Читать книгу Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm - Страница 9

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Noch nie in ihrem Leben war sie so entsetzt gewesen.

Es war anders als letztes Mal. Da hatte ihr Vater nicht das Bewusstsein verloren, es war ihm lediglich schlecht gegangen, und sie hatten den Notarzt rufen können, als sie sahen, dass es wirklich nicht gut um ihn stand.

Diesmal war es anders. Nicht nur weil er dagelegen hatte, als hätte er sie bereits verlassen. Nicht nur weil sein Puls so schwach war, dass sie ihn fast nicht hatte finden können. Sondern weil es auf eine merkwürdige Weise wie die Verlängerung ihres Traums war. Als stünde sie plötzlich wieder bei der mit Spiegeln verkleideten Wand des Pavillons. Als hätte ein böser Geist sie den ganzen Weg von Hongkong hierher verfolgt.

Und während sie neben der Gestalt in dem Bett saß, wo Schläuche und Instrumente tropften und leise piepten, dachte sie, dass sie das Schlimmste jetzt erlebt hatte. Es war wie ein bizarrer Trost in dem Ganzen. Hier wurde Wirklichkeit, wovor sie sich immer gefürchtet hatte. Oder zumindest ein Teil davon. Und sie war noch da, konnte noch immer Arme und Beine spüren. Also waren die Krankheit ihres Vaters und die direkte Todesgefahr doch nicht unmittelbar mit ihrem Leben verbunden. Sie würde leben, und er würde sterben. Vielleicht nicht jetzt, aber irgendwann.

Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie, dass sie den Abschied überleben konnte. Zwar nur mit knapper Not und nur wenn sie etwas anderes hatte, woran sie sich klammern konnte.

Sie saßen einander gegenüber, Henrik und sie. Jeder auf einer Seite des Bettes. Der Arzt hatte gesagt, dass ihr Vater jetzt stabil war. Ihre Mutter war auf den Gang hinausgegangen.

»Stabil«, flüsterte Kit. »Wie kann er stabil sein, wenn er bewusstlos ist? Was ist daran stabil?«

Ob er je wieder aufwachen würde? Sollte sie nie mehr mit ihrem Vater reden können? Mit ihm zusammen lachen? Sich über seine Geschichten aus der Zeit in Hongkong wundern; seinen Mut und seinen Einfallsreichtum bewundern? Sollte sie nie mehr spüren, wie ansteckend seine Lebenskraft war, sodass ihr die Welt plötzlich hell und leicht zu meistern vorkam?

»Stabil ist ein gutes Zeichen«, versprach Henrik, seine Stimme hatte die Autorität eines Arztes. »Das ist der erste Schritt.«

Die Angst schien geringer zu werden. Wie immer, wenn Henrik da war. Sie kannte niemanden, der sie so beruhigen konnte wie er, und da war sie nicht die Einzige. Kindern und Hunden und Schwiegermüttern ging es nicht anders. Schon allein Henriks besonnene und Klartext redende Stimme und seine körperliche Präsenz schienen die Gemüter zu beruhigen. Konnte ihr Vater einem Lebensfreude und Mut einflößen, so flößte Henrik einem Ruhe ein. Doch diese beiden Männer in ihrem Leben waren plötzlich und auf unerklärliche Weise nicht mehr miteinander vereinbar. Henrik gehörte ihr nicht länger. Gehörte ihnen nicht länger.

»Du musst entschuldigen«, sagte sie noch einmal. »Ich hätte dich nicht anrufen sollen.«

Er schüttelte den Kopf. »Das ist okay.«

»Du hast jetzt dein eigenes Leben.«

»Das hatte ich vorher auch. Du hast es nur nicht gewusst.«

Volltreffer. Vielleicht gab es viel, das sie nicht gewusst hatte. Aber sie wollte nicht daran denken. Vorbei war vorbei. In den vergangenen drei Monaten hatte sie gelernt, ohne seine Ruhe zu leben. Wieder spürte sie diese unkontrollierbare Wut. Hätten sie es nicht versuchen können? Hätte er das nicht? Sieh nur, was dabei herausgekommen ist, rief es kindisch in ihr. Aber sie wusste genau, dass dieser Gedanke ungerecht war.

»Und das auch noch kurz vor Weihnachten«, sagte sie bar jeder Logik.

»Weihnachten ist es besonders schwer, wenn so etwas passiert«, sagte er, als hätte er Erfahrung mit solchen Dingen.

Sie sah auf ihre Uhr. Es war acht Uhr abends. »Jetzt ist es zu spät, um noch Weihnachtsgeschenke zu kaufen.«

Er sagte nichts. Und sie erinnerte sich, wie oft es vorgekommen war, dass er nichts gesagt hatte und sie hatte reden lassen. Anschließend hatte sie sich immer ein bisschen ausgeliefert gefühlt, aber auch erleichtert.

»Ich habe die meisten Geschenke schon«, sagte sie fahrig. »Ich habe Karen-Lis etwas geschickt und für Vater und Mutter etwas gekauft. Wir sind ja nicht so viele. Aber man muss aufeinander Acht geben, wenn man nur noch zu wenigen ist und die Menschen aus dem eigenen Leben verschwinden.«

Es war nicht beabsichtigt, dass ihre Stimme vor Panik wieder schrill wurde. Vielleicht war es auch nicht beabsichtigt, dass er hier sitzen sollte. Vielleicht wäre sie ohne ihn zurechtgekommen.

Doch allein der Gedanke genügte, um das Blut durch den Körper zu jagen, sodass sie Atembeschwerden bekam und nach Luft rang. Verdammtes Asthma. Wo kam es her? Im Krankenhaus gab es weder Katzen noch Gras. Sie suchte in der Tasche nach dem Inhalator und inhalierte, als gelte es das Leben. Was es so gesehen ja auch tat.

Er stand auf und ging rund um das Bett und zog einen Stuhl neben ihren. Seine großen Hände schlossen sich um ihre wie eine Muschel. »Du hast Recht. Man muss aufeinander Acht geben, und das tut ihr ja auch in eurer Familie genau wie wir in meiner«, tröstete er. »Die, die noch übrig sind«, fügte er hinzu.

»Man trägt einfach diese Verantwortung«, schniefte sie und wusste, dass sie wie ein quengeliges Kind klang. »Eine große Verantwortung.«

Sie spürte seinen Arm, der sich um ihre Schulter legte. Die Sicherheit, die sich in ihr ausbreitete. Sie wollte so gerne teilen. Ihn mit in diese Verantwortung nehmen. Aber jetzt musste sie erwachsen und verantwortungsbewusst sein und sich daran erinnern, dass es vorbei war.

»Du wirst zurechtkommen, Kit«, sagte er. »Und du bist nicht allein, auch wenn du das glaubst.«

Doch genau das war sie.

»Ich glaube, irgendetwas hat das hier ausgelöst«, flüsterte sie und dachte, dass sie hätten suchen sollen, ihre Mutter und sie, in dem Durcheinander, das das umgestürzte Regal verursacht hatte. »Natürlich war er geschwächt. Es war so viel in letzter Zeit. So viele Spekulationen.«

Henriks Stimme war ruhig, als er mit ihr sprach, aber sie spürte, dass seine Aufmerksamkeit plötzlich geschärft war.

»Wie meinst du das?«

Sie konnte nichts dafür, sie musste sich an ihn klammern und die Finger in seinen Hemdärmel bohren.

»Ich glaube, dass irgendetwas in der Post war.«

Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi

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