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Noch eine Battle

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Seit Tagen hörte Nora von Emily nichts als die Botschaft, dass ihre Freundin im Stress und am Plätzchenbacken war. Als ob es nichts Wichtigeres gegeben hätte: Zum Beispiel den nächsten Kinoabend oder ein paar beruhigende Worte über die Schneefront, die ihnen angeblich drohte. Aber ihre Freundin kannte nach Feierabend nur noch ein Thema.

„Woran versuchst du dich dieses Mal?“, fragte Nora gottergeben.

„An einer neuen Sorte. Schade, dass du nicht da bist, um sie zu probieren. Es sind welche mit grünem Tee. Den habe ich gemahlen, ein paar klein gehackte Macadamia-Nüsse dazu und ein bisschen weiße Schokolade in den Teig gemischt. Keine Angst, sie schmecken nicht nach Heu. Du darfst nur nicht zu viel Teepulver drankippen, sonst werden die Teetaler zu bitter.“

„Hast du viele Anläufe gebraucht?“, forschte Nora mitfühlend nach.

„Nur einen, man lernt dazu.“

Nora lachte und beobachtete einen kleinen Fleck an der Decke. Er krabbelte nicht, also war er unbedenklich. Aber sie hätte zu gerne gewusst, wie er dorthin gekommen war. „Schön, dann hast du die Sorten bald zusammen. Erzählst du mir jetzt, was los ist?“

„Gar nichts.“

„Unsinn! Ich höre es an deiner Stimme. Was nervt dich so ungeheuer?“

„Frag lieber wer. Es ist Andy!“ Emily pfefferte etwas mit lautem Klirren vermutlich in die Spüle. Jedenfalls folgte kein erboster Aufschrei dem Lärm. Ein Versehen schied für Nora aus.

„Er hat mich gefragt, ob ich mal Evillive mit ihm spielen will. Ich bitte dich! Er ist von Anfang an dabei, hat Blutpfützen, Gehirnfetzen und Leichenteile gemalt und kennt unter Garantie jeden Hinterhalt.“

„Mir ist das, was er malt, viel zu realistisch.“ Nora fröstelte. Vom kühlen Schlafzimmer wechselte sie ins hell erleuchtete Wohnzimmer, wo es warme Decken und ein gemütliches Sofa gab.

„Angeblich benutzt er Anatomiebücher, war schon mal im Leichenschauhaus und im Schlachthof … heißt es. Jedenfalls ist er mit Sicherheit an der Spitze der Rangliste von Evillive. Und da frage ich dich: Wieso will er gegen so einen kleinen Pinscher wie mich antreten?“

„Na hör mal, du bist gutes Mittelfeld.“

„Fast schon oberes Drittel“, berichtigte Emily sie stolz. „Aber ich verstehe nicht, was er ausgerechnet von mir will. Und wieso erst in letzter Zeit? Warum hab ich Dussel bloß eingewilligt? Ich glaube, er versucht insgeheim, meine Plätzchensorten auszuspionieren. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Gegenspionage?“

Nora wagte gar nicht erst einzuwenden, dass Andreas einfach nur ein paar schöne Stunden mit Emily im Sinn haben könnte. Und dass etwaige Hintergedanken vermutlich nicht auf Plätzchen abzielten. Selbst wenn die Feststellung zehnmal stimmte, wem nutzte das? Emily würde den Gedanken schnaubend beiseite wischen.

Wie ihre Freundin zu Andreas stand, war Nora ein Rätsel. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass Emilys Augen aufstrahlten, wenn er ins Zimmer trat. Genauso gut konnte es sein, dass keine tieferen Gefühle mit reinspielten. Denn diese Augenblicke waren kurz und Nora unsicher, ob es diese Momente überhaupt gab. Vor allem, wenn Emily ihm etwas derart Ehrenrühriges wie Plätzchenspionage zutraute.

„Nora, was soll ich tun? Wie konnte ich nur zusagen? Wenn der Abend bei mir laufen soll, muss ich die Küche absperren, aber das wäre krass unhöflich.“

„Andy würde dich das nicht spüren lassen, weil er gar nicht in die Küche ginge, höchstens um dir zu helfen. Er ist kein niederträchtiger Plätzchenrezepteräuber.“

„Was weißt du denn schon!“

„Wie wäre es, wenn du deine schlechten Erfahrungen mit Lucas hinter dir lassen würdest?“

Es klang, als wäre das ein Klacks. Allerdings wusste Nora, wie viel Überwindung ihre Freundin dafür aufbringen müsste. Emilys letzte Beziehung war so unglücklich verlaufen, dass sie sich vor Kummer nach und nach bestimmt zehn Kilo angefuttert hatte. Wenigstens steuerte das Übergewicht dazu bei, dass der Kerl Emily, diese fette Kuh, betrog und verließ.

Der widerliche Mistkerl hatte es tatsächlich gewagt, Emily mit diesen Worten zu demütigen. Nora rastete selten aus, aber irgendwann war die Grenze erreicht. Sie hatte Emily den Rücken gestärkt, damit sie ja nicht weich wurde, als Lucas sein Benehmen herunterspielen wollte. Schlimmer fand sie es nur, Emily wegen des Verlustes leiden zu sehen. Dabei hatte ihr nichts Besseres passieren können. Selbst wenn sie es damals anders sah. Nora dagegen … Ihr kam jetzt noch die Galle hoch, sobald sie an diese Zeit dachte.

