Читать книгу Pyria - Elin Bedelis - Страница 8

Оглавление

Fährten legen

Die Nacht war die aktivste Zeit im Perlmuttpalast. Das Treiben zwischen den Tischen war so laut und bunt, dass man kaum wusste, wohin man zuerst blicken sollte. Hier kamen sie alle zusammen, zwischen den scheinbar perlmuttbeschlagenen Säulen – Bienen, die ihre letzte Drawke verspielten, Kaufmänner, die ihren Reichtum erweitern wollten und vergnügungssüchtige Adlige, die sich den Freuden des Bienenstocks hingaben. Leicht bekleidete Mädchen tummelten sich um die ganz großen Fische, machten ihnen schöne Augen und hofften, vielleicht den ein oder anderen dazu zu bringen, alle guten Vorsätze zurückzulassen – mit Erfolg. Die Zimmer im zweiten Stock des Ambientes waren fast jede Nacht belegt. Auch gewöhnliche Bürger der Stadt fanden sich hier ein, Schuster und Kesselflicker, Schneider und Färber, Steinmetze und Schmiede. Sie alle kosteten die vielen vergnüglichen Zeitvertreibe, die man nur im Bienenstock genießen konnte. Selbst manche der Schatten kamen her, genossen die Aufmerksamkeit und auch die Ehrfurcht, wenn sich die Menge für sie teilte. Das Casino war eines der besten an der Honiggasse, der Hauptstraße des Bienenstocks, direkt jenseits der Brücke, auf der das Elend des Viertels kaum zu sehen war. Gwyn fand immer, dass es mehr wirkte wie eine Illusion, ein schlechter Trick, der die Kassen des schwarzen Fürsten füllte, ein Schauspiel, das seinesgleichen suchte – aber auch die perfekte Bühne, um selbst eins aufzuführen.

Seit einer halben Stunde saß Gwyn nun schon allein am Tisch, lehnte jeglichen Flirt und jedes Kartenspiel ab und starrte melancholisch in sein Glas. Darin schwappte ein schweres, trübes Bier, das einen ordentlichen Alkoholpegel in kürzester Zeit bescheren konnte – ein Grund, weshalb es so beliebt war. Er hatte die Kellnerin gebeten, ihm gleich drei Gläser zu bringen, die in ihrem silbrigen Kleid, das den Traum von Prunk und Protz aus Perlmutt aufrechterhalten sollte, viel zu blass wirkte und sich nicht einmal über seine überbordende Bestellung gewundert hatte. Andererseits bestellten die Menschen sicherlich allerlei seltsame Kombinationen und Extrawünsche. Zwei der Krüge hatte er achtlos in einen Blumentopf entleert. Er brauchte seinen Kopf noch, vielleicht würde es heute Nacht noch zu einer Menge Ärger kommen, da konnte er es nicht gebrauchen, dass sein Kopf von Alkohol benebelt war. Den Anschein machen sollte es jedoch allemal. Also ließ er den Kopf etwas hin und her schaukeln, wippte auf seinem Stuhl vor und zurück. Schließlich fing er sogar an, etwas vor sich hinzumurmeln und unbeholfen zu gestikulieren, als würde er mit jemandem reden.

Wie erwartet dauerte es nicht lange und ein bekanntes Gesicht tauchte vor ihm auf. »Gwyn! Na, schlechte Laune?« Jenko ließ sich auf den Platz ihm gegenüber fallen. Er klopfte Gwyn überschwänglich auf die Schulter und ließ den Blick über die leeren Krüge wandern. »Du hast ja schon ordentlich zugelangt«, lachte er und musterte Gwyn genauer. Der wusste genau, dass ein guter Teil von der ausgelassenen Stimmung gespielt war. Hinter ihm tauchte nun Chitra auf. Die beiden Lieblingsschläger der Faust waren sicher häufig Gäste im Perlmuttpalast, aber vermutlich waren auch sie heute nicht zufällig hier.

