Читать книгу Die Faehlings - eine Lübecker Familie - Eckhard Lange - Страница 9
Sechstes Kapitel: Mai 1148
ОглавлениеNoch waren die Begegnungen dort oben am Waldrand allen verborgen geblieben, nur Vesna, Duschas Mutter, ahnte, warum ihre Tochter so oft verschwand, wenn die Abenddämmerung hereinbrach. Sie lächelte, weil sie dabei an ihre eigene Jugend dachte, aber sie machte sich auch Sorgen, weil sie vermutete, dass die Tochter sich mit diesem Deutschen traf, und das war auf beiden Seiten nicht gern gesehen. Aber sie schwieg. Duscha konnte man keine Vorschriften machen.
Alf hatte lange gewartet, bis er eine Gelegenheit fand, Dietmar allein zu treffen. Wenn er in der Schmiede arbeitete, mochte er ihn nicht stören, er wusste selbst, dass man bei dieser Arbeit alle Aufmerksamkeit brauchte. Er selbst war mit den Jahren ein leidlich guter Schmied geworden und nahm dem Vater manchen Auftrag ab, aber er trachtete nicht danach, sein Leben lang Schmied zu bleiben. Immer wieder hatte er am Hafen mit Schiffsführern und Händlern gesprochen, und für ihn stand fest, dass er einmal ebenso auf Gotlandfahrt gehen würde. Hinrich von Soest, der Freund des Vaters seit den Tagen des großen Trecks, der nun mit der verletzten Schulter nicht mehr selbst auf Reisen gehen konnte, würde ihn sicher als Gehilfen nehmen. Aber das war im Augenblick nicht sein Anliegen.
Magdalene war mit dem Korb zum Markt hinaufgegangen, ihre kleine Tochter trug sie in einem Leinentuch vor sich her. Alf wusste, dass sie eine ganze Weile fortbleiben würde. Und Dietmar saß auf einer Bank vor dem Haus und genoß für einige Zeit die Wärme der Sonne, obwohl es an der offenen Esse doch wesentlich wärmer war. Aber er brauchte jetzt öfter einmal diese Pause, schließ hatte er fast sein fünftes Lebensjahrzehnt vollendet. Alf setzte sich neben ihn, eine Weile schwiegen sie, dann wagte der Sohn endlich auszusprechen, was er seit Wochen schon vorbringen wollte:
„Vater,“ sagte er unvermittelt in die Stille hinein, „ich möchte dich bitten, mir die Heirat zu erlauben.“ Dietmar sah erstaunt auf, doch dann lächelte er ein wenig: „Es ist wohl meine Schuld, Sohn, dass ich daran nicht gedacht habe, obwohl du alt genug bist für den Ehestand. Und jetzt hast du dir allein eine Frau gesucht, ohne dass die Väter es vereinbart haben?“ „Ja, so ist es wohl.“ „Nun gut, wenn sie dir gefällt, dann lässt sich darüber reden.“ Er musste wieder lächeln: „Deine Mutter habe ich auch selber ausgesucht, und das war auch gut so, obwohl dein Großvater eigentlich andere Pläne hatte. Das mit Magdalene – nun, das ist etwas anderes. Wir waren beide verwitwet, du kennst die Geschichte.“ Er unterbrach sich, dann fragte er: „Wie heißt sie denn? Kenne ich sie?“
„Nein, ich glaube nicht, daß du ihr schon einmal begegnet bist. Sie heißt Duscha.“ Der Vater hob erstaunt die Augenbrauen und blickte den Sohn misstrauisch an: „Das ist ein ungewöhnlicher Name, er klingt slawisch. Ist sie etwa..“ Er sprach seinen Verdacht nicht aus, aber Alf sagte nun mit entschlossener Stimme: „Ja, Vater, sie ist eine Wendin, sie wohnt hier auf dem Werder, in dem Kietz an der Wochenitze. Ihr Vater ist Fischer.“ „Du willst uns eine Ungläubige ins Haus holen? Das ist nicht dein Ernst, Sohn!“ „Sie wird bald Margareta heißen, wenn der Priester Ethelo sie tauft am Namenstag der Heiligen. Aber sie lässt sich nicht taufen, weil es ihr befohlen wird, so wie es früher üblich war. Und glaube mir: Sie lässt sich auch nicht meinetwegen taufen, obwohl sie vieles aus Liebe tut. Ethelo hat sie überzeugt, und darüber bin ich froh, Vater.“
