Читать книгу Mord ohne Grenzen - Elsass-Krimi - Elke Schwab - Страница 11
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Оглавление„Der vorgeschriebene Amtsweg muss eingehalten werden“, verkündete Portz. „Für den Fall deines Einsatzes als Verbindungsbeamtin werden zuerst die Haftungsfragen geklärt. Außerdem wird die finanzielle Belastung der Notwendigkeit deiner Präsenz im Elsass gegenübergestellt. Egal, ob du nun die Stieftochter des Kriminalrates bist oder nicht. Das dauert.“
Diese Spitze hatte kommen müssen. Tanja atmete tief durch, um nicht darauf zu reagieren, weil sie genau wusste, dass sie damit Öl ins Feuer gießen würde. Und Portz wartete nur auf eine solche Gelegenheit. Also stieß sie aus: „Bedenken die hohen Herrschaften auch, dass es sich um das Leben eines vierjährigen Kindes handelt?“ Sie kam gerade aus dem Krankenhaus. Sabine hatte einen totalen Nervenzusammenbruch erlitten. Der Anblick ihrer Freundin haftete immer noch schwer an Tanjas Gemüt.
„Oh ja. Die Polizei in Frankreich ist auch noch da. Die sitzen nicht nur bei ihrem Café au Lait, sondern haben bereits mit der Suche nach dem Kind begonnen“, gab Portz zurück. „Auch über Untätigkeit von unserer Seite brauchst du dich nicht zu beklagen. Denn wir haben inzwischen herausgefunden, dass der Vater des verschwundenen Kindes Winzer in Perl-Sehndorf ist.“ Portz grinste böse, als er anfügte: „Du siehst, auch wir arbeiten unermüdlich.“ Tanja hätte ihren Chef erwürgen können, so ärgerte sie sich. „Du wirst jetzt mit Milan in das Winzerdorf fahren und mit ihm sprechen. Wer sagt uns, dass der Vater keine Rolle bei dem Verschwinden seines Kindes spielt? Da es in dem Scheidungsfall einen Sorgerechtsstreit geben hat, dürfen wir nichts ausschließen.“
Tanjas schlechte Laune bekam neue Nahrung. Wenn das so weiterging, konnte sie es kaum noch erwarten, für eine Weile ins angrenzende Frankreich abzutauchen.
*
Auf dem Parkplatz steuerte Milan Görgen einen Dienstwagen an, der durch seine sportliche Form ins Auge stach. In seinem Silbergrau blitzte der Audi A6 herausfordernd, als warte er nur darauf, seine Stärke zu beweisen. Er wollte auch das Steuer übernehmen, doch die Gelegenheit gab ihm Tanja nicht. Dieses Geschoss wollte sie selbst fahren. Da sie an der Reihe war, blieb Milan nichts anderes übrig, als ihr den Schlüssel zu überreichen. Sein langes Gesicht, das er dabei zog, sprach Bände.
In rasantem Tempo bretterte sie auf die Mainzerstraße und über die vielen Ampeln, die alle im richtigen Augenblick auf Grün umsprangen. Sie steuerte die Autobahn A620 an, auf der sie zum Überholen ausscherte. Rechts von ihnen dümpelte die Saar, dunkelgrau und dreckig. Dahinter lag das Gebäude des Staatstheaters, gelb und prachtvoll. Links hoben sich hoch über der Autobahn die alten Mauern des Saarbrücker Schlosses ab. Unter dem Kreisverkehr der Wilhelm-Heinrich-Brücke wand sich die Autobahn in engen Kurven, was Tanja zwang, das Tempo zu drosseln. Sie ließ die Stadt hinter sich, die Autobahn wurde breiter und lud zum Beschleunigen ein.
Milans Schweigsamkeit kam ihr gerade recht. Sie fühlte sich innerlich sehr angespannt und befürchtete, seine Späße nicht zu vertragen. Der Kollege mit den grünen Augen und den roten Haaren war der Sonnenschein in ihrer Abteilung. Er schaffte es, auch den mürrischsten Kollegen wieder aufzuheitern. Nur würde er sich an ihr heute die Zähne ausbeißen. Und eine Eskalation wollte sie auf keinen Fall riskieren, weil jedes Fehlverhalten ihrem Einsatz in Frankreich hinderlich sein könnte.
