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a) Internationale Beziehungen
ОглавлениеAlte und neue Diplomatiegeschichte
Forschungen zu den internationalen Beziehungen gehörten lange zu den „klassischen“ Themen der Geschichts- und der Politikwissenschaft. Sie analysieren Rahmenbedingungen des Staatensystems, dessen politische Akteure, die Geschichte der Diplomatie, Bündnisse, Verträge, Friedenskongresse und die Entwicklung des Völkerrechts. Zu diesen Untersuchungen, die Ereignisse und Konstellationen in Krieg und Frieden erforschen, treten ideengeschichtliche Arbeiten zu den Friedensvorstellungen von Gebildeten, angefangen bei Erasmus von Rotterdam und dessen „Querela pacis“ (1517) über den Abbé de Saint-Pierre, der einen Plan zur Errichtung eines europäischen Staatenbundes als Grundlage eines beständigen Friedens entwarf („Projet pour rende la paix perpétuelle en Europe“ 1713 – 17) bis zu Immanuel Kant und seiner bekannten Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795).
Ab den 1960er-Jahren allerdings wurden Forschungen zu den internationalen Beziehungen und zur Ideengeschichte von sozial-, mentalitäts- und wirtschaftshistorischen Untersuchungen zunehmend an den Rand gedrängt. Sie galten vom wissenschaftlichen Ansatz her als veraltet und gerieten, besonders in Deutschland, zusehends aus der Mode. Der zwischenstaatlichen Welt wurde von vielen Fachleuten keine Autonomie zugebilligt, ein Urteil, das sich jedoch als Trugschluss erweisen sollte.
Denn mittlerweile kann man von einem wieder erwachten Interesse an den historischen Dimensionen der internationalen Beziehungen, ja von einer neuen Morgenröte, sprechen (64). Die Ursache liegt in den veränderten, unerwarteten Konstellationen, denen man plötzlich relativ hilflos gegenüberstand: Die welthistorische Zäsur von 1989 / 90 zeigte die Wirkungsmächtigkeit internationaler Entwicklungen. Zugleich gingen alte Ordnungsmuster verloren, und es bestand ein neuer Orientierungsbedarf.
Die neuen Forschungen zu den internationalen Beziehungen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den alten, sie sind insgesamt moderner geworden, beschränken sich nicht mehr auf „Staatsaktionen“ und eine „reine“ Diplomatiegeschichte, sondern öffnen sich methodisch ganz erheblich. Besonders deutlich wird dies in einem neuen, neunbändigen Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, das den Bogen spannt von der spätmittelalterlichen Res publica Christiana um 1450 über das Balance-of-Power-System von 1700 bis 1785 bis hin zu der Welt im Kalten Krieg von 1945 bis 1990. „Dabei wird“, so schrieben die beiden Herausgeber Heinz Duchhardt und Franz Knipping, „den modernen Forschungsansätzen in der angelsächsischen und französischen Geschichtswissenschaft entsprechend, ein breit gefasster Begriff des Politischen zugrunde gelegt, der die Diplomatiegeschichte alten Stils überholt und in multiperspektivischem Zugriff wirtschaftliche, kulturelle, konfessionelle, mentale, geopolitische, strategische usw. Gegebenheiten und Interessen in die Interpretation der internationalen Beziehungen einbezieht“ (51, Vorwort).
Neue Kriegsgründe im 19. und 20. Jahrhundert
In methodisch ähnlich differenzierter Weise wird heute verstärkt auch untersucht, welche Ursachen es waren, die Staaten und Völker von der Antike bis zu den Balkankriegen des ausgehenden 20. Jahrhunderts in bewaffnete Konflikte trieben und ob man strukturell vergleichbare Prozesse im Vorfeld von Kriegen beobachten kann, die eine Bildung von aussagekräftigen Modellen und Theorien erlauben (37). In einer Untersuchung, die 177 kriegerische Konflikte im Zeitraum von 1648 bis 1989 analysiert, wird die These entwickelt, dass sich die Kriegsgründe im 19. und 20. Jahrhundert im Vergleich zur Frühen Neuzeit grundlegend gewandelt hätten: Sie seien viel abstrakter geworden. Nicht mehr handfeste dynastische, wirtschaftliche oder Handelsinteressen waren demzufolge seit dem beginnenden 19. Jahrhundert die wichtigsten kriegsauslösenden Motive, sondern eher diffuse nationale oder ideologische Ambitionen (56).
Friedensstrategien im Zeitalter der Globalisierung
Aus unserer heutigen Perspektive lässt sich schließlich fragen, ob das internationale System nicht inzwischen ein solch hohes Niveau erreicht hat, welches es erlaubt, Konflikte friedlich auszutragen. Wie Krieg und Frieden sich unter den Bedingungen der Globalisierung verändern, ist ein zunehmend wichtigerer Forschungsschwerpunkt der Politikwissenschaft geworden. Da wir es heute nicht mehr mit einer Staatenwelt zu tun haben, in der – wie im 19. und weithin auch im 20. Jahrhundert – allein souveräne Nationalstaaten handeln und die Macht aus den Gewehrläufen kommt, sondern internationale Zusammenschlüsse, große Wirtschaftskonzerne, mächtige Nicht-Regierungsorganisationen und erstarkende Terrorgruppen als Akteure des internationalen Systems auftreten, müssen sich auch die Strategien ändern, die künftig Frieden, Freiheit und Wohlstand schaffen. Aus der alten Staatenwelt sei eine Gesellschaftswelt geworden, argumentierte einer der bedeutendsten Theoretiker der internationalen Beziehungen, Ernst-Otto Czempiel, und deshalb dürfe, wer in der Außenpolitik heute Erfolg haben will, sich nicht an der Welt von gestern orientieren: „Die veränderten Bedingungen der Gesellschaftswelt verlangen neue Strategien der auswärtigen Politik. Sie müssen der Gewalt vorbeugen, statt ihrer immer wieder mit Gegengewalt und immer zu spät entgegenzutreten. Kluge Macht beseitigt die Ursachen der Gewalt, die in den Strukturen und Prozessen stecken.“ (47, S. 245)