Gwyn kniff ein Auge zu, als habe er Probleme, scharf zu sehen. »So‘n Quatsch!«, lallte er dann und machte eine ausladende Geste, um auf den Raum zu deuten, dabei stieß er bewusst einen der leeren Bierkrüge um. »Die saufen alle das Doppelte«, kiekste er und nahm wie zur Bestätigung einen weiteren Schluck aus dem Krug.

Chitra und Jenko tauschten einen Blick. Der große Cecilian, der schon häufiger mit Gwyn zusammen das Tor bewacht hatte, stützte sich auf die Tischplatte und musterte Gwyn genau. »Hat die Klinge gar kein Problem damit, wenn du dich hier ablattest?«, fragte er skeptisch und eine tiefe Falte legte sich auf seine Stirn.

»Muss er gar nicht wissen«, nuschelte Gwyn und sah bewusst auf den Tisch hinab, wich Chitras Blick aus und versuchte auszusehen, als versuche er, nicht ertappt auszusehen. Jenko hatte Recht. Normalerweise hätte Reed ihm die Folgen auf prägnante Weise vorgeführt, wenn er sich im Perlmuttpalast – oder auch irgendwo sonst – die Kante gab.

»Was kann so schlimm sein, dass du aufhörst zu grinsen?«, fragte Jenko mit einem weiteren Lachen.

Gwyn war fast enttäuscht darüber, wie plump sie ihn ausfragten. Etwas Raffinesse hätte er schon erwartet. Deshalb gab er auch nicht so schnell nach. »Geht euch nix an«, lallte er, sah die beiden aber ernst an, während er wild blinzelte und Schwindel vortäuschte, bevor er einen weiteren tiefen Schluck aus seinem Glas nahm.

»Also plant die Klinge etwas«, vermutete Chitra und sah Gwyn forschend an. Ja, und ihr spielt ihm perfekt in die Karten, wenn das hier richtig läuft, dachte Gwyn und verkniff sich ein Grinsen. Stattdessen fuhr er sich in einer müden Geste mit der Hand übers Gesicht.

»Ach, der plant doch immer irgendetwas«, winkte Jenko ab. Immerhin gaben sie sich jetzt Mühe.

Gwyn beschloss, ihnen ein wenig Futter zu geben. »Aber nicht so«, jammerte er und nahm einen tiefen Schluck. »Ich hasse Schiffe«, maulte er weiter und täuschte ein sehr überzeugendes Hicksen vor, wie er selbst fand.

»Du wohnst in einer Hafenstadt«, erinnerte Jenko ihn. Er war wild auf mehr Informationen, die Begierde danach stach ihm förmlich aus den Augen, als er Gwyn taxierte.

»Da muss ich aber nicht auf ihnen fahren!«, lallte Gwyn dramatisch und stellte fest, dass der fast leere Krug tatsächlich begann, eine leichte Wirkung zu entfalten. Es machte das Schauspiel leichter, bedeutete aber auch, dass er aufpassen musste.

Wieder tauschten die beiden einen Blick. Waren Betrunkene wirklich so dumm? »Eine Bootsfahrt ist so schlimm, dass du dich hier besaufen musst?«, fragte Chitra scheinbar amüsiert. Der Kerl war wirklich ein schlechter Schauspieler. Noch hölzerner und er würde dem Tisch Konkurrenz machen.

»Nein«, knurrte Gwyn und schaute in sein Glas. Bisher war die Information in ihren Köpfen vermutlich etwas wie: Machairi fährt irgendwo hin und Gwyn findet es blöd. Leider befürchtete er, dass das noch nicht genug war.

»Was denn dann?«, versuchte Jenko es weiter. Gwyn verkniff es sich, die Augen zu verdrehen.

