wir haben jedoch nur wenig verstanden, er konnte unsere Sprache nicht. Aber er hatte den Kelch dabei und hat uns gesegnet, es war bestimmt sehr gut für uns.“ „Und hat er den Zehnten von euch gefordert?“ Der Alte hatte offensichtlich Schwierigkeiten, denn Sinn dieser Frage zu begreifen, Reginald musste sie erst erklären, doch er schwieg weiterhin. „Also nicht,“ brummte Graf Adolf. „Auch das muß sich ändern.“ Er sah, dass ein weiteres Verhör nichts Neues bringen würde, und wechselte Ton und Thema.

„Unser gnädiger Herr, Herzog Heinrich, hat mir euer Land übergeben, damit ich es verwalte. Nun wird Frieden herrschen im Land der Wagrier, wir werden euch schützen vor allen Feinden. Dafür verlangen wir euren Gehorsam. Es werden jetzt auch Priester ins Land kommen, damit ihr den rechten Glauben lernt und eure Seele dereinst getröstet und gerüstet vor den Herrn treten kann, denn eure alten Götzen sind vom Teufel und führen euch in die Verdammnis.“ Er hielt inne und lächelte. „Ich sollte das Predigen lieber den Pfaffen überlassen, was meinst du?“ sagte er zu Reginald. „Und dass Fürsten und Herren Abgaben fordern dürfen von ihren Untertanen, das werden sie auch noch lernen. Jetzt frage nur noch, wie wir von hier nach Liubice kommen.“

„Wenn Ihr über den Berg hinwegreitet und dann rechter Hand ins Tal hinunter, werdet ihr einen Fluß finden. Wir nennen ihn Swartove. Folgt ihm, denn dort, wo er in den großen Fluß mündet, liegt Liubice. Es ist aber nicht mehr viel übrig von der Stadt unseres Fürsten, das solltet Ihr wissen.“

Graf Adolf schwang sich auf sein Pferd und hob die Hand. Es war eher ein Zeichen der Herrschaft als ein Gruß. Seine Männer taten es ihm gleich, dann trabte die Gruppe fort, in die angegebene Richtung. Sie fanden den Berg, der eine kahle Kuppe hatte und einen weiten Blick ins Land bereithielt, wandten sie dann rechts den Hang hinab durch einen dichten Wald und kamen zur Flußaue der Swartove, die sich in vielen Windungen um steile Hänge herum nur sehr langsam ihrer Mündung näherte. Sie hätten sicher einen kürzeren Weg nehmen können, doch sie wollten die Richtung nicht verfehlen. So stand die Sonne bereits hoch am Himmel, als sie endlich den Wald verließen und jenseits von brachliegenden Äckern die rauchgeschwärzten Reste von Liubice erreichten.

Langsam ritt Adolf durch die zerstörte Siedlung, die vor dem Burgwall lag und seitlich zum Ufer der Trave hin ihre Fortsetzung fand. Die meisten Hütten waren niedergebrannt und verlassen, nur wenige hatten die Wenden wieder bewohnbar gemacht. Der Graf hatte eine gute Beobachtungsgabe: „Handwerker scheint es hier nicht mehr zu geben,“ sagte er nachdenklich zu seinen Männern. „Was geblieben ist, sind wohl nur ein paar Fischer.“ Dann ritt er an den Burgwall heran. Die Palisaden aus meterhohen Baumstämmen, die ihn einst krönten, waren verkohlt, an anderen Stellen fehlten sie ganz. Auch der Erdwall war zum Teil abgerutscht, man konnte die Eichenhölzer erkennen, die ihn von innen her stützten. Das Tor zur Burg hatte die Flügel eingebüßt, vielleicht hatten die Überlebenden die Reste auch für ihren Hausbau genutzt. Der Bohlenweg im Bereich des Tores war an mehreren Stellen unterbrochen, die Deutschen konnten darunter einen Graben ausmachen, der früher wohl das Wasser aus dem Burgbereich in den Fluß führen sollte.

