Читать книгу Inferno - Edward Stilgebauer - Страница 9

VI.

Оглавление

Melanie stellt die Rosen aus dem Vorgarten Adolfs auf die zum letzten Mal im Heim des Majors gedeckte Tafel und Frau Hof serviert die Lammkeule.

Ein dankbarer Blick aus den klaren Augen des Hauptmanns trifft die Herrin des Hauses. Der Major hat diesen Blick wohl bemerkt. Nichts ist ihm entgangen, nichts entgeht ihm, auch nicht die Szene im Salon, deren Zeuge er vorhin durch seine sprichwörtliche Pünktlichkeit werden musste.

Aber er lässt sich nichts merken. Er zerlegt die Keule sachgemäß, wie er das immer bei Tische zu tun pflegt, die blendendweiße Serviette in dem Kragen seines Waffenrockes. Melanie und Adolf glauben ihn ganz dieser Beschäftigung hingegeben, aber dennoch schielt er verstohlen zu den Beiden hinüber. Die lange, mühsam zurückgebannte Eifersucht beginnt an seinem Herzen zu nagen. Heute am letzten Abend, heute, da der Tag der Abrechnung endlich anbrechen wird. Nicht nur zwischen den Völkern Europas, so denkt der Major.

Während er noch das blutig rote Fleisch — so liebt er es und so muss es Frau Hof auf den Tisch bringen — von dem Knochen löst, nagen seine Zähne nervös an der Unterlippe, beißt er die Haare seines Schnauzbartes und brütet im Stillen vor sich hin.

Endlich nimmt er die Fleischplatte und sagt:

Darf ich dich bitten, Melanie, unserem lieben Gaste zuerst zu reichen.

Melanie kann es nicht entgehen, welch’ seltsame Betonung der Major dem Worte „lieben“ gibt.

Seine Augen funkeln. Es hat den Anschein, als würge ihn etwas in der Kehle, was er jetzt mit dem ersten, in einem einzigen Zuge geleerten Glase Mosel hinunterspült.

Trink, Adolf, trink, lieber Freund, kommt es nun von seinen Lippen, während er dem Gast den Kelch bis zum Rande vollgießt.

Ich danke, Berkersburg, das Glas läuft ja über.

Wie so manches, brummt der Gebieter des Hauses. Dann erhebt er den wiedergefüllten Kelch, um mit Adolf anzustoßen. Die Gläser der beiden Männer klirren hart aneinander und Melanie muss an das Klirren der Schwerter denken, die nun gezogen werden, die nach dem Befehl Seiner Majestät schon gezogen sind, die nicht mehr zurück in die Scheide dürfen, bis der Vernichtungskampf zu Ende ist.

Der Vernichtungskampf!

Melanie überläuft es eiskalt bei diesem Gedanken.

Sie denkt wieder an Paris, an die Place de la Concorde, die Champs Elysees, den Tuileriengarten, an Paris im Frühling, wo sie einst so glücklich gewesen ist, und . . . an französische Kapriolen!

Na, schmeckt es, Adolf!

Brillant, Berkersburg!

Man vernimmt nichts mehr als das Klirren der Messer und Gabeln. Der Major speist trotz allem mit gutem Appetit. Melanie vermag kaum einen Bissen zu schlucken und Adolf zwingt sich zu Haltung und gutem Humor.

Melanie ist ganz nervöse Unruhe. Alles irritiert sie heute. Wie der Major wieder schmatzt, doch das tut er ja immer, wenn es Lammkeule gibt, trotz aller mühsam angenommenen Erziehung, die doch bei ihm nur ein äußerliches Ding ist wie ein neuer Schlips oder ein paar Glacéhandschuhe, die er jeden Augenblick wechseln oder auch wegwerfen kann!

Erziehung, denkt sie. Und dabei muss sie lächeln. Was verstand er wohl unter Erziehung? Ein angelerntes Ding, ein Firnis. Ob der standhalten wird in den Tagen und Wochen und Monden dieser Prüfung, denkt die junge Frau.