»Nich so wichtig«, knurrte Gwyn und nahm noch einen Schluck aus seinem Glas, bevor er weiter grimmig die Tischplatte anstarrte. Die Situation war eigentlich so amüsant, dass er vermutlich Muskelkater bekommen würde, vom wütenden Starren.

»Magst du noch ein Bier?«, schlug Jenko unbeholfen vor.

Mehr Bier wird dir da auch nicht helfen, du Hohlkopf. Wenn ich wirklich diesen Pegel hätte, könnte ich dir danach gar nichts mehr sagen. Sei doch mal ein bisschen kreativ, dachte Gwyn und schüttelte den Kopf. »Muss noch was erledigen.« Schwankend stand er auf.

Chitra drückte ihn zurück. »In dem Zustand?«, fragte er. Sorge? Wirklich? Amateur. Gwyn hätte auch im betrunkenen Zustand gewusst, dass Chitra ihn mit dem größten Vergnügen sich selbst überlassen hätte. »Was musst du machen? Wir helfen dir.«

Na bitte, wenigstens ein bisschen Raffinesse. Vielleicht hatte Chitra es doch verdient, selbst ein Schatten zu werden. Vielleicht. »Nur ‚ne Karte besorgen«, lallte Gwyn und hielt sich an der Tischkante fest, als er vorgab noch einen weiteren Aufstehversuch zu machen. »Detailliert«, kiekste er.

»Wovon?«, erkundigte sich Jenko.

»Nordlande«, murmelte Gwyn möglichst unverständlich und torkelte auf die Tür zu. »Inseln.« Wenn er es schaffte sich zu erbrechen, würde er sich selbst auf die Schulter klopfen. Schnell taumelte er weiter zur Tür und riss dabei ein leeres Glas von einem Nachbartisch. Fast machte es Spaß. Er spürte Jenko und Chitra hinter sich, sah die Blicke, die sich auf ihn richteten. Ja, das hatte er gut gemacht.

Kaum an der Tür, schlug ihm der Gestank des Bienenstocks entgegen. Egal wie lange er hier lebte – daran würde er sich niemals gewöhnen. Doch dieses Mal nutzte er die aufkommende Übelkeit, um sich vornüber zu beugen und zu würgen. Leider reichten seine Schauspielkünste nicht aus, um sich auf Kommando zu übergeben. Deshalb würgte er nur nochmal und hielt sich die Hand über den Mund, während er sich mit einem langen Arm an der Wand des Perlmuttpalastes abstützte. Jenko und Chitra verließen die warme Halle hinter ihm und wie zufällig entfernte Chitra sich, um der Faust zu berichten. Er sollte sich immer betrunken stellen. Es war ja so unterhaltsam.

»Geht es?«, fragte Jenko sichtlich angewidert.

Gwyn machte sich langsam gerade, drehte sich zu Jenko und nickte vorsichtig, wobei er zu schwanken versuchte. Um frische Luft gegen den Alkohol wirken zu lassen, atmete er tief ein und die stinkende Luft floss in seine Lunge. Dann dachte er plötzlich daran, dass er am nächsten Tag tatsächlich auf ein Schiff musste und ehe er sich versah, erbrach er sich Jenko vor die Füße.

Der wich sofort einen Schritt zurück und stieß dabei gegen die Tür des Perlmuttpalastes. Jeder der Gäste, die noch heute Nacht das Ambiente verließen, würde sich sicher darüber freuen. »Gehe besser ins Bett«, nuschelte er. Dass er jetzt die Karte vergaß, schien Jenko nicht zu wundern, falls er es denn bemerkte, denn er nickte nur. »Tschüs«, zischte Gwyn mit scheinbar ungelenker Zunge und hob die Hand zu einem unkoordinierten Gruß, bevor er davonwankte und Jenko den Rücken zukehrte.

»Schlaf deinen Rausch aus«, erwiderte Jenko herablassend, bevor er in die andere Richtung verschwand.

