Читать книгу Pyria - Elin Bedelis - Страница 3
ОглавлениеDer Brief
Gwyn dehnte die Finger der bandagierten Hand und sah dem kleinen Harethi-Mädchen nach, als sie in den Straßen des Bienenstocks verschwand. Hätte sie nicht so traurig und verzweifelt ausgesehen, hätte er sich niemals gegen Chitra gestellt. Mit dem Lieblingshandlanger der Faust, der gute Aussichten hatte, bald selbst einen Handschuh tragen zu dürfen, wollte er keinen Ärger. Doch die Kleine hatte Recht: Der Bienenstock war eine Zuflucht für alle, die in der Stadt nicht erwünscht waren. Er konnte die anderen schon über ihn lachen hören, wenn sie erfuhren, dass er sich für eine kleine Hatschi eingesetzt hatte, aber sie hielten ihn ohnehin für verweichlicht. Gwyn war das egal.
Gedankenverloren ließ er eine kleine Flamme über die linke Hand tanzen und ignorierte dabei den skeptischen Blick, den Chitra ihm zuwarf. Gwyn hasste Wachdienste. Die waren entweder langweilig oder bedeuteten eine Menge Ärger. Aber wenn die Schatten beschlossen, dass die Brücke beobachtet wurde, dann wurde die Brücke beobachtet. Am Nachtmittag war Aufruhr in die Schatten gekommen, weil der Fürst sie zusammengerufen hatte. Eine ungewöhnliche und beunruhigende Nachricht, zweifellos. Wenn der Fürst etwas erledigt haben wollte, war es nicht selten, dass dabei eine Menge Blut floss. Gwyn seufzte. Reed hatte gesagt, dass der König eine Belohnung für eine ganz bestimmte Kostbarkeit ausgesetzt hatte und dass der Fürst diese Belohnung haben wollte. Auch das war ungewöhnlich. Wenn der König von Cecilia sich dazu durchrang eine Belohnung auszusetzen, musste es um mehr gehen als hübsche Deko. Niemals hätte er sonst versucht, ausgerechnet mit dem schwarzen Fürsten zu verkehren.
In den letzten Stunden hatten die Schatten einen Boten gesucht, der vor Tagen mit Neuigkeiten über diese Kostbarkeit im Hafen eingetroffen war. Danach war er verschwunden und es war ausgerechnet die Ratte gewesen, die ihn heute gefunden hatte. Gwyn hatte jedoch den Verdacht, dass die anderen Vollstrecker sich auf wichtigere Dinge konzentriert hatten und dass die Ratte deshalb zum Zug gekommen war. Aroura taugte nichts, das war kein Geheimnis. Er gab sich mit dem zufrieden, was die anderen für ihn übrigließen. Gwyn ließ die Flamme erlöschen und lehnte sich wieder an den Eingang zum Bienenstock. Wie gerne hätte er sich jetzt in die Straßen gestohlen und vielleicht ein paar der reichen Säcke die ein oder andere Münze entlockt oder sich sogar in sein Bett gerollt und den Wahnsinn einfach überschlafen, der über den Bienenstock hereingebrochen war. Einer der Vorteile, die mit der Gunst des richtigen Schattens kamen, war nämlich ein eigenes Bett in einem trockenen Unterschlupf.
Wieder dehnte er die Finger der rechten Hand. Er hasste es, die Bandage zu tragen. Es fühlte sich an, als würde sie ihm jedes Fingerspitzengefühl nehmen, auch wenn die Finger selbst gar nicht bedeckt waren. Es machte den Umgang mit dem Feuer ungleich schwerer und Reed hatte ihm schon mehr als einmal geraten, sie nur anzulegen, wenn er den Schutz des Symbols brauchte – so wie heute Nacht. Er beobachtete die Kaufleute und einfachen Bürger, die ab und an über die Brücke kamen, um sich zu vergnügen.
Die nächste Person, die ihm in dieser Nacht auffiel, war ein zweites einsames Mädchen. Sie war noch etwas jünger, als die Hatschi es gewesen war, und sie huschte leichten Schrittes über das grobe Pflaster der Brücke. Das Kleid, das sie trug, war sichtlich getragen, aber eigentlich recht schön und in seinem zarten Blau unverkennbar eine Dienstuniform des Palastes. Sie blickte immer wieder hektisch über die Schulter und Gwyn spürte, wie Chitra sich ebenfalls anspannte, als sie der Umzäunung näherkam. Eine königliche Dienerin gehörte definitiv nicht zum üblichen Publikum des Bienenstocks und versprach Gefahr.
Chitra trat ihr in den Weg, als sie das Viertel betreten wollte und das Mädchen stockte und sah unsicher zu ihm hoch. Ihre zierliche Gestalt wirkte zerbrechlich vor den Muskeln des Schlägers und Gwyn wäre beinahe schon wieder dazwischengegangen, als der Schrank sie packte und gegen die Umzäunung drückte. »Was willst du?«, knurrte er schlecht gelaunt.
Gwyn trat dazu und fing den hilfesuchenden Blick des Mädchens auf. Dann gab sie ein ersticktes Wimmern von sich, als sie auch um seine Hand eine weiße Bandage erkannte, und was auch immer sie zu flüstern versuchte, war unmöglich zu verstehen.
»Hör auf zu nuscheln«, fuhr Chitra sie an, rammte sie erneut – fester diesmal – gegen die Wand und trieb ihr damit die Tränen in die Augen.
