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»Was haben wir für morgen?«

Der Lokalredakteur Davidsen versuchte, seiner Stimme Autorität zu verleihen, und klang doch nur wie eine schlechte Kopie Otto Kaisers, der in Kopenhagen saß und wie ein General seine Truppen aus der Ferne lenkte.

Er bekam zunächst auch keine Antwort, obwohl alle pflichtschuldigst zu der Redaktionsbesprechung gekommen waren. Die hohen Temperaturen trugen nicht gerade zur Steigerung der Arbeitsmoral bei. Selbst die Sportreporterin Cecilie, die gerade aus dem Urlaub zurückgekommen war, sah aus, als wäre sie noch immer an einem Strand auf Mallorca.

Dicte las verstohlen in der aktuellen Ausgabe, in der Holger Søborg sich lang und breit über das Einwanderermilieu im Westen von Århus ausgelassen hatte. »Bandengewalt wütet in Gjellerup« tönte ein Artikel, während ein anderer einer älteren Dame gewidmet war, der man auf offener Straße die Tasche gestohlen hatte: »Ich habe Angst, hier wohnen zu bleiben«, hieß es darin, und Dicte spürte, wie es in ihrem Hals zu pochen begann.

Sie blätterte schnell weiter und fand die Fortsetzung ihrer eigenen Titelgeschichte über die Pressekonferenz im Polizeipräsidium. In einem hellrot eingerahmten Kästchen waren einige der Fakten umrissen, die sie auf ihrem Block notiert hatte.

»Das sieht gut aus«, sagte Larry Olsson gedehnt, der sich auf dem Stuhl neben ihr breitgemacht hatte. »Appetitlich für den Leser, und das ist schließlich das Wichtigste«, schlussfolgerte er.

Dicte klappte die Zeitung zu. Sie sah zu Bo hinüber, dessen Blick zu fragen schien, was ein amerikanischer Designer überhaupt in ihrer Redaktion verloren hatte. Wie appetitlich war eine tote Frau, deren Unterleib aufgeschlitzt worden war und deren Kind möglicherweise in irgendeinem Abfallcontainer verrottete?

Sie lächelte den Amerikaner an.

»Es freut mich, dass es dir gefällt, Larry. Jetzt wollen wir nur hoffen, dass sie das Kind finden.«

»Welches Kind?«, fragte Olsson zerstreut. Er nahm die Zeitung und blätterte zurück zu Holgers Artikel. Diesen zierten gleich drei hellrote Kästchen, und das Bild der älteren Dame war von unten her aufgenommen, sodass ihre Nase einer überdimensionalen Kartoffel glich. Das Foto war von einem schwarzen Trauerkranz umrahmt, wie es in den Achtzigern einmal modern gewesen war.

»Das gefällt mir«, sagte Olsson und sah über die randlose Brille begeistert zu Holger hin. Holger wuchs noch ein paar Zentimeter.

Davidsen, dem bewusst wurde, dass er die Aufmerksamkeit seines Publikums verloren hatte, erhob sich und wanderte im Redaktionssaal auf und ab.

»Cecilie«, bellte er mit verschränkten Armen. »Was hast du für morgen?«

»Ask not what your country can do for you«, predigte Bo im Stil von Kennedy, »ask what you can do for your country.«

Larry Olsson sah bei den aus dem Zusammenhang gerissenen amerikanischen Worten verwirrt auf. Cecilie streckte sich faul und lehnte sich leicht zu Holger hinüber, der, wie alle wussten, ihr Wochenendliebhaber war.

»Nichts«, gähnte sie. »Hast du einen Vorschlag?«

Die Journalisten machten in der Regel selbst die Vorschläge. Dementsprechend sah Davidsen völlig überrumpelt aus.

»Ich könnte Kaffee kochen und ein paar Brötchen holen«, schlug Cecilie vor.

Davidsen seufzte, sodass sein Adamsapfel nach unten rutschte. Resigniert zeigte er mit der Hand Richtung Küche.

»Ja, mach das.«

Holger rettete ihn.

»Ich habe einen Anruf vom Vizepräsidenten des Polizeiverbands Århus bekommen«, informierte er. »Er sagt, dass sie vielen Straftaten nicht nachgehen können, weil fast alle Beamten ihre Überstunden abfeiern.«

Auf dramatische Weise erzählte er, wie Einbrüche in Privathäusern zu den Akten gelegt oder aussortiert wurden und Autodiebstähle nicht weiterverfolgt wurden.

»Er sagt auch, dass keine Ressourcen vorhanden sind, um in Fällen von Menschenschmuggel zu ermitteln, weil die Arbeit sehr zeitaufwendig ist. Und Straßendiebstähle wie der in Gjellerup kommen ohnehin auf die Warteliste.«

Holger blickte sich triumphierend um, er sah nicht Davidsen, sondern Dicte an, die seiner Meinung nach durch ihren Kontakt zu John Wagner die Polizei repräsentierte.

»Mit anderen Worten, der Mann schlägt Alarm, indem er sagt, dass die Bürger nicht den Polizeischutz bekommen, auf den sie ein Recht haben.«

Dicte räusperte sich. Das Klopfen ihres Pulses war stärker geworden, und sie hatte das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben. Wenn der Mann Holger wirklich angerufen hatte, war das eine Story, die geschrieben werden musste. Aber der Polizei, insbesondere John Wagner, würde sie nicht gefallen. Zusammen mit der Tatsache, dass Bo sich noch immer weigerte, den Film aus dem Hafen herauszurücken, könnte das zu einem schlechten Klima zwischen Presse und Polizei führen.

Sie entschloss sich, die Polizei so gut wie möglich zu meiden. Zumindest für diesen Tag. Es galt, schnell eine andere Story zu finden, mit der sie Davidsen auf Abstand halten konnte.

