Читать книгу Warum geht der Dirigent so oft zum Friseur? - Eleonore Büning - Страница 14
9 Sind Wagners Meistersinger antisemitisch?
ОглавлениеJa. So, wie die Zauberflöte rassistisch ist, die Verkaufte Braut sexistisch, der Nabucco patriotisch und Boris Godunow nationalistisch. Nachweisbar in den Textbüchern dieser Opern. Ob es aber auch Spuren von Antisemitismus und Rassismus in der Musik gibt? Hm.
Ein Lackmuspapier zu dieser Frage liefert uns der Komponist Richard Wagner alle Sommer wieder um den 25. Juli herum. Das Bayreuther Mediengetöse pflegt allemal schon in der Probenzeit zu beginnen, so ab Mai. Wenn Christian Thielemann, der amtierende Musikdirektor der Richard-Wagner-Festspiele, dann gebetsmühlenartig entnervt immer mal wieder darauf hinweist, dass ein C-Dur- oder ein cis-moll-Akkord keine politische Aussage habe, so zeigt dies nicht nur die Häufigkeit an, mit der ihm die Antisemitismusfrage gestellt wird; es indiziert auch ihre Unbeantwortbarkeit und eine gewisse Irrationalität des Hypes. Längst werden überall anderswo auf der Welt die Werke Wagners aufgeführt, oftmals besser inszeniert und gesungen als im fränkischen Familienbetrieb. (By the way: Voriges Jahr gab es in Bayreuth eine Neuinszenierung des Parsifal, da haben Sie, verehrte Leser, an dieser Stelle nachgefragt, wie antisemitisch wohl der Parsifal sei. Ich habe jetzt schon mal Ihre Frage, was antisemitisch am Tannhäuser sein könnte, für Juli 2018 in meinen Kalender eingetragen.)
Richard Wagner war bekennender Antisemit, wie viele Künstler seiner Zeit. Jens Malte Fischer, der eine Dokumentation zu Wagners Pamphlet über Das Judentum in der Musik herausgebracht hat, die in jeder deutschen Hausbibliothek stehen sollte, spricht von einem »kulturellen Code des Antisemitismus im 19. Jahrhundert«. Was nichts entschuldigt. Aber doch ein paar Details ausleuchtet, die dem Blick zurück, post Holocaust, grauenvoll verstellt sind. Fischer zeigt, wie der Antisemitismus für Wagner zu einer »lebensbegleitenden Obsession« wurde. Er ist sich sicher, dass diese Obsession bis in die Werke hinein verfolgt werden kann, bis in die Noten. Allerdings sei sie camoufliert, versteckt und nur aus dem Kontext ersichtlich. Zum Beispiel: Die Meistersinger sind eine komische Oper. Aber worüber Wagners Publikum damals selbstverständlich lachte, das erkennen wir heute nicht einmal mehr als Witz. Viele Witzigkeiten wirken unheimlich. Sie sind »heuchlerisch, tückisch, infam und obendrein noch chauvinistisch«, so sagte es einmal Marcel Reich-Ranicki. Und weiter: »Es ist schon ein abstoßendes Werk. Nur muss ich noch erklären, warum ich gerade für diese Oper eine Schwäche habe, ja, warum ich sie liebe …« Und redete sich dann heraus, auf die schöne Musik.
Wie es schon Thomas Mann getan hat. Und viele andere mehr. Ach ja, ein schlimmer Text! Unerträglich! Doch die Musik, dieses selige Morgentraumdeutweise-Quintett im dritten Akt: Einfach himmlisch. An dieser Stelle kommen wir nicht weiter. Auch Fischer nicht. Auch Barrie Kosky nicht, der das Werk jetzt in Bayreuth neu inszeniert und in die Privatsphäre von Haus Wahnfried verlegt, wo Wagner Witze macht auf Kosten seines »Hausjuden«, Hermann Levi.
Fast alle Witze in den Meistersingern gehen auf Kosten des Nürnberger »Hausjuden« Sixtius Beckmesser. Im zweiten Prosaentwurf 1861/62 hatte Wagner diese Figur umbenannt in Veit Hanslich, um den Musikkritiker Eduard Hanslick zu ärgern, den er irrtümlich für einen Juden hielt. Im zweiten Aufzug der Oper löst Hanslich-Beckmesser mit einem grauenvoll falsch betonten, französizierenden Ziergesang die berühmte Prügelfuge der Johannisnacht aus. Nach und nach, mit Dominoeffekt, werden die Nürnberger Bürger wach von dem Lärm in der Gasse, sie stürzen im Nachthemd aus den Häusern und schlagen sich gegenseitig grün und blau. Grundlos, haltlos. Als der Spuk mit einem Glockenschlag endigt, haben sie Beckmesser aus der Gemeinschaft hinausgeprügelt, und der ist daran selbst schuld, hat das Pogrom verursacht, vielleicht gar herbeigesehnt, in seinem von Wagner-Sachs liebevoll-infam vorgeführten, ahasvermäßigen Todestrieb.
Dieses Opernaktfinale ist musikalisch überwältigend und zugleich »ekelhaft« (Reich-Rancki). Diesen Widerspruch müssen wir aushalten. Die sogenannte Prügelfuge ist keine Fuge, bloß ein im Chaos versumpfendes Fugato. Auch lässt sich Beckmessers krauses Ständchen, welches dafür das Kopfthema liefert, nicht als Karikatur von Synagogengesängen erklären. Mit den chromatisch-melismatischen Sprechgesängen der Klezmerklarinette aus dem Schtetl, Filmmusikfarbe vom Dienst in den Holocaust-Dokus, hat diese diatonische, auf Quarten fußende Melodie erst recht nichts zu tun. Nein, Anatevka ist nicht das politisch korrekte Gegengift zu den Meistersingern, Herr Kosky! Aber davon ein andermal.
23. Juli 2017