Dietmar war keineswegs überzeugt, aber es fehlten ihm die Gründe dafür, Alf diese Heirat auszureden. „Sie ist und bleibt eine Slawin,“ sagte er nur. „Wir werden beide das Sakrament der Ehe eingehen wie gute Christenmenschen,“ antwortete Alf. „Es ist wahr, ihr Vater ist Wende, und obwohl er einmal getauft wurde, ist er wohl eher Heide geblieben, weil niemand die Menschen gelehrt hat, auch christlich zu leben. Aber denke an die heilige Margareta! Auch ihr Vater war ein Heide, sogar ein Priester und Götzendiener, und dennoch hat sie unseren Herrn bekannt und hat um seinetwillen den Märtyrertod erlitten.“
„Du hast dich gut vorbereitet, sie zu verteidigen, mein Sohn. Und ich würde dir auch zustimmen, doch ich muß an die anderen denken hier in der Stadt. Alle werden es missbilligen, vor allem jedoch Magdalene. Sie würde keine Slawin in unserem Hause dulden, und mir wäre ein solcher Zank sehr zuwider.“ Alf erhob sich: „Deine Frau war zu Gast bei Duscha und ihren Eltern, sie haben sie freundlich aufgenommen, als wir flüchten mussten. Wie kann sie das vergessen.“ „Aber ihr Mann wurde von den Wenden erschlagen. Das kann sie ebenso wenig vergessen.“ „Wenn Duscha in deinem Hause nicht willkommen ist, dann werden wir uns eine andere Bleibe suchen. An meinem Entschluß wird das nichts ändern, obwohl es mich traurig macht, von meinem Vater verstoßen zu werden.“
Auch Dietmar war jetzt aufgestanden. Der letzte Satz hatte ihn zornig gemacht: „Früher haben die Söhne auf ihre Väter gehört. Das scheint aus der Mode gekommen zu sein. Überlege dir gut, was du tust, Sohn!“ Er wandte sich ab und ging mit raschem Schritt auf die Schmiede zu. Alf blickte ihm nach, und es schmerzte ihn, den Vater unversöhnt ziehen zu lassen. Aber auf Duscha verzichten, das werde ich nie, murmelte er trotzig. Nie!
*
Ethelo hatte die Slawin schon mehrfach zu Gesprächen in der Kapelle empfangen, die etwas abseits von der Civitas am Hang des Höhenrückens stand und bereits vor der Gründung der Siedlung errichtet worden war und dem heiligen Nikolaus gewidmet war, obwohl es keinen Bischof gab, sie zu weihen. Aber es waren Missionare hier tätig gewesen, und mancher deutsche Händler hatte auf dem Weg in das alte, nun vergangene Liubice hier seine Gebete verrichtet. Nun war daraus die erste Pfarrkirche der neuen Stadt geworden, obwohl sie abseits der Siedlung und des Marktes lag. Doch noch fehlte die Anordnung des Grafen oder gar des Herzogs, eine neue und größere Kirche zu errichten, noch fehlte auch die Zustimmung des Erzbischofs im fernen Bremen, weil die früheren Bistümer im Wendenland, Oldenburg im Herzen Wagriens etwa, seit den letzten blutigen Aufständen der Heiden verwaist waren. Zwar hieß es, der neue Erzbischof plane nun, im befriedeten Slawenland die Bistümer neu zu besetzen, doch im Kloster zu Füßen der Siegesburg, die einst auf seinen Rat hin errichtet wurde, wartete der große alte Mann der Wendenmission, Vicelin, immer noch vergeblich auf einen solchen Schritt. Dabei hatte er schon vor zwei Jahrzehnten segensreich im alten Liubice gewirkt, als König Heinrich dort herrschte, doch nach dessen Tod blieb dem Missionar nur die Flucht und die Hoffnung auf eine glückliche Wende.
