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III.

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Melanie fährt zusammen, dann fasst sie sich rasch, gewinnt den Boden der rauen Wirklichkeit in einem Augenblick wieder und sagt mit leiser Stimme: Herein!

Frau Hofs langsam und in näselndem Tone gesprochene Worte treffen wie aus weiter Ferne das Ohr der jungen Frau.

Der Spediteur ist da, gnädige Frau.

So, der Spediteur?

Er lässt die Frau Major fragen, ob das ganze Gepäck nach Wirballen aufgegeben werden soll, weil Falkenstein doch nicht Eisenbahnstation ist?

Jawohl, Frau Hof, das ganze Gepäck direkt nach Wirballen.

Drei Koffer und sieben Kisten?

Drei Koffer und sieben Kisten, Frau Hof!

Schön, ich werde es dem Spediteur sagen.

Tun Sie das, Frau Hof.

Einen Augenblick bleibt die Alte an der Tür stehen, als ob sie noch etwas zu sagen hätte, und Melanie fragt sie in der Tat:

Haben Sie noch was auf dem Herzen, Frau Hof?

Endlich kommt es zögernd von Frau Hofs Lippen:

Ich meinte nur, Wirballen ist doch dicht an der russischen Grenze. Ob die gnädige Frau denn gar keine Angst haben, wenn Wirballen so dicht an der russischen Grenze ist? Ich habe keine Angst, Frau Hof. Falkenstein, das Gut meines Vaters, liegt eine halbe Stunde von Wirballen. Es ist meine Pflicht, jetzt bei meinem Vater zu sein. Darum reise ich nach Wirballen und von dort nach Falkenstein. Wenn der Herr Major ins Feld gezogen sein wird, habe ich hier keine Heimat mehr, Frau Hof.

Das alles kommt in einem resignierten, fast lebensmüden Ton aus dem Mund der jungen Frau.

Und, das ist ja schon richtig, gnädige Frau, lautet Frau Hofs Antwort, aber Wirballen ist und bleibt ganz dicht an der russischen Grenze.

Melanie empfindet den Wunsch, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Aus diesem Grunde, weit weniger aus persönlichem Interesse an Frau Hof fragt sie jetzt:

Und Sie, Frau Hof, haben Sie Nachricht von Ihrer Tante in Volkach erhalten?

Heute Morgen endlich, gnädige Frau.

Und was schreibt Ihre Tante?

Dass ich kommen kann, dass ich willkommen bin, gnädige Frau.

Desto besser! Dann reisen also auch Sie morgen in der Frühe?

Sobald ich hier mit allem fertig sein werde, gnädige Frau. Das hätte ich nie gedacht, dass ich das Haus des Herrn Major einmal so in das Blaue hinein hätte verlassen müssen.

Ich offen gestanden auch nicht, Frau Hof, aber . . .

Wie ein leiser Seufzer der Erleichterung kommt es bei diesen Worten von Melanies Lippen.

Frau Hof entgeht dieser Seufzer nicht. Aus diesem Grunde sagt sie jetzt:

Ich habe der gnädigen Frau doch nie etwas in den Weg gelegt.

Melanie lächelt mitleidig.

In den Weg gelegt, das doch wohl kaum, Frau Hof . . . in meinem eigenen Hause in den Weg gelegt, das wäre denn doch ein wenig sonderbar.

Frau Hof erwidert nichts. Aber es fährt durch ihren Kopf: In dem Hause des Majors, in dem du doch schließlich nur geduldet warst!

Und mit lauter Stimme sagt sie jetzt:

Ich werde also dem Spediteur die Anweisung geben, alles direkt nach Wirballen!

Jawohl, Frau Hof!

Melanie achtet jetzt gar nicht mehr auf die alte Wirtschafterin des Gemahls.

Sie hat sich auf dem Sessel vor dem Schreibtisch niedergelassen. Und während Frau Hof nach dem Korridor geht, um dem Spediteur die Befehle der Herrin des Hauses zu übermitteln . . . Herrin des Hauses, ein Begriff, über den sie in ihrem Innersten ironisch lächelt . . . öffnet die junge Frau eine Schublade und entnimmt dieser ein Bündel alter Briefe, das sie auseinander nimmt und in denen sie dann wühlt. Sie nimmt den einen und den anderen der Briefe aus seinem Umschlage und beginnt darin zu lesen. Dann reißt sie den Brief, ehe sie noch zu Ende gekommen, in Schnitzel und wirft diese in den an ihrer Seite stehenden Papierkorb.

