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Schützenweg

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Zum Mittagessen bin ich bei meiner Mutter. Später als üblich, weil ich es vom Museum nicht schnell genug her geschafft habe. Viel später als üblich, eigentlich ist es schon längst nicht mehr Mittag. Ich wundere mich, dass Mart sich deswegen nicht aufregt. Wir essen Gulasch und schweigen uns an.

»Dann brauchen wir dir also kein Taschengeld mehr zu geben«, sagt Mart schließlich. »Das bekommst du ja jetzt von deinem Vater.«

Ich wusste es. Wusste es wusste es wusste es. Dass ihm das als Erstes einfällt. Verdammt.

»Darüber haben wir noch gar nicht geredet«, sage ich.

Mart lacht auf. »Das sieht ihm ähnlich. Ein Kind in die Welt setzen kann er, aber zahlen darf ich.«

»Wir haben noch nicht darüber geredet«, wiederhole ich. »Werden wir schon noch tun.«

Meine Mutter verschränkt die Arme vor der Brust und sieht mich lange an. Ich spüre einen Stich in der Brust und sehe zur Seite. Ich könnte nicht sagen, was sie denkt.

»Mach das«, sagt sie nur.

Es ist nicht so, dass Mart mich nicht mag. Er mag mich und er mag meine Mutter und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie wir ohne ihn gelebt hätten, schließlich hat er uns aus dem Übergangswohnheim rausgeholt.

Mart ist kein schlechter Mensch. Schlechte Menschen schlagen ihre Familie, sperren sie in den Keller oder verlassen sie dann, wenn sie am dringendsten gebraucht werden. So wie mein Vater. Dem man nur zugutehalten kann, dass er uns weder geschlagen noch in den Keller gesperrt hat, sondern sich damit begnügte, abzuhauen und uns im Regen stehen zu lassen.

Ich weiß auch nicht, ob mein Vater ein schlechter Mensch ist. Vielleicht hat er einfach nicht nachgedacht, was sein mehrjähriger Selbstfindungstrip nach Südostasien für meine Mutter bedeutete. Nämlich, dass ihr Geld für die Miete nicht mehr reichte.

Und irgendwann drückt keiner mehr ein Auge zu. Irgendwann stehen sie vor deiner Tür und delogieren dich. Wir hatten riesiges Glück, denn das Ganze hätte uns schließlich auch im Winter passieren können.

Was genau passiert ist, weiß ich nicht, weil meine Mutter nicht viel erzählt. Erinnern kann ich mich nicht, und Bilder gibt es auch keine. Von so etwas machst du keine Fotos. Du willst auch nie wieder mit demjenigen sprechen, der das Ganze verursacht hat. Verständlicherweise wollte sie nicht warten, bis er sich selbst gefunden hat. Stattdessen suchte sie sich einen anderen. Leider war das Mart.

Aber nein, Mart ist kein schlechter Mensch. Er hat uns ein Dach über dem Kopf gegeben, meiner Mutter Arbeit und mir eine Familie. Wir können uns nicht beklagen.

Aber es ist sein Dach, seine Arbeit, seine Familie. Wir können uns nicht beklagen. Keine Chance.

Er muss es nicht sagen, weil es von Anfang an klar war: Wenn wir uns falsch verhalten, sind wir draußen.

Meine Mutter hat ihr Leben daraufhin ausgerichtet, nicht mehr draußen zu sein.

Ich bin da anders.

Nach dem Essen laufe ich die Stufen hinauf in mein Zimmer. Stopfe frische Unterwäsche und ein paar T-Shirts in meinen Rucksack. Zu viel kann ich nicht tragen und Tom hat gesagt, dass ich bei ihm waschen kann.

Jetzt noch das Handtuch aus dem Badezimmer und wieder raus hier.

Morgen ist woanders

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