Auch Ethelo gehörte zum Kreis der Missionare um Vicelin, ebenso wie der kürzlich so grausam ums Leben gekommene Rudolf, aber er konnte nur die Messen lesen für die deutschen Bewohner des neuen Liubice und die wenigen wirklichen Christen unter den Wenden der umliegenden Siedlungen betreuen. So war er hoch erfreut, als der Sohn des Schmiedes Dietmar bei ihm erschien und um die Taufe von Duscha bat, die er zu heiraten gedachte. Und noch mehr freute es ihn, dass dieses kluge Mädchen mehr wollte als nur ein wenig Wasser aufs Haupt. Die Slawin bedrängte den Priester mit ihren Fragen, und manches Mal geriet er fast in Erklärungsnot, während er zugleich heimlich lächeln musste über ihren Eifer.
Selbst das Geheimnis der heiligen Dreifaltigkeit, das so viele Christenmenschen in den deutschen Landen ohne wirkliches Verständnis in jeder Messe bekannten, wollte ihr wacher Geist ergründen. „Ehrwürdiger Ethelo,“ fragte sie vor einigen Wochen, „was bedeuten die drei Götter, Vater, Sohn und Geist, wo ihr doch behauptet, es gäbe nur einen einzigen und wahren Gott? Und warum verdammt ihr dann Swantewitt, unseren wichtigsten Gott, der doch auch einer ist und dennoch vier Gesichter hat, wie erzählt wird? Ist er nicht mächtiger, wo der Christengott nur drei Gesichter hat?“ Ja, es fiel ihm schon schwer, auf alle Fragen eine verständliche Antwort zu geben, aber er lobte ihre Klugheit, denn was sie begriffen hatte und was ihr gut erschien, das glaubte sie dann auch von ganzem Herzen. Und manchmal bedauerte Ethelo heimlich, dass Duscha nur ein Weib war, denn sie wäre sicher ein guter Missionar unter ihren Stammesgenossen geworden, wäre sie nur männlichen Geschlechts gewesen.
Endlich hatte er den 20. Juli zum Tauftag bestimmt, den Tag der heiligen Margareta, und diesen Namen sollte sie fortan tragen als Christin. Am gleichen Tag auch würden sie und Alf, der Sohn des Dietmar, vor Gott ehelich verbunden werden, auch wenn der Schmied dieser Heirat nicht zustimmte. Rastislav, der Fischer, hatte dagegen keine Einwände, und das war Ethelo wichtiger, denn ohne Einwilligung des Vaters hätte er das Mädchen nicht trauen können.
