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»Das sieht gut aus«, lobte Larry Olsson enthusiastisch und klopfte mit dem Fingerknöchel auf die Titelseite der Zeitung.

Sie standen über die aktuelle Ausgabe gebeugt, die zwischen Plastikbechern mit Kaffeeresten und den auf dem Tisch verteilten alten Zeitungen lag.

Dicte sah Bo an. Beide wussten, was jetzt kommen würde.

»Vielleicht hätte es der Story gutgetan, wenn das Bild hochformatig gewesen wäre«, stellte Larry Olsson fest und starrte mit schräg gelegtem Kopf Bos Titelfoto an.

Dicte hörte Bo seufzen.

»Es ist nicht so einfach, eine lange Kette von Polizisten mit Hunden hochformatig zu fotografieren«, wandte er ein.

Larry Olsson war Amerikaner und daher ein Verfechter des Prinzips der unbegrenzten Möglichkeiten.

»Das ist machbar«, meinte er. »Man darf sich nicht davon abschrecken lassen, dass etwas nicht einfach ist. Sie hätten eine einzelne Situation näher heranholen können, statt alles aufzunehmen.«

»Da ist etwas dran«, redete Davidsen ihm nach dem Mund, der sonst immer der Erste war, der Olsson kritisierte, wenn dieser nicht in der Nähe war.

Bo gab es auf. Larry Olsson griff nach der Zeitung und hielt sie hoch.

»Es hätte auch gut ausgesehen, wenn am Rand der Seite ein Kästchen mit Fakten gewesen wäre«, sagte er an Dicte gewandt. »Denken Sie nächstes Mal daran.«

»Das wäre ein sehr kleines Kästchen geworden«, sagte Dicte mit ihrer süßesten Stimme und wünschte den Amerikaner in den Irak – und zwar ohne kugelsichere Weste. »In diesem Fall gibt es bislang noch keine Fakten.«

Larry Olsson ließ den Arm mit der Zeitung sinken und sah sie über den Rand der frisch geputzten Brille hinweg an.

»Man findet immer etwas.«

Bo äffte ihn nach, als sie zehn Minuten später auf dem Weg zu der Pressekonferenz im Polizeipräsidium waren.

»Man findet immer etwas, das man einrahmen kann«, sagte er mit einer Fistelstimme und sah Dicte fest über eine imaginäre Brille hinweg an. »Man kann zum Beispiel alle Punkte einrahmen und rechts in einem hellroten Kästchen platzieren.«

»Man könnte auch die ganze Story einrahmen und einen Kübel rote Farbe darübergießen«, schlug Dicte kichernd vor. »Dann hat man das Problem gelöst.«

»Und man kann das entscheidende Bild zerschneiden und in kleinen Dreiecken über die ganze Seite verteilen. Das fängt den Blick des Lesers«, fügte Bo hinzu. »Und man kann demjenigen einen Preis verleihen, der es schafft, das Puzzle zusammenzusetzen.«

Das Lachen befreite ihre Frustration, und für einen kurzen Moment vergaß sie den Irak und Roses Freund und die Frauenleiche im Hafen von Århus. Lachend betrachtete sie Bos Profil, das ein verblüffend schönes Gebiss und ein Kinn zeigte, das trotz seines jungenhaften Wesens entschlossen Vorstand. Wie üblich flammte irgendwo in ihrem Bauch die Verliebtheit auf. Hier konnten knuffige HIV-Ärzte nicht mithalten.

»Sei bloß still«, sagte sie, als sie wieder Luft bekamen. »Müssen wir das wirklich ernst nehmen?«

Bo sagte nichts. Sie wussten schließlich beide, dass sie das mussten, weil der Befehl von oben kam. Die Zeitung sollte designmäßig aufgepeppt werden. Die Theorie war die, dass die Käufer, die die Zeitung am Kiosk liegen sahen, sich für diese statt für ein Konkurrenzblatt entschieden, weil das Design ihr Interesse weckte. Und sie brauchten dringend mehr Käufer. Die Auflage bewegte sich in einem Tempo in den Keller, das von einem Selbstmordattentäter vorgegeben zu werden schien. Nicht dass das etwas Neues war.

»Er hätte verdammt noch mal selbst am Hafen sein und mit der Kamera unter der Jacke fotografieren sollen«, sagte Bo sauer und griff sich mit der Hand an die aufgesprungene Augenbraue, die mit drei Stichen genäht worden war.

»Was ist mit den anderen Fotos?«, fragte Dicte. »Gibst du sie Wagner?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nichts da. So läuft das nicht.«

Er sah sie schräg von der Seite an.

