Читать книгу Inferno - Edward Stilgebauer - Страница 5
II.
ОглавлениеFrau Hof tritt in das Zimmer. Sie ist eine ältliche, korpulente Person, so an die Sechzig, der man das gute Leben im Hause des Majors wohl ansieht. Eine blendend weiße Schürze breitet sich appetitlich über ihren starken Leib und lässt die Dimensionen ihrer breitausladenden Hüften nur noch deutlicher werden. Frau Hof hatte, wie man im Volksmunde zu sagen pflegt, einen guten Gott angebetet, als sie vor fünfzehn Jahren in das Haus des Majors, damaligen Hauptmanns, von Berkersburg kam, um diesem die Wirtschaft zu führen. Solange der Junggeselle war und das Geld mit vollen Händen gab, hatte sie die besten Tage gehabt. Und auch jetzt trägt sie die Launen der jungen Herrin, die sich manchmal in unbefriedigter Ehe melden, mit heroischer Geduld oder auch mit einem Gleichmut, der die junge Frau in Friedenszeiten schon manchmal zur Verzweiflung gebracht hat. Das Personal in der Villa Melanie weiß von diesem Gleichmut des Faktotums, das das Ohr des Majors hat, ein Liedchen zu singen. Vor allem Amelie, die Zofe der gnädigen Frau, die sich Madame aus Paris verschrieb, die Femme de Chambre, wie sie sich selbst am Rheine mit Vorliebe tituliert, aber auch Albert, der Diener, und Zuns, der Pferdewärter, Josef, der Kutscher, und Aurora, das Küchenmädel, dessen Handwerk des Aufwaschens so wenig zu seinem poetischen Namen passt. Sie alle kennen sich in Frau Hof aus. Denn zum Schluss behält doch Frau Hof recht und immer wieder Frau Hof, denn sie hat, wie gesagt, das Ohr des Herrn Major. So tritt denn auch jetzt eine finstere Miene des Vorwurfs auf Frau Hofs feistes, von der Hitze des Herdes immer gerötetes Gesicht, wie sie schleichenden Schrittes über den hohen Smyrna des Salons nach der auf die Altane führende Tür geht. Zu ihrer Unzufriedenheit hat sie bemerkt, dass wieder einmal Papierschnitzel auf dem Teppich liegen. Ja, ja, die junge, gnädige Frau! Die folgt ihren Launen, und Frau Hof hat dann die Arbeit und den Ärger davon. Die Papierschnitzel rühren von einem Briefe her, den Melanie vorhin noch einmal gelesen, dann zerrissen und achtlos auf den Teppich geworfen hat. Solche Unordnung ärgert Frau Hof. Aber noch viel mehr ärgert sie das Vorhandensein solcher Briefe. Was braucht man viel Korrespondenz zu führen, die man dann in Stücke reißt, denkt Frau Hof, wenn man ihren Major zum Gemahl hat, in einer Villa am Rhein wohnt und nur zu winken braucht, damit das Auto in Gang gesetzt wird? Mühsam bückt sich die Wirtschafterin. Sie liest die Schnitzel sorgfältig vom Teppich aus und murmelt ein paar unverständliche Worte zwischen den Zähnen, ehe sie, wie immer ein süßliches Lächeln auf den Lippen, zu der jungen Frau auf die Altane tritt. Die gnädige Frau haben geklingelt? Sanft und langsam, gedehnt, kommen diese Worte von den Lippen Frau Hofs. Allerdings!
Es entgeht Frau Hof keineswegs, dass sich ein spitzer Ton in dieses „Allerdings“ der jungen, gnädigen Frau schleicht. Darum lächelt sie noch einmal ihr verbindlichstes Lächeln, von dem sie weiß, dass es Melanie unter allen Umständen entwaffnet.
Und wirklich, die junge Frau verschluckt die Worte des Vorwurfs, die sie wegen Frau Hofs langsamen Erscheinens schon auf den Lippen hatte. Wozu auch? Es war immer so, seitdem sie als Herrin in das Haus des Majors ihren Einzug gehalten hatte, und es würde ewig so bleiben, wenn nicht dieser Krieg auch hierin eine Änderung brachte, hierin, wie in so vielem! Bei diesem Gedanken lächelt Melanie, wie ein Schimmer der Hoffnung gleitet es über ihr schönes, von lichtbraunem Haar umrahmtes Gesicht. Ein Schimmer der Hoffnung, trotz allem! Tross der Schrecknisse der gegenwärtigen Lage, trotzdem auch Adolf. . .
