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Schützenweg

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»Na, reumütig zurück?«, fragt Mart laut.

Ohne zu antworten, ziehe ich meine Schuhe aus und hänge die Jacke an den Garderobenhaken.

Meine Mutter kommt ins Vorzimmer.

»Schau mal, der Herr Sohn«, sagt Mart mit näselnder Stimme zu ihr. Dann wendet er sich wieder mir zu. »Ist es beim Herrn Vater doch nicht so toll gelaufen? Hat sich der Herr Sohn da ein bisschen verkalkuliert?«

Ich werfe ihm einen bösen Blick zu.

»Sprechen verlernt?«, spottet Mart. »Ich sage jetzt nicht, dass ich das gleich gewusst habe.«

»Hast du aber falsch gewusst«, fahre ich ihn an.

Mart grinst. »Ach, wo ist denn die dicke Geldtasche?«

Niemand kann mich so aufregen wie Mart, wenn er von Geld anfängt. Außer meine Mutter, wenn sie danebensteht und nichts sagt. Nichts. Gar nichts.

»Es gibt auch noch anderes im Leben als dicke Geldtaschen«, sage ich wütend.

»Mag sein«, meint Mart. »Aber wenn man von zuhause wegwill, sind sie manchmal unerlässlich.«

»Glaubst du.«

»Das glaube ich nicht, das weiß ich«, sagt Mart selbstzufrieden. »Und du bist auch gerade auf dem Weg, es herauszufinden.«

Ich ignoriere ihn und gehe die Stufen zu meinem Zimmer hinauf. »Hat er dich überhaupt noch erkannt?«, ruft er mir nach. »Wahrscheinlich weiß er gar nicht mal mehr, dass er einen Sohn hat.«

Statt einer Antwort knalle ich die Tür meines Zimmers hinter mir zu.

Gedämpft höre ich, wie meine Mutter etwas zu Mart sagt und er antwortet. Das einzige Wort, das ich verstehe, ist ›Scheißkerl‹. Ich bin mir nicht sicher, ob er damit mich meint oder meinen Vater.

Macht aber auch keinen Unterschied.

Mein Zimmer ist wie immer. Meine Mutter hat mir die saubere Wäsche aufs Bett gelegt. Der Computer läuft auf Standby. Der Baum vor dem Fenster verliert seine Blätter.

Was zum Teufel hab ich mir dabei gedacht, wieder zurückzukommen? Hab ich wirklich gedacht, dass es sich anders anfühlt, bloß weil ich eine Nacht weg war?

Wie in Trance hole ich meinen Tramperrucksack aus dem Schrank. Ziehe die Schubladen heraus. Beginne, wahllos Zeug einzupacken. Stopfe die Wäsche vom Bett hinein und schiebe meine Schulsachen irgendwo dazwischen. Hefte, Bücher, Geodreieck, Unterhosen, T-Shirts. Zum Glück hat mein Rucksack genug Seitentaschen. Die Umhängetasche, die mir Lukas mal geschenkt hat, kommt auch mit. Wer weiß, was ich alles brauche. Aus dem Badezimmer hole ich meine Zahnbürste.

Ich versuche, im Kopf durchzugehen, was ich noch benötige, kann mich aber nicht konzentrieren. Vielleicht habe ich das Wichtigste vergessen, bestimmt sogar. Wahrscheinlich muss ich noch mal zurück. Egal. Erst einmal gehe ich. Aber richtig.

Als ich voll bepackt die Stiegen hinuntersteige, sind meine Mutter und Mart nicht mehr im Vorzimmer. Ich bemühe mich, viel Lärm zu machen, huste, schlage mit dem Rucksack gegen das Geländer. Sie sollen sehen, wie ich gehe. Diese Genugtuung will ich haben.

Mein Gepolter holt meine Mutter tatsächlich wieder ins Vorzimmer. Sie sieht mich erschrocken an, sagt aber kein Wort. Damit hat sie nicht gerechnet.

»Ich hab nur meine Sachen geholt«, sage ich und versuche, ruhig zu bleiben. »Kann sein, dass ich noch mal zurückkomme, wenn ich was vergessen habe.«

Meine Mutter starrt mich an. ›Sprechen verlernt?‹, denke ich.

»Wo willst du hin?«, flüstert sie schließlich.

Betont langsam binde ich mir die Schuhe zu. »Ich hab euch doch gesagt, dass ich zu meinem Vater ziehe.«

Dort kann ich gar nicht mehr hin. Aber die Worte sind raus, bevor ich überlegen kann. Und es tut gut, sie meiner Mutter an den Kopf zu werfen.

Meine Mutter atmet hörbar ein. Man sieht ihr an, dass sie damit nicht gerechnet hat.

Ich schlüpfe in meine Jacke. »Wenn ihr mir das nicht glaubt, kann ich wirklich nichts dafür.«

Sie schüttelt den Kopf. »Jakob, bitte«, sagt sie.

»Bitte was?«, frage ich unfreundlich.

»Bleib doch da«, sagt sie hilflos.

Mart taucht hinter ihr auf. »Lass ihn«, sagt er süffisant. »Lass den jungen Herrn doch seine eigenen Erfahrungen machen.«

Meine Mutter sieht mich flehend an. Ich drehe den beiden den Rücken zu.

Als ich aus dem Haus trete, schwanke ich. Der Rucksack ist nicht besonders gut gepackt, das gesamte Gewicht hängt auf einer Seite. Egal. Ich bin draußen.

Der Kies knirscht unter meinen Füßen, als ich zum Gartentor gehe. Das Scharnier quietscht, als ich das Tor öffne und schließe. Ich spüre, dass meine Mutter noch immer in der Tür steht und mir nachsieht. Diesen Augenblick habe ich in meiner Fantasie schon oft durchgespielt. Ich gehe und sie muss mir dabei zuschauen.

Ohne mich umzudrehen, gehe ich die Straße hinunter.

Scheiße. Mein Vater ist der Letzte, zu dem ich jetzt will. Schnell gehe ich im Kopf Alternativen durch, aber so viele sind da nicht. Ich könnte versuchen, zumindest heute Nacht bei Lukas unterzukommen. Aber der wohnt nur ein paar Straßen weiter. Das ist nicht weit genug weg.

Morgen ist woanders

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