„Andy ist ganz anders als Lucas, muss ich dir das wirklich sagen? Du arbeitest seit einem Jahr praktisch Tür an Tür mit ihm. Dabei müsstest du eins gemerkt haben: Andreas Rehn ist ein netter Mensch. Unterstell ihm nicht, dass er deine verborgenen Plätzchengeheimnisse auskundschaften will. Wie wäre es mit einem Vertrauensbonus und Freundlichkeit?“

„Und das soll die Lösung sein? Freundlichkeit? Ich war in letzter Zeit netter zu ihm. Und was ist der Erfolg: Deswegen habe ich jetzt dieses Treffen an der Backe. Nora, wie komme ich da wieder raus?“

„Sag ihm die Wahrheit. Dass du es dir anders überlegt hast.“

„Aber er soll nicht denken, dass ich feige bin. Er spielt zwar in der Evillive-Oberliga und ich bin in den Bestenlisten nur eine kleine Leuchte, aber ich habe keine Angst vor seiner Figur. Und vor ihm selbst sowieso nicht. Also, was soll ich tun? Sag was, Nora! Ich meine … Wenn, dann müsste ich ihm bald absagen. Er hat mich gestern einfach überrumpelt.“

„Das kann ich mir von ihm nicht vorstellen. So wie ich ihn kenne, hat er dich nett gebeten oder höflich gefragt.“

„Ja, und ich habe spontan zugesagt. Deshalb frage ich dich ja um Rat, und du …“

„Emily!“ Nora unterbrach sie mitten im Satz. „Schlag ihm vor, dass ihr in der Firma bleibt. Wozu hat Paul das Spielezimmer sonst eingerichtet? Dort ist sozusagen neutraler Boden. Es gibt keine Keksspionage und du kannst jederzeit gehen, wenn du nicht mehr magst.“

„Das ist es! Oben gibt es alles, inklusive Handschuhe und Brillen, und wenn es erst einmal VR-Anzüge für Spieler gibt, schafft Paul unter Garantie auch welche an. Wehe, wenn keiner in meiner Größe dabei abfällt. Er ist der beste Chef weit und breit!“

Paul hatte tatsächlich nichts dagegen, dass seine Leute einen Teil ihrer Zeit oben im Spielzimmer verbrachten. Beim Zocken fanden sie Bugs: Irgendwo gab es immer Stellen, an denen die Programme nicht so reagierten, wie sie sollten.

Andreas hatte erst vor Kurzem einen Fehler gefunden und Emily und ihr davon erzählt. Eine Wand, die grau wurde, wenn man weiterging und bei der prompt das Spiel einfror. Ein typischer Bug. Aber nicht nur die Fehler hatte ihr Chef im Sinn. Beim Zocken kam man mitunter in einen Zustand, bei dem die Gedanken frei flossen und neue Ideen entstanden …

„Nora, Süße, danke, du bist genial.“

„Das merkst du jetzt erst?“, neckte sie ihre Freundin. „Dein erstes Date seit der Geschichte mit Lucas.“

„Dass ich nicht lache. Ich habe von Kerlen die Nase gestrichen voll! Und überhaupt: Falls dir tatsächlich daran gelegen ist, dass ich ein Date habe, solltest du mich besser nicht an diese idiotische Affäre erinnern! Ich kann immer noch nicht fassen, wie blöd ich gewesen bin, seinen Liebesschwüren zu glauben.“

„Ich mochte ihn nie leiden.“ Nora drapierte die Decke auf dem Sofa um ihre Beine und knautschte das Kissen im Nacken zurecht.

„Wieso eigentlich? Die anderen haben mich alle um ihn beneidet. Er war charmant, sah supergut aus, konnte reden, war clever …“

„… und schleimig wie ein Aal“, warf Nora ein. „Komm bloß nicht ins Schwärmen, Emily!“

„Keine Sorge. Mit dem Typ bin ich durch.“

„Hoffentlich! Denk immer daran: Das erste Mal hat er dich sozusagen mitten im Abitur sitzenlassen.“

„Nein, kurz danach beim Abschlussball.“

„Verteidige ihn nicht noch. Er hat uns die Freude daran gründlich verdorben.“

„Und wie! Dein Tanzpartner wird mich heute noch hassen. Bist du überhaupt dazu gekommen, mit ihm zu tanzen?“

„Wahrscheinlich nicht. Wenn du Lucas bloß nie wiedergetroffen hättest.“

„Nein, Nora, dann hätte ich dem widerlichen Mistkäfer vielleicht den Rest meines Lebens hinterhergetrauert. Es lag an mir. Ich hätte gewarnt sein müssen. Ich wusste, wie er ist …“

„Nach drei Jahren? Da vergisst man viel.“

„Jedenfalls bin ich auch beim zweiten Mal verblendet wie ein liebeskranker Teenager in die Beziehung geschlittert. Das wird mir so schnell nicht noch einmal passieren … Und nur zu deiner Info: Andy und ich treffen uns nur zum Zocken. Wir spielen in verschiedenen Teams und werden uns blutig bekriegen.“

„Das klingt ungemein verlockend. Dann gehst du hin?“

„Ja!“, bestätigte Emily.

Schneekristallküsse

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