Graf Adolf war abgestiegen und warf den Zügel einem seiner Männer zu. Daraufhin saßen auch die anderen ab, ein Teil der Leute kümmerte sich um die Pferde, der Graf und die ritterlichen Ministerialen betraten zu Fuß das weiträumige Gelände innerhalb des Burgwalls. Auch hier überall Spuren der Zerstörung. Die Häuser entlang des Walles waren allesamt niedergebrannt, ebenso ein großes Gebäude zur Rechten, das wohl als Fürstenhalle gedient hatte. Daneben ragten mächtige Feldsteinmauern, auch sie rauchgeschwärzt und nun ohne Dach, aber es war immer noch ein beeindruckendes Gebäude. Die Männer traten durch das Eingangstor und blieben ergriffen stehen. Ihnen gegenüber, in der steinernen Nische der östlichen Querwand, stand, noch immer als solcher zu erkennen, ein steinerner Altar. Das also war die weithin gerühmte Kirche von Gottschalk und Heinrich, den großen Wendenfürsten, den christlichen Königen, die einst die Stämme der Obotriten geeint hatten.

Adolf hatte das Haupt entblößt. Mochte dieser heilige Ort auch geschändet und entweiht sein durch heidnische Mörder, er blieb doch Ort der Gegenwart des geopferten Gottessohnes. So trat der Schauenburger ehrfurchtsvoll an den Altar und beugte das Knie, um das Kreuzeszeichen zu schlagen, und seine Männer taten es ihm nach. Dann wandte er sich wieder dem südlichen Tor zu. Einer der beiden hölzernen Türme, die den Zugang flankierten, schien noch nutzbar zu sein. Adolf winkte Reginald an seine Seite, und gemeinsam stiegen sie die enge Treppe hinauf auf die Plattform. Von dort hatten sie einen guten Blick auf die Burg und die Siedlungen ringsum. Reginald zeigte auf eine Ansammlung von Häusern, Hallenhäuser zumeist, fast alle mit Wänden aus kräftigen Bohlen statt des üblichen lehmbeschichteten Flechtwerks. Sie lagen jenseits der Trave, ein wenig abseits, und sie schienen unversehrt zu sein. „Seht, edler Herr, ich kann dort drüben kein einziges Ackerfeld entdecken vor dem Waldrand, nur Gärten und Hofraum. Und am Ufer sind Schiffe, wenn auch nur in geringer Zahl. Das dürfte die Siedlung der deutschen Kaufleute sein, die von Liubice aus ihre Fahrten zu den Dänen unternommen haben. Und sie scheint unversehrt den Angriff der Ranen überstanden haben.“

Der Graf nickte. „Du hast recht, Reginald. Aber nur aus wenigen steigt Rauch auf, viele Häuser sehen verlassen aus. Auch die Gärten sind verödet. Die letzten Jahre haben dem Handel übers Meer sehr geschadet. Mancher, der vor den Ranen geflohen ist, scheint auch danach fortgeblieben zu sein. Wir werden viel unternehmen müssen, um wieder Kaufleute ins wagrische Land zu holen.“ Er schaute nachdenklich in die Runde. „Dieses Liubice war einst eine blühende Stadt. Und was ist davon geblieben? Eine verfallene Burg, eine zerstörte Siedlung, ein kaum noch genutzter Hafen.“

„Ihr wollt sie wieder aufbauen?“ fragte Reginald, „die Trave wieder zum Handelsweg in den Norden machen?“ Adolf schwieg eine Weile, dann wies er mit der Rechten auf den schmalen Werder, der von Swartove und Trave umflossen war. „Dies ist kein Platz für eine größere Civitas,“ sagte er nachdenklich. „schon die Burg nimmt die Hälfte des Geländes ein, und der Rest ist weitgehend sumpfig. Nicht umsonst haben sich die Kaufleute am anderen Ufer niedergelassen, doch diese Siedlung ist ungeschützt, und das Ufer wenig geeignet für einen Hafen.“ Wieder machte er eine Pause, um den Gedanken zu ende zu denken. „Nein, Reginald, wir werden einen besseren Platz finden müssen, stromaufwärts. Zum Meer hin scheint es nur diese Schilfflächen zu geben. Und je dichter an der Mündung, desto größer die Gefahr eines Überfalls von der See her. Die Ranen haben es uns hier deutlich vor Augen geführt. Laß uns den Fluß hinauf reiten und Ausschau halten. Wir müssen einen besseren Platz finden für das neue Luibice.“

Sie stiegen wieder hinunter und begaben sich zu den Pferden, die die Knechte auf einen grasbewachsenen Platz geführt hatten, damit sie sich inzwischen Nahrung suchen konnten. Adolf befahl, sie an einer günstigen Stelle auch zu tränken, dann ließ er seine Mannschaft wieder aufsitzen und lenkte sein Roß auf dem Ufer zurück zum Wald, um nun dem Lauf der Trave zu folgen. Nach einer Weile bog der Fluß scharf nach links, der Wald öffnete sich auf eine Heidefläche, und die Pferde konnten auf festem Boden in Trab fallen, während die Männer darauf achteten, dass der Wasserlauf zur Linken ihnen nicht aus dem Blick geriet. Zweimal überquerten sie mühelos flache Bäche, während die Sonne langsam den Horizont erreichte.