Sie wagt gar nicht weiter zu denken.
Deshalb wendet sie sich an Frau Hof und sagt in einem Tone, der beinahe nach Unterwürfigkeit klingt:
Ich wollte Sie bitten, Frau Hof, doch dem Gärtner zu sagen, dass er die Aprikosen draußen vom Baume nimmt.
Frau Hof unterbricht sie:
Jakob ist eingezogen, gnädige Frau, das wissen die Frau Major doch!
Ach richtig, Frau Hof, Jakob ist ja eingezogen, auch der . . . . .
Alles, was gesunde Knochen hat, ist jetzt eingezogen, gnädige Frau! Richtig, richtig, Frau Hof, dann nehmen Sie wohl selbst die paar Aprikosen von dem Bäumchen, es ist ja nicht so hoch, man kann ganz gut ohne Leiter heranreichen und servieren Sie die Aprikosen als Nachtisch zum heutigen Nachtmahl!
Melanie ist mit ihrem Vater einmal ein paar Wochen in Wien gewesen und der Ausdruck „Nachtmahl“ hat ihr so gut gefallen, dass sie ihn in ihren Sprachschatz übernommen hat.
Frau Hof lächelt über diese Affektiertheit der jungen Frau, sie hält auch dies, wie alles an ihr, für Koketterie.
Ich werde die Aprikosen selbst abnehmen, gnädige Frau. Da wär’ auch ein Brief.
Es entgeht Frau Hof nicht, wie hastig ihr Melanie diesen Brief aus der Hand nimmt, den die Wirtschafterin bislang unter der großen, weißen Schürze verborgen gehalten hat.
Geben Sie her, Frau Hof!
Wie jubelnde Freude geht es durch diese Worte Melanies und Frau Hof lächelt fast schmerzlich.
Mein armer Major, fährt es durch ihren ergrauten Kopf.
Melanie achtet nicht weiter auf Frau Hof. Sie ist gespannt, den Inhalt des Briefes kennen zu lernen, und sie ist sorglos, wie alle, die ein reines Gewissen haben, die sich aus diesem Grunde keinen Vorwurf zu machen brauchen, für die es keine Notwendigkeit zu geben scheint, vor irgendjemandem auf der Hut sein zu müssen.
Melanie hat Frau Hof schon wieder vergessen. Sie steht im hellen Sonnenglanze des strahlenden Augusttages draußen auf der Altane. Im Rahmen der von Klematis umwucherten Brüstung der Veranda erscheint ihre schlanke, ganz mädchenhafte Gestalt in dem hellblauen Sommerkleide aus Taffetseide, das sie sich in diesem Frühjahr auf Wunsch ihres Gemahls hat machen lassen, weil der behauptet, dass sie hellblau am besten kleide, während sie und ein Anderer der Ansicht sind, dass gedämpfte Farben besser zu ihrem blassen Teint und den lichtbraunen Haaren passen. Und sie gleicht einer rührenden Mädchengestalt aus einer Tragödie des Shakespeare, wie sie dort im Rahmen der klematisumwucherten Veranda steht! Sie könnte Julia sein oder auch Desdemona oder Ophelia oder alle drei zusammengenommen, denn wie sie jetzt diesen Brief liest, tritt alles als ein einziges Gefühl in ihr Gesicht. Alles: Liebe, Angst, Glück, Schmerz, alles, alles, wie sie des Freundes letzten Brief unter den Augen hat. Es ist sein letzter! Eine dumpfe Ahnung will ihr das heute sagen am Tage vor dem Morgen, da das Regiment zur Abfahrt an die Front verladen werden soll.
Es ist ein Briefchen oder vielmehr nur eine Korrespondenzkarte, wie er sie ihr so oft in diesen vergangenen Jahren schrieb, seitdem ihn der Zufall — oder war es seinerseits Absicht, hatte er wirklich, wie sie das manchmal in Stunden stillen und innigen Glückes vermutete, dem Schicksal nachgeholfen — da ihn also der Zufall in die gleiche Garnison und in dasselbe Regiment wie den Major geführt.