Als der heilige Ritus vollzogen, die Eheleute erstmals miteinander die Kommunion empfangen hatten und mit den ehrlichen Wünschen des Priesters aus der Kapelle traten, nahm Alf Duscha in den Arm und küsste sie: „Jetzt bist du mein liebes Weib, und auch wenn du jetzt Margareta heißt, für mich bleibst du ewig meine Duscha,“ sagte er zärtlich. „Verrätst du mir jetzt, was dieser Name in eurer Sprache bedeutet?“ Das Mädchen lachte: „Duscha heißt einfach 'Seele',“ um dann ernsthaft hinzuzufügen: „Und nun weiß ich, dass ich wirklich eine ewige Seele habe, die mir unser Gott geschenkt hat. Und das ist wunderbar!“
Dabei nahm sie sich ihr Stirnband mit den Schläfenringen ab. „Von jetzt an werde ich eine solche Haube tragen wie die deutschen Ehefrauen,“ sagte sie und wollte das Band in ihren Gürtel tun. Doch Alf hinderte sie daran. „Du sahst wunderschön aus mit deinen Ringen. Ich bitte dich, trage sie mir zuliebe. Warum sollen wir verbergen, dass du aus einem anderen Volksstamm bist.“ Er lächelte: „Deine Sprache wird dich sowieso verraten, so gut du inzwischen auch die meine beherrscht. Aber hat Gott nicht der Welt verschiedene Sprachen gegeben?“ Duscha sah ihn dankbar an, dann sagte sie nachdenklich: „So werde ich also mein Leben lang auf zwei Seiten eines Flusses leben, und du bist meine Brücke. Laß mich die Haube tragen und Margareta heißen auf deiner Seite, es ist besser so. Aber auf der anderen, auf meiner Seite will ich mich gern mit Stirnband und Ringen schmücken, wenn es dir gefällt. Und damit meine Leute sehen, dass ich sie nicht verachte.“ Und sie küsste ihn, nicht ohne Begehren, doch mit großem Ernst.
Noch am Tage ihrer Hochzeit aber suchte Ethelo den Schmied auf, um ihm davon zu berichten und einmal mehr zwischen Vater und Sohn zu vermitteln. Aber er hatte auch diesmal keinen Erfolg, vor allem Magdalene zeigte sich unversöhnlich. Und sie wusste wohl selber nicht, ob sich ihr Haß allein gegen die Slawin richtete oder doch eher gegen die Frau, die unbewußt und ungewollt ihre geheimsten Wünsche vereitelt hatte.
So verabschiedete sich der Priester mit bedrückter Miene, und Dietmar geleitete ihn zur Tür. Draußen jedoch beim Abschied drückte er dem Verdutzten einen Beutel in die Hand, prall gefüllt mit Münzen. „Gebt das meinem Sohn, Ethelo,“ sagte er, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, „er möge es nutzen für eine gute Zukunft.“ Und leise fügte er dann hinzu: „Und für die Zukunft seines Weibes und ihrer Kinder. Gott segne sie beide.“ Dann wandte er sich brüsk um, als schäme er sich für diese Worte, und trat ins Haus zurück.
Erstaunt und gerührt nahm Alf den Beutel entgegen, als der Priester ihn im Kietz aufsuchte, wo er mit seiner Frau ein Grubenhaus bezogen hatte, das Rastislav sich einst als erste Unterkunft gebaut hatte, damals, als er mit Vesna in die Siedlung kam. Lange hatte es leer gestanden, nur als Lager für einige Vorräte gedient. Doch er mochte es nicht abreißen, als er die ebenerdige, größere und schönere Hütte für seine Familie errichtet hatte. Es erschien ihm Unrecht, das Dach zu zerstören, unter dem er sich zum ersten Mal mit Vesna vereinigt hatte. Sollte nun seine Tochter dort ebenso glücklich werden, wie er es mit seinem Weibe all die Jahre gewesen war, auch wenn er solche Gefühle nie zeigen und schon gar nicht aussprechen konnte. Aber er wusste, dass Duschas Mutter ebenso dachte. Sie brauchten sich nur gegenseitig anzuschauen.