Kaum war er um die nächste Ecke, hörte Gwyn auf zu taumeln. Immerhin war er das Bier, das er tatsächlich getrunken hatte, nun großteils wieder losgeworden. Er merkte deshalb kaum noch, dass er überhaupt etwas getrunken hatte. Zufrieden mit sich schwang er sich auf das nächste Dach und spuckte einmal aus, weil er den säuerlichen Geschmack loswerden wollte. Er hatte seine Darbietung überzeugend gefunden. Die Männer würden Machairis Nachricht überbringen und ihm in die Karten spielen. Dafür war vollkommen unerheblich, dass Gwyn keinen blassen Schimmer hatte, was er gerade angestoßen hatte.

»Wird der Fürst nicht wütend, wenn er hört, dass du seine Entscheidungen untergräbst?« Gwyn trat von einem Fuß auf den anderen, während sie auf Mico mit der Winterausrüstung warteten. Der Schlossknacker brauchte schon beunruhigend lange.

Reed hingegen ließ sich keine Unruhe anmerken. Locker kreiste er ein Messer durch die weiße Hand und sah in die Dunkelheit der Gassen vor ihm. »Ich zähle darauf.«

Gwyn lachte nervös. »Wird uns das nicht möglicherweise alle den Hals kosten?« Er bemühte sich redlich, nicht halb so beunruhigt zu klingen, wie er sich fühlte. Es war nicht das erste Mal, dass der Messerdämon den schwarzen Fürsten überging, aber dass er den anderen Schatten zusätzlich ins Handwerk pfuschte, war selten.

»Unwahrscheinlich. Er ist alt geworden.« Es war eine neutrale Feststellung, ohne jede Furcht und ohne das vielleicht angebrachte Maß an Ehrfurcht und Respekt, das dem Fürsten sonst im Bienenstock zuteilwurde.

Unruhig schnippte Gwyn ein paar Funken in die Luft. Ihr warmer Glanz beruhigte ihn, auch wenn er nur kurz anhielt, bevor sie in der feuchten Luft des Bienenstocks verglommen. Etwas Derartiges konnte auch nur Machairi sagen. »Schätzungsweise bist du die einzige Person, die das so sieht.«

„Nur die erste“, korrigierte Reed ruhig, ließ das Messer verschwinden und setzte sich wortlos in Bewegung. Der Feuerspucker wischte die letzten Funken aus der Luft und folgte ihm eilig. Nun brauchte Mico also auch für das Befinden des Messerdämons zu lange. Hauptsache sie kamen nicht zu spät.


Gwyn sah Reed von der Seite an, als er durch die nächtlichen Straßen schritt. Der Mond tauchte die Gassen in zartes Silberlicht. Die Dunkelheit lauerte zwischen den Häusern und schien nach ihm zu greifen, ihn zu umspielen wie einen guten Freund oder einen Vertrauten. Er war tatsächlich wie ein Schatten und hätte Gwyn es nicht besser gewusst, hätte er vielleicht glauben können, dass er einen Dämon vor sich hatte, der wirklich allem ruhig und mit kalter Überlegenheit begegnen konnte. Selbst dem schwarzen Fürsten. Gwyn wusste um die Gerüchte, was dessen Nachfolge anging. Wenn jemand dafür in Frage kam, dann der Messerdämon. Aber Gwyn kannte Machairi besser als die meisten Anderen und konnte sich nicht vorstellen, dass er diesen Platz mit der Begeisterung einnehmen würde, die man vielleicht erwartete. Vielleicht war das einer der Gründe, dass er sich nicht bemühte, dem Bienenkönig nicht zu missfallen.