Da ließ Graf Adolf absitzen, um auf einem flachen Hügelrücken inmitten von freiem, feuchtem Gelände die Nacht zu verbringen. Das Zelt für den Herrn wurde aufgestellt, die übrigen wickelten sich in ihre Mäntel und legten sich auf den trockenen Boden, nachdem die Nachtwachen eingeteilt waren. Schließlich waren sie weit im Slawenland, und nicht jedem dieser heidnischen Barbaren würde das Fähnlein, das sie mitführten und nun vor dem Zelt ihres Herrn aufgepflanzt hatten, die nötige Ehrfurcht einflößen. Da war schon Vorsicht geboten.

*

Der Gesang einer Feldlerche weckte die Schläfer, noch ehe die Morgensonne sich über die Baumwipfel am gegenüberliegenden Ufer emporgearbeitet hatte. Man verzehrte das Mitgebrachte, trank aus den ledernen Wasserflaschen, während Graf Adolf ein Schlauch mit Wein gereicht wurde. Den passenden Silberbecher führte Reginald stets griffbereit in seinem Gepäck. Dann gab der Schauenburger das Zeichen zum Aufbruch, und sie ritten auf einen dritten Bach zu, wo sie auf einen breiten Weg stießen mit vielen Spuren von Karrenrädern und Pferdehufen, die allerdings meist schon aus vergangenen Jahren zu stammen schienen. Die Straße führte geradewegs auf das Ufer der Trave zu, und fand am gegenüberliegenden Ufer ihre Fortsetzung.

Der Graf von Holstein hatte die Furt erreicht, über die ein einst viel genutzter Handelsweg vom Süden her über den Hügel Bucu nach Liubice führte. Reginald ritt vorsichtig voran, um zu prüfen, ob die Pferde ohne zu schwimmen das andere Ufer erreichen können. Die Furt erwies sich als flach genug, und die Reiter gelangten ohne abzusitzen auf die gegenüberliegende Seite. Dort allerdings mussten sie absteigen, denn ein Hang erhob sich steil über dem schmalen Uferstreifen. Oben angekommen, hielten sie überrascht inne: Ein mächtiger Erdwall versperrte den Weg. Allerdings waren auch hier die Palisaden verrottet, die Burg verlassen. Als sie den Wall umrundeten, gab es eine weitere Überraschung: Zur Linken zog in einem röhrichtbestandenen Sumpfgebiet ein zweiter Fluß in weitem Bogen gen Süden.

Einer der Knechte bat Graf Adolf, ihm das Wort zu erlauben. Auf seinen Wink hin begann er: „Edler Herr, ich bin sicher, dass wir hier am Zugang zu jenem Werder stehen, den die Wagrier Bucu nennen, und der von zwei Flüssen umgeben ist, der Trave und einem anderen, der Wochenitze, zu deutsch Barsch-Fluß, genannt wird. Man sagt, dass diese Burg einst von Fürst Kruto, dem grausamen Feind unseres Glaubens, als Zwingfeste am Zugang zu dem Werder genutzt wurde, denn der Weg über den Hügel führt zu einer Furt über eben diese Wochenitze, und auf ihm erreicht man den großen Elbefluß und das berühmte Bardowieck.“

„Woher weißt du das alles?“ fragte Adolf, und der Mann antwortete: „Ehe ich in Euren Dienst kam, edler Herr, gehörte ich zur Familia eines Fernhändlers in eben jenem Bardowieck, und ich habe ihn oft von seinen Reisen nach Liubice erzählen hören. Er hat diesen Hügel Bucu und den Lauf der beiden Flüsse stets anschaulich beschrieben, und alles passt genau zu dem, was Ihr hier seht.“ Der Graf nickte ihm gnädig zu und wandte sich dann an Reginald: „Es scheint, er hat recht, und meines Wissens haben unsere deutschen Händler irgendwo hier auch einen Stützpunkt mit einem Hafen an der Trave. Ich denke, wir suchen als erstes diesen Ort auf.“

