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Tannengasse

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Die Frage ist nur, wie ich es anstellen soll, am nächsten Tag pünktlich in der Schule zu sein. Aber Andi macht mir auch das leicht. Nachdem er mir die Couch im Wohnzimmer gezeigt hat, auf der ich schlafen werde, drückt er mir einen Schlüsselbund in die Hand. »Der hier ist für die Haustür und die beiden hier sind für die Wohnung. Der runde für oben und der eckige für unten.«

»Rund oben, eckig unten«, wiederhole ich.

»Wenn du’s durcheinanderbringst, probier einfach herum«, sagt Andi. »Da passiert auch nichts.«

Ich sehe ihn erstaunt an. »Danke.«

»Ich muss nämlich morgen echt früh raus«, sagt Andi. »Machs dir einfach gemütlich, nimm dir aus dem Kühlschrank, was du möchtest, fühl dich wie zuhause.«

Wie zuhause? Lieber nicht.

»Ich hab morgen leider einen langen Tag«, fährt er fort. »Aber am Abend können wir was trinken gehen oder so.«

Ich nicke. »Gerne.« Ich versuche, cool zu wirken, aber ich bin völlig verwirrt. Ein wildfremder Typ hat mir gerade seine Wohnungsschlüssel gegeben und mich aufgefordert, mich aus seinem Kühlschrank zu bedienen. Irgendwie ist das zu viel für mich.

Einen Moment lang muss ich ziemlich abwesend gewirkt haben, denn Andi lacht und sagt: »Fertig von der Reise, hm?«

Ich schüttle mich, wie um aufzuwachen. Dann lächle ich und nicke.

Mir fällt auf, dass Jeremy auffallend oft lächelt. Öfter als ich.

»Du willst sicher erst mal duschen.« Andi zeigt auf das Badezimmer.

»Nimm dir einfach ein Handtuch aus dem Kasten.«

»Oh, ja … thanks.« Jeremy sollte vermutlich ein eigenes Handtuch mithaben. Hat er aber nicht. Muss ich so bald wie möglich besorgen.

Im Badezimmer inspiziere ich die Pflegeprodukte, die am Badewannenrand aufgereiht sind. Andi wirkt nicht wie der Typ Mensch, den es stört, wenn ich etwas davon nehme, also frage ich nicht, bevor ich mich für ein Duschgel mit Sandelholzduft entscheide.

Nach dem Duschen überlege ich, ob ich gleich in meinen Pyjama schlüpfen soll, entscheide mich aber dagegen. Irgendwie würde ich mich komisch fühlen, vor Andi im Pyjama herumzulaufen.

Andis Wohnung ist groß für eine Person und sehr aufgeräumt. Mir fällt auf, dass alle Zimmer getrennt begehbar sind. Ob er hier mal mit anderen Leuten gewohnt hat oder immer alleine? Ich weiß nicht, ob ich sowas einfach fragen kann. So brennend interessiert es mich dann auch wieder nicht.

Ich weiß eigentlich gar nicht, wie ich mal leben will, später. Wenn ich die Matura in der Tasche habe. Alle gehen wohl davon aus, dass ich mit Lukas in eine WG ziehe. Lukas selbst hat mal sowas angemerkt und ich vermute, er geht einfach davon aus, dass wir das tun werden. Weil es naheliegend wäre und einfach. Ob ich das will, weiß ich gar nicht. Ich will es jedenfalls nicht nicht, aber das ist nicht dasselbe.

Andis Sofa ist bequem, als ich mich darauf ausstrecke. Ich stelle mein Handy auf lautlos und schiebe es unter den Kopfpolster, um das Vibrieren des Weckers auch wirklich zu bemerken. Darauf, von alleine rechtzeitig aufzuwachen, kann ich mich nicht verlassen. Draußen vor dem Fenster fahren mehrere Autos hupend vorbei, vermutlich hat irgendwer geheiratet. In der Nachbarwohnung höre ich jemanden husten. Ich bin viel zu aufgeregt, um gleich einschlafen zu können.

Alles klingt so anders als bei uns zuhause. Nicht, dass ich noch nie in der Stadt übernachtet hätte. Ich war schon in vielen Städten. Mit meiner Mutter und Mart. Mit Lukas. Doch das hier ist etwas anderes. Ich weiß, bei Andi bin ich nur zu Gast. Aber in der Stadt, da lebe ich jetzt. Da gehöre ich jetzt hin.

Dass Mart sich gar nicht meldet, wundert mich. Das passt nicht zu ihm. Anscheinend habe ich wirklich etwas gefunden, das ihn aus dem Konzept bringt: die Tatsache, dass mein Vater wieder eine Rolle in meinem Leben spielt. Ich lächle in mich hinein. Gut so.

Andi bemüht sich sehr, leise zu sein und mich nicht aufzuwecken, als er ins Wohnzimmer kommt, um irgendwas zu holen. Ich kuschle mich in die Bettdecke und lausche. Wasserkocher, Toaster, Zähneputzen, Klospülung. Dann endlich das erhoffte Geräusch der Wohnungstür, die ins Schloss fällt. Ich sehe auf die Uhr. Fünf vor sieben.

Vorsichtshalber bleibe ich noch einige Minuten liegen, es kann ja sein, dass Andi etwas vergessen hat und zurückkommt. Tut er aber nicht. Ich bemühe mich, die Bettwäsche auf dem Sofa so schön zusammenzulegen wie möglich, ziehe mich an, gurgle mit Andis Mundwasser und stehe innerhalb von fünf Minuten vor der Wohnungstür, um sie zuzusperren.

In die Schule brauche ich länger als sonst. Aber es ist egal, dass mir der Bus knapp vor der Nase davonfährt, denn fünf Minuten danach kommt der nächste. So ist das in der Stadt. Pünktlich zum Läuten bin ich in der Klasse.

Morgen ist woanders

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