Читать книгу Mord ohne Grenzen - Elsass-Krimi - Elke Schwab - Страница 9
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ОглавлениеLara schaukelte mit großem Schwung hin und her. Tanja blieb fast das Herz stehen vor Schreck. Klein und zart wirkte sie, aber ihr Gesicht drückte Mut und Entschlossenheit aus. Als sie ihre Mutter sah, ging der Übermut mit ihr durch.
„Mama. Schau mal, wie weit ich schon springen kann“, rief sie.
Tanja wollte sie aufhalten, aber da flog ihre Tochter schon durch die Luft, landete genau in Hilde Behrendts kleinem Kartoffelacker und schlug der Länge nach in den Dreck.
Das hatte Tanja kommen sehen. Erschrocken steuerte sie Lara an. Schon geschah das Unvermeidliche. Herzzerreißend begann die Kleine zu weinen.
Tanja zog sie auf die Beine, überprüfte besorgt, ob irgendwelche Knochen gebrochen waren und klopfte ihr den Sand von der Hose. Alles wirkte heil. Bis auf Laras Seelenleben, weil ihre Glanzvorführung danebengegangen war.
Tanjas Mutter kam durch die Terrassentür gelaufen und rief: „Was ist passiert?“
„Lara hat Kunststücke gemacht“, erklärte Tanja, während sie versuchte, ihre Tochter aufzumuntern, damit sie aufhörte, so laut zu weinen.
„Kunststücke?“
„Ja. Sie wollte mir zeigen, wie toll sie schon fliegen kann. Dabei hat sie die Landung vergessen.“ Tanja lachte. Lara wimmerte unvermindert weiter. „Ich gehe mit meiner Bruchpilotin mal nach oben. Wer weiß, wie viele Schrammen ich unter ihren Kleidern finde.“
„Du wirst jetzt erst einmal hier hereinkommen.“ Dieser Befehl kam von Heinrich Behrendt. Hinter seiner Frau war er in der Tür aufgetaucht. In seiner grauen Weste und dem karierten Hemd sah er eigentlich friedlich aus. Aber sein Kommando-Tonfall warnte Tanja.
Heinrich Behrendt, Kriminalrat des Landeskriminalamtes Saarbrücken, hatte vor einigen Jahren Tanjas Mutter geheiratet, als sie sich im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen kennengelernt hatten. So war aus dem gefürchteten Oberhäuptling, wie ihn Tanjas Kollegen gerne nannten, ihr Stiefvater geworden. Das Verhältnis hatte angespannt begonnen und war es auch bis jetzt geblieben. Umso mehr ärgerte sie sich, dass er überhaupt zu Hause war. Gehörte ein Kriminalrat nicht rund um die Uhr ins Kriminalamt?
Sie fühlte sich wie auf dem „Gang nach Canossa“, während sie dem kräftigen Herrn in seine Wohnung ins Erdgeschoss folgte. Sie selbst wohnte im ersten Stock und wäre liebend gerne die Treppe hinauf geflüchtet. Aber das verkniff sie sich. Es war wichtig, den Familienfrieden zu erhalten, denn sie brauchte ihre Mutter Hilde unbedingt. Als alleinerziehende Mutter, die ihrer Arbeit als Kriminalbeamtin nachgehen wollte, war Kinderbetreuung unumgänglich. Und bis jetzt hatte ihre Mutter Lara noch immer ohne ein Wort der Beschwerde zu sich genommen – egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit.
Sie ließ sich im Wohnzimmer nieder, dem Ort, an dem sie immer ihre dienstlichen Gespräche zu Hause führten. Hilde vertrieb sich die Zeit solange mit Lara in der Küche.
„Was glaubst du eigentlich, dort in Frankreich ausrichten zu können?“, stieß Behrendt hervor.
Tanja ahnte, dass diese Frage rhetorisch war. Also schwieg sie.
„Trotz unserer deutsch-französischen Beziehungen hat jedes Land seine eigenen Gesetze und Prioritäten. Die Polizei in Frankreich legt deine Bemühungen, dem Kind zu helfen, als Einmischung aus. Also können wir uns ausmalen, was dir bevorsteht.“
Tanja schluckte.
„Du bist dort auf dich allein gestellt.“
Tanja atmete tief durch, bevor sie eine Reaktion auf den Vortrag zeigte: „Man wird mich dort bestimmt nicht foltern und vierteilen. Ich gehe offiziell als Polizeibeamtin hin und nicht heimlich als Spionin.“
„Was du willst und was du bekommst, ist noch nicht geklärt.“
Tanja sackte tiefer in den Sessel.
Doch Behrendt war noch nicht fertig: „Und täusche dich mal nicht in den Franzosen. Sie waren eine der vier Besatzungsmächte nach dem Krieg. Du weißt, welches Gebiet zu den französischen Besatzungszonen gehörte.“
„Das war 1945 - nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Tanja stöhnte. „Seitdem ist viel Wasser die Saar runtergelaufen.“
„Eine solche Vergangenheit schüttelt kein Mensch einfach ab. Unsere gemeinsame Geschichte mit Frankreich wirkt sich auch auf die Mentalitäten der Menschen im Grenzgebiet aus. Nicht überall in Frankreich sind wir Deutschen willkommen. Und umgekehrt genauso.“
„Ich will dort nicht leben, sondern arbeiten“, beharrte Tanja. Es war das erste Mal, dass sie sich gegen Behrendt durchsetzen musste. Bisher hatte sie der Einfachheit halber immer nachgegeben. Doch das war ihr jetzt nicht möglich. Zu viel lag ihr daran, ihr Versprachen Sabine gegenüber zu halten. „Es ist doch nur für diesen einen Fall.“
„Der dich innerlich viel mehr mitnimmt, als gut für objektive Ermittlungen sein kann.“
Behrendt durchschaute aber auch alles.
„Das spielt hier keine Rolle. Es geht um ein vierjähriges deutsches Mädchen. Sabine ist meine Freundin und sie vertraut mir – mehr als der französischen Polizei.“
„Ich bin mir sicher, dass die französischen Kollegen den Vermisstenfall eines vierjährigen Kindes genauso verantwortungsbewusst bearbeiten wie wir“, hielt Behrendt dagegen, was Tanja aber nicht aufhielt. „Trotzdem. Dieter Portz hat alles veranlasst, damit ich als Verbindungsbeamtin rüberfahren kann.“
„Du wirst es nicht glauben, aber dieser Antrag ist auf meinem Tisch gelandet.“
Tanjas Gesicht wurde heiß.
„Ich überlege noch, ob ich den Antrag weiterleite. Und außerdem sei auch dann noch dahingestellt, ob ihm stattgegeben wird.“ Behrendts Widerworte wollten nicht enden. „Die Bürokratie ist nicht immer nur hinderlich. In deinem Fall ist sie sogar nützlich. Denn dabei werden alle Aspekte genau durchleuchtet.“
Durch die Tür zur Küche hörte Tanja ihre Tochter drängeln. Sie wollte eine Etage höher, genau das, was Tanja jetzt auch wollte. Sie stand auf, doch Behrendt war noch nicht fertig. „Wie stellst du dir das vor? Es wird dir nicht gelingen, dort pünktlich Feierabend zu machen und nach Hause zu kommen. Du wirst Überstunden machen müssen und dabei dein eigenes Kind kaum noch sehen.“
„Darüber werde ich wohl mit Mama sprechen“, trotzte sie.
„Deine Mutter ist immer für dich und deine Tochter da. Das weißt du. Aber Lara wird es nicht gefallen, wenn du oft und lange weg bist.“