Arouras Lager hob sich auf den ersten Blick nicht nennenswert von den anderen Häusern in der dreckigen Gasse ab. Es war ein Lehmbau, der schon einige Löcher aufwies, die mit unförmigen Steinen und dicken Brettern verschlossen worden waren und sich zwischen heruntergekommenen Wohnhäusern versteckte. Echte Ratten huschten zwischen den windschiefen Gebäuden umher und das Pflaster war so uneben und von matschigem Dreck bedeckt, dass jeder Schritt von einem Schmatzen begleitet wurde, doch Reed gab sich keine Mühe, besonders leise zu sein. Wenn er wollte, konnte er sich gänzlich lautlos bewegen, aber vor der Ratte schien er diese Art der Vorsicht nicht für nötig zu halten. Stattdessen stieß er die angelehnte Tür des Lagerhauses so schwung- und geräuschvoll auf, dass Gwyn unwillkürlich zusammenfuhr, bevor er ihm folgte.

Der Raum war spärlich von einer einzigen Lampe erleuchtet und vier breitschultrige Kerle standen um den gefesselten Schlossknacker herum, der von einem Stiefel auf dem Boden gehalten wurde. Ein grobschlächtiger Kerl mit weißem Handschuh fuhr herum, als die Tür aufflog, und starrte ihnen wütend entgegen. Gwyn erkannte die Ratte auf den ersten Blick. Diese groben Gesichtszüge waren unverkennbar. Unbeeindruckt hielt der Messerdämon weiter auf Mico zu, ohne dem anderen Schatten Beachtung zu schenken, bis der ihm in den Weg trat und sich vor ihm aufbaute. Eigentlich ein furchteinflößender Anblick, weil er größer und breiter war und ziemlich mordlustig dreinblickte, aber Gwyn wusste, dass Machairi um einiges tödlicher sein konnte als die Ratte.

»Was sucht dein kleiner Trickspieler in meinem Lager?«, grunzte der Riese jetzt und beugte sich vor, während er bedrohlich auf Reed hinabsah. Der war ganz entspannt, stand dort, als wäre er inmitten eines fröhlichen Plausches und nicht dabei, von einem gewaltigen Schrank bedroht zu werden. Er sah mit sachlicher Neutralität zurück, ohne sich zu einer Antwort herabzulassen. Machairi beantwortete dumme Fragen nicht. Arouras hässliches Gesicht verzog sich zu einer Grimasse und er griff nach Reeds Kragen, um ihn etwas näher zu ziehen. »Er hat Glück gehabt«, knurrte die Ratte. »Weil ich weiß, dass das auf deinem Mist gewachsen ist!« Dabei umklammerten seine gewaltigen Finger den dunklen Mantel so fest, dass Gwyn fast glaubte, er könnte sie geradewegs durch den Stoff drücken.

Machairi schwieg noch immer und ein Moment der Stille fing das schäbige Lagerhaus ein, deckte sich über die fauligen und dürftig abgedeckten Kisten und ließ die fünf Handlanger den Atem anhalten. Dann löste die Ratte die klobigen Finger, obwohl die Wut auf seinem hässlichen Gesicht brannte. Ein Messer, von dem Gwyn nicht gesehen hatte, woher er es genommen hatte, richtete sich auf das rechte Handgelenk der Ratte und die eindrucksvolle Stimme des Messerdämons war so eisig und bedrohlich, dass sogar Gwyn einen Schritt zurücktrat. »Fass mich noch einmal an und du kannst dir den Handschuh über einen Stumpf ziehen«, drohte Machairi leise und Gwyn stellten sich die Nackenhaare auf. Langsam wanderte die Messerklinge hinauf und richtete sich stattdessen direkt auf den ungeschützten Hals des klobigen Mannes. »Meinen Schlossknacker und das, wofür er gekommen ist«, verlangte Machairi ruhig, jedoch ohne seine Drohung zu verleugnen.

»Das tust du nicht«, knurrte die Ratte, aber er konnte nicht verbergen, dass sich Zweifel auf sein Gesicht stahlen und er unsicher zu seinen Gefolgsleuten blickte.

»Find es heraus«, forderte Machairi mit der gleichen Kälte und einem gefährlichen Funkeln in den schwarzen Augen.

