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3. Der überrumpelte Kaiser oder ein Meisterwerk der Inszenierung? Die Wiederbegründung des Kaisertums im Westen: Leo III. und Karl der Große

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Langobardenpolitik Karls des Großen

Als Karl der Große im Jahr 773 den Hilferuf Papst Hadrians I. (772–795) empfing, er möge mit Heeresmacht gegen den Rom bedrängenden Langobardenkönig Desiderius vorgehen, befand sich seine eigene Herrschaft in einer schweren Krise. Nach dem überraschenden Tod seines Bruders Karlmann (4. Dez. 771) hatte sich dessen Witwe Gerberga gemeinsam mit ihren Kindern und oppositionellen Franken in den Schutz eben jenes Langobardenkönigs begeben. Hinzu kam, dass Karl nahezu zeitgleich seine Gemahlin verstoßen hatte, eine Tochter des Langobardenkönigs. Diesen Affront wollte Desiderius nicht hinnehmen und versuchte, als internationaler Schiedsrichter aufzutreten, indem er den Papst nachdrücklich aufforderte, um der Gerechtigkeit willen die Söhne Karlmanns zu Königen zu salben, gleichsam als Gegengewicht zu Karl. Hadrian I. entschied freilich anders!

Im Spätsommer 773 überwand Karl die Alpen, um im Kampf mit Desiderius nicht nur seine guten Beziehungen zum Nachfolger Petri, sondern vor allem seine politische Existenz zu retten. In Verona fielen ihm seine Schwägerin und ihre Kinder in die Hände, deren Schicksal unklar bleibt. Anschließend belagerte sein Heer Pavia. Karl selbst besuchte Ostern 774 (3. April) als erster Frankenherrscher Rom, was den Papst, wenn man seinem Biographen glauben darf, nicht nur erstaunt, sondern zutiefst erschreckt hat. So sehr er sich Karls Hilfe gegen die Langobarden wünschte, so ungern sah er die Präsenz des Königs in der Ewigen Stadt. Nachdem ihn der Papst mit den protokollarischen Ehren eines patricius Romanorum empfangen hatte, betete Karl wie ein einfacher Pilger am Petrusgrab und erneuerte sowohl die Pippinische Schenkung als auch das Freundschaftsbündnis mit dem Papst. Nach seiner Rückkehr überwältigte er Desiderius in Pavia und eignete sich ohne formellen Wahlakt die langobardische Königswürde an.

Sein am 5. Juni 774 erstmals auftretender neuer Königstitel war Programm: Carolus Dei gratia rex Francorum et Langobardorum atque patricius Romanorum (Monumenta Germaniae Historica, Diplomata Karolinorum, Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen, bearb. v. E. Mühlbacher, Hannover 1906 (ND München 1991), Nr. 80 für Kloster Bobbio). Karl überwand damit die Begrenzung auf ein einziges Regnum, machte deutlich, dass die vormals langobardischen Gebiete Ober- und Mittelitaliens nun mit dem Frankenreich verbunden waren, und öffnete diese Gebiete für den fränkischen Adel. Der patricius-Titel betonte seinen Schutz über Rom und den sich langsam andeutenden Kirchenstaat, wobei man im Frankenreich gewohnt war, Schutz immer im Zusammenhang mit Herrschaft zu denken. In Rom schien der Papst um das fränkische Schutzverständnis gewusst zu haben und versuchte, seine Selbständigkeit hervorzuheben, indem er unter anderem erstmals Münzen mit seinem und nicht mehr mit dem kaiserlichen Bild prägen ließ.

