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Vorwort

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In diesem Buch werden Fragen zur klassischen Musik beantwortet. Pausengesprächsfragen. Probenpausenfragen. So etwas. Manchmal kratzen sie ans Grundsätzliche, andere sind alltäglich, wiederum andere sehr speziell, einige vielleicht absurd. Die erste Frage, die sich ein Buch wie dieses gefallen lassen muss, lautet natürlich: Wen interessiert’s?

Das habe ich mich oft gefragt, fast jedes Mal, wenn ich aus Oper oder Konzert berichtet habe, in Rezensionen oder Reportagen. Nicht etwa aus Verzagtheit, weil der Kreis der Klassikinteressierten so gerne kleingeredet wird, sie als überaltert, elitär, verspießert und selbstgerecht hingestellt werden. Dieser „Silbersee“-Vorwurf ist eine Legende, die noch aus den Siebzigerjahren stammt. Statistisch betrachtet ist das Klassikpublikum sehr viel jünger als sein Ruf.

Etwas anderes ist es mit den neuen Wegen des Wissenstransfers im Zeitalter der Digitalisierung. Der Boom der Ratgeberkultur kommt mir geradezu unzeitgemäß vor. Können wir uns denn nicht alles, was wir wissen wollen, beispielsweise über vertikales Gärtnern oder über evangelische Kirchenmusik, jederzeit leicht selbst zusammengoogeln? Und warum googeln wir immer weiter, von Hölzchen auf Stöckchen, von der Ukulele über die Braut des Prinzen, bis wir bei den japanischen Katzenbabys landen? Ist das nur Ermüdung, Undiszipliniertheit? Quasi ein individueller Kollateralschaden bei noch unvollkommener Digitalisierungssozialisation, der sich in Zukunft vermeiden ließe? Oder hat es zu tun mit jenem alten, unstillbaren Wissensdurst, der den Menschen auszeichnet vor allen anderen Tieren? Dass wir uns, frei nach Sokrates, immer noch wünschen, mehr zu wissen, als wir wissen?

Im Zeitalter der Aufklärung gab es lediglich zwei Ratgeberbücher. Sie befassten sich mit Putzmitteln: Der Fleckenkünstler (1773) und Der vollkommene Fleckenkünstler (1797). Erst mit fortschreitender Arbeitsteilung blühte die Kunst der illustrierten Gebrauchsanweisung auf, und irgendwann schlug dann auch die Stunde der Ratgeber. Seither haben sich die Kummerkästen für praktische Lebenshilfe enorm variantenreich verbreitet. Eines der beliebtesten Formate stammt aus den Fünfzigerjahren, aus der Hörzu. Der Kasten hieß: „Fragen Sie Frau Irene“. Im wirklichen Leben hieß Frau Irene Walther von Hollander. So etwas wäre heute nicht mehr möglich. Die Glaubwürdigkeit des Influencers, legitimer Nachfolger der Fleckenkünstler von einst, gründet sich auf dem authentisch-inszenierten „Ich“, in absoluter Subjektivität.

In einer Zeitungskolumne ist die „Ich“-Form, anders als in Rezensionen und Reportagen, schon seit Längerem ausdrücklich erwünscht, denn journalistisch betrachtet ist der Kolumnist nichts weiter als „der Kapitän in der eignen Badewanne“ (wie die Journalistin Ulrike Meinhof es ausdrückte), mit festem Platz im Blatt und viel Narrenfreiheit. Eine Kolumne zu haben, in einer wichtigen Zeitung, ist ein großes Privileg. Ich habe eine, meine erste und einzige, seit dem Sommer 2015. Die Idee dazu hatte der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Claudius Seidl, dem ich ewig dankbar dafür bin, was ich ihm seither ungefähr alle drei Wochen einmal sage. Es handelt sich um eine Ratgeber-Kolumne in der „Frau Irene“-Tradition, sie heißt: „Fragen Sie Eleonore Büning“. Der Name ist echt, an das „Ich“ hatte ich mich relativ schnell gewöhnt. Ansonsten aber hat diese Kolumne ein Eigenleben entwickelt, das, vom Kapitänsstandpunkt aus betrachtet, an Meuterei grenzt.

Die ersten drei oder vier Fragen kamen damals direkt aus der Redaktion. Danach hat sich ein Pool aus Leserfragen gebildet, gestellt und gemailt von allen möglichen Opern- und Konzertgängern, aber auch von Pianisten, Sängern, Freunden und Kollegen, in Pausengesprächen und Probenpausen. Dieser Pool wird nicht kleiner, egal, wie viele Fragen ich herausfische. Beunruhigend, aber schön. Es gibt Fragen, die, während ich versuche, sie zu beantworten, ganz von allein umkippen in eine ganz andere Frage. Auch hat der Fragenpool mich gelehrt, dass ich über Fragen, die mich nicht interessieren, überhaupt nicht schreiben kann. Das gibt Schiffbruch. Totale Blockade. Alles schon vorgekommen.

Und noch etwas: Weil die in diesem Buch abgedruckten Kolumnen zuerst in einer Zeitung standen, sind sie nicht zeitlos. Einige beziehen sich auf eine aktuelle Debatte, die sich inzwischen erledigt hat. Oder auch nicht. Das können Sie, wenn Sie wollen, jeweils am Datum ablesen. Es kommt außerdem vor, dass eine Frage wie die Fortsetzung einer Antwort auf eine andere Frage wirkt. Und es gibt, das habe ich erst beim letzten Redigat gemerkt, so etwas wie zufällige Leitmotive, die von einer Antwort in die andere mäandern, bei Fragen, die gar nichts miteinander zu tun haben. Sie können dieses Büchlein also von vorn nach hinten lesen oder von hinten nach vorn oder auch mittendrin anfangen. Das spielt keine Rolle. Sie können auch jederzeit wieder aufhören. Viel Spaß dabei.

Warum geht der Dirigent so oft zum Friseur?

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