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Zehntes Kapitel: Juli 1163

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Es war ein großer Tag für die neue Stadt Lubeke: Nicht nur Herr Hartwig, Erzbischof von Hamburg und Bremen, war in die Stadt gekommen, sondern auch Graf Adolf, der frühere, und sogar Herzog Heinrich, der jetzige Stadtherr. Und es gab einen ebenso großen Anlaß: Der Herzog hatte Lubeke zum neuen Sitz des Bischofs in Wagrien erhoben, und nun sollte die neugebaute Bischofskirche von allen weltlichen und geistlichen Fürsten feierlich geweiht werden. Dabei war es nur eine schlichte kleine Holzkirche, kaum größer als die nahe liegende Pfarrkirche St. Nikolai. Aber es war die Kirche Bischof Gerolds, der nun der „Episcopus ecclesiae Lubicensis“ war.

Denn darin waren sich Heinrich und Gerold seit Jahren einig: Das halbzerstörte, abgelegene Oldenburg inmitten halb heidnischer Bewohner war kein Ort für einen Bischof. So hatte Gerold notgedrungen drei Jahre auf seinem Hof in Eutin verbracht, ohne Dom und ohne die nötigen Priester für ein Domkapitel, denn für beides fehlte ihm das nötige Kapital. Das hatte nur der Herzog, und der bestimmte den südlichen Teil des Werders als Platz für die Kirche des Bischofs und das umliegende Land als Eigentum der Diözese. Zwölf Domherren sollten nun Gerold zur Seite stehen für den Dienst vor dem Altar und die vielen anderen Aufgaben im Bistum, und sie alle erhielten nicht nur ihren Wohnplatz dort, sondern auch genügend weitere Einkünfte. Rund zwei dutzend Dörfer musste Graf Adolf widerwillig den Priestern abtreten, die sich Bischof und Kapitel teilten. Ethelo aber, den langjährigen Seelsorger der Stadt, ernannte Heinrich zum Archidiakon, zum Sprecher des Domkapitels und Richter in allen geistlichen Angelegenheiten.

Es war zugleich ein geschickter Schachzug, denn damit war eine mögliche Konkurrenz zwischen Pfarrkirche und Bischofskirche, zwischen dem Priester der Stadt und dem Hirten des Sprengels vermieden. Denn Ethelo war spätestens seit jener denkwürdigen Rettung der Stadt vor dem Überfall der Obotriten ein hochgeachteter Mann, und er kannte seine Gemeinde, über die er nun auch Recht sprechen sollte in jenen Dingen, die die Kirche zu entscheiden hatte. So konnte Heinrich die Bischofskirche zugleich zur Pfarrkirche bestimmen und die anderen Kirchen der Stadt zu deren Filialen. Gerold aber war zufrieden, nun endlich alles zu besitzen, was einem Bischof zustand, und das nicht im fernen Oldenburg, das er nie geschätzt hatte, sondern in einer deutschen Stadt, einer aufstrebenden, volkreichen Stadt, wie sie eines Bischofs nicht nur würdig war, sondern ihm nach den Gesetzen der Kirche auch zustand.

So duldete er auch, dass der letzte slawische Fischer, der noch dort unten am Ufer lebte, das eigentlich nun zu seinem Herrschaftsgebiet gehörte, weiterhin wohnen bleiben durfte. Er hatte einen guten Grund dafür: Die alten Leute dort waren die Eltern von Alfs Eheweib, und Alf hatte der neuen Kirche eine großzügige Schenkung übertragen, zum Gedenken und für das Seelenheil seines Vaters, Dietmar des Schmieds, der vor kurzem verschieden war, wohlgerüstet mit den Sakramenten der Kirche, die ihm Ethelo auf dem Sterbebett gespendet hatte.

Auch Gerold fühlte, dass er bald selbst die letzte Wegzehrung benötigen würde, schwach und fiebrig war er bereits zur Weihe angereist, und dankbar hatte er nicht nur Alfs Gastfreundschaft genossen, sondern auch den heilkräftigen Trank, den ihm Margareta, die Hausfrau, zur Stärkung reichte. Der Herzog hatte die Nächte in seiner Burg verbracht, und dem Erzbischof bot Hinrich von Soest Quartier, während Graf Adolf bei Simon, Hinrichs zweitem Sohn, nächtigte.