»Ich hoffe, er lässt das nicht an dir aus.«

Das hoffte sie auch. Bo hatte das Recht, seine Quellen zu schützen, doch sie befürchtete, dass die Polizei den Rechtsweg gehen würde, um an die Fotos zu kommen, die ihnen eine Menge Gesichter für das Archiv liefern konnten, wenn die Randalierer das nächste Mal identifiziert werden mussten. Die Bilder würden es ihnen leichter machen, Bo jedoch schwerer. Das Gerücht würde schnell im Einwanderermilieu die Runde machen, und beim nächsten Mal würde er noch größere Probleme haben zu fotografieren.

»Das kann Probleme geben«, räumte sie ein und stellte sich vor, wie Wagner sie am ausgestreckten Arm verhungern ließ. »Die müssen wir eben lösen – eines nach dem anderen.«

Bo fuhr auf den Parkplatz des Polizeipräsidiums. Er kreiste herum und suchte nach einer freien Lücke, doch durch Larry Olssons Vortrag waren sie spät dran, und die restliche Presse hatte schon alle Plätze belegt.

»Probleme gibt es genug«, sagte er, während er sich frech auf einen Behindertenparkplatz stellte und das Schild Presse gegen die Windschutzscheibe lehnte. »Was ist mit Rose? Ist es ernst?«

Dicte fiel auf, dass er fragte, als litte Rose an einer neuen und unbekannten Krankheit. Sie hatten noch keine Zeit gefunden, um darüber zu reden. Alles hatte sich um den Job und den Leichenfund im Hafen gedreht.

»Er heißt Aziz, studiert Medizin und ist pakistanischer Herkunft«, informierte sie ihn. »Sie sagt, dass er integriert ist. Die Familie ist aus genau diesem Grund aus der City Vest weggezogen und wohnt jetzt in Viby. Hier kannst du doch nicht parken!«

Bo sah auf die Uhr. Dann nahm er das Schild wieder aus dem Fenster und nickte ihr zu, dass sie aussteigen sollte.

»Wenn ich es nicht schaffe, müssen wir eins der Bilder vom Hafen nehmen. Hochformat«, fügte er hinzu, bevor er die Tür zuknallte.

Als sie den Besprechungssaal des Polizeipräsidiums betrat, war die Luft drückend von den warmen, verschwitzten Körpern in sommerlicher Kleidung.

Die Presse war ausreichend vertreten, auch die großen Zeitungen hatten ihre Vertreter geschickt. Dass die Jyllands-Posten einen Journalisten und einen Fotografen stellte, war nicht erstaunlich, doch auch die Politiken und die Berlingske Tidende, die Nachrichtenbüros und die Provinzzeitungen hatten ihre Leute zu der Pressekonferenz beordert. Ein Kameramann von TV2 Østjylland machte die Runde, seine auf der Schulter ruhende Kamera war wie eine Kanone auf die Leute gerichtet. Die Journalisten hatten ihre eingeschalteten Tonbandgeräte auf den Haupttisch gestellt, wo Wagner und Kriminalhauptkommissar Hartvigsen Seite an Seite wie ein ungleiches Ehepaar bei einem Hochzeitsfest thronten. Hartvigsen in einer dunklen Jacke, die über den Schultern spannte, und mit einem auffälligen Schlips, den bestimmt seine Frau ausgesucht hatte. Wagner wie immer in der klassischen Tweedjacke mit Krawatte.

Um fünf nach räusperte sich Hartvigsen und ergriff das Wort. Er klang, als würde er gerade gewürgt. Er griff nach dem Wasserglas und trank geräuschvoll einen Schluck, bevor er sich entschloss, den Schlips zu lockern und die Pressekonferenz zu eröffnen; eine Aufgabe, die er offensichtlich hasste.

»Wir werden später auf die Frauenleiche zurückkommen, die in der Nacht zum Sonntag im Hafen gefunden wurde. Lassen Sie mich damit beginnen, dass wir uns inzwischen einen Überblick über die Unruhen verschafft haben, zu denen es dort in derselben Nacht gekommen ist. In diesem Zusammenhang haben wir vier junge Leute festgenommen.«

»Werden sie des Mordes verdächtigt?«, unterbrach ihn einer der Journalisten.

Hartvigsen ließ die kleinen Augen in dem rosigen Gesicht über die Versammlung schweifen.

»Niemand wird des Mordes verdächtigt. Wie gesagt, werden wir auf den Mord später zu sprechen kommen. Einer der Jungen wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen, ein anderer wegen Gewaltandrohung und zwei wegen Aufruhr und Beamtenbeleidigung.«

Er raschelte mit den Unterlagen und sah in seine Notizen. Christian Hartvigsen war Freizeitlandwirt und fühlte sich unter dem freien Himmel am wohlsten, das hatte er selbst einmal in einem Interview gesagt.

