Читать книгу Warum geht der Dirigent so oft zum Friseur? - Eleonore Büning - Страница 11
6 Warum kiekst das Horn?
ОглавлениеWeil es zu warm ist. Kann aber auch sein, es ist zu trocken oder zu kalt oder zu windig, zu hell, zu dunkel oder es liegt sonst was in der Luft. Waldhörner sind wie Pferde: äußerlich stark und glänzend, innerlich zerbrechliche Seelchen, leicht zu verunsichern und außerdem allzu reich mit der Gabe der Empathie gesegnet. Manchmal wirft ein Pferd seinen Reiter nur ab, weil der gerade an ein verunglücktes Meeting denkt. Manchmal kiekst das Horn, weil der Hornist sich tags zuvor unglücklich verliebt hat. Oder weil der Dirigent seine Blicke zufällig gerade in ihrer beider Richtung hat schweifen lassen. Allein das reicht schon aus, schwupps, hat sich der Ton verschoben und sitzt nicht mehr da, wo er eben gerade noch gesessen hatte in dieser bis zu vier Meter langen, schneckenförmig aufgewickelten Metallröhre und wo er ganz bestimmt innert der nächsten zwei Zehntelsekunden wieder sitzen wird. Nur: jetzt nicht. Verpasst, verpeilt, versagt. Der Solohornist hat sein Solo verkiekst, und das hat nun wirklich jeder mitgekriegt, selbst der harthörigste Mensch im Saal.
Sir Simon Rattle, der dieser Tage seine Serie von Abschiedskonzerten mit den Berliner Philharmonikern beginnt, unter anderem mit Mahlers Sechster, die, wie alle Mahlersymphonien, einige heikle Hornsoli parat hält, vergleicht die Hornspieler statt mit Pferden mit Stuntmen. Man dürfe ihnen auf keinen Fall zuschauen in dem Moment, in dem sie möglicherweise in den Tod fallen: »Never eyeball a hornplayer«. Allerdings hat der Hornist im Live-Konzert, anders als der Stuntman am Set, keine zweite Chance.
Robert Schumann, der, als dem Waldhorn endlich Ventile gewachsen waren, von den neuen chromatischromantischen Möglichkeiten dieses Instruments so hellauf begeistert war, dass er »etwas ganz curioses« komponierte, nämlich ein Konzertstück für vier Ventilhörner und Orchester, erklärte das Horn zur »Seele des Orchesters«. Da ist etwas dran. Denn das Horn ist, ob mit oder ohne Ventil, das Instrument mit den meisten Obertönen. Es kann sich, je nach Register, mit den weichen Holzbläsern verbünden oder auch mit dem schmetternden Rest des Blechs, bei dem es ebenfalls ab und zu mal kiekst. Aber das interessiert niemanden. Nur dem Horn nimmt man es übel.
Nicht überall. Nicht in Wien, zum Beispiel. Kiekser sind zwar grundsätzlich überall unvermeidlich, da von zu vielen nicht kontrollierbaren Faktoren abhängig. Zumal in der hohen Lage, wo die Naturtöne dichter beieinander liegen, reichen optimaler Lippenmuskeldruck und Atemkraft zur Punktlandung nicht immer aus. Die häufigsten, herrlichsten Hornkiekser gibt es, wie unlängst ein Schweizer Kollege nicht ohne Neid feststellte, bei den stolzen Wiener Philharmonikern zu hören, da kommt es vor, dass ganze Konzerte tipptopp verkiekst werden, was daran liegt, dass das Spiel des sogenannten Wiener Horns hier zur Pflicht gehört, seit 1830. Es hat eine noch engere Mensur als üblich, folglich noch mehr Teiltöne. Außerdem hat das Wiener Horn Doppelpumpenventile, was fließenden Übergängen im Legatospiel zugute kommt. Gern zahlt man mit ein paar Kieksern für so viel Schönheit. Selbst die Kiekser sind traumhaft schön.
Das Horn wurde seiner souveränen Unvollkommenheit halber zum Lieblingsinstrument auch der literarischen Romantik: dank der Vielfalt der Farben, Klänge, Rollen und Register, seiner Herkunft aus dem Wald, der Sehnsuchtsrufe in die Ferne, der Echos aus der Vergangenheit, des Archaischen heller Jagdfanfaren, Wielands Ritt ins alte romantische Land, Eichendorffs Waldesgespräch, heller Sommernachtsträume sowie des geheimnisvoll weichen Dunkels tiefer Lagen, die von Trauer und Erinnerung wissen, aber auch Unheimliches ankündigen, Drohungen, Doppelgänger: »Wohl irrt das Waldhorn her und hin./ Oh flieh! Du weißt nicht, wer ich bin.«
Unter diesen Umständen muss man zusammenhalten. »Hornisten sind selten Einzelgänger«, sagt Stephan Dohr, Solohornist der Berliner Philharmoniker. »Wir treten ja immer mindestens zu zweit auf, bei Mozart und Haydn, und bei späteren Komponisten immer zu viert, mindestens, dann auch mal zu sechst oder acht, das ist dann schon fast eine Party.« Die jüngste Feier dieser Art fand am Donnerstag im Münchner Herkulessaal statt, wo ein Konzertstück für acht Hornisten und Orchester von Helmut Lachenmann zur Uraufführung kam, es soll ein rauschendes Fest gewesen sein.
10. Juni 2018