Doch Milan bewies ein Timing, das sie ihm nicht zugetraut hätte. Konnte es sein, dass er spürte, wie es in ihr aussah?
Das neue Gebäude der HTW huschte wie ein grauer Baustein links an ihnen vorbei. Der Schanzenberg erhob sich hoch und mächtig vor ihnen, als würden sie geradewegs und ungebremst darauf zurasen. Auf der rechten Seite flogen die blauen Hallen der neuen Saarstahl-Werke vorbei. Tanja beschleunigte hinter der Gersweiler Brücke noch mehr. Ihre Wahrnehmung am Rand ihres Gesichtsfeldes wurde unscharf. Die Straße verschmolz zu einem grauen Asphaltstreifen. In dem Tempo dauerte es nicht lange, bis sie Saarlouis passierte. Danach ging es weiter geradeaus. Wallerfangen mit seinem Limberg, Rehlingen mit seiner Hessmühle, beide bewaldeten Berge säumten die Autobahn auf der linken Seite. Rechts begannen die Saar-Hunsrück-Ausläufer. Dann erreichten sie Merzig. Hinter Schwemlingen verengte sich die Straße. Die endlose Natur zu beiden Seiten verschmolz zu einem grünen Band, bis der Pellinger Berg rasend schnell auf sie zukam. Der kleine Tunneleingang war erst nach einer langgezogenen Kurve zu erkennen. Sie tauchte in die Dunkelheit ein, fuhr sechshundert Meter durch den Berg. Die Helligkeit, die ihr anschließend entgegenschlug, blendete sie. Windmühlen dominierten die Landschaft. Riesengroß erhoben sie sich in den Himmel. Tanja setzte den Blinker und verließ an der Abfahrt Perl-Borg die Autobahn. Aus Wiesen und Wäldern wurden Weinberge. Ein Dorf reihte sich an das nächste, bis sie auf das Schild „Sehndorf“ stießen. Dort bog Tanja rechts ab. Schon nach wenigen Metern waren sie am Ziel. Enge Gässchen gesäumt von Bauernhäusern im lothringischen Baustil taten sich vor Tanjas Augen auf, die gleiche Bauweise, die sie auch im Krummen Elsass zu sehen bekommen hatte. Dieser Teil des Saarlandes lag ebenfalls dicht an der Grenze – um genau zu sein, sogar an zwei Grenzen, die Grenze zu Lothringen und zu Luxemburg.
Milan räusperte sich und meinte: „Sieht hier irgendwie französisch aus.“
„Das habe ich auch gerade gedacht.“
An der Kreuzung mitten in Sehndorf stach ein Haus in aufdringlichem Blau hervor. Daneben stand ein alter Waschbrunnen, der stetig mit fließendem Wasser aus der sprudelnden Marienquelle versorgt wurde. Nach nur wenigen Metern machte Milan sie auf das Weingut von Wilhelm Radek aufmerksam. Es befand sich etwas abseits auf einer Anhöhe. Sein Gegenüber bildete ein zerfallener Holzschuppen. Sie stellten den Wagen direkt davor ab, stiegen aus und klingelten an der Haustür. Ein gebräuntes Gesicht lugte zuerst durch einen Spalt in der Tür, bevor ganz geöffnet wurde. Blassblaue Augen glänzten glasig, ein Bauch wölbte sich unter einem viel zu engen Hemd. Der Mann musterte die beiden eindringlich.
Schnell zückten sie ihre Ausweise. Milan fragte: „Sind Sie Wilhelm Radek?“
„Oh ja“, schnaufte er. „Sie sind an der richtigen Adresse.“ Hastig rieb er sich über seinen fast kahlen Kopf, als wollte er seine Frisur in Ordnung bringen. Das Hemd steckte er schnell in den Hosenbund, aus dem es gleich wieder herausrutschte. „Meine Straußwirtschaft mit so reizender Gesellschaft zu öffnen, das übersteigt meine kühnsten Erwartungen.“ Dabei haftete sein Blick an Tanja, deren dunklen Haare vom Wind zerzaust wurden.