Alf wog den Beutel in seiner Hand. „Ich hätte als Schmied arbeiten können, hier oder auch irgendwo in der Fremde,“ sagte er zu Duscha. „Mein Vater war ein guter Lehrmeister. Aber im Grunde habe ich immer etwas anderes gewollt. Die Schiffe im Hafen, die Erzählungen der Händler und der Schifferknechte, ja, und auch die Möglichkeiten, mit dem Tausch von Waren schnell zu Wohlstand zu kommen – das hat mich gereizt. Ich weiß, der Weg übers Meer ist mit mancherlei Gefahren verbunden, und ich werde viele Wochen fort sein von dir – das schmerzt mich am meisten. Aber ich könnte für dich sorgen, dir ein schönes Haus bauen – einen festen Wohnturm mit Keller und einem Kachelofen für die Wohnstube, und ich könnte dir gefärbtes, feines wollenes Tuch mitbringen und eine Bernsteinkette.“
Duscha lachte: „Du bist schon weit in der Zukunft, mein lieber Gemahl! Ich kenne mich auch aus am Hafen. Da muß man klein anfangen, schwer arbeiten und gehorchen, bevor man in die Schwurgemeinschaft der reichen Fernhändler aufgenommen wird. Und man kann über Nacht alles verlieren – Schiff und Waren und selbst Haus und Hof. Das solltest du nicht vergessen.“ Alf nahm sie in den Arm: „Ich weiß, Liebste. Auch Glück gehört dazu, nicht nur Wagemut und Erfahrung. Ich weiß. Aber ich werde diesen Weg gehen. Und jetzt, wo ich diesen Beutel habe, bin ich mehr als bloß ein Ruderknecht. Ich kann mich am Kauf der Waren beteiligen, und auf der nächsten Reise vielleicht schon am Schiff.“ Er macht eine Pause, dann fuhr er leise fort: „Mein Vater mag gegen unsere Heirat sein, aber er ist ein guter Mensch. Und ich bin sicher: Wenn er dich einmal kennenlernt, dann wird er auch anders denken als jetzt. Eigentlich ist es ja Magdalene, die dir gram ist – obwohl sie keinen Grund dafür hat.“
Am nächsten Tag suchte Alf den Kaufmann Hinrich von Soest auf. Ihn schätzte er am meisten von den Fernhändlern, und ihm wollte er sein Anliegen vortragen. Hinrich hörte ihm aufmerksam zu. „Ich sehe, du willst mit etwas Vermögen beginnen,“ sagte er dann. „Das ist gut. Seit ich damals verwundet wurde, kann ich nicht mehr selbst auf Reisen gehen, und meine beiden Söhne fahren inzwischen auf eigenen Schiffen. Du kennst sicherlich die Schiffe hier im Hafen, die schmalen Langschiffe der Dänen und Norweger, aber auch die Knorre, die kürzeren, bauchigen, mit denen wir meistens fahren, weil sie mehr Waren fassen. Aber alle brauchen sie Ruderknechte, auch wenn uns das Segel oft hilft, schneller voranzukommen bei günstigem Wind. Wir reden gern von unseren Schiffen, aber kaum eines gehört einem einzigen Handelsherrn, wir teilen uns die Kosten für den Schiffbau und betreiben lieber mehrere zugleich, denn dann wird auch der Schaden geteilt, wenn Schiff und Waren verloren gehen. Wenn du also von deinem Vater Geld bekommen hast, könntest du dich an einem der Schiffe beteiligen und deine eigenen Waren mitführen. Doch ich würde dir raten, warte damit und lerne erst einmal, was es zu wissen gilt für einen guten Kaufmann.“