Eine Korrespondenzkarte aus schlichtem, grauem Papier, einzig verziert mit seinen verschlungenen Initialen W. A. denn er hieß Walter Adolf, und Adolf war sein Familienname.
Wie in lieber Gewohnheit entnimmt sie diese Karte dem Umschlag und liest:
Teure Freundin!
Trotzdem augenblicklich so rasend zu tun ist, werde ich es doch ermöglichen, mich diesen Nachmittag eine halbe Stunde frei zu machen, um noch einmal mit Ihnen zu plaudern. Mit Grüßen wie immer.
Ihr Adolf.
Der liebe, liebe Mensch! . . . Leise führt Melanie die Karte an die Lippen. Hier, auf der Altane, hinter den wuchernden Klematis kann sie das unbesorgt tun. Der Buchfink, der sich drüben auf dem schwankenden Aste einer Ziertanne wiegt, wird schwerlich was dagegen haben. Er schmettert aus voller Brust hinein in den glänzenden Sonnentag, dann breitet er die Flügel weit aus und schwingt sich in das wolkenlose Blau dieser Abschiedsstunde. Er hat ja gottlob keine Vorstellung von dem, was heute auf dieser schönen Welt vor sich geht.
Melanie verschwindet in dem Zimmer. An der Wand steht ein herrlicher Steinway. Der Major hat ihn ihr einmal in einer gütigen Gebelaune zum Weihnachtsfeste geschenkt. Er weiß, dass sie eine enthusiastische Musikverehrerin, dass sie viel mehr als die landläufige Dilettantin ist! Freilich, an Adolf kann sie sich nicht messen, denn der ist gottbegnadeter Künstler. Der Steinway, es war ja lieb von dem Major, aber freilich, er hat es ja nie nötig gehabt, seinen Wünschen und denen der andern Zügel anzulegen.
Wie ganz anders stand er doch da als Adolf, der Komponist hatte werden wollen und den die Verhältnisse, die stärker als die Menschen waren, statt in das Konservatorium und in den Konzertsaal auf die Kadettenanstalt und in den Kasernenhof geführt hatten.
Freilich heute war ja das alles gleich! Sie kramt in ihrem Notenkasten und findet das Lied, das er einmal für sie vertont hat.
So setzt sie sich vor den Flügel.
Ein Pfauenauge, das sich aus dem Garten in das Zimmer verirrt hat,
schlägt da mit ängstlichen Flügeln wider die Fensterscheiben!
Wie er muss sie da unwillkürlich denken, da er keinen Ausweg zu finden vermochte.
Und nun singt sie sein Lied:
Sei mir gegrüßt du große
Geheimnisvolle Stadt!
Es tönt nach in ihrem Innern. Sie denkt an Berlin! War‘s nicht in Berlin, wo sie zuerst an der Seite ihres Gatten seine Bekanntschaft machte? Freilich, ihr Gatte war ja der Major damals noch nicht gewesen. Nur das eine war schon damals klar, dass er bei ihrem Vater, dem alten Baron von Falkenstein, einen Stein im Brett hatte, weil er eine Hypothek auf das Gut geliehen und zu gleicher Zeit ein Auge auf ihre junge Schönheit warf.
In der Königlichen Oper war es gewesen, bei einer Aufführung des „Tannhäuser“. Da war Adolf vor ein paar Jahren in die Loge des Majors getreten und hatte sie während des Zwischenakts begrüßt.
Und dann hatten sie zu Vieren bei Adlon gespeist. So war es gekommen.
Sei mir gegrüßt, du große,
Geheimnisvolle Stadt!
Voll Andacht singt Melanie die erste Strophe seiner Komposition, die er ihr gewidmet hat.
Das Pfauenauge findet plötzlich den Ausgang, die weit offenstehende Tür der Veranda, und flattert lautlos, befreit hinaus in den leuchtenden Garten.
Melanies stahlblaues Auge blickt ihm nach.
Du große, geheimnisvolle Stadt!
Da klopft Frau Hof wieder an die Tür.