Zweiter Romaufenthalt Karls des Großen (781)

781 weilte Karl zu Ostern erneut in Rom und ließ seinen Sohn vom Papst taufen, der auch die Patenschaft übernahm. In der Taufe nahm der vierjährige Knabe einen neuen Namen an, fortan hieß er nicht mehr Karlmann, sondern Pippin, was freilich nicht nur eine Huldigung an seinen Großvater darstellte. Vielmehr handelte es sich um einen politisch hochbrisanten Akt, denn mit dem Namenswechsel wurde Karls Sohn Pippin der Bucklige aus einer freien Verbindung mit Himiltrud endgültig aus dem Kreis der vollblütigen Karlssöhne herausgedrängt und schied damit als möglicher Thronerbe aus. Am Ostermontag erhielten die Karlssöhne Pippin und Ludwig wohl in St. Peter die Königssalbung und Karl wies ihnen ihre künftigen Reiche zu: Pippin erhielt das Königreich der Langobarden, Ludwig Aquitanien. Sein ältester, in diesem Zusammenhang nicht erwähnter Sohn Karl war wohl für die Francia vorgesehen, während seine jüngeren Brüder wohl als dynastische Notreserve dienen sollten. Auch das Schenkungsversprechen regelte Karl in Rom, aber in äußerst geringem Umfang: Der Papst erhielt nur die bislang zum Herzogtum Spoleto zählende Sabina sowie fiskalische Gefälle in der Toskana; auf weitere Ansprüche in Toskana und Spoleto dürfte Hadrian I. in einer eigenen Urkunde verzichtet haben.

Hatte Hadrian gehofft, Karl würde nun gegen die Byzantiner im Süden vorgehen, wurde er bitter enttäuscht, denn der Frankenkönig verhandelte mit dem Hof am Bosporus um eine Ehe seiner Tochter Rotrud mit Kaiser Konstantin VI., da diese Verbindung Karls politische Zugewinne in Italien legitimiert hätte. Aber vor allem wegen des militärischen Engagements der Franken in Süditalien und der großen Dissenzen im Bilderstreit kam die Ehe nicht zustande.

Schon vor 800 bezog Karl als rex Francorum Gallias Germaniam Italiamque regens in theologischen Fragen klare Positionen und stilisierte sich sowie seine Hoftheologen, allen voran Alkuin, im Streit um die Bilderverehrung oder den Adoptianismus als Hüter des rechten Glaubens über die Grenzen seines Reiches hinaus, ohne dass von einer Mitwirkung des Papstes die Rede gewesen wäre. Auf der Reichssynode von Frankfurt (794) bezeichnete sich Karl in programmatischer Absicht als „Sohn und Schützer der heiligen Kirche Gottes“.

Papst Leo III.

In Rom empfand man dies wohl ähnlich, denn Ende des Jahres 795 sandte der neue Papst Leo III. (795–816) Karl sein Wahldekret, die Schlüssel zum Petrusgrab und das vexillum der Ewigen Stadt und bat gleichzeitig um Machtboten, welche die Treueide der Römer abnehmen sollten, wobei der Pontifex wohl an die Eide gegenüber dem patricius gedacht haben wird. Karl schickte im Gegenzug einen Teil der Awarenbeute als Geschenk und erläuterte 796 seine Vorstellung von der Zusammenarbeit mit dem Papsttum. Karl sah sich für den Schutz der Kirche nach innen und außen zuständig, während der Papst für den Herrscher beten sollte, um auf diese Weise den Kampf gegen die Feinde der Kirche zu unterstützen. Dem Papst wurde der sakramentale Vollzug der Gottesverehrung und Heilsvermittlung zugewiesen, Karl die Aufsicht über die irdische Kirche.