*

Am Tage nach der Kirchweihe hatte der Herzog die Vertreter der Kauffahrergilde empfangen, um die Angelegenheiten seiner neuen Stadt nun endgültig zu regeln. Hinrich von Soest, seit langem der Sprecher der Kaufleute, begann vorsichtig: „Wir haben Euch, gnädiger Herr, aufrichtig und mit Freuden den Treueid geschworen, denn unter Eurem Schutz wird unsere Stadt Lubeke blühen und gedeihen.“ „Auch wir fördern diese Stadt mit allem Wohlwollen,“ unterbrach ihn der Herzog. „Haben wir nicht bereits vor Zeiten Sorge getragen, dass eure Kaufleute ungehindert auf Gotland Handeln treiben dürfen, und haben wir nicht unseren Schutz für alle eure Fahrten durch unser Herzogtum zugesichert? Sprecht also offen, was ihr von uns erwartet.“

„Herr,“ erwiderte Hinrich, „Euer Lehnsmann, Graf Adolf, hat unserer Stadt eine Reihe von Rechten eingeräumt. Wir hätten gerne Eure Zusicherung, dass sie auch weiterhin gelten.“ „Nennt sie im einzelnen!“ befahl Heinrich. „Der Graf gewährte allen Bürgern, die hier wohnen und Grundbesitz ihr eigen nennen, persönliche Freiheit und auch das Besitzrecht an Haus und Hof.“ „Das soll so gelten.“ Heinrich winkte seinem Hofkaplan, damit er eine Notiz anfertige. „Und ich übertrage allen Grund, der hier auf diesem Werder mein Eigentum ist, hiermit euch als den Vertretern der Bürgerschaft, dass ihr ihn nach eurem Gutdünken an die neuzuziehenden Siedler vergebt, ausgenommen allein meine Burg und jenes Gebiet, das ich dem Bischof überlassen habe.“

„Ihr seid ein großmütiger und auch ein weitsichtiger Herr,“ sagte Hinrich mit Bedacht. „Dann anerkennt Ihr auch, dass wir, die Ältermänner, von Euch das Recht erhalten, die Angelegenheiten dieser Stadt in gemeinsamer Beratung zu regeln?“ „Sag genauer, was du forderst, Hinrich von Soest!“ Der Herzog zögerte mit seiner Zusage, also fuhr der Kaufmann fort: „Ihr wisst, edler Herr, dass der Erzbischof von Magdeburg den Bürgern seiner Stadt die Freiheit gewährt hat, Gebote und Verbote zu erlassen, die das Zusammenleben betreffen, Abgaben festzusetzen und den Markt zu regeln. Auch in Soest, woher ich einst hierher gekommen bin, wurde es den Bürgern erlaubt, einen Rat als Selbstverwaltung einzusetzen, und ihm wurde die Willkür gestattet.“

Der Herzog schwieg eine Weile, dann sagte er: „Ich kenne die Privilegien, die der Kölner Erzbischof der Stadt Soest gewährt hat. Auch ihr wollt also ein eigenes Recht für eure Stadt?“ „Es wäre nicht nur für uns von Nutzen, sondern, so denke ich, auch für Euch,“ wagte Hinrich zu erwidern. Heinrich lachte laut auf: „Du bist geschickt, Hinrich, das sehe ich, aber du hast auch recht. Ich denke, es ist gut, wenn diese Stadt einen eigenen Rat besitzt, an den ich mich wenden kann, und ich bewillige diesem Rat das Recht, in eigener Entscheidung die Angelegenheiten der Bürger zu regeln. Das Recht der Stadt Soest möge also auch für Lubeke gelten. Mein Kaplan wird das alles säuberlich aufsetzen, auch die Abgaben, die ich von euch fordere. Das Halsgericht aber ist königliches Recht, das wird mein Vogt weiterhin für mich ausüben, so wie es Kaiser Friedrich mir übertragen hat. Doch mögt ihr zwei Männer bestimmen, die den Vogt vor seinem Urteil beraten.“

Herzog Heinrich erhob sich, als fürchte er, noch weitere Forderungen zu hören, doch die Männer, die als Botschafter der Schwurgemeinschaft der Kaufleute gekommen waren, standen jetzt als Sprecher des Rates der Stadt Lubeke und damit als Vertreter der gesamten Stadtgemeinde vor ihrem Herrn, um sich in Ehrfurcht zu verbeugen. Als sie die Burg verließen, schlug Brun Wittentorp Hinrich anerkennend auf die Schulter: „Der Herzog hat wahrlich recht, mein Freund. Du kannst geschickt verhandeln. Wir gehen reicher davon, als wir gekommen sind.“