Sie weiß den Inhalt dieser Briefe auswendig, von der ersten bis zur letzten Zeile. Sie hat sie immer aufgehoben und sich nie von ihnen trennen können. Aber heute! In dieser Lage hebt man solche Brief nicht auf, nimmt sie nicht mit sich nach Wirballen, weil das so dicht an der russischen Grenze liegt und weil man nicht wissen kann, wessen Beute solche Briefe werden können. Und dennoch! Im Grunde genommen sind diese Briefe doch so unschuldiger Natur. Sie erzählen nur von einer Frühlingsliebe, auf die der Mehltau gefallen ist, nur von einem Glücke, das verfliegen musste, noch ehe es wirklich ein Glück war, damals, als der Major mit seiner Hypothek auf Falkenstein mit rauer Hand eingriff in ihr junges Lebensschicksal. Es sind die Briefe, die ihr Adolf von Berlin aus nach Falkenstein schrieb, als er sich um ihre Hand bemühte, Wochen und Monate, bevor sie dem alternden Major um des Vaters und dessen Schulden willen endlich gezwungen ihr Jawort gab. Mit diesen unschuldigen Briefen räumt Melanie jetzt auf am Tage, ehe das Regiment an die Grenze verladen wird.

Da wird die Tür ungestüm geöffnet.

Melanie schrickt zusammen. Sie kennt den raschen und harten Schritt dessen, der sich jetzt dem Schreibtisch nähert. Es ist der Major. In feldgrauer Uniform, die Beinkleider in den hohen Reitstiefeln, den klirrenden Säbel achtlos über ihren schönen Smyrna schleifend.

Sie sieht nicht auf, aber sie fühlt den harten Blick seiner kalten blauen Augen, unter denen sich ihre langbewimperten stahlgrauen schon so oft demütig gesenkt haben, weil er doch immer Recht behielt und Recht behalten musste! Er mit der dröhnenden Kommandostimme, er mit dem klirrenden Lachen und dem zähen Willen, der alles nach seinen Wünschen zwang . . . er, er! Nur in der Phantasie sieht sie sein immer gerötetes Gesicht, von dem sie sagt, dass es Bände von der Güte der Weinkarte im Kasino erzähle, sieht sie den schon ergrauten Schnauzbart, vor dem ihre Küsse in vergeblichem Widerstreben geflohen sind.

Rette Ordnung hier, dringt es jetzt an Melanies Ohr. Was machst du am Schreibtisch?

Ich räume mit der Vergangenheit auf, erwidert sie leise.

So . . so . . . wart mal . . . habe in der Eile ein Schreiben vom Regiment liegen gelassen.

Bitte!

Sie steht von dem Schreibsessel auf und tritt gehorsam wie immer drei Schritte zurück, gerade so, als ob er in ein Mannschaftszimmer der Kaserne eingetreten sei und sie der Unteroffizier vom Dienst wäre.

Bitte . . . bitte . . .

Da ist es schon . . . derangiere dich nicht“. bitte, derangiere dich durchaus nicht . . . Wann wird heute gegessen?

Wie du angeordnet hast, um acht, pünktlich um acht, stammelt sie und sieht nicht zu ihm empor. Oder . . .

Jawohl, um acht . . . werd’ mich für acht frei machen . . . unglaublich zu tun, mein Kind!

Mein Kind! Sie lächelt. So nannte er sie immer, wenn er gnädiger Laune war! Sie, sein Kind!

Er spricht weiter:

Kann ja eventuell nach dem Essen noch auf ’nen Sprung in die Kaserne ’nüber, unglaublich zu tun, sollt‘ man gar nicht meinen, wo doch alles seit Monaten parat liegt, sollt’ man gar nicht meinen.

Wir haben einen Gast zum Essen, sagt sie jetzt schüchtern.

Haben wir doch immer, Kind, einen Gast, Adolf . . . . wohl Adolf von der Achten, hat doch nie gefehlt, der gute Adolf, das musikalische Genie, warum sollte er also am letzten Abend fehlen, mein Kind? Tag, Tag!

Der Major ist schon wieder draußen. Er hat das Dienstschreiben, das die ganze Zeit auf der Platte des Schreibtisches lag, an sich genommen und in den Ärmel seines neuen Waffenrockes gesteckt, wie er die Gerte in den Schaft des Stiefels zu stecken pflegt, wenn er zur Reitbahn geht.

Um sie und die Vergangenheit, mit der sie aufräumen will, hat er sich gottlob nicht gekümmert. Wie sollte er auch? Heute, nachdem das eingetreten ist, worauf er, wie sie weiß, seit Jahr und Tag gewartet hat. Was ist da ein Kind und seine Vergangenheit, wenn Hunderttausende hinausziehen in den blutigen Krieg, in einen Krieg, in dem es um das Ganze gehen wird, wie der Major ihr noch gestern verkündigt.

