Читать книгу Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm - Страница 13

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Sie fühlte sich wie auf der Achterbahn. In einem Moment schwitzte sie in der wollenen Jacke, im nächsten wurde sie von Kälteschauern geschüttelt. Zusätzlich zu dem Asthma hatte sie sich auch noch erkältet.

Kit schniefte, während sie vorsichtig das Gesicht auf der Scheibe drehte. Fahles Abendlicht fiel ins Fenster und schräg über Backenknochen und Stirn. Ihre Finger glitten rastlos über die Wangen der Skulptur.

»Wer bist du?«, murmelte sie und fischte mit schmutzigen Fingern eine Papierserviette aus der Tasche. Aber sie bekam keine Antwort. Stattdessen hatte sie das Gefühl, dass das Gesicht sie mit seinem toten Blick anstarrte. Sie war noch nicht bis zu den Augen gekommen.

»Darf ich hereinkommen?«

Karen-Lis hatte nicht geklopft, und das irritierte sie. Es war genau wie in ihrer Kindheit. Nie konnte man etwas für sich haben, ohne dass sie es unbedingt wissen wollte, und wenn sie es nicht verstand, zog sie einen damit auf.

Kit nickte. Aus den Augenwinkeln sah sie ihre Schwester leise ins Atelier eintreten.

»Was ist das?«, fragte Karen-Lis.

»Ein Gesicht.«

»Aber was für ein Gesicht?«

Karen-Lis war es gewohnt, allem Namen und Alter zu geben. Eine Berufskrankheit. Genau wie alles erklärt, analysiert und diskutiert werden musste, sodass kein Mysterium mehr blieb.

»Kein bestimmtes. Nur ein Gesicht«, sagte Kit irritiert. Das Blut schoss ihr in die Wangen, und zu ihrer Verwunderung spürte sie den Verlust, der sie überrollte. Aber wie sollte sie ihrer Schwester erklären, dass sie sie vermisste, wenn sie direkt hier stand. Das würde ihr Journalistengehirn niemals verstehen.

Karen-Lis hielt zur Selbstverteidigung die Hände hoch. »Ach, du meine Güte. Es ist ein Staatsgeheimnis.«

»Es ist kein Geheimnis«, erklärte Kit und kam sich sehr geduldig vor. »Ich weiß es nur noch nicht. So ist das manchmal. Man weiß nicht immer, was sich hinter einem Gesicht verbirgt.«

Karen-Lis lächelte. »Tiefsinnig.«

»Das ist nicht die Spur tiefsinnig. Das ist eine Tatsache«, sagte Kit und versuchte, ihre Schwester abzuschütteln, als sie zu ihr kam und ihr eine Umarmung aufzwang. Mit den Händen voll Ton war das schwer.

»Geh weg!« Du störst mich ... Ich bin erkältet.«

»Ich habe dich vermisst, Schwester«, sagte Karen-Lis.

Kit wusste, dass diese vier Worte eine Überwindung für sie bedeuteten. »Ich habe dich nicht vermisst.«

»Ich kann nichts dafür. Für das mit Vater.«

Kit drehte sich herum, voller Wut, die so in ihr arbeitete, dass alles in ihr aufwallte und sie niesen musste.

»Du hast einen Dreck getan! Du hast viele Wochen lang weder angerufen noch geschrieben. Du warst nicht hier, als du gebraucht wurdest. Oder als Mutter dich brauchte.«

Das Niesen kam wie ein Erdbeben, und sie fischte nach einer weiteren Serviette, bevor sie fortfuhr. Sie fühlte sich matt und reizbar. »Und dann kommst du einfach zur Tür herein wie der Retter persönlich. Das Einzige, was dir noch fehlt, sind ein Palmenzweig und ein Esel. Wenn dann der Sterbende verdammt noch mal nicht aufwacht und deinen Namen haucht!«

»Das ist doch wohl besser, als wenn er gar nicht aufwacht.«

Kit zuckte mit den Schultern und sagte nichts.

»Das hat doch nichts mit mir zu tun«, erklärte Karen-Lis mit ihrer Karen-Lis-Logik. »Wenn du lange fort gewesen wärst, hätte er genauso reagiert. Das macht die Distanz.«

»Aber ich hatte nie die Wahl. Die hast du für mich getroffen, als du ins Ausland gegangen bist. Eine von uns musste bleiben«, sagte Kit sauer.

Karen-Lis begann die Skulptur und Kit zu umrunden. »Man hat nur sein eigenes Leben, Schwester. Du hättest das Gleiche tun können. Aber du bist ein Familienmensch, während ich Distanz brauche.«

»Distanz, da ist es wieder. Immer ist es die Distanz«, murmelte Kit und beugte sich erneut über die Skulptur. Sie fragte sich, ob Karen-Lis Recht hatte. Hätte sie anders handeln können? Ein anderes Leben wählen und zu der Familie auf Distanz gehen können? Sie versuchte es sich vorzustellen, aber sie wusste, dass sie es nicht getan hätte. Nicht mit Karen-Lis so weit weg und dem Rest der Familie gebeutelt von Krankheit und Tod und Abschied. Wieder spürte sie die Bitterkeit. Über den demütigenden Verlust und über die Leere in der Vorweihnachtszeit bei jedem Mal, das ihr Vater aufsprang, wenn die Post kam oder das Telefon schellte. In der eitlen Hoffnung ein Lebenszeichen von Karen-Lis zu erhalten. Aber das einzige Lebenszeichen waren in der Regel ihre Artikel in der Zeitung.