Erziehung! Die hatten sie ja wohl alle, alle diese Menschen, in deren Gesellschaftsschicht sie nun einmal groß geworden ist! Sie selbst und Adolf und der Vater, der einst mit Anstand aus der Welt gehen wollte, nachdem Falkenstein überschuldet war, wenn sie sich nicht verkauft hätte! Die hatten der Major und all’ die Herren, die ihr hier in der Garnison und im fernen Ostpreußen bei Wirballen an der russischen Grenze und in Berlin unter die Augen getreten waren. Erziehung, aber sonst nichts! Haltung, mit Anstand sich in das Unvermeidliche fügen, das war deren Weisheit letzter Schluss, das barg dieses schöne Wort Erziehung in seinem Schoße. Das, das.

Und sie suchte — Natur!

Da mochte sie lange suchen.

Sie fährt aus ihren Gedanken empor, denn der Major gießt nun auch ihr das Glas voll.

Ich danke, aber ich trinke nichts!

Der Major lächelt.

Du trinkst nichts? Das bin ich an dir gewöhnt! Warum trinkst du nichts? Um mir die Laune zu verderben, trinkst du nichts!

Sie hat keine Lust, heute am letzten Abend in seinem Heim auf seine Vorwürfe einzugehen. Deshalb nimmt sie die Hand vom Glase und sagt einfach: Nun, wenn du meinst, dann schenke in Gottesnamen ein!

Freilich meine ich das, meine Beste, erwidert der Major. Wie sollte ich das heute nicht meinen, mein Kind? Wir müssen doch am letzten Abend miteinander anstoßen, du, Adolf und ich, auf den Sieg, an dem niemand zweifelt, auf fröhliche Wiederkehr, meine Lieben, auf weiteres glückliches Zusammenleben zu dreien.

Die Worte sprudeln nur so aus dem Munde des Majors.

Sollt‘ ich meinen, sollt‘ ich meinen, fügt er rasch hinzu. Es wird ein Reiterstückchen, dieser ganze Krieg, ein Husarenstreich, sonst nichts, nicht wahr, Adolf?

Und gequält kommt es aus dem Munde des Hauptmanns: Gewiss, es wird ein Reiterstückchen, ein Husarenstreich, dieser ganze Krieg. Das ist auch meine Meinung.

Stoßen wir also miteinander an auf den Sieg, an dem wir nicht zweifeln, auf eine fröhliche Heimkehr, auf ein weiteres glückliches Zusammenleben zu dreien!

Prost, prost, alter Kamerad!

Die Gläser in den Händen der dreien schweben über

dem Tisch. Melanies Hand zittert, wie ihr Glas klirrend das des Gemahls trifft. Ein leiser Schrei kommt aus ihrem Munde.

Das Glas ist ihren Fingern entglitten, der Kelch ist zerbrochen, der goldene Saft ergießt sich über das blendend weiße Tischtuch.

Scherben, sagt der Major lakonisch, also doch Scherben!

Melanie klingelt nach Frau Hof, dass sie die Glassplitter wegnehmen soll.

Adolf versucht zu scherzen.

Er behauptet, dass Scherben in einem solchen Augenblick Glück bedeuten, aber der Scherz will nicht so recht von seinen Lippen. Zugleich mit den Scherben entfernt Frau Hof die abgegessenen Teller und stellt neue auf den Tisch.

Gibt es denn noch einen Gang, fragt der Major.

Hühner, erwidert Melanie mit fester Stimme.

Der Major lächelt. Es fällt ihm ein, dass Hühner das Leibgericht Adolfs sind, genau wie das seine die Lammheule.

Darum sagt er mit einem ironischen Tonfall:

Du hast also dafür gesorgt, Kind, das keiner von uns beiden zu kurz kommt.

Und Melanie antwortet einfach: Ja!