„Die reizende Gesellschaft kommt von der Polizei“, stellte Tanja klar.
„Welch eine Verschwendung“, kam es von dem Mann. „Trotzdem dürfen Sie reinkommen und meinen Wein kosten. Sie werden es nicht bereuen.“
Sie betraten ein Gewölbe, dessen Wände durch groben Strukturputz in einem dunklen Beige hervorstachen. Tische und Stühle aus massivem Nussbaumholz bildeten den Mittelpunkt des Raums. Weinflaschen in verschiedenen Größen und Farben dekorierten die kleine Theke direkt neben dem Eingang. Wilhelm Radek wählte eine Flasche Wein aus dem großen Sortiment und stellte Gläser dazu.
„Federweißer“, verkündete er stolz. „Gerade fertiggestellt. Ein Muss.“
Tanja ließ ihn nicht einschenken. „Ich bin im Dienst.“
„Wenn der ganz frisch ist, ist noch kein Alkohol drin“, meinte Milan mit einem Leuchten in den Augen.
„Stimmt. Er hat gerade erst angefangen zu gären“, bestätigte Radek und zwinkerte dem Kriminalbeamten zu.
Tanja ließ sich überzeugen.
„Sehr vernünftig“, flötete Radek. „Auf Brünette stehe ich besonders. Mit Ihrem Pferdeschwanz sehen Sie zum Vernaschen süß aus.“
„Unterlassen Sie Ihre Annäherungsversuche!“, entgegnete Tanja unfreundlich. „Ich bin nicht zum Vergnügen hier, sondern wegen Ihrer Tochter.“
„Bleib locker, Tanja“, murmelte Milan. „Der Mann hat Geschmack.“
Der Blick, den Tanja ihrem Kollegen zuwarf, ließ Milan sofort verstummen.
Grinsend hatte Wilhelm Radek die beiden beobachtet. Dann schenkte er ein helles, trübes Gebräu in die Gläser. Sie stießen an und kosteten davon. Es schmeckte erfrischend und süß - wie Traubensaft. Blitzschnell schoss Tanja Hitze ins Gesicht. Soviel zu dem Versprechen, in Federweißer sei kein Alkohol. Als von Wilhelm Radek immer noch keine Reaktion auf ihre letzte Bemerkung kam, fügte sie an: „Ihre Tochter Annabel. Klingelt da was bei Ihnen?“
„Nein. Sabine nahm das Kind nach der Scheidung mit. Wir hatten uns geeinigt. Deshalb klingelt da nichts bei mir. Na, wie schmeckt mein Federweißer?“
„Ihre Tochter wird vermisst.“, lautete Tanjas Antwort.
Endlich reagierte Radek. Mit offenem Mund starrte er Tanja und Milan an.
„Warum weiß ich davon nichts?“
„Das würde uns auch interessieren“, gab Tanja zurück.
„Sabine hat mich nicht angerufen. Und in der Zeitung stand auch nichts von einem vermissten Kind.“
„Annabel ist in Frankreich verschwunden. Vermutlich deshalb.“
„In Frankreich?“
„Ihre Ex-Frau hat dort ein Haus geerbt. Wissen Sie nichts davon?“
„Das ist ja die Höhe. Warum meldet sich Sabine nicht bei mir?“
„Haben Sie Besuchsrecht bei Ihrer Tochter?“ Tanja spürte Unbehagen. Wilhelm Radeks Verhalten gab ihr Rätsel auf. Milan verhielt sich ganz still neben ihr. An seinen Reaktionen erkannte sie, dass ihn dieser Fall wenig interessierte. Seine Aufmerksamkeit galt vielmehr dem Inhalt seines Glases.
„Natürlich. Aber nicht regelmäßig, weil ich das von Berufs wegen nicht einhalten kann.“
„Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal gesehen?“
“Das ist leider schon viel zu lange her.“