*

Alf war nun ein angesehener und einflußreicher Mann, neben Hinrich und Brun nicht nur Vertreter der Schwurgemeinschaft der Fernhändler, sondern auch consul, also Mitglied des Rates von Lubeke. Er hatte durch geschickten Handel großes Vermögen erworben, doch gab er sich stets bescheiden, war er sich doch seiner Herkunft bewusst. Auch er begann sich nun um sein Seelenheil zu sorgen, nachdem er am Sterbebett des Vaters gesessen hatte. So stattete er die dritte Kirche, die auf dem Markt entstanden war, mit reichen Geschenken aus, damit dort einst regelmäßige Seelenmessen für ihn selber gelesen werden könnten.

Doch die ersten Messen musste er ein Jahr später für seine geliebte Duscha lesen lassen. Sie war noch einmal schwanger geworden, aber sie wirkte nun schwach und gebrechlich. Zum ersten Mal verzichtete Alf darauf, nach Gotland zu fahren, sondern schickte seinen Ältesten, Dietmar, zusammen mit Jannes, damit er bei dem erfahrenen Kaufmann den Handel lernen solle. Der Vater dagegen saß viele Stunden am Bett seiner Frau, ließ sich von Brana feuchte Tücher reichen und half, ihr die Stirn zu kühlen. Duscha sah ihn oft mit großen Augen an, und manchmal murmelte sie einige Worte in ihrer slawischen Sprache, doch sie blieben Alf unbekannt, und er mochte die Magd nicht danach fragen.

Mehrfach ließ er nach Ethelo rufen, und stets erschien dieser trotz vieler Aufgaben, die ihm nun oblagen. War nicht Margareta sein geistliches Kind, das er gelehrt und getauft hatte, und hatte sie nicht mit ihrer Warnung die Stadt gerettet – ein viel größeres Verdienst als er, der Priester, es mit Öffnung der Brücke hatte? So war er auch an jenem heißen Spätsommerabend an ihrer Seite, als die Wehen bei Duscha einsetzten. Auch sie ahnte wohl, dass sie das Leben dieses Kindes mit ihrem eigenen bezahlen müsste, denn plötzlich fragte sie: „Sagt, Ethelo, wie sieht es aus, das Paradies? Wird es dort einen Fluß geben und schilfbestandene Ufer – und Wiesen mit Blumen und Kräutern?“

Der Priester nickte: „Das mag schon sein, Margareta. Aber es wird dort auch Hütten geben für diejenigen, die im Glauben gestorben sind, und mitten dazwischen eine besondere, und dort wird der Herr selbst bei seinen Kindern wohnen.“ Da zog ein Lächeln über Duschas schweißnasses Antlitz: „Dann werde ich mich nicht fürchten, dorthin aufzubrechen. Und ich werde endlich wissen, wie viel Gesichter unser Herr hat.“ Danach schloß sie die Augen und wartete ruhig, bis eine neue Wehe ihren Leib verkrampfte. Zwei Nachbarinnen waren zur Hilfe gekommen, und Ethelo wartete draußen, um Alf zu trösten, der in großer Unruhe nach innen lauschte. Endlich hörten die beiden Männer das leise Weinen eines Kindes, und Alf stürzte in das Schlafgemach.

Duscha war totenbleich, sie hatte viel Blut verloren, aber sie hielt die Augen offen. Eine Nachbarin brachte das Kind, eine Tochter. Auch sie war schwach und atmete kaum hörbar. Da nahm der Priester seine Stola, bat um Wasser und vollzog die heilige Taufe im Angesicht der Mutter, und er nannte das Mädchen, ohne Alf zu fragen, Margareta. Duscha öffnete die trockenen Lippen: „Gut,“ flüsterte sie, und nach einer Weile: „Lebt wohl.“ Ethelo salbte sie mit dem heiligen Öl, sie ließ es geschehen. Plötzlich sah sie Alf an: „Du darfst mich berühren,“ flüsterte sie, und er schrak zusammen, denn die Erinnerung kam auf einmal zurück an jenen Abend am Waldrand. Alf fasste nach ihrer Hand, und sie zog die seine langsam an ihre Brust. Er spürte den Schlag ihres Herzens, und er spürte, wie er immer schwächer wurde. „Duscha, meine Seele,“ flüsterte er, während Ethelo leise Gebete murmelte. Aber Duschas Seele war schon fortgegangen, auf dem langen Weg zum Paradies, das sie gesehen hatte.

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