Gwyn konnte sehen, wie Arouras Kehlkopf sich bewegte, als er schluckte und auf die Klinge schielte, die sich noch immer auf ihn richtete. Dann knirschte er mit den Zähnen und sah ein, dass er diesen Kampf verlieren würde. »Lasst den Frickelfritz los«, knurrte er zu seinen Schränken, die mindestens ebenso feindselig dreinblickten und einen Schritt zurücktraten.

Mico rollte sich augenblicklich auf die Seite, um sich aufzusetzen. »Etwas Hilfe vielleicht?«, fauchte er, als ihn die Fesseln davon abhielten, weiter aufzustehen, aber niemand der fremden Bandagenträger kam ihm zu Hilfe.

»Gwyn.« Reed sah ihn nicht an, sondern hielt weiter den Blick der Ratte, aber Gwyn nickte trotzdem eilig und trat an den Schatten vorbei, um Mico zu Hilfe zu kommen. Sie hatten genau gewusst, was für Maßnahmen sie gegen ihn ergreifen mussten. Seine Handgelenke waren auf dem Rücken aneinandergekettet und die Finger waren jeweils an ihr Gegenstück der anderen Hand gebunden. Eilig befreite Gwyn sie von den Lederriemen und ließ sich von dem Feuer helfen, um die Situation möglichst schnell zu beenden. Er konnte darauf verzichten, sich in diesem staubigen Verschlag mit vier streitsüchtigen Klötzen zu schlagen und es fühlte sich an, als könnte die Stimmung jeden Augenblick kippen. Die Ketten selbst löste Mico mit befreiten Fingern schneller, als Gwyn es je gekonnt hätte, obwohl er sie nicht sehen konnte. Es war ihm nicht vollständig klar, wie er das konnte, aber es war ihm in diesem Moment auch egal. Er half Mico auf die Beine und sie traten wieder hinter Machairi.

»Jetzt verzieht euch«, schnaubte die Ratte. Er schien jeden einzelnen Muskel gespannt zu haben und Gwyn hielt die Luft an. Das Maß dessen, was sich Aroura in seinem eigenen Lager gefallen lassen würde, war erreicht und Gwyn hätte sich für Rückzug entschieden. Sie brauchten den Kram der Ratte schließlich nicht.

Doch Reed war kein Freund von Kompromissen, wenn er bereits etwas anderes entschieden hatte und so regte er sich nicht. »Ausrüstung«, befahl er kühl und seine Stimme brachte den ganzen Raum zum Zittern.

»Besorg dir deinen eigenen Kram«, grunzte die Ratte. Die einzige Reaktion, die er darauf erhielt, war, dass Reed sich abwandte und nach dem Sack griff, in den Mico schon einige Dinge gestopft hatte, die er aus einer geöffneten Kiste gekramt hatte, und der halb befüllt auf dem schief gelegten Deckel der Nachbarkiste lag. Aroura war nicht bereit, das zu akzeptieren und als er wirklich dumm genug war, ein weiteres Mal nach Machairis Arm zu greifen, bohrte sich eine Messerklinge tief in seinen Unterarm.

Der Riese jaulte auf, aber Machairi hatte sich nicht einmal umgedreht. Er machte sich nicht die Mühe, die Hand wirklich abzutrennen, aber das Messer hatte den Arm einmal komplett durchdrungen. Überall war mit einem Mal Blut und es spritze nur so heraus, als der Dämon die Klinge zurückzog, seelenruhig die letzten Dinge aus der Kiste nahm und Mico den Sack zuwarf. Aroura sank auf die Knie und auch wenn seine Handlanger zugesehen hatten, kam ihm niemand zu Hilfe, während er seinen Arm umklammerte und das Blut zwischen seinen Fingern hervortroff. Auch Gwyn stand wie angewurzelt da und sah nur zu, wie der riesenhafte Schatten am Boden kauerte und immer blasser wurde. Wenn sich nicht bald jemand Kompetentes um ihn kümmerte, würde er vermutlich verbluten, so schnell wie das Blut den Boden bedeckte.

