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2. Moderne Militärgeschichte und Historische Friedensforschung – Entstehung, Abgrenzung und die wichtigsten methodischen Ansätze

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Die Darstellung der Geschichte von Schlachten und kriegerischen Auseinandersetzungen war seit der Antike die Urform der Geschichtsschreibung überhaupt und angesiedelt im weiten Bereich zwischen Mythos und überprüfbarem Bericht. Seit dem späten Mittelalter bildete sich eine „Kriegswissenschaft“ heraus, deren Ziel es war, Lehren aus der Kriegsgeschichte und der Entwicklung der Waffentechnik für die Gegenwart zu ziehen. Im Zeitalter des Absolutismus fand vor allem in Frankreich eine Verwissenschaftlichung des Krieges statt (57), aber erst durch Clausewitz’ tiefenscharfe Auseinandersetzung mit dem Phänomen Krieg im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts erfuhr die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Krieg „eine Art Quantensprung“ (63, S. 181).

Militärwissenschaft und Militärgeschichte

Die Militär- und Kriegswissenschaft blieb dabei jedoch für lange Zeit allein den „Praktikern“ in den Generalstäben und Kriegsakademien überlassen und schottete sich vom zivilen Bereich ab. Das traf für viele Länder zu, nicht zuletzt für Deutschland. Auch Hans Delbrück, der 1896 an die Berliner Universität berufen wurde und zwischen 1908 und 1920 eine vierbändige „Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte“ vorlegte (49), die wegweisend für eine moderne Militärgeschichte wurde, konnte sich mit seiner Forderung nicht durchsetzen, die Militärwissenschaft stärker an den Universitäten zu verankern und dadurch zu „zivilisieren“. Bis zum Zweiten Weltkrieg beschränkte sich die Militärwissenschaft somit auf eine amtliche, an den spezifischen Bedürfnissen der Streitkräfte orientierten „Kriegsgeschichte“; sie diente der Schulung des Offizierskorps und der Identitätsstiftung der militärischen Elite. Im „Dritten Reich“ musste sie überdies als „Wehrgeschichte“ die Ziele des Nationalsozialismus abstützen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verstrichen noch weitere Jahrzehnte, bis sich die Militärwissenschaft gegenüber der Geschichtswissenschaft endlich öffnete. Mit der thematischen, theoretischen und methodischen Öffnung dieses Wissenschaftszweiges seit den 1990er-Jahren wurde deutlich, dass Militärgeschichte und Militärwissenschaft streng zu trennen sind – nur letztere beschäftigt sich ausdrücklich mit der Operationsgeschichte als einem Kernbereich der militärischen Ausbildung. In beiden Teilen Deutschlands standen beide zuerst unter dem Bann des Kalten Krieges. 1956 wurde in der Bundesrepublik eine dem Verteidigungsministerium unterstellte militärhistorische Forschungsstelle gegründet, aus der das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) in Freiburg, heute Potsdam, hervorging. Und in der DDR entstand unter der Federführung der Nationalen Volksarmee das Militärgeschichtliche Institut (MGI) in Potsdam.

Die Folgen der historiographischen Schlüsselkontroverse der „alten“ Bundesrepublik – der „Fischer-Kontroverse“ um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die Anfang der 1960er-Jahre begann und sich bis in die 1970er-Jahre und z. T. noch darüber hinaus fortsetzte – ließen schließlich auch die Militärgeschichte nicht gänzlich unberührt: Neue sozialwissenschaftliche Ansätze, ein Generationswechsel an den Universitäten und das Aufkommen der Friedens- und Konfliktforschung führten insgesamt zu einem „zivilistischeren“ Umgang mit der Geschichte des Militärischen. Aber im Vergleich zu anderen westlichen Ländern war in der Bundesrepublik sowohl die Scheu der Militärgeschichte vor der Sozialgeschichte wie umgekehrt der Sozialgeschichte vor der Militärgeschichte besonders groß. Berührungsängste und gegenseitige Ablehnung bestimmten im Grunde bis in die 1990er-Jahre hinein das Bild. Militärgeschichte galt vielen Universitätsgelehrten als unwissenschaftliches Residuum der Militärs – gleichsam als eine Selbstdarstellung der Truppe –, die offenbar aus der Geschichte des Krieges eine Art handlungsorientierter Erfahrungslehre ableiten wollten.

Allerdings war dieses Bild nicht ganz zutreffend. Denn es muss auch betont werden, dass seit dem Ende der 1960er-Jahre das MGFA eine Reihe von Untersuchungen publizierte, die dem Anspruch gerecht wurden, der an die Universitätshistorie gestellt wird, und die internationale Reputation verbuchen konnten. Besonders die grundlegenden Arbeiten von Manfred Messerschmidt über die Wehrmacht im nationalsozialistischen Staat (384) und von Wilhelm Deist über Flottenrüstung und Flottenpropaganda im Kaiserreich (48a) – beide Historiker waren zeitweise wissenschaftliche Leiter des MGFA – öffneten die Tür zu einer kritischen Militärgeschichte. Dies ging jedoch nicht ohne Konflikte innerhalb des „Amtes“ vonstatten.

„Neue Militärgeschichte“

Die moderne Militärgeschichte, die sich um eine zivilistische Aneignung des Untersuchungsgegenstandes Krieg und Frieden bemüht und dabei das soziale und kulturelle Beziehungsgefüge miteinbezieht, wird heute von ihren Vertretern oft als „neue Militärgeschichte“ (67) oder als eine „Militärgeschichte in der Erweiterung“ (61) bezeichnet. Einige wichtige Arbeitskreise wurden gegründet, aus denen heraus die Forschungen angetrieben werden, so z. B. der Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit oder der thematisch offenere Arbeitskreis Historische Friedensforschung. Außerdem folgt eine neue Schriftenreihe „Krieg in der Geschichte“ den methodischen Fortschritten der Geschichtswissenschaft und füllt damit für den deutschen Sprachraum eine empfindliche Lücke.