Er gab das Zeichen zum Ritt, und als sie dem Weg folgten, der unterhalb der Burg nach Süden führte, stießen sie auf eine kleine Siedlung. Es waren jedoch nur slawische Bewohner dort, Fischer zumeist, deren Boote am Ufer jener Wochenitze vertäut lagen, und einige wenige Handwerker, die wohl einst für die Burgbesatzung gearbeitet hatten und sich nun notdürftig aus weitläufigen Gärten ernährten. Auch hier war manche Hütte verlassen und verfallen, mancher Garten überwuchert, doch waren keine Spuren einer Feuersbrunst zu entdecken, die auf einen feindlichen Überfall schließen lassen könnte.

Adolf verzichtete darauf, die Bewohner zusammenrufen zu lassen, er wollte die Burg und den anschließenden Höhenrücken erkunden. Der Ringwall war kleiner als jener in Liubice, die Burg erwies sich als rein militärische Anlage, und ihr Platz auf der schmalen Landenge war mit Geschick gewählt. Allerdings schien sie schon seit langem verlassen. Der Handelsweg führte auf der Kuppe des langgestreckten Hügels teils durch lichten Buchenwald, teils über freie Flächen mit niederem Strauchwerk, bis er sich mit weitgeschwungenem Bogen zum Flusstal der Wochenitze herabsenkte. Der Knecht hatte recht, es gab dort eine weitere Furt und jenseits eine Fortsetzung der Straße. Ein schmaler Pfad führte vor dem Übergang zur Rechten am Ufer entlang. Adolf schickte zwei seiner Männer dorthin, und sie kehrten rasch wieder zurück. Nur ein paar Fischerhütten hatten sie entdeckt, verborgen hinter einem Buchenhain.

Der Graf ließ wenden. „Dieser Werder ist ein günstiger Ort,“ sagte er zu Reginald, der an seiner Seite ritt. „Er ist nicht nur von Wasser umgeben, die Flüsse scheinen auch durch einen breiten, morastigen Schilfgürtel zu fließen, der den Hügel zusätzlich schützt. Und sein Rücken hat einen festen Boden, um dort Häuser und eine Kirche zu errichten. Auch der Burgwall könnte wieder ausgebaut werden. Doch das alles nützt uns nichts, wenn wir nicht ein festes Ufer für einen Hafen finden.“ „Als wir vorhin die Höhe erreicht hatten, sah ich einen Pfad, der nach Westen hin abzweigte,“ gab der Ritter zur Antwort. „Wir sollten ihm folgen.“

Adolf nickte, sie ritten wieder den Hügel hinauf, bis Reginald auf den versteckten Pfad wies, der zur Linken abzweigte, durch ein Waldstück führte und sich dann langsam senkte. Als die Bäume zurückblieben, erblickten die Berittenen eine Reihe von Blockhäusern, die jenen aus der Kaufmannssiedlung bei Liubice ähnelten. „Ich denke, wir haben gefunden, was wir suchen,“ sagte der Schauenburger und gab seinem Pferd die Sporen. In diesem Augenblick trat ein Mann aus einem der vorderen Häuser. Als er die Reiter sah und das Fähnlein erkannte, das Graf Adolf vorweggetragen wurde, zog er die Kappe und deutete eine Kniebeuge an. Seine Kleidung verriet, dass er keiner dieser wendischen Fischer und Bauern war, sondern offensichtlich eine Anzahl Silberlinge in dem Beutel verwahrte, den er am Gürtel trug.

Adolf zügelte sein Pferd. „Wer seid Ihr?“ fragte er. „Man nennt mich Hinrich von Soest, edler Herr,“ antworte der Fremde mit höflich gewählter Sprache, „und wenn ich euer Wappen richtig deute, seid Ihr Graf Adolf, Herzog Heinrichs Lehnsträger und unser neuer Herr. Als solchen darf ich euch mit Ehrerbietung und zugleich mit großer Freude begrüßen.“ Adolf sprang vom Pferd. „Ihr wisst eure Worte gut zu wählen, Hinrich von Soest. Was tut ein Mann wie Ihr an diesem einsamen Ort?“ „Ich bin Kaufmann, edler Herr, und treibe Handel mit den Dänen ebenso wie mit den Deutschen im Herzogtum. Zwei Schiffe besitze ich, die unten im Hafen auf eine weitere Reise warten.“ Und mit Blick auf die Sonne, die bereits tief am westlichen Himmel stand, fügte er hinzu: „Gedenkt Ihr hier auf Bucu zu nächtigen, Herr? Wenn es Euch gefällt, darf ich dem edlen Herrn meine bescheidene Behausung für einen ruhigen Schlaf zur Verfügung stellen.“