Ihr Blick fiel auf eine alte Ritzau-Meldung, die irgendjemand auf dem Tisch vergessen hatte. Das Wort Lebensmittelkontrolle sprang ihr ins Auge.

»Wann haben wir zuletzt über die Lebensmittelkontrollen berichtet?«, improvisierte sie. »Viele der lokalen Restaurants und Geschäfte waren sauer über die gelben Smileys. Vielleicht könnte ich eine Umfrage machen, ob es inzwischen besser läuft.«

Das klang hinreichend überzeugend bei der sommerlichen Hitze, und außerdem liebte Davidsen Umfragen.

»Eine gute Idee«, lobte er und warf Larry Olsson einen fröhlichen Blick zu. »So ein Artikel bietet auch gute graphische Möglichkeiten. Ich denke dabei an diese Smileys«, fügte er hinzu. »Aus denen kann man bestimmt etwas machen.«

»Vielleicht sollten wir zu gelben Kästchen übergehen«, schlug Bo schelmisch grinsend vor.

Dicte rief zunächst eine Reihe von Restaurants und Cafés an und fragte nach, welchen Smiley sie bekommen hatten und wie sie darüber dachten. Das Ergebnis war nicht überraschend. Diejenigen mit den traurigen Smileys waren sauer auf das Gesundheitsamt, die mit den lächelnden waren zwar nicht froh, aber doch nicht ganz so sauer.

Sie telefonierte auch mit dem Gesundheitsamt und erfuhr, dass für den nächsten Tag Kontrollbesuche in den Restaurants in der City Vest anstanden. Der letzte Besuch hatte angeblich viel zu wünschen übrig gelassen, was sie so verstand, dass es über dem Bazar etliche traurige Smileys geregnet hatte. Diesmal hatte sich die Behörde sogar angekündigt, und man hoffte dort nun, dass die Mängel mittlerweile behoben worden waren.

»Es scheint sie irgendwie nicht wirklich zu interessieren, das mit der Hygiene«, mokierte sich die Dame am Telefon und fügte schnell hinzu, »aber dass ich das gesagt habe, dürfen Sie natürlich nicht schreiben.«

Dicte legte auf. Der Telefonhörer glänzte von ihrem eigenen Schweiß. Sie stand auf und öffnete das Fenster noch weiter, aber das half auch nicht viel. Die Luft stand still, und die Wettervorhersage hatte Temperaturen bis zu dreißig Grad angekündigt. Sie stellte sich vor, wie es um die Lebensmittel im Bazar Vest bestellt war, wenn sie nicht richtig gelagert wurden. Sie sah einen sich drehenden Dönerspieß vor sich, der nicht richtig durchgebraten war, und Kakerlaken, die sich in einer Bäckerei gütlich taten, in der die Mehlsäcke offenstanden.

Und plötzlich erinnerte sie sich an ihren viele Jahre zurückliegenden Urlaub mit Anne in Marokko, wo sie, ohne weiter darüber nachzudenken, in den ansässigen Falafel-Restaurants eine Pita nach der anderen in sich hineingeschaufelt hatten. Sie erinnerte sich an den guten Geschmack der frittierten Kichererbsenfrikadellen und konnte die Kräuterdüfte des Bazars nahezu riechen. Und ein Teil von ihr hatte mehr als Verständnis dafür, wenn eine dänische Filiale des Sukh in Marrakesch beschloss, die Bestimmungen des Gesundheitsamtes zu ignorieren, dessen Name allein den Leuten einen Riesenschrecken einjagte.

Später am Tag, als sie ein Interview mit einem dänischen Soldaten, der in Bosnien gewesen war, geschrieben und ein paar Restaurants in der Innenstadt besucht hatte, fuhr sie mit dem Auto in die City Vest, während ihre Worte zu Bo noch immer in ihrem Hinterkopf rumorten: »Ich habe keine Lust, über Einwandererprobleme zu schreiben.« Parallel dazu drängten sich Bruchstücke von der Pressekonferenz anlässlich der toten Frau in den Vordergrund. Sie hatte keine Wahl. Vielleicht sollte sie sich gleich voll an der Einwandererdebatte beteiligen, statt alles Holger Søborg zu überlassen, der Experte darin war, alle gängigen Vorurteile zu kultivieren. Nicht dass sie als die große Verteidigerin auftreten wollte. Sie wusste ebenso gut wie Holger, dass es Verhaltensweisen gab, die sich einfach nicht entschuldigen ließen, und dass man nicht alles im Namen der Toleranz akzeptieren durfte. Hoffentlich gelang es ihr, ein etwas nüchterneres Bild zu malen und eine gemäßigte Sichtweise zu präsentieren.

Sie seufzte, während sie an der berüchtigten Shell-Tankstelle abbog, wo viele der sommerlichen Krawalle stattgefunden hatten. Schon jetzt, mitten am Nachmittag, hingen die Jugendlichen hier herum. Rastlose, dunkelhäutige Teenager mit zu wenig Interessen und zu viel Energie. Sie wusste, dass sie naiv war. Kaiser wollte eine Sensation. Er wollte eine packende, lebensnahe Geschichte, ungeachtet dessen, ob sie die Leute in Angst und Schrecken versetzte und Århus wie eine Vorstadt von Bagdad aussehen ließ.

Sie parkte vor der Lykke-Schule, die neben dem Bazar Vest lag, und versicherte sich, dass das Auto richtig abgeschlossen war, bevor sie sich mit eng an den Körper gepresster Tasche in den überdachten Bazar begab, wo arabische Musik zwischen den Ständen dudelte und dicke Frauen mit Kopftüchern und langen Gewändern mