Читать книгу Schneekristallküsse - Elisabeth Marienhagen - Страница 15

Tatkräftige Hilfe

Оглавление

„Emi? Nicht einschlafen.“ Sie schreckte hoch, als sie Andys Stimme hörte.

„Ich brauche deinen Autoschlüssel.“

„In der Tasche.“

„Darf ich?“ Ohne großes Federlesen legte er ihr den Arm um die Taille, half ihr auf die Beine und brachte sie zu ihrem Wagen. Einem knallgrünen Zweisitzer. Einem Smart, den Emily liebte. Er erinnerte sie an den Froschkönig. Momentan leider auch an kaltes Wasser in einem Tümpel. Sie zitterte.

„Beethovenstraße? Stimmt das?“

„Ja, Hausnummer acht.“

Er schnallte Emily an, als sie keine Anstalten machte, es selbst zu tun. Andy startete den Motor. Offensichtlich wusste er, wohin, und sie schloss erschöpft die Augen, um zu dösen.

*

Jemand rüttelte sie am Arm und ein Schwall kalte Luft traf sie.

„Was, sind wir schon da?“

Das Auto war stehen geblieben und Andreas am Aussteigen. Er hastete zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und half ihr. Sein Griff war kräftiger, als Emily erwartet hatte. Dankbar nahm sie seine Stütze an. Mühsam bewältigte sie einen Schritt nach dem anderen. Fühlte man sich etwa so, wenn man alt und klapprig war?

„Soll ich aufsperren?“ Andreas hatte sogar daran gedacht, ihre Tasche mitzunehmen.

„Wenn es dir nichts ausmacht.“

Er kramte in ihrer Handtasche. Aber da war der Schlüssel nicht. In Panik suchte sie ein zweites Mal und ließ dann wieder Andreas nachschauen. Bis ihr endlich einfiel, dass sie das Teil heute Morgen in die vordere Hosentasche gesteckt hatte, und sie erleichtert aufseufzte.

„In welchem Stock wohnst du?“, wollte er wissen, als sie schließlich in den tristen Flur traten. Das Haus war in den Wirtschaftswunderjahren nach dem Krieg gebaut worden, schnell hochgezogen und von nicht sehr hoher Qualität: Die Fenster verwittert, der Putz an manchen Stellen abgebröckelt, und die Wände wiesen teils Risse auf. Dafür waren die Mieten billig.

„Im dritten“, erklärte sie mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Wie hätte sie denn auch ahnen können, dass sie derart krank werden würde?

„Na, dann machen wir uns mal auf den Weg.“

Nach ein paar Schritten gaben ihre Knie nach. Sie taumelte und wäre trotz seiner Unterstützung beinahe gegen die Wand geschlagen.

„So wird das nichts, Emi.“ Andreas musterte sie besorgt. „Halt dich an meinem Nacken fest.“

Bevor Emily wusste, wie ihr geschah, schob Andreas ihr den Arm unter die Knie und hob sie hoch. Sie wollte das nicht. Sie brachte schließlich um einiges mehr auf die Waage als eine Feder! Peinlich viel, um genauer zu sein. Emily war ihr Gewicht furchtbar unangenehm. Aber Andreas tat so, als ob sie nichts wog. Normalerweise hätte sie protestiert und Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um wieder Boden unter ihre Füße zu kriegen. Doch dazu fehlte ihr die Kraft. Sie beschloss, einfach nur dankbar zu sein, und lehnte ihren Kopf matt an seine Brust.

Entschieden stapfte er die Treppe hoch. Er keuchte. Sicher kam er ins Schwitzen, aber er nahm Stufe um Stufe, bis er sie auf die Füße stellte.

„E. Holdt, hier dürften wir richtig sein.“

*

Emily wollte ins Badezimmer. Andreas führte sie zu dem Hocker, der dort stand, reichte ihr die Nachtwäsche, die er so lange gehalten hatte und ließ sie dezent allein. Aber er bestand darauf, dass sie nicht absperrte. Offensichtlich war er der Meinung, dass sie es schaffte, die Sachen selbst zu wechseln. Irgendwo süß, aber gar nicht so einfach, wenn man derart zitterte und mit den Zähnen klapperte wie sie. Während sie ihre Kleidung gegen den Pyjama tauschte, kochte er Wasser im Kessel.

„Andy?“

„Und, fertig?“, fragte er, als er zurückkam.

„Fast.“

Er half ihr mit den widerspenstigen Knöpfen. „Hast du irgendwo Tabletten gegen Fieber herumstehen?“

„Ja, gleich dort im Schrank. Da ist auch die Wärmflasche.“

„Dann ins Bett mit dir!“ Er stützte sie und wartete geduldig, bis sie hineingestiegen war.

„Bringst du mir eine zusätzliche Decke? Im Schrank, ganz links. Da findest du auch eine für dich.“

Er brachte ihr die wärmere, trug die andere ins Wohnzimmer und kehrte schließlich mit einer Wärmflasche und einem Glas Wasser zurück. Auf der Bettkante nahm er Platz, half ihr beim Aufsetzen und reichte ihr eine Tablette.

„Ich lasse dich dann mal schlafen. Wenn was ist, ich bin nebenan. Du brauchst nur zu rufen. Ich bleibe wie versprochen hier und verbringe die Nacht auf der Couch, okay?“

„Ja, danke.“ Sie wollte ihm noch sagen, wie schön sie seine warmen braunen Augen fand. Mit denen er so freundlich auf sie hinuntersah. Aber sie machte den Fehler, die Lider zu schließen, und schwebte sofort irgendwo zwischen Wachen und Schlafen.

Wie lieb er zu ihr war! Emily hatte sein Herz schlagen hören, als ihr Kopf an seiner Brust ruhte. Sie lauschte Andreas’ dunkler Stimme.

„Vater. Ich habe eine Bitte an dich …“ Er telefonierte. „Kannst du nach der Sprechstunde bei mir vorbeischauen? Ich bin zurzeit in der Beethovenstraße 8. Ja, du hast richtig verstanden, ich bin nicht zu Hause. Nein, es geht nicht um mich. Sondern um eine Freundin. Kommst du? Ich denke, sie hat eine Grippe.“

Emily lauschte immer noch dem gleichmäßigen Fluss der Worte, der beruhigend an ihr Ohr drang. Sie war nicht allein.

„Ja, natürlich, ich nenne dir den Namen. Ihre Kasse? Weiß ich nicht. Mach den Besuch mir zuliebe. Du musst ihn ja nicht abrechnen. Oder schreib ihre Daten auf. Sie heißt Emily Holdt. Danke, dass du nach ihr siehst. Nein, sie ist nicht meine, sondern eine Freundin. Und ja, sie ist nett. Warte, nicht auflegen! Könntest du mir außerdem noch eine Tasche mit ein paar Klamotten mitbringen?“

„Andy?“, murmelte Emily, als er nach ihr sah. „Meinst du, ich gewinne die Plätzchenbattle?“

„Auf jeden Fall!“, beruhigte er sie.

Schneekristallküsse

Подняться наверх