Und während sie die Hühner zerlegt — er macht sich nichts aus diesen Tieren mit den vielen Knochen und zieht deshalb ein kräftiges und blutiges Stück Fleisch vor, ein gewachsenes, wie er sich auszudrücken pflegt — wendet er sich an Adolf und fragt scheinbar ganz unvermittelt:

Du kennst doch die Ballade von dem Kastellan von Coucy, alter Freund?

Wie sollte ich nicht? Dann lass’ dir von meiner Frau das Herz auflegen, mein Freund, Hühner haben auch Herzen, so gut wie Tauben und andere derartige Geschöpfe. Oder, am Ende hast du keine Lust, in dieser Stunde melancholisch zu werden. Denn nich, na denn nich!

Adolf erwidert nichts, er macht nur den Versuch, einen vielsagenden Blick mit Melanie zu wechseln, aber das gelingt ihm nicht, denn die senkt den Kopf unter den forschenden Augen des Gemahls wie in tiefer Scham. Sie schämt sich, nicht um ihret-, nein, nur um seinetwillen und in gezwungener Unterhaltung nimmt die Mahlzeit der drei ihren Fortgang.

Wie Frau Hof die herrlichen Aprikosen aufträgt, kann sich der Major aufs Neue einer Anzüglichkeit nicht enthalten. Gezwungen vergleicht er die Früchte ganz unangebracht mit reifen Äpfeln, obwohl sie mit solchen doch nicht die geringste Ähnlichkeit haben.

Er nimmt eine der Früchte von der kristallenen Schale und gibt sie Melanie.

Ich danke dir, flüstert sie leise. Sie ist an eine Galanterie von seiner Seite schon lange nicht mehr gewöhnt, sondern wittert gleich und mit Recht etwas anderes dahinter.

Du bist ja so literarisch gebildet, Melanie, sagt er spitz, und ein lauernder Blick begleitet seine Worte.

Für den Hausgebrauch erwidert sie in gereiztem Tone, und kann nicht umhin, hinzuzufügen:

Und außerdem wüsste ich nicht, wann es mir in deinem Hause an literarischer Bildung gemangelt haben sollte.

Ich auch nicht, ich weiß in der Tat auch nicht, mein Kind. Mir fiel eben nur gerade ein, dass die letzte Ursache des trojanischen Krieges ein Apfel in der Hand einer schönen Frau gewesen sein soll. Du erinnerst mich an diese Erzählung der griechischen Heldensage, Melanie, wenn ich dich so betrachte!

So — ich danke . . .

Melanie erhebt sich. Sie klingelt nach dem Kaffee. Das letzte Abendessen mit dem Freunde hat sie sich anders gedacht.

Wie das aromatische Getränk in den Mokkatassen dampft, nimmt der Major das Gespräch wieder auf.

Bist Du denn mit allem fertig geworden, Kind, es gab gewiss viel zu tun?

Und sie antwortet:

Ich — ich bin jetzt mit allem fertig!

So —

Eine lange Pause entsteht.

Adolf hat seinen Kaffee rasch ausgetrunken. Er schmaucht jetzt an einer Havanna, die ihm der Major offeriert hat, und sinnt leise vor sich hin.

Plötzlich bemerkt der Major zu ihm:

Es hat dir bei uns gemundet, Freund?

Das will ich meinen, erwidert er, obwohl er kaum einen Bissen zu schlucken vermocht hat. Ein solch solennes Souper werden wir wohl aller Voraussicht nach so bald nicht wieder haben, so gut auch unsere Feldküchen nach den Erfahrungen in den Manövern sich auf ihr Metier verstehen.

Der Major lächelt mitleidig.

Auf einmal scheint eine grausame Lust über ihn zu kommen und wieder funkeln seine Augen, indem er sagt:

Na, auf den französischen Schlössern soll es sich ja auch leben lassen, mein Freund, zumal wenn ihre Keller voll Champagner sind.

Dann erhebt er sich rasch und sagt:

Ihr entschuldigt doch. Aber ich muss noch einmal in die Kaserne.

Inferno

Подняться наверх