Graf Adolf trat auf ihn zu und legte ihm leutselig die Rechte auf die Schulter. „Ich nehme Eure Einladung gerne an, Hinrich,“ sagte er. „Und ich hoffe, Ihr werdet mir vieles berichten über diesen Ort und über den Handel, den Ihr treibt. Nur eines gleich vorweg: Warum wohnt Ihr hier und nicht in Liubice?“ „Ich hatte ein Haus dort – das heißt, ich besitze es noch immer. Doch Liubice ist kein Platz mehr für uns Kaufleute, seit Fürst Race es niedergebrannt hat. Es sind schwere Zeiten für uns Händler, auf See lauern die Ranen, an Land die Obotriten und die Wagrier, seitdem wieder Krieg herrscht zwischen Deutschen und Wenden. Ich hoffe, dass Herzog Heinrich, dass Ihr uns Frieden bringt, edler Herr.“

Adolf nickte: „Es ist meine Absicht, das Land der Holsten ebenso zu befrieden wie Wagrien. Ich werde keine Hoffahrt mehr dulden und kein eigenmächtiges Handeln, weder bei Deutschen noch bei den Wenden. Habt Geduld, Hinrich von Soest, bald wird dieses Land wieder blühen, und mit ihm Euer Handel. Doch nun zeigt mir Euer Haus, damit ich die Hausfrau gebührend begrüße, auch wenn ihr ein überraschender Gast Mühe bereiten wird.“ Hinrich neigte das Haupt, dann wies er mit einer Geste auf die Tür zu seinem Haus. „Erlaubt mir, dass ich vorangehe, obwohl es ungebührlich ist, Euch nicht den Vortritt zu lassen. Doch will ich meinem Weib bedeuten, Euch mit der nötigen Ehre zu begrüßen.“

Er trat kurz in das Haus, um dann erneut herauszukommen und den Gast herein zu bitten. In der Zwischenzeit hatten sich auch andere Bewohner versammelt und wahrgenommen, dass Graf Adolf von Holstein in Bucu erschienen ist. Reginald hatte sich an sie gewandt, und in Kürze hatten alle Ritter aus der Begleitung des Grafen einen Gastgeber gefunden, während die Knechte mit den Pferden auf die Stallungen verteilt wurden.

Während an der offenen Feuerstelle die Hausfrau geräuchertes Fleisch und getrockneten Kabeljau für ein Nachtmahl zubereitete, hatte Hinrich Schemel herbeigetragen und mit Kissen bedeckt, um dem hohen Gast einen Sitz anzubieten. Auch ließ er aus einem Fässchen weißen Rheinwein in zwei Zinnbecher fließen und hieß damit den Grafen noch einmal willkommen. Der winkte dem Kaufmann, doch ihm gegenüber Platz zu nehmen, eine Ehre, die Hinrich zu schätzen wusste. Aber Adolf war darauf bedacht, von seinem Gegenüber möglichst viel über die Lage hier im Wendenland zu erfahren, und Hinrich von Soest erschien ihm ein nicht nur gut unterrichteter, sondern auch gebildeter Gesprächspartner zu sein.

Der Schauenburger begann, zunächst nach der Lage in Liubice zu fragen, nachdem Burg und Stadt zerstört worden sind. Hinrich von Soest hob bedauernd die Hände: „Wir deutschen Kaufleute waren stets abhängig von der Gunst des wendischen Fürsten, der gerade regierte. Einige waren uns wohlgesonnen, andere sahen in uns Christen eher eine Gefahr, und manches Mal wurden die Händler und vor allem die Mönche und Priester bedroht und sogar getötet. Dennoch war Liubice der einzige Ort, von dem wir unsere Fahrten über das Meer antreten konnten, und auch Ihr, edler Herr, wisst, wie wichtig dieser Handel für das ganze Reich war, nachdem das mächtige Haithabu vor nun bald einem Jahrhundert genauso von wendischen Kriegern zerstört wurde wie jetzt auch Liubice.“

