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5. In Bedrängnis: Das Papsttum in der Zeit Theoderichs des Großen
ОглавлениеAls Romulus Augustulus (460–476) 476 durch den Skiren Odoaker (um 433–493) zur Abdankung gezwungen wurde und das weströmische Reich zusammenbrach, sah sich das Papsttum einer völlig neuen Situation gegenüber. So schwach die letzten Kaiser im Westen auch gewesen sein mögen, ihr immer noch bestehendes Ansehen ließ sich für kirchliche Belange trefflich instrumentalisieren und ihre bloße Existenz schützte die stetige Entwicklung der römischen Bischöfe und der Kirche. De iure unterstand Italien auch weiterhin der Oberhoheit des Kaisers in Byzanz, musste sich aber mit den neuen Machthabern auf der Apenninenhalbinsel, vor allem den Ostgoten und den Langobarden, auseinandersetzen.
Theoderich der Große
Getreu einer in Byzanz seit längerem bewährten Taktik, wollte Kaiser Zenon (474–491) auch im Fall Odoakers den einen Barbarenfürsten gegen einen anderen ausspielen. Er bediente sich dabei Theoderichs (454–526), des Sohnes des gotischen Oberkönigs Thiudimir, der seine Jugendjahre als Geisel am Kaiserhof am Bosporus verbracht hatte und seit 474 selbst Stammeskönig der Ostgoten war. 488 machte sich Theoderich an der Spitze seiner Krieger, denen auch Rugier und Römer zuströmten, auf den Weg, um Odoaker aus dem Felde zu schlagen. Nach längerem, zähen Ringen einigte sich Theoderich mit dem im nahezu uneinnehmbaren Ravenna verschanzten Odoaker 493 darauf, Italien gemeinsam zu beherrschen. Seitens des Ostgoten war dies aber lediglich ein Vorwand, um in die Stadt zu gelangen, wo er Odoaker sogleich mit eigener Hand ermordete.
Für das Papsttum bedeutete die Herrschaft Theoderichs des Großen keine Bedrohung, da der Arianer große Toleranz gegenüber den Katholiken an den Tag legte. Unverzichtbar wurde das gute Verhältnis zu ihm, als sich Rom im sogenannten Akakianischen Schisma mit der griechischen Kirche überwarf. Patriarch Akakios von Konstantinopel (471–489) hatte im Auftrag Kaiser Zenons das „Henotikon“ verfasst, worin die Christologie des Konzils von Chalkedon aufgehoben wurde und den Monophysiten Zugeständnisse gemacht wurden. Da man jedoch in Rom die auf der Ideengrundlage Papst Leos I. basierende Glaubenslehre von Chalkedon als unverrückbar empfand, brach Papst Felix III. 484 die kirchliche Gemeinschaft mit Konstantinopel ab. Eine Spaltung, die bis 519 andauern und mit der Verurteilung Zenons und Akakios’ durch Kaiser Justinian I. enden sollte.
Zweigewaltenlehre
Da das arianische Glaubensbekenntnis Theoderich daran hinderte, in der Art der weströmischen Kaiser eine caesaropapistische Position in der katholischen Kirche einzunehmen, konnten sich das Papsttum sowie die Kirche unter seiner Herrschaft völlig frei entfalten. Theoderich nahm ohne Aufforderung weder Einfluss auf Synoden noch auf Papstwahlen. Daher ist es wohl kein Zufall, dass gerade damals Papst Gelasius I. (492–496) 494 in einem Schreiben an Kaiser Anastasios (491–518) die papale Lehrmeinung vom Verhältnis des Papsttums zum Kaisertum ausformulierte, die sogenannte Zweigewaltenlehre: „Zwei sind es nämlich, durch die an oberster Stelle diese Welt regiert wird: die geheiligte Autorität (auctoritas) der Bischöfe und die kaiserliche Gewalt (potestas)“ (Jaffé, Ph., Regesta Pontificum Romanorum I, Leipzig 1885, Nr. 632).
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Zweigewaltenlehre
Die Zweigewaltenlehre entwirft ein Bild des rechten Verhältnisses der geistlichen und weltlichen Gewalt zueinander. Dauerhaft wirkmächtig wurde die Unterscheidung zwischen der auctoritas sacrata pontificum und der regalis potestas, die gemeinsam die Welt nach Gottes Wille regieren sollten. Dabei komme jedoch der geistlichen Gewalt höheres Gewicht zu, da die Geistlichen vor dem ewigen Richter auch Rechenschaft über das Tun der Weltlichen einschließlich des Königs ablegen müssten.
Noch ging es Gelasius I. nicht um einen Primat des Papstes über den Kaiser, sondern um eine klare Trennung der jeweiligen Kompetenzen und die unmissverständliche Oberhoheit des Papstes in Glaubens- und Kirchenfragen. Allerdings räumte schon dieser Papst dem geistlichen Oberhaupt der Welt einen Vorrang ein, da er dereinst vor dem ewigen Richter Rechenschaft für alle ablegen müsse, auch für die Herrscher. Obwohl diese Grundgedanken niemals ganz in Vergessenheit gerieten, wurden sie für das tatsächliche Verhältnis der beiden Universalgewalten erst im 11. Jahrhundert wirkmächtig.
Laurentinisches Schisma
Nur einmal griff Theoderich regulierend in innerkirchliche Angelegenheiten ein: im Laurentinischen Schisma. Nach dem Tode Anastasius’ II. (17. Nov. 498) wurden zwei Nachfolger erhoben: Diakon Symmachus in der Lateranbasilika und der Archipresbyter von S. Praxedis, Laurentius, in S. Maria Maggiore. Mit ihnen wurden zugleich zwei unterschiedliche politische Richtungen gewählt. Laurentius galt als Garant für einen Ausgleich mit der Ostkirche und ein Ende des Akakianischen Schismas, wohingegen Symmachus für die kompromisslose Durchsetzung des päpstlichen Primats sowohl innerhalb der Kirche als auch gegenüber dem Kaiser in Byzanz stand. Beide Seiten baten Theoderich um eine Entscheidung, wodurch dieser in einen gleichsam imperialen Rang aufstieg, gehörte es doch zu den kaiserlichen Aufgaben, sich im Fall einer Doppelwahl für einen Kandidaten auszusprechen. Theoderich entschied sich für Symmachus († 514) und feierte das vermeintliche Ende des Schismas mit einem triumphalen Einzug in Rom anlässlich der Feiern zu seinem dreißigjährigen Herrschaftsjubiläum im Jahr 500. Die Festlichkeiten unterstrichen seinen kaisergleichen Rang, entsprachen sie doch genau dem spätantiken Kaiseradventus (Verena Postel).
Aber der Friede trog. Laurentius akzeptierte seine Niederlage nicht und strengte einen Prozess gegen Symmachus an. Obwohl Theoderich aufgefordert wurde, erschien er nicht persönlich vor der Synode und fällte auch keine Entscheidung, um seine Toleranz in Glaubensfragen nicht zu gefährden. Daher mussten die Bischöfe am 23. Oktober 502 selbst entscheiden und erklärten sich für Symmachus. Sie begründeten ihren Entschluss damit, dass sie keinen Höheren richten dürften und der Papst keinem weltlichen Gericht unterstehe, sondern nur von Gott dereinst gerichtet werden könne. Die dabei gebrauchte Formulierung prima sedes a nemine iudicatur (Der päpstliche Stuhl darf von niemandem gerichtet werden) gewann als kirchlicher Rechtsgrundsatz eine enorme Tragweite und prägte das mittelalterliche Kirchenrecht. Der Satz findet sich in den sogenannten „Symmachianischen Fälschungen“, fingierten Texten über angebliche frühere Prozesse gegen Päpste, die ohne Urteil endeten. Im Streitfall des Prozesses gegen Leo III. (795–816) griff Karl der Große (768–814) im Jahr 800 auf eben jenen Kernsatz zurück, der argumentativ ebenso wirkmächtig wurde wie die sogenannte Gelasianische Zweigewaltenlehre.