Angewidert starrte Gwyn den knienden Mann an und war hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Abneigung. Sollten sie ihm nicht vielleicht helfen? Hatten sie nicht erreicht, was sie wollten? Wollte Machairi den anderen Schatten tatsächlich hier verbluten lassen? »Gwyn«, Machairis Stimme durchschnitt das kleine Lagerhaus und tauchte es in noch tieferes Schweigen als zuvor. Er fuhr zusammen und sah, dass Mico und Reed die Tür bereits erreicht hatten. »Komm«, forderte der Messerdämon und Gwyn hastete ihm nach, ließ die Ratte zurück und überließ es seinen schaulustigen, wie gefrorenen Freunden, ob der Schatten hier heute Nacht verblutete.

Mico schwieg und starrte böse auf den Boden, während sie durch die Nacht eilten, die schon bald dem ersten Tageslicht weichen würde. Als sie die schmierige Gasse weit genug hinter sich gelassen hatten, brach Gwyn schließlich das Schweigen. »Was genau erhoffen wir uns jetzt davon, dass die Ratte eine Hand weniger hat?«, fragte er und sah auf Machairis Silhouette, die sich vor ihnen durch die Dunkelheit bewegte.

»Simpel. Er wird dem Fürsten sagen, dass ich unbedingt gen Norden will und der wird keinen Gedanken darauf verschwenden, dass wir einen anderen Weg einschlagen könnten.«

Mico schnaubte. »Hast du deshalb dafür gesorgt, dass die Ratte vorgewarnt ist?«, knurrte er. Es war wohl mehr eine rhetorische Frage. »Ich hätte draufgehen können!«

Er bekam keine Antwort, aber das erklärte immerhin, warum er erwischt worden war. »Bist du aber nicht«, sagte Gwyn aufmunternd. »Das ist doch wichtiger, oder?« Ein unverständliches Murmeln war die Antwort. »Wie lange dauert es noch, bis die Sonne aufgeht? Etwas packen muss ich schon noch«, wechselte Gwyn dann das Thema.

»Was weiß ich?«, fuhr Mico ihn an, bevor er einen Blick in den Nachthimmel warf. »Nicht mehr lange jedenfalls!«

»Würde es dir eigentlich körperliche Schmerzen bereiten mal nett zu sein?«, fragte Gwyn und schüttelte den Kopf.

»Nächstes Mal kannst gerne du dich von der Ratte gefangen nehmen lassen!«, schnaubte Mico und Gwyn musste schmunzeln.

»Klingt aufregend.« Grinsend ließ er das Thema damit lieber fallen. Er wollte gerade Reed fragen, wann sie aufbrechen würden, da stellte er fest, dass der Schatten nicht mehr vor ihnen war. Lautlos war er verschwunden und so lief er mit Mico allein durch die Dunkelheit zurück in Richtung der Katakomben. Also würden sie sich so schnell wie möglich bei Leéns, oder eben Rishs Tür einfinden müssen. Eine Alternative sah er nicht. »Dann sehen wir uns also, wenn nicht mehr lange vorbei ist!« Gwyn hob die bandagierte Hand zum Abschied und machte sich auf den Weg zu seinem Schlafplatz.

Bei dem Gedanken an die anstehende Schiffsreise wurde ihm ganz schlecht. Am liebsten hätte er sich unter seiner Decke vergraben und zufällig die Abfahrt verpasst, aber er wusste auch, dass Reed ihm das niemals durchgehen lassen würde. Seufzend packte er also die wenigen Besitztümer ein, die er hatte und versuchte nicht daran zu denken, wie lange sie auf dem verdammten Schiff sein würden. Diese Reise konnte nur eine Odyssee werden und das machte ihn gleichermaßen beunruhigt und gespannt.

Pyria

Подняться наверх