Bevor er es noch schlimmer machen konnte, drückte Gwyn ihn an der Schulter etwas zurück. »Hey, lass ihr noch ein bisschen Luft zum Atmen«, riet er ihm, auch wenn es selbst ihm unangenehm war, eine königliche Dienerin vor sich zu haben. Es war nicht gut, wenn sie sein Gesicht kannte, aber das war jetzt nicht mehr zu ändern. »Du machst einen Botengang?«, vermutete er und sah das Mädchen an. Ihre nussbraunen Haare lösten sich wegen Chitras Angriff aus der Hochsteckfrisur und sie zitterte so sehr, dass es aussah, als würde sie jemand heftig schütteln.
»Noch jemand, der eine Audienz beim Fürsten verlangen will?«, knurrte Chitra und ließ die Knöchel knacken, was das Mädchen nur dazu veranlasste, den Kopf so weit wie möglich einzuziehen, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Gwyn seufzte.
»Nein«, hauchte das Mädchen und sah angstvoll zwischen ihnen hin und her. Dann schluckte sie und flüsterte kaum hörbar: »Machairi.«
Chitra warf die Hände in die Luft und Gwyn trat vorsichtshalber zwischen die beiden, um den Klotz davon abzuhalten, das Mädchen weiter anzugreifen. Dabei fragte er sich, ob der Messerdämon einen Mädchenfanclub hatte, von dem er noch nichts gehört hatte. Chitra sah ihn böse an, als müsse er die Antwort kennen. »Was will der König von der Klinge?«, fragte er skeptisch und Gwyn drehte sich zu der Dienerin, die nur heftig den Kopf schüttelte und offensichtlich nicht noch mehr über die Lippen brachte. Sie zog einen Umschlag aus dem Ärmel und hielt sich daran fest.
Gwyn konnte das Siegel nicht erkennen, aber er hatte Mitleid mit dem Mädchen. »Ich geb es für dich weiter«, bot er an und streckte die bandagierte Hand nach dem Umschlag aus. Er fragte sich, warum der König ein so verängstigtes Mädchen schickte, wenn er eine Nachricht überbracht haben wollte.
Erneut schüttelte die Dienerin den Kopf und ihre Stimme war so leise, dass Gwyn sich wirklich anstrengen musste, um sie zu verstehen. »Nur persönlich«, hauchte sie und senkte den Kopf.
Jetzt brach Chitra in Gelächter aus. »Und du glaubst, der Messerdämon lässt dich wieder gehen, wenn ein Schoßhündchen des Königs sein Gesicht gesehen hat?« Er lachte nochmal und Gwyn musste leider zugeben, dass er vielleicht Recht hatte.
Das Mädchen schniefte und klammerte sich an den Umschlag, der sich unter ihren schmalen Fingern bog. Gwyn seufzte und schob die Hand in seine Manteltasche. Nach kurzem Zögern hielt er ihr die kleine, rundliche Brosche hin, in der ein M aus vier Messern prangte. Wie auch mit der Bandage prahlte er mit seiner Brosche nicht so sehr wie viele der anderen Bienen es getan hätten. Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass sie niemals ihre Wirkung verfehlte. Auch die Dienerin starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den kleinen Anstecker und presste die Lippen aufeinander. Gwyn grinste als sie zögerte. »Glaub mir, ich wäre nicht dumm genug, ihm seine Post vorzuenthalten.«
Ihre feuchten Augen musterten ihn forschend, dann legte sie ihm sacht den Umschlag in die Hand, nur um die Finger danach schnell wieder an sich zu ziehen, als hätte er sein Feuer auf sie losgelassen. Gwyn nickte und trat zurück, während er den Umschlag in seine Tasche schob, ohne ihn genauer zu betrachten. Die Dienerin warf einen letzten ängstlichen Blick auf Chitra und ergriff dann die Flucht. Ungelenk in ihrem langen Kleid rannte sie über die Brücke zurück auf die Stadt zu.
»Und, was ist es nun für ein Brief?« Chitra entspannte sich wieder.
»Ich bin auch nicht dumm genug, seine Post zu öffnen«, erinnerte Gwyn ihn grinsend, auch wenn er glaubte, dass Reed ihn dafür verspotten würde, dass er nicht wenigstens das Siegel und die Schrift inspiziert hatte. Aber Gwyn fragte sich, was Machairi mit einem Gefolge sollte, dem er nicht mal mit einem Brief vertrauen konnte.
Chitra zuckte mit den Schultern und zog sich in den Schatten zurück. Auch er war nicht dumm genug, dem Messerdämon in die Quere zu kommen, auch wenn er ihn vielleicht noch nie gesehen hatte. Machairi genoss die Aufmerksamkeit der Bienen nicht, wie es zum Beispiel die Faust tat, die dafür bekannt war, sich ausführlich von allen Seiten beglückwünschen zu lassen, wann immer sie einen Kampf für sich entschied.
Als Gwyn endlich nach Hause kam und Machairi nicht direkt fand, ging er erschöpft ins Bett. Was auch immer in dem Brief stand, würde wohl bis zum Morgen warten können. Reed weckte ihn in den frühen Morgenstunden. Gwyn erzählte bereitwillig über die Wache und von dem Brief, der Dienerin, der Harethi und allem, was ihm sonst noch im Kopf hängengeblieben war.
Erst viel später sollte er erfahren, was in dem Brief gestanden hatte. Er war nicht vom König geschickt worden, aber das hatte sich Gwyn bereits gedacht, nachdem die Dienerin als Botin völlig ungeeignet gewesen war. Der Inhalt des Schreibens war deshalb nicht weniger interessant und sollte ihm zum Verhängnis werden