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c) Krieg und Frieden in den Erinnerungskulturen

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„Kriegsgrund“ Geschichte

Dass die Geschichte als Argument für Krieg und Frieden in Anspruch genommen wird, ist seit der Antike selbstverständlich, ein Blick auf klassische Autoren wie Homer, Herodot oder Thukydides genügt, um dies zu erkennen. Neuere Forschungen, die den Untersuchungsbogen von der Antike bis in die Gegenwart hinein spannen, fragen, aus welcher politischen Situation heraus, mit welcher Intention und von welchen politischen Akteuren historisch argumentiert wurde, schließlich, welche Wirkungen diese Inanspruchnahmen von Krieg und Frieden in der breiteren Öffentlichkeit hatten. (43).

So ist zum Beispiel argumentiert worden, dass bei Deutschlands Weg in den Ersten Weltkrieg der Kriegsgrund Geschichte eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Um den Krieg von 1914 gegen Frankreich gesellschaftlich abzustützen, wurde an die Leipziger Völkerschlacht von 1813 erinnert. Eine aggressive Erinnerungskultur wirkte konfliktverschärfend. Die Geschichte senkte die Hemmschwelle für Krieg und suggerierte eine Unvermeidbarkeit von Kriegen überhaupt, die so als eine geschichtsnotwendige – und letztlich für die Deutschen siegreich ausgehende – Erscheinung galten (44). Damit fügen sich Forschung zu Krieg und Frieden ein in das seit etwa einem Jahrzehnt auf internationaler Ebene und in interdisziplinärer Verflechtung intensiv beackerte Feld der Geschichts- oder Erinnerungskultur, der „lieux de mémoire“, der „invention of tradition“, der Herstellung kollektiver oder nationaler Identitäten.

Kollektive und individuelle Erinnerung

Kriege haben – dies gilt wie man mittlerweile sieht für alle Gesellschaften – sowohl für die kollektive wie auch für die individuelle Erinnerung eine zentrale Bedeutung und zwar in dreifacher Hinsicht. Sie bilden erstens einen dramatischen Kontinuitätsbruch. Als tiefer Eingriff in das Leben müssen sie nicht nur verarbeitet, sondern auch in die Erinnerung integriert, sie müssen tradiert werden, um Sinn in der Deutung des eigenen Schicksals zu erhalten, um Opfer und Leid zu „bewältigen“. Zweitens stellen Kriege häufig eine entscheidende Wende im gesellschaftlichen wie im individuellen Leben dar, und die dem Krieg folgende Zeit wird als Nachkriegszeit erinnert. Kriege führen schließlich drittens auch zu einer neuen Sicht der Zeit, die dem Krieg vorausging, denn diese wird nun auf den Krieg hin erinnert und erscheint als Vorkriegszeit. Insofern sind Kriege Schleusen der Erinnerung: Sie verengen und kanalisieren auch häufig den Zugang zur Vorkriegszeit (40).

Die erinnerungskulturellen methodischen Zugänge fragen nach den Medien und den Formen der Erinnerung: Welche Erinnerungssegmente werden von wem miteinander verknüpft? Wie werden sie massenhaft verbreitet, etwa in Denkmälern, Schulbüchern, Literatur oder Film? Wie gestaltet sich das spannungsreiche Verhältnis von individueller und offizieller Erinnerung? Welche Rolle spielt dabei die Geschichtswissenschaft? Wie verarbeiten unterschiedliche Gesellschaften und Kulturen – im intertemporalen und internationalen Vergleich – Kriege und Frieden in ihrer Erinnerung? Gibt es Unterschiede in der Erinnerung bei den Siegern und den Besiegten? Liegt in der Erinnerung bereits der Keim für künftige Konflikte verborgen? Vielfach wird ein Zusammenhang zwischen Kriegserinnerung und nationaler Integration aufgedeckt, dies gilt für Frankreich und Deutschland nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870 / 71, dies gilt aber beispielsweise auch für Großbritannien, wo die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg – „The Great War“ – das kollektive Gedächtnis über Jahrzehnte prägte und die britische Gesellschaft integrieren konnte.

Deutlich wird in den erinnerungskulturellen Untersuchungen überdies, dass die Interpretationen von Krieg und Frieden zwischen einzelnen Gruppen der Gesellschaft hochgradig umkämpft waren (und sind); sie können nämlich auch zum Mittel gesellschaftlicher Spaltung und Ausgrenzung werden. Schließlich gehören propagandistisches Gedenken wie verordnetes Vergessen gleichermaßen zu den Untersuchungsfeldern. So verfiel beispielsweise die öffentliche Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion und vielen Ländern Osteuropas einer unsäglichen Schönfärberei, die mit den Primärerfahrungen der Zeitzeugen, dem Leiden der Soldaten und der Bevölkerung, kaum mehr etwas zu tun hatte. Erst mit dem Untergang des Kommunismus und der Rückkehr der Geschichte seit 1989 konnten auch lange unterdrückte Erinnerungen und wissenschaftliche Kontroversen über den Zweiten Weltkrieg öffentlich ausgedrückt und ausgetragen werden, wobei häufig ein ganz anderer Krieg als der bis dahin offiziell erinnerte, zum Vorschein kam (71).

Wenngleich Kriege auf die Menschen einen viel stärkeren Eindruck hinterlassen als Friedenszeiten, weil mit ihnen menschliches Leid, Bewältigung des Todes usw. angesprochen sind, so wohnen doch auch jedem Friedensschluss und jedem Frieden emotionsweckende Komponenten inne. Friedensfesten und Erinnerungsfeiern aber, in denen Frieden symbolisiert und ritualisiert wurde, hat sich die Forschung bisher vergleichsweise wenig gewidmet, obwohl es in den letzten Jahren einige bedeutende Ansätze dazu gab (50; 53).

Friedenspädagogik

Schließlich spielen Erinnerungskultur und Erinnerungsarbeit in der Friedenspädagogik eine zunehmend wichtigere Rolle. Zwar sind die geschichtsdidaktischen Konzepte der 1970er- und 1980er-Jahre, die unter der Überschrift „Geschichtsunterricht und Friedenserziehung“ geführt wurden (62), weitgehend aus der Mode gekommen, aber unter friedenspädagogischen Gesichtspunkten wird doch verstärkt diskutiert, wie eine Erinnerungsarbeit aussehen könnte, die sich um Grundlagen für eine Kultur des Friedens bemüht.

Damit geraten Museen, Gedenkstätten und Schulen in das Blickfeld. Umstritten ist hier nicht allein die Frage, ob sich Frieden in einem Museum überhaupt konservieren und archivieren lasse, sondern vor allem: Wie kann man den abstrakten Gegenstand Frieden überhaupt im Museum ausstellen, ohne sich ihm doch wieder nur von seiner ausstellungstechnisch viel einfacheren Kehrseite, dem Krieg mit seinen zahlreich vorhandenen Exponaten, zu nähern? Solche praxisbezogenen Ansätze werden nicht dadurch entwertet, dass die Vielzahl von Kriegen in der Geschichte eigentlich gegen die Friedfertigkeit der Welt sprechen müsste. Vielmehr sind sie in der Lage aufzuzeigen, dass Kriege historisch vorhanden waren und erklärbar sind, aber dass der Wille zum Frieden historisch wandelbar ist und sich erst in jüngster Zeit zu einem zentralen Wert der westlichen Kultur entwickelt hat, den es zu fördern gilt (65).

Krieg und Frieden in der Neuzeit

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