Alf hatte gespannt zugehört. Manches war ihm längst bekannt, anderes hörte er jetzt erst, und es erklärte vieles, worüber er nachgedacht hatte. Hinrichs Rat schien ihm gut zu sein, und so fragte er: „Würdet Ihr mich denn zu euch nehmen als Kaufmannsgehilfen?“ „Genau das wollte ich dir anbieten. Seit ich nicht selbst mehr auf ein Schiff kann, ohne große Schmerzen dabei zu bekommen, muß ich meine Waren anderen anvertrauen, meinen Söhnen zumeist, doch auch fremden Händlern. Ich vertraue ihnen, ja, aber ich kann nicht mehr selber das Mitgebrachte gegen das Gewünschte tauschen, und gerade darin besteht die Kunst des Kaufmanns: Zu wissen, was etwas wert ist, und was es einbringen könnte, wenn es dann in Bardowieck oder Lüneburg oder gar im fernen Soest angeboten wird. Wieviel Ellen flandrisches Tuch gibst du dem Gotländer, wenn er dir fünf russische Zobel anbietet, und wie viel Faß Wein kannst du verlangen, wenn du im Reich die fünf Zobel auf den Markt bringst? Wieviel Abgaben musst du zahlen, wenn die Fürsten Zoll erheben unterwegs, wie viel Lohn schuldest du den Ruderknechten und Fuhrleuten? Das alles gilt es vorher zu bedenken, und nur wer das Spiel beherrscht, wird dabei reich.“
Hinrich griff sich plötzlich an die Schulter und verzog das Gesicht. „Dieser Obotrit hatte einen starken Schlag,“ sagte er bitter. „Nichts ist mehr wie früher, und die Wunde ist nach den vielen Monden plötzlich erneut aufgebrochen und eitert. Es gibt Nächte, da kann ich keinen Schlaf finden, weil mich der Schmerz plagt.“ Da kam Alf ein Gedanke: „Meine Duscha – ich meine, mein Eheweib Margareta kennt allerlei Kräuter, ihre Mutter hat schon manchen dort im Kietz geheilt. Wenn es Euch recht ist, würde ich sie bitten, einmal nach Eurer Wunde zu sehen.“ „Da ist doch keine Zauberei im Spiel?“ fragte Hinrich. Es sollte ironisch klingen, aber Alf hörte doch eine geheime Angst heraus, die viele vor dem Wissen der Heiden empfanden. „Margareta ist eine gute Christin, niemals würde sie Hexerei betreiben. Es sind die natürlichen Kräfte der Pflanzen, die sie zu nutzen weiß.“ Da stimmte Hinrich zu.
„Was jetzt dich angeht,“ nahm er das Gespräch wieder auf, so mache ich dir folgenden Vorschlag: Du begleitest meinen Ältesten, den Jannes, auf seiner nächsten Reise, du sperrst Augen und Ohren auf, soweit es nur geht, und ich vertraue dir einige Waren an, die du für mich eintauschen wirst. Doch frage stets erst Jannes um seinen Rat, ehe du einschlägst. Das ist kein Misstrauen, aber du sollst ja lernen, das anvertraute Gut zu mehren. Und noch etwas: Deine erste Reise wird dich nicht nach Gotland führen. Bevor du das Schiff besteigst, wirst du in einer Hanse mitreiten, die Waren nach Bardowieck bringt. Diesen Weg bis du ja schon einmal gezogen. Wenn du willst, dann kannst du eine halbe Last Waren auf eigene Rechnung mitführen und tauschen, damit du dir Wegzehrung und Fuhrlohn verdienst. Und vertraue auf Jannes und seine Erfahrung, sie wird dir nützen.“ Hinrich hielt dem jungen Mann die Rechte hin: „Stimmst du zu, dann schlag ein!“ Und Alf ergriff freudig die Hand des Kaufmanns.