Und sie ist schon wieder in einen dieser Briefe versenkt. Sie sind alle auf das gleiche, schlichtgraue Papier geschrieben, dessen Farbe auch die Korrespondenzkarte hat, die ihr Frau Hof vor einer Viertelstunde brachte, die Farbe, die sie so sehr liebt, weil sie an die Einfachheit seines Charakters erinnert, dem sie immer vor allen andern den Vorzug gegeben hat. Vor allen andern! Vor all’ den glänzenden Kavalieren, die sich einst scheinbar um sie, die außergewöhnliche, achtzehnjährige Schönheit, bemüht hatten, auf allen Bällen und bei allen Landpartien, in Berlin und im fernen Ostpreußen, sich alle zu bemühen schienen, bis sie herausgefunden hatten, dass Falkenstein, das Gut ihres flotten Vaters über und über verschuldet war, dass sie samt dem jovialen Junker eine Scheinexistenz führte, und die sich dann, einer wie der andere, mit kalten und höflichen Komplimenten zurückzogen.

O, Melanie von Berkersburg kennt des Lebens Bitternis, trotzdem sie erst ganze fünfundzwanzig zählt, trotzdem sie jetzt von dem Geld des Majors mit Reitpferd und Auto, Roben und Gesellschaften wie eine Fürstin leben kann. Trotzdem kennt sie des Lebens Bitternis!

Wer nie sein Brot mit Tränen aß!

So zieht es jetzt auch durch ihren Sinn.

Sie liest. Das war der erste Brief, in dem er zärtlich wurde, in dem er deutlicher war, in dem er leise anpochte.

Dieser Brief, geschrieben im Dezembermond des Jahres 1909 aus Berlin, wo er einen Kameraden besuchte, der auf Kriegsakademie kommandiert war. Günther von Schwarzenstein hieß dieser Kamerad. Von einer Aufführung des „Tristan“ schrieb er, er, der Wagnerschwärmer, in diesem Briefe! Und er, der Oberleutnant im Infanterieregiment in Gumbinnen, der ein Jahr wie das andere seine Rekruten zu drillen hat, zitierte in diesem Briefe den Gottfried von Straßburg!

Als nun das Mädchen und der Mann,

Isot und Tristan . . .

und so weiter und so weiter. . . Sollte man es für möglich halten? Das mittelhochdeutsche Gedicht des Gottfried von Straßburg! Wozu man nicht alles Zeit findet, wenn man in Gumbinnen Oberleutnant ist, Rekruten drillt und sich verliebt hat! Wenn einem das Schicksal aus diesem Neste in die Königliche Oper nach Berlin führt!

Da fällt es ihr ein, Tag und Stunde, da sie auf Falkenstein diesen Brief empfing. Es war ganz kurz vor Weihnachten und sie war wie in jedem Jahre die gute Fee. Der Förster hatte schon die Tannen für die Gutsherrschaft und für das Gesinde geschnitten und sie hatte wie in einem jeden Jahre die reine Freude, die Tannen zu schmücken und allen zu bescheren!

In dieser Stunde ihres reinsten und reichsten Glückes traf sie dieser Brief — das Mädchen und der Mann, Isot und Tristan!

Sie hatte in die nächste Stadt in die Buchhandlung geschickt, hatte dort glücklich ein Reclambändchen mit einer Übersetzung des mittelhochdeutschen Gedichtes aufgetrieben und in den Tagen, die dem Feste der Liebe vorausgingen, im Gedanken an ihn hatte sie zum ersten Mal in ihrem jungen Leben gelesen und gelesen: Die Geschichte von dem Weibe des Königs Marke, das aus Liebe die Treue brach, die Geschichte von der blonden Isot und dem Ritter, die zusammen über die Meere fuhren, die eins und einfalt wurden, nachdem sie eh’ zwei und zwiefalt gewesen waren . . . diese wundersame Geschichte . . .

Und an sie denkt Melanie, während sich die Hunderttausende in deutschen Gauen rüsten, Vater und Mutter, Weib und Kind, Freundin und Geliebte zu verlassen, um als ein unüberwindlicher Strom sich zu ergießen nach Osten und Westen, ein Strom, dessen Feuerwagen keiner Stand zu halten vermag!

In diese Fanfarentöne hinein das unsterbliche Gedicht von Isot und Tristan!

Inferno

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