Graf Adolf ließ sich einen weiteren Becher einschenken, dann erwiderte er: „Ich stimme Euch zu, mein guter Hinrich, das Reich der Deutschen braucht einen Zugang zum baltischen Meer, und es braucht einen Hafen, der unter dem sicheren Schutz eines deutschen Fürsten steht. Aber es reicht nicht, einen bloßen Stützpunkt für unsere Fernhändler zu besitzen. Wenn Liubice wieder entstehen soll, muß es eine wirkliche Civitas sein, eine Stadt nicht nur mit den fahrenden Kaufleuten, nicht nur mit dem Warenumschlag im Hafen, sondern ebenso mit Handwerk und auch mit einem Markt für das, was die Bauern der umliegenden Dörfer anbieten. Und ich denke, jener Platz an der Swartove ist dafür wenig geeignet. Was denkt Ihr darüber?“

„Ich stimme Euch zu, Herr, und ich wüsste wohl einen besseren Ort für das, was Ihr plant.“ Adolf lächelte: „Ihr seid geschickt, Hinrich, indem Ihr mich neugierig macht. Aber ich denke, ich weiß, welchen Ort Ihr meint. Und morgen früh werde ich ihn in Augenschein nehmen. Daß man hier auf dem Werder, den man Bucu nennt, eine Civitas gründen kann, gut geschützt durch die beiden Flüsse und die Burg, davon habe ich mich überzeugt. Aber ob Ihr auch einen guten Hafen habt, davon müsst Ihr mich noch überzeugen.“ „Das wird mir nicht schwerfallen, edler Herr. Doch darf ich so kühn sein, Euch einen Rat zu geben?“ „Wenn es ein guter Rat sein wird, ist es keine Kühnheit, sondern Eure Pflicht, ihn auszusprechen!“ Der Schauenburger sah den Kaufmann herausfordernd an.

Hinrich von Soest wog vorsichtig seine Worte ab, ehe er antwortete: „Ihr wollt mehr als einen Niederlassung von Fernhandelskaufleuten, ihr wollt hier in Wagrien eine wirkliche Stadt, eine deutsche Stadt wie die Städte im Reich. Das ist weitsichtig gedacht, edler Herr. Wie Ihr wisst, bin ich aus Soest hierhergekommen. Meine Heimatstadt ist sicher ein bedeutender Handelsplatz, aber hier ist auch eine besondere Gemeinschaft entstanden. Unser Stadtherr, der hochwürdige Erzbischof von Köln, hat das erkannt und dieser Gemeinschaft eigene Rechte verliehen. Die Bürger unserer Stadt können vieles selber regeln, sie haben sich eine besondere Ordnung geschaffen, und der Erzbischof hat sie ihnen gewährt und besiegelt.“ Hinrich machte eine Pause, er blickte in das Gesicht des Grafen, der aufmerksam zugehört hatte.

„Fahrt nur fort, Hinrich von Soest, sprecht ihn frei aus, Euren Rat.“ „Ich meine, Ihr tätet gut daran, auch den Bürgern Eurer neuen Stadt ähnliche Rechte zu gewähren, wenn Ihr treue und fleißige Männer dafür gewinnen wollt, sich hier niederzulassen.“ „Ich werde darüber nachdenken. Und ich werde meinen Schreiber beauftragen, mir eine Abschrift Eurer Ordnung zu beschaffen. Wenn sie so nützlich ist, wie Ihr es schildert, und wenn sie Wohlstand und Zusammenhalt fördert, dann will ich Eurem Rat gerne folgen. Doch nun genug der Gespräche! Laßt uns noch einen Becher gemeinsam leeren – auf das Wohl aller Pläne, die wir für dieses Land hegen – und uns dann zur Ruhe begeben.“