»Macht das auch die Distanz, dass man nicht einmal anrufen oder eine Weihnachtskarte oder ein Fax oder eine E-Mail schicken kann? Ist das auch die Distanz, die einen zwingt, vor der Verantwortung davonzulaufen?«

Karen-Lis ging zum Fenster und stellte sich mit dem Rücken dazu hin. Kit fragte sich, ob das Gesicht auf der Drehscheibe in Wirklichkeit vielleicht das ihrer Schwester war? Karen-Lis stand jetzt so, dass das hereinfallende Licht ihren sonst so bestimmten Mund mit den senkrechten Linien um die Mundwinkel weich machte. In der Fantasie versuchte Kit das Haar fortzuzaubern, sodass nur noch die feine nackte Form des Gesichts da war. Aber das Zimmer war zu sehr von Karen-Lis erfüllt, als dass die Fantasie Raum gefunden hätte.

»Das Telefonnetz hat nicht funktioniert. Es war schwer durchzukommen.«

»Sechs Wochen lang?«

Der Blick bewegte sich nicht. Es war kein Rückzug. Doch in der Stimme lag ein Hauch von Verteidigung.

»Ich hatte doch gesagt, dass ich Weihnachten nicht komme. Und Simbabwe ist nicht gerade Westeuropa.«

»Dann gibt es vielleicht auch keine Post?«

Jetzt wurde der Blick leicht unruhig.

»Man kann nicht überall Briefmarken kaufen. Und dann muss man auch noch einen Briefkasten finden. Außerdem wäre der Brief sowieso nicht rechtzeitig angekommen.«

Kit sagte nichts. Fand eine einstweilige Befriedigung in Karen-Lis’ Blick, der seine eigene Sprache von Schuld sprach, wenn auch nur vorübergehend. Denn die Distanz war da, auch jetzt. Vor allem jetzt. Und sie wusste nicht, wie sie sie überwinden sollte und ob sie überhaupt Lust dazu hatte. Sie dachte an ihren Vater, wie er dort gelegen und selig ausgesehen hatte, als Karen-Lis eingetroffen war. Er hatte nur die wenigen Worte gesagt. Den einen Namen. Dann war er zurück in seine Apathie gefallen, aber der Arzt war zufrieden gewesen. Er hatte ihnen versichert, dass ihr Vater sich jetzt nur ausruhte und dass er wieder aufwachen würde.

Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte sie gesagt, dass das typisch war. Typisch Karen-Lis, nach monatelanger Abwesenheit zu einem Gastbesuch zu kommen und mit einem Zauberschlag alles wieder in Ordnung zu bringen.

Ihre Mutter war vor Dankbarkeit dem Weinen nahe gewesen, und Karen-Lis hatte das beste Stück von der Gans bekommen, die sie schließlich drei Tage zu spät gebraten hatten.

»Wie lange bleibst du?«

Sie bereute gefragt zu haben, sowie die Worte ihren Mund verlassen hatten. Es war nicht gut, einen zu interessierten Eindruck zu machen. Es war ein bisschen wie mit einem Freund, der Angst hatte, sich zu binden. So war Karen-Lis, dachte Kit. Sie hatte Angst, dass etwas oder jemand sie festhalten könnte. Deshalb war sie überrascht, als die Schwester antwortete: »Eine Weile. Vielleicht ein paar Monate. Ich stehe sowieso zwischen zwei Jobs.«

Wieder kam Karen-Lis zu der Drehscheibe. Blieb ein wenig linkisch stehen und sah Kit an. »Was ist mit dem Geschäft? Darum muss sich doch jemand kümmern. Vielleicht können wir einander helfen.«

Kit wurde von einem Niesanfall überrumpelt. Als sie fertig geniest hatte, musste sie sich ungläubig die Augen trocken wischen. »Was verstehst du denn davon?«

Karen-Lis hielt die Augen auf die Skulptur gerichtet. »Ich verstehe etwas von Public Relations. Und davon, wie man eine Botschaft an die Leute bringt ... Und außerdem bin ich mit Kaliki aufgewachsen.«

»Ich weiß nicht«, sagte Kit und fühlte plötzlich, dass es so viel gab, das überwunden werden musste, und dass sie keine Ahnung hatte, wo sie anfangen sollte.

Karen-Lis machte eine ausladende Armbewegung, hoffnungslos, als wüsste sie, dass sie nichts erreichen würde. »Was willst du, das ich tun soll? Ich bin weg gewesen. Ja, irgendwann werde ich wieder weggehen. Aber jetzt bin ich hier.«

Einen Moment hatte Kit Lust, ihr von dem Brief aus Hongkong zu erzählen. Karen-Lis wissen zu lassen, dass das, was mit der Post gekommen war, vielleicht die Schuld daran trug, dass ihr Vater jetzt in Gesellschaft von Maschinen und Schläuchen in Odense lag. Dass es noch so viel mehr gab als nur die Krankheit und dass der Traum zurückgekommen war. Der aus der Kindheit, wo Karen-Lis sie getröstet und vergessen lassen hatte. Sie sah ihre Schwester an, wie sie dort stand mit ihrer aufrechten Haltung und dem kalten professionellen Blick. Früher, da hatte sie helfen können. Früher hatte sie trösten können, und man hatte sich ihr anvertrauen können. Aber so vieles hatte sich verändert, und sie wusste nicht richtig, wie es passiert war und wann sich die Fremdheit zwischen sie geschlichen hatte.

»Bis nach Neujahr sind Ferien«, murmelte Kit. »Warten wir’s ab.«

Karen-Lis machte Anstalten zu gehen. Sie drehte sich in der Ateliertür um. »Du machst es keinem von uns leicht, Schwester«, sagte sie und ging.

Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi

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