Päpstliches Selbstverständnis vor 800

In Rom war man mit dieser Aufgabenverteilung nicht zufrieden und gab den eigenen Standpunkten auch in Bildern Ausdruck, deren Entstehungszeit umstritten ist, die aber sicher vor der Kaiserkrönung 800 einzuordnen sind. In St. Peter zeigte ein Silberbild Petrus als Schutzherrn des Papstes und des Frankenkönigs, in S. Susanna bildet ein kopial überliefertes Apsismosaik Christus und Heilige zusammen mit Papst Leo und König Karl ab, und im Triklinium des Lateran entstand ein berühmtes, heute barock umgestaltetes Mosaik: Es zeigt Christus, der die Apostel zur Missionierung der Welt entsendet und in diesem Zusammenhang Petrus die Schlüssel der geistlichen Gewalt und Konstantin eine Fahne zum Zeichen der weltlichen Gewalt überreicht. Petrus wiederum gibt Leo III. das Pallium und Karl eine Fahne. Ging die ältere Forschung davon aus, dass dieses Mosaik den Romzug Karls vorbereiten sollte, glaubt man heute, dass es sich um die antizipierende Darstellung eines Kaisertums von Petri Gnaden handelte (Bernhard Schimmelpfennig), was Karl selbst freilich wohl anders gesehen haben dürfte.

Papst Leo III. in Paderborn

Seit längerem wusste Alkuin und damit der Karlshof, dass Leo III. in Rom mit zahlreichen Problemen zu kämpfen hatte. Am Markustag 799 nahmen ihn seine Gegner sogar gefangen, misshandelten ihn aber nicht; vielmehr konnte der Papst seinen Feinden entkommen. Unverzüglich reiste er zu Karl nach Paderborn, wobei unklar ist, ob der König dem Papst absichtlich eine so weite Reise zumutete, um dessen Abhängigkeit von fränkischer Hilfe möglichst augenfällig zu verdeutlichen. Angesichts der Tatsache, dass in Byzanz Kaiser Konstantin VI. abgesetzt worden war und seine Mutter Eirene die Herrschaft ausübte, ermahnte Alkuin Karl dringend, nun als alleiniger von Christus zum rector populi Christiani berufener König, die Kirche zu schützen. Er sei der Schirmherr des Christianum imperium (Alcvini sive Albini epistolae, in: Epistolae Karolini aevi, hg. v. E. Dümmler – K. Hampe (Monumenta Germaniae Historica, Epistolae IV, 1898–1899, Brief 177). Aber trotz dieser kaiserlichen Epitheta deutet nichts darauf hin, dass Karl damals das Kaisertum mit aller Macht erstrebte, vielmehr dürfte sein Ideal der alttestamentliche König David gewesen sein und nicht so sehr der römischchristliche Kaiser Konstantin (Peter Classen).

Die Hauptbedenken Karls dürften sich gegen die Person Papst Leos III. selbst gerichtet haben. Eine Legation sollte die Vorwürfe gegen ihn untersuchen, wobei sich die Frage stellte, ob man zur Aburteilung der Papstgegner als Majestätsverbrecher nicht zwingendeinen Kaiser benötige. Wahrscheinlich wurde die Übertragung der Kaiserwürde auf Karl als beste Lösung zur Klärung aller theologischen, politischen und rechtlichen Probleme bereits in Paderborn diskutiert und abgesprochen. Für den August 800 kündigte Karl nach längerem Zögern seinen Romzug an.

Q

Die Reichsannalen zum Jahr 801 (Annales regni Francorum, S. 112; Übersetzung in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte I, S. 75):

Als der König gerade am heiligen Weihnachtstag sich vom Gebet vor dem Grab des seligen Apostels Petrus zur Messe erhob, setzte ihm Papst Leo eine Krone aufs Haupt und das ganze Römervolk rief dazu: dem erhabenen Karl, dem von Gott gekrönten großen und friedenbringenden Kaiser der Römer Leben und Sieg! Und nach den lobenden Zurufen wurde er vom Papst nach der Sitte der alten Kaiser durch Kniefall geehrt und fortan, unter Weglassung des Titels Patricius, Kaiser und Augustus genannt.

Die Kaiserkrönung Karls des Großen

Die umstrittenen Ereignisse der Kaiserkrönung Karls des Großen sind durch drei zeitgenössische Quellen belegt: Die fränkischen Reichsannalen berichten aus der Hofperspektive, die Vita Leos III., deren entscheidende Kapitel wohl bereits 801 entstanden, trägt den päpstlichen Standpunkt bei und das wertvolle Zeugnis der Lorscher Annalen basiert auf intimen, sehr zeitnahen Kenntnissen. Am 23. November 800 wurde Karl mit eindeutig kaiserlichen Ehren empfangen, denn Leo III. war ihm bis zum 12. Meilenstein entgegengekommen (Annales regni Francorum, S. 112). Dennoch zog sich die Synode zur Überprüfung der Vorwürfe gegen den Papst so lange hin, bis dieser am 23. Dezember einen Reinigungseid leistete. Unmittelbar danach, so die Lorscher Annalen, habe man beschlossen, Karl den Kaisertitel zuzusprechen, da das nomen imperatoris und dessen Würde nicht mehr bei den Griechen zu finden sei und Karl Rom und die antiken kaiserlichen Residenzen innehabe. Bescheiden habe Karl am Weihnachtstag (25. Dezember 800) vor Gott das nomen imperatoris durch Leo III. angenommen. Während der darauffolgenden Messe habe Leo den neuen Kaiser mit einer wertvollen Krone gekrönt, das Volk der Römer sei in Hochrufe ausgebrochen, der Papst habe auf Knien dem Kaiser gehuldigt und dessen Sohn Karl zum König gesalbt.

Angesichts dieses ausgefeilten Zeremoniells wirkt die spätere Äußerung Einhards in der Vita Caroli unglaubwürdig, Karl wäre lieber der Weihnachtsmesse ferngeblieben, hätte er geahnt, was ihm dort widerfahren würde. Dennoch sprach die Forschung lange von Karl als dem gleichsam hinterrücks gekrönten Kaiser wider Willen. Doch dies dürfte Einhard nicht gemeint haben. Vielmehr brachte er zum Ausdruck, dass Karl mit dem Procedere der Kaiserkrönung nicht einverstanden gewesen sein konnte, denn darin lag erheblicher Sprengstoff. Die Akklamation durch die Römer konnte das Missfallen der Franken erregen, die sich den Römern überlegen fühlten und auf deren Rückhalt Karls Macht beruhte. Allerdings war auch den Zeitgenossen klar, dass das Kaisertum grundsätzlich römisch und universal ausgelegt war und nicht auf ein Volk begrenzt werden sollte und konnte. Das Zusammentreffen des Kaisertums mit den Vorstellungen eines frühmittelalterlich-gentilen Königtums musste dennoch zu einigen Schwierigkeiten führen. Die vielfältigen Probleme und Zwänge zur Rücksichtnahme spiegeln sich im komplizierten Kaisertitel Karls des Großen deutlich wider: Karolus serenissimus augustus a deo coronatus magnus pacificus imperator Romanorum gubernans imperium qui et per misericordiam dei rex Francorum et Langobardorum.

Leo III. hatte die Gunst der Stunde genutzt, um dank eines sakral legitimierten Kaisertums seine Gegner aburteilen zu lassen. Doch die Kaiserkrönung des Weihnachtstages 800 hatte eine die tagesaktuellen Belange in den Schatten stellende Bedeutung. In Kaiser Karl fand die neue Einheit des Abendlandes ihre Integrationsfigur und das Leitideal künftiger Herrschergenerationen, obwohl damals niemand ahnen konnte, ob das wiederbelebte Kaisertum im Westen auf Dauer lebensfähig sein würde.

Das neue Kaisertum des Westens hatte ideell-langfristige, aber auch unmittelbare Konsequenzen, die dem Papsttum nicht zuträglich waren. Karl fasste seine neue Würde als Basis seiner Romherrschaft auf und ließ nach seinem Abzug dauerhaft bestellte missi (Machtboten) zurück, um auch in Absenz die Geschicke der Ewigen Stadt und des Papsttums in weltlicher, aber auch in geistlicher Hinsicht zu kontrollieren, was im Streit um das Glaubensbekenntnis (filioque) deutlich werden sollte.

Papsttum und Kaisertum im Mittelalter

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