Am folgenden Tag kam er zu Hinrich von Soest zurück, begleitet von Duscha, die einen Korb mit allerlei Kräutern trug. Willig zeigte der Händler ihr die offene Wunde. Duscha betrachtete den verletzten Arm sorgfältig, dann bat sie um Wasser und einen sauberen Topf, um einige Kräuter auszukochen und den Sud mit Haferschleim zu einem Brei zu verdicken, den sie vorsichtig auf die Wunde strich. Danach band sie einen Streifen frisches Leinen um die Schulter und gab den restlichen Brei dem Kaufmann: „Laßt Euch die nächsten Tage jeden Morgen etwas Brei auftragen, aber achtet darauf, dass jedes Mal neues und sauberes Leintuch verwendet wird,“ sagt sie. „Wenn es Euch recht ist, werde ich am vierten Tage noch einmal kommen, dann sehen wir, ob die Kräuter Euch geholfen haben.“ Hinrich wollte ihr danken, doch sie wehrte ab: „Ihr habt Alf einen großen Wunsch erfüllt, da ist es nur recht, dass ich Euch danke mit meiner Kunst. Und ich hoffe sehr, dass sie wirksam ist.“
Es war der vierte Tag danach. Duscha hatte ihren Vater gebeten, ihr den Einbaum auszuleihen, um damit zum Hafen zu fahren. „Willst du mitkommen? Dann kannst du gleich einmal erfahren, wie es ist, wenn ringsum nichts ist als Wasser. Das sollte jeder ausprobieren, bevor er auf große Fahrt geht.“ Alf ließ sich nicht schrecken und sprang mutig ins Boot, allzu mutig, denn fast wäre er kopfüber im Wasser gelandet, weil der Einbaum auskragte. Nur Duschas Geschicklichkeit war es zu verdanken, dass das Boot nicht kenterte und auch Alf an Bord blieb. Sie lachte ihn an: „Nicht die Draufgänger, sondern die Vorsichtigen kommen am besten ans Ziel. Merk dir das für später!“
Als sie vom Hafen her Hinrichs Haus erreicht hatten, kam der Kaufmann ihnen schon an der Tür entgegen: „Deine Frau ist doch eine Zauberin,“ sagte er lächelnd zu Alf. „Aber wer den Namen der heiligen Margareta trägt, der wird wohl auch für offene Wunden zuständig sein wie sie.“ Er zeigte Duscha die Verletzung, sie hatte sich tatsächlich geschlossen. Die junge Frau betrachtete die Wunde genau. „Wir machen Fortschritte,“ sagte sie nüchtern, „doch bis zur Heilung wird es noch dauern. Ihr müßt weiterhin sehr vorsichtig sein und den Arm möglichst wenig bewegen. Ich habe die Salbe schon vorbereitet, nehmt dieses Töpfchen. Ihr solltet sie mindestens noch eine Woche auftragen, doch vergesst nicht: Immer nur ein frisches Leinentuch benutzen!“
Hinrich nickte: „Ich werde gehorsam sein.“ Dann lud er die beiden zu einem Umtrunk, er hatte einen Krug mit Rheinwein bereitgestellt. Noch nie hatte Duscha davon gekostet, und sie trank vorsichtig und in kleinen Schlucken. Sie wusste wohl, dass man berauscht werden kann von Wein, vor allem, wenn man ihn nicht gewöhnt ist. Doch Hinrich hatte noch ein Anliegen: „Ich habe gestern Dietmar getroffen. Er ist in großer Sorge, denn seine kleine Tochter leidet an hohem Fieber. Magdalene hat den Priester Ethelo geholt, weil sie gehört hat, dass die Mönche in den Klöstern sich auf Heilkunst verstehen. Aber er wußte nur Gebete gegen die Krankheit.“
Duscha blickte ihn an, sie ahnte, was er wollte: „Die Frau des Schmieds wird mich kaum in ihr Haus lassen, und aus der Ferne lässt sich schwer raten. Wenn ich wenigstens wüsste, woher das Fieber kommt. Manchmal ist Fieber gut und manchmal schlecht, manchmal geht es von selbst wieder fort, und manchmal kann es den Tod bringen.“ Hinrich seufzte. Er hätte dem Freund gerne geholfen. „Also gibt es keine Hilfe?“ Die junge Frau legte ihm eine Hand auf den Arm: „Die Kleine ist Alfs Schwester, wie sollte ich da nicht alles versuchen? Ich werde mit meiner Mutter reden, sie ist erfahren in vielen Dingen, sie wird Rat wissen. Und Alf wird Euch aufsuchen, wenn wir ein Mittel wissen. Nur eines müsst Ihr versprechen: Magdalene darf nicht erfahren, woher Ihr die Medizin habt. Sie würde sie nur in die Kloake werfen – oder mich gar der Giftmischerei bezichtigen. Laßt Euch etwas einfallen, Hinrich. Gott wird Euch eine kleine Lüge gewiß verzeihen.“
Danach eilten beide zum Hafen. Alf schob den Einbaum ins Wasser, der abseits von der Bohlenwand, die den großen Schiffen jetzt einen Ankerplatz unmittelbar am Ufer gewährte, auf dem Strand lag, sie sprangen hinein und Duscha griff nach den Riemen. „Eigentlich wollte ich dem zukünftigen Seefahrer zeigen, wie man ein Boot lenkt und ihn das Rudern lehren, doch jetzt haben wir keine Zeit dafür.“ Mit kräftigem Schlag trieb sie den Einbaum flussaufwärts, und als sie den Strand im Kietz erreichten, raffte Duscha ihr Kleid in die Höhe, sprang in das flache Wasser und lief auf die Hütte der Eltern zu. „Zieh das Boot an Land,“ rief sie Alf zu und verschwand.