Dicte schrieb gehorsam mit und sah in Gedanken ein hellrotes Kästchen mit Fakten vor sich.

»Zwei der Personen, die groben Vandalismus gegen Polizeiautos verübt haben, sind von uns wiedererkannt und aufgefordert worden, sich zu stellen. Außerdem besteht die Hoffnung, dass noch weitere Gewalttäter und Vandalen identifiziert werden können.«

Bo schlich sich herein und setzte sich auf den Stuhl, den Dicte ihm freigehalten hatte.

»Ich weiß, worauf du anspielst, aber das werdet ihr ohne meine Hilfe schaffen müssen, Kamerad«, flüsterte er.

Hartvigsen fuhr fort und umriss die Begebenheiten der Nacht. Wieder zeichnete sich ein Bild ab, das darauf hindeutete, dass der Grund für die Unruhen der war, dass man den jungen Einwanderern keinen Einlass ins Showboat gewährt hatte. Sie hatten gültige Eintrittskarten von einem Jugendcenter bekommen und sich auf das Fest gefreut.

Hartvigsen unterstrich, dass nichts auf organisierte Ausschreitungen hinwies.

Im Saal wurden kritische Fragen laut, inwieweit die Polizei mit der Situation anders hätte umgehen und den Einsatz von Verstärkung und Hunden hätte vermeiden können. Dicte warf auch ein paar Fragen in den Raum, doch in Wirklichkeit warteten alle darauf, dass Wagner das Wort ergriff.

Die Hitze war fast nicht auszuhalten. Dicte klebte förmlich an ihrem Sitz, und der Schweiß kribbelte unter ihren Achseln, als Hartivgsen endlich zum Ende kam und Wagner ansah. Seine Stimme klang ruhig und sachlich, und die drückende Schwüle schien durch die Nüchternheit seiner Worte in die Flucht geschlagen zu werden.

»Wie Sie bereits wissen, wurde in derselben Nacht ungefähr zwanzig Minuten nach zwei eine Frauenleiche hinter einem Abfallcontainer gefunden. Ich möchte unterstreichen, dass vorläufig nichts darauf hindeutet, dass die Krawalle zwischen der Polizei und den Jugendlichen mit dem Fund der Leiche in Zusammenhang stehen.«

Die Tonbandgeräte summten, und die Kugelschreiber kratzten über die Blöcke. Die Journalisten hoben sich ihre Fragen für später auf.

»Es war uns bisher nicht möglich, die Frau zu identifizieren. Es läuft keine Fahndung nach jemandem, auf den die Personenbeschreibung passt – weder hier im Land noch über Interpol. Deshalb haben wir uns entschlossen, ein Foto des Gesichts der Frau an die Presse zu geben.«

Er ließ die Hand auf einem kleinen Stapel Plastikmappen ruhen, die auf dem Tisch lagen.

»Die wenigen Informationen, die wir uns entschlossen haben öffentlich zu machen, sind zusammen mit dem Foto für jeden von Ihnen in einer Mappe zusammengefasst. Ich will versuchen, den Fall kurz zu umreißen.«

Geradlinig und mit Blick auf die Informationen, die für die Presse interessant waren, berichtete John Wagner über die Geschehnisse, vom Fund der Leiche durch die Einwanderer bis zu ihrem Abtransport ins Pathologische Institut in der Peter Sabroes Gade.

»Natürlich sind Fasern verschiedenster Art auf der Decke gefunden worden. Es handelt sich offenbar um Hunde- sowie um Menschenhaare, die näher untersucht werden müssen. Wir warten noch auf das DNA-Ergebnis und die Befunde, was Rauschgift, Alkohol und dergleichen angeht.«

Er lehnte sich in seinem Stuhl leicht vor und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. Dicte hatte das Gefühl, dass er sie direkt ansah. Auch Wagner mochte keine Pressekonferenzen, doch im Gegensatz zu seinem Chef besaß er ein natürliches Talent, die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu fesseln.

»Die Pathologen schätzen das Alter des Opfers auf siebzehn bis zweiundzwanzig Jahre. Der Tod ist wahrscheinlich zwischen dreiundzwanzig und ein Uhr nachts eingetreten.«

Wieder machte er eine Pause, in der alle den Atem anhielten. Dicte fiel die Anspannung in Wagners sonst so nüchterner Stimme auf, als er genau die Worte aussprach, die sie gefürchtet hatte.

»Die Todesursache ist ein sehr hoher Blutverlust in Verbindung mit einem professionell ausgeführten Kaiserschnitt.«

Blutzoll: Skandinavien-Krimi

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