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Westbahnhof

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Ich bin eine halbe Stunde zu früh am Bahnhof. Kalter Wind weht mir ins Gesicht, als ich über die Plattformen schlendere, aber das macht mir nichts aus.

Andi erkennt mich sofort, was daran liegt, dass außer mir nicht viele junge Männer mit Tramperrucksack auf Gleis 8 herumstehen. »Hey«, sagt er und klopft mir auf die Schulter. »Herzlich willkommen in Wien.«

Ich nicke und grinse. »Hey.«

Andi enjoy-every-day-blueballoon hat ein unheimliches Redebedürfnis. Das ist mir recht, weil ich nicht genau weiß, wie sich Jeremy am unauffälligsten verhalten soll. Wie die Fahrt war, will Andi nur kurz wissen, dann beginnt er bereits, mir die Stadt zu erklären.

»Tickets für die U-Bahn und so kannst du überall kaufen oder per App, am besten du nimmst dir ein … hm, kommt drauf an, wie lange du hierbleibst … wie lang bleibst du?«

Wie lange hat Jeremy vor zu bleiben?

Ich beschließe, mich nicht festzulegen. »Das ist noch nicht sicher«, sage ich. »Ein paar Tage, aber wenn es mir gefällt, vielleicht auch länger. Aber wenn du …«

»Zu mir kommen am Mittwoch neue Leute«, unterbricht mich Andi.

»Bis Mittwoch früh kannst du also auf alle Fälle bleiben.«

»Oh, hey … thanks.« Ich darf nicht auf die englischen Einsprengsel vergessen. Schließlich bin ich Schotte.

»Du bleibst bestimmt länger«, ist Andi überzeugt. »Wirst sehen. Hier gibt es viel zu viel zu sehen, als dass du es in ein paar Tagen unterkriegst. Bei mir war mal ein Typ, der eigentlich nur auf der Durchreise war. Der ist dann sieben Monate geblieben.«

Ich lächle und nicke an den richtigen Stellen und setze einen Schritt vor den anderen. Es fühlt sich gut an. Es ist einfach.

»Wieso sprichst du eigentlich so gut Deutsch?«, will Andi wissen.

Darauf bin ich vorbereitet. »Ich war auf der deutschen Schule.«

»Und dort lernt man das so ohne Akzent?«

Ich nicke. »Ich bin ja schon in die Volksschule dorthin gegangen. Wir hatten fast alle Fächer auf Deutsch.«

Andi nickt anerkennend. »Nicht schlecht. Aber sicher voll schwierig, oder?«

»Wie man es nimmt. Sobald man sich daran gewöhnt hat, geht es eigentlich.« Kurz überlege ich, Jeremy mit einem deutschsprachigen Elternteil auszustatten. Vielleicht ist sein Vater aus Deutschland. Oder seine Mutter aus der Schweiz. Aber das würde bedeuten, dass Jeremy Familie dort hat, und die so schnell aus dem Ärmel zu ziehen, ist mir zu kompliziert.

Anscheinend gehe ich zu zielstrebig in die richtige Richtung, denn Andi sieht mich plötzlich verwundert an. »Sag mal, woher weißt du, wo wir hinmüssen?«, fragt er.

Ich zucke zusammen. Ist da ein misstrauischer Ton in seiner Stimme?

»Ich … habe es mir auf der Mappe angesehen«, stottere ich.

»Auf der Mappe?«

»Hm, on the map … also auf …«

»… dem Plan. Ach so.«

»Jaja, auf dem Plan, danke.«

Andi lacht. »Das passiert öfters, wenn man zweisprachig ist, oder?« Ich nicke, erleichtert, dass mir noch rechtzeitig eingefallen ist, einen Fehler einzubauen. Andi hat keinen Grund, misstrauisch zu sein. Es gibt keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass ich wirklich Jay alias Jeremy bin und mir ein paar schöne Wien-Tage machen will. Warum sollte ich mich auch als jemand anderer ausgeben? Hätte gar keinen Sinn, Andi würde jeden anderen auch bei sich aufnehmen. Sich zu verstellen ist also gar nicht notwendig.

Morgen ist woanders

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