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12 Warum gibt es so wenige Dirigentinnen?

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Diese Frage kommt elf Jahre zu spät. Zum Glück, da tut sich was! Damals, 2005, als Simone Young Generalmusikdirektorin am Hamburger Opernhaus wurde, um diesen Tanker dann zehn Jahre lang stur durch Höhen und Tiefen zu lenken, war das noch ein großes Thema. Wenige Monate später wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin. Young und Merkel waren es ziemlich bald leid, laufend gefragt zu werden »Wie machen Sie das nur?« oder »Warum erst jetzt?« oder »Warum gibt es nicht mehr von Ihrer Sorte?«. Und es dauerte nicht lange, da brach GMD Young, stur, wie sie ist, jedes Interview, in dem ihr die Genderfrage gestellt wurde, konsequent ab.

Ich hatte auch einmal eines mit ihr geführt. Schon länger her. Damals war sie noch Assistentin von Daniel Barenboim an der Berliner Lindenoper, gastierte aber auch schon an der Wiener Staatsoper, wo sie, weil die Wiener Philharmoniker das allerkonservativste Orchester der Welt sind, ausschließlich Männer dirigierte, nicht einmal die Harfe durfte damals bei den Wienern von einer Frau gespielt werden. Nie werde ich die milde Indolenz vergessen, mit der mich Young ansah, als ich nach der Frauenquote in männerdominierten Musikerberufen fragte. Nein, sagte sie, Frau oder Mann, das sei ihr »völlig egal«. Das sagten übrigens fast alle Dirigentinnen. Einige sagen es heute noch. Sagen es und verkleiden sich als Neutrum in Ausübung ihres Berufs. Steigen in Anzüge oder in kartoffelsackartige Hängerchen, um sich und ihre Musik zu schützen vor dämlichen Nachreden. Schön ist das nicht, wahr ist daran natürlich auch nichts. Der Mythos vom Maestro hat sich lange gehalten, er wird zäh verteidigt, jede Frau, die aufs Pult steigt und Musik machen will, kriegt das zu spüren. Bloß im Vatikan, spottete damals, als Merkel in Berlin Kanzlerin wurde, ein Kritikerkollege, seien Frauen noch unerwünschter als unter Komponisten und Dirigenten. Oder eventuell noch beim Formel-1-Rennen.

Dasselbe in Zahlen: 2005 gab es in Deutschland insgesamt neunundsiebzig Generalmusikdirektoren, davon drei weiblichen Geschlechts, nämlich Young, Kamensek und Pfund, Letztere beide an kleineren Häusern. Weltweit zählte man damals knapp sechshundert Dirigenten, darunter zwölf Frauen. Aber dann ging es los! 2011 sind es schon mehr als hundert. Diese Quote steigt seither täglich weiter, es ist eine Freude, ihr beim Wachsen zuzugucken.

Junge männliche Dirigenten scheinen immer kleiner, immer grauer, uninteressanter und austauschbarer zu werden. Gute, junge, weibliche Dirigenten aber sprießen wie die Krokusse im Frühling, und eine nach der anderen angelt sich einen der Topjobs der Branche. Sie springen nicht mehr nur ein als Freelancer. Sie gastieren und assistieren nicht mehr nur lebenslang kapellmeisterlich in zweiter Reihe. Sie müssen sich nicht mehr, damit sie spielen können, was und wie sie es für richtig halten, beizeiten spezialisieren, wie Susanna Mälkki es tat oder Sian Edwards, oder aber ihr eigenes Orchester gründen, wie Anu Tali, Agnieszka Duczmal oder Emmanuelle Haïm. Nein, sie absolvieren, wie die männlichen Kollegen auch, die ganz normale Ochsentour vom Korrepetitor an aufwärts, bewerben sich anschließend und werden fest angestellt. Und sind, wie ihre Kollegen, teils verheiratet, teils haben sie Kinder. Zuletzt war es, im Februar, die neunundzwanzigjährige litauische Dirigentin Mirga Gražynitė-Tyla, Musikdirektorin des Salzburger Landestheaters, die an die Spitze des City of Birmingham Orchestra berufen wurde, Nachfolgerin von Andris Nelsons. Auch Joana Mallwitz, Generalmusikdirektorin in Erfurt, ist, als sie ihren Vertrag bekommt, deutlich unter dreißig. Mag sein, Äußerlichkeiten sollten nicht überbewertet werden, aber ein gutes Zeichen ist es doch, dass die Zelthängerchen und Camouflagetricks offenbar allmählich aus der Mode kommen. Die Dirigentin von heute trägt Etuikleid oder langes Schwarzes oder Frack oder was immer sie will. Keiner dreht sich mehr danach um, genauso wenig wie nach den bunten Merkel-Blazern.

Vorgestern sind die Sieger des Bamberger Dirigentenwettbewerbs bekannt gegeben worden. Ausnahmsweise drei Männer. Ein Rückschlag. Dabei sind fünfundzwanzig Prozent der Kandidaten im Wettbewerb Frauen gewesen, und, fast noch wichtiger, in der Jury saß auch eine: Barbara Hannigan. Noch fehlen die Dirigentinnen in den Orchestergräben von Bayreuth und Salzburg. Nicht mehr lange.

15. Mai 2016

Warum geht der Dirigent so oft zum Friseur?

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