Historische Friedensforschung

Mit dieser neuen Militärgeschichte – das zeigt bereits der Name des zuletzt genannten Arbeitskreises – überschneidet sich die heutige Historische Friedensforschung. Die Anfänge der sozialwissenschaftlichen Friedensforschung sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA zu suchen; dort entstanden bis heute zahlreiche Friedensforschungsinstitute, die eng mit der akademischen Lehre verknüpft sind. In Europa hat die Friedensforschung erst Ende der 1950er-Jahre richtig Fuß fassen können – einerseits unter dem Einfluss der amerikanischen Forschung, andererseits als eigenständige Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg.

Auch in Europa wurden zahlreiche Institute, Stiftungen und akademische Gesellschaften gegründet, anfangs vor allem in London, Oslo und Groningen, später in Deutschland, hier besonders in Frankfurt am Main und jüngst in Marburg (19, S. 191 ff.). Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist das Credo der Friedensforschung; so schrieb einer ihrer wichtigsten deutschen Vertreter, Karl Kaiser, schon im Jahr 1970: „Nicht das parallele Arbeiten, sondern das Zusammengehen verschiedener Wissenschaften ist … entscheidend. Der multidisziplinäre Ansatz ist also ein wesentliches Merkmal der modernen Friedensforschung.“ (18, S. 18) Die sozialwissenschaftliche Friedensforschung macht es sich zur Aufgabe, die Friedensverträglichkeit von gesellschaftlichen Erscheinungen, Institutionen, Verfahren, Konzepten usw. zu hinterfragen und neue, auch politisch handlungsleitende Konzepte zu entwickeln.

In der Historischen Friedensforschung als thematischem Teilbereich der Geschichtswissenschaft haben sich in den letzten 25 Jahren fünf wesentliche Untersuchungsfelder herausgebildet: 1. Konfliktlagen des internationales Systems und seiner Akteure (Kriegsursachen und -vermeidung, Konfliktlösung, Friedensschlüsse), 2. Institutionalisierte Friedenssicherung (z. B. Völkerrecht, internationale Organisationen), 3. alternative Vorstellungen und Strategien, etwa der Friedensbewegung, 4. Mentalitätsstudien zu Frieden und Krieg und deren Folgen, 5. die materiellen Gewaltmittel und ihr Einsatz (Rüstung, Abrüstung) (52).

Die Historische Friedensforschung richtet ihr Augenmerk bevorzugt darauf, welche Anstrengungen in der Geschichte jeweils zur Erhaltung des Friedens unternommen wurden und woran sie im speziellen Fall scheiterten. Dabei geht die Fragestellung nicht zuletzt von der Annahme aus, dass aus den heute erkennbaren historischen Fehlern für die Zukunft gelernt werden könne und somit Kriege zu vermeiden bzw. Friedensprozesse herzustellen oder zu erhalten seien (69). Dieser häufig mit Nachdruck postulierte Praxisbezug ist jedoch höchst umstritten, ähnlich umstritten jedenfalls wie die Vorgehensweise der älteren Militärgeschichte. Denn berechtigt erscheint ja die Frage, „ob eine dezidiert ‘friedenspraxeologisch’ orientierte Kriegsursachenforschung nicht prinzipiell die gleichen Schwächen und Risiken birgt, wie sie aus anderen Versuchen, sich der Geschichte als Lehrmeisterin für das Morgen zu nähern, bekannt sind“ – einfach deshalb, weil so die Gefahr droht, dass gerade jene historisch bemerkenswerten Seiten des Untersuchungsgegenstandes aus dem Blick verschwinden könnten, die sich nicht in das Bild jeweils aktueller Konfliktkonstellationen einpassen lassen (37, S. 11).

Kritik an den neuen Ansätzen

Ebenso bleibt die Frage strittig, ob eine geforderte Erweiterung der Militärgeschichte bisweilen nicht zu weit ausgreift und damit über das Ziel hinausschießt. Die moderne, „zivile“ Militärgeschichte könnte, so wird von ihren jüngeren Vertretern – die sich für eine Erweiterung stark machen – argumentiert, einen Beitrag zur Historischen Friedensforschung leisten. Ihnen erscheint es sinnvoll, „die Militärgeschichte als historische Soziologie organisierter Gewaltverhältnisse zu begreifen und in dieser Richtung die spezifische Bestimmtheit des Militärs im Krieg wie im ‘Frieden’ herauszuarbeiten“ (61, S. 39). Kritiker wenden demgegenüber ein, dass aller Pluralität zum Trotz die Zentralperspektive nicht aus den Augen verloren werden dürfe. Man müsse sich auf den Ausgangspunkt der militärgeschichtlichen Problematik besinnen: auf das Phänomen Krieg (260).

Solche Kontroversen verdeutlichen vor allem eines: Krieg und Frieden werden seit einigen Jahren in der Geschichtswissenschaft wieder intensiver diskutiert. Die Forschung hat einen lebhaften Aufschwung erfahren, und es haben sich im Wesentlichen fünf neue, Epochen übergreifende Ansätze herausgebildet bzw. ältere Ansätze sind konzeptionell „modernisiert“ worden. Fragestellungen, Chancen und Perspektiven dieser grundsätzlichen Zugriffe werden nachfolgend skizziert.

Krieg und Frieden in der Neuzeit

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