Als Adolf von Schauenburg am nächsten Morgen aus der Kammer trat, die ihm sein Gastgeber als Schlafgemach überlassen hatte, waren Hinrich und sein Weib bereits geschäftig bemüht, dem hohen Besuch frisches Brot und einen leichten Wein bereitzustellen. Der Graf nahm dankend an, aß mit Genuß, um sich dann zu erheben: „Holt mir Reginald, meinen Vogt, und danach begleitet uns zu Eurem Hafen. Haben sich viele Kaufleute hier niedergelassen?“ „Bis vor wenigen Jahren war das Traveufer hier kaum mehr als ein Ruheplatz auf dem Weg nach Liubice für die Kaufleute und ein kleines Dorf wendischer Fischer, aber seit viele unsere Siedlung dort verlassen haben, ersetzt das Ufer uns mehr und mehr den alten Hafenplatz. Ihr seht, auch ich habe hier ein neues Haus errichtet, obwohl das alte in Liubice noch steht.“

Hinrich entfernte sich, kam nach kurzer Zeit mit Reginald zurück, und gemeinsam gingen sie den Hang hinunter, an den wenigen Häusern der Deutschen vorbei zum Ufer der Trave. Mit raschem Blick erfasste Graf Adolf die Lage: Auf einer längeren Strecke reichte der feste Boden des Hügels bis unmittelbar an den Fluß, während zu beiden Seiten das sichere Ufer zurücktrat und einer schilfbestandenen Sumpflandschaft Platz machte. Es war unbestreitbar ein günstiger Ort, um Schiffe dicht am Ufer zu ankern. Hier mussten sie nicht mühsam an Land gezogen werden, sondern eine Planke reichte, um auf die Schiffe zu gelangen. Würde man die Uferkante nur ein wenig befestigen, so wäre es wohl möglich, auch auf diese Planke zu verzichten und mühelos jedes Boot zu betreten. Und das feste Ufer bot genügend Raum, um mindestens ein Dutzend Schiffe dort anlegen zu lassen. Hinrich von Soest hatte recht: Hier ist der Hafen, nachdem Adolf suchte. Und sein Entschluß stand fest: Hier, an diesem Ort, gleich oberhalb des Handelsplatzes entlang dem Ufer, würde seine neue Civitas entstehen, und sie würde den Namen Liubice tragen, diesen Namen, der den Kaufleuten im ganzen Herzogtum Sachsen und darüber hinaus vertraut war und der für den Handel weit über das Meer zu den Dänen und Gotländern stand!

Graf Adolf wandte sich seinen Begleitern zu, die höflich einen Schritt hinter ihm stehengeblieben waren. „Nun, Reginald, was denkst du?“ „Ich denke, dass Ihr gefunden habt, was Ihr sucht, Herr.“ Adolf von Schauenburg nickte, dann fragte er unvermittelt: „Könnt Ihr reiten, Kaufmann?“ Der Angeredete zeigte ein breites Lächeln: „Wer gelernt hat, bei schwerer See fest auf den Planken zu stehen, der wird auch vom Rücken eines Pferdes nicht herunterfallen.“ Der Graf lachte. „Gut! Dann besorge ihm ein Pferd, Reginald, wir reiten noch einmal über das Werder, und Ihr werdet uns begleiten, Hinrich.“

Als sie den Hang hinauf die offene Fläche auf dem Höhenzug erreicht hatten, zügelte Adolf seinen Rappen und blickt zurück: „Von hier werden mehrere Wege zum Hafen hinunterführen, und daran wirst du die Grundstücke abstecken, Reginald. Die Kaufleute, die dort schon siedeln, mögen ihre Plätze behalten, nur die Wege müssen geräumt werden. Der Fernhandel wird weiterhin am Ufer abgewickelt, und hier, auf diesem Heideland, wird der Markt entstehen für die Bauern der Umgebung. Seitlich errichten wir eine Kirche für unser neues Liubice, und der Abt Vicelin aus Faldera wird uns einen fähigen Priester schicken. Und jetzt zum Burgwall!“

Sie folgten den Fahrspuren, die breit auseinandergezogen über den Höhenrücken nach Norden führten, zu beiden Seiten stand ein lichter Wald, gelegentlich sah man zur Rechten das Wasser der Wochenitze heraufblinken. Dann ritten sie zwischen einigen Hütten hindurch, die wendischen Bewohner grüßten den Grafen scheu und aus weitem Abstand heraus. In den letzten Jahren waren hier nur wenige Fremde den alten Handelsweg gezogen, seit dem Untergang von Liubice blieben die Karawanen der Fernhändler aus, wer dennoch bis Bucu kam, war vorher zum Hafen abgebogen.