Nachdem der junge Ehemann den Einbaum sicher auf dem Ufer hatte, folgte er ihr und lehnte sich draußen gegen die lehmverputzte Wand. Von drinnen hörte er, wie die beiden Frauen miteinander sprachen, dann klang das Stampfen eines Mörsers an sein Ohr. Nach kurzer Zeit erschien Duscha, in der Hand einen kleinen Leinenbeutel, sorgfältig mit einem schmalen Lederband verschnürt. „Bring es zum Kaufmann Hinrich,“ sagte sie. „Die Mutter soll jeweils einen Löffel voll in einem Trinkbecher aufbrühen und ihrer Tochter einflößen, sobald der Trank kühl genug ist, sie kann auch einige Tropfen Honig hinzufügen, dann schmeckt er angenehmer. Das ganze muß sie solange wiederholen, bis der Beutel leer ist. Und jedes Mal soll sie zweimal den Rosenkranz beten, das ist wichtig.“
Alf sah seine junge Frau erstaunt an, aber die lächelte verschmitzt: „Gebete sind immer gut, wenn sie aus reinem Herzen kommen. Aber hier gibt es einen anderen Grund: Es geht um den Abstand, mit dem die Medizin jeweils eingeflößt werden soll. Es ist nicht gut, würde Magdalene dem Kind alles auf einmal zu trinken geben, und unser Trank bliebe wirkungslos, wenn zu viel Zeit verstreichen würde. Also schärfe Hinrich alles gut ein, ich hoffe, wir können der Kleinen helfen.“
Der junge Mann machte sich mit eiligen Schritten auf den Weg, über den Hügel hinweg zur Civitas, und richtete Hinrich aus, was Duscha ihm aufgetragen hatte. Der lief auch sofort den Weg hinauf, um Dietmar und seinem Weib den Beutel zu übergeben und alles auszurichten, ja, er blieb solange zu Gast, bis er sich überzeugt hatte, dass Magdalene genau nach Duschas Anweisungen verfuhr. Die Mutter hatte in ihrer Sorge überhaupt nicht gefragt, woher Hinrich die Medizin hatte, und als der Schmied ihn fragend ansah, sagte er nur: „Es ist nichts Unrechtes dabei, ich kann mich für den Arzt verbürgen, der mir das Mittel gab.“
Zwei Tage danach erschien Alf erneut bei seinem künftigen Lehrmeister, und Hinrich erzählte ihm voller Freude, dass es der Tochter des Schmieds wieder besser ginge. Sie sei zwar noch schwach, aber das Fieber wäre schon gänzlich verschwunden, und ihre Augen blickten wieder blank und aufmerksam. „Sage deiner Ehefrau meinen Dank,“ sagte er, um hinzuzufügen: „Nur eines schmerzt mich: Daß Magdalene und Dietmar nicht wissen, wer der Kleinen geholfen, ja vielleicht das Leben gerettet hat. Aber vielleicht kommt die Zeit, dass sie es erfahren dürfen und deine Margareta endlich in die Arme schließen. Sie hätte es wirklich verdient.“