Der Graf lenkte sein Pferd durch eine Öffnung im Ringwall, um die Burg in Augenschein zu nehmen. Der Boden im Inneren war fest, die Hänge noch gut erhalten, erschienen ihm aber für eine Verteidigung als zu niedrig. Wenn hier einst Häuser gestanden hatten, so waren sie restlos verschwunden, aber der Buchenwald zu beiden Seiten bot genügend Holz, um neue Gebäude und eine Palisadenwand zu errichten.

Adolf wandte sich an Reginald, den Burgvogt von Faldera: „Du wirst eine neue Aufgabe bekommen, mein guter Reginald,“ sagte er betont freundlich. „Faldera hat seine Rolle als Grenzfeste ausgespielt, dort mag ein anderer die Verwaltung übernehmen. Für dich gibt es wichtigeres zu tun: Die neue Civitas Liubice braucht einen fähigen Stadtvogt, und das wirst du sein. Schau dich gut um, denn als erstes wirst du diese Burg hier instand setzen. Du wirst über eine kleine Schar Gewappneter verfügen und außerdem über genügend Knechte, mit denen du den Wall erhöhst und sicherst. Das Holz im Umkreis steht dir zur Verfügung, und auch die Dorfbewohner hier sind zukünftig zur Dienstleistung verpflichtet. Aber belaste sie nicht zu sehr, höchstens zwei Tage in der Woche, sie sind solchen Tribut nicht gewöhnt, und ich wünsche keinen neuen Aufruhr. Diese Wenden sind stets sehr empfindlich, wenn man sie in die Pflicht nimmt, wir werden sie erst daran gewöhnen müssen.“

Reginald hatte schweigend zugehört. Er war zwar ritterlich erzogen, aber eben doch ein Höriger seines Grafen wie die anderen Ministerialen. Er hätte kein Recht zum Widerspruch, und warum sollte er auch widersprechen? Diese Aufgabe war eine Ehre, ein Lohn, und sie erlaubte ihm, in eigener Verantwortung zu planen und zu befehlen, so als wäre er frei, ein Edelherr wie sein Graf. „Ich werde in allem bemüht sein, Euch nicht zu enttäuschen, edler Herr,“ sagte er und neigte den Kopf – auf dem Pferderücken die einzige Möglichkeit, Ehrerbietung zu zeigen.

Adolf nickte und wandte sich Hinrich von Soest zu, der schweigend, aber aufmerksam zugehört hatte. „Auch für Euch habe ich eine Aufgabe, Kaufmann, und es soll Euer Schade nicht sein. Ich weiß wohl, dass Ihr für einige Monate keine Handelsfahrten unternehmen könnt, wenn Ihr meinem Wunsch nachkommt. Ihr seid ein freier Mann und könntet Euch verweigern, aber ich denke, Ihr werdet gerne einwilligen.“ Er unterbrach sich, um sein Pferd näher an den Kaufmann heranzuführen. Jetzt schaute er ihm gerade in die Augen:

„Wer eine Stadt gründet, braucht Bürger, braucht Handwerker und Händler. Und im Reich gibt es genug - nicht nur Bauern - die kaum ein Auskommen haben, denen Land und Arbeit fehlen und die mutig genug sind, etwas neues zu wagen. Aber sie müssen geworben werden, und wer vermag das besser, als ein ehrenhafter Mann, der weiß, wovon er redet, der den Ort kennt, an den sie ziehen sollen, der die Zukunft ausmalen kann, die alle neuen Bürger hier erwartet. Ist das Land nicht fruchtbar und wenig besiedelt? Ist der Hafen nicht wie geschaffen für den Handel? Und kann nicht jeder zu Besitz und Reichtum kommen, der sich getrost auf Meer hinaus wagt wie Ihr selbst und die Waren der Pruzzen, der Gotländer, der Russen gewinnbringend weiterverkauft? Ihr seid der rechte Mann dafür, Hinrich von Soest! Zieht in Eure Heimat und bringt mir tatkräftige Leute in diese neue Stadt. Ich stelle Euch Pferd und Packtier, zahle für Euren Unterhalt und Euren Verlust, und für jedes Grundstück, das Ihr hier vergebt, erhaltet Ihr eine Abgabe.“ Graf Adolf streckte dem Kaufmann die Hand hinüber: „Schlagt also ein, Hinrich, gräflicher Sendbote und erster Bürger in meiner Civitas Liubice!“ Und der Fernhändler aus Soest schlug ein.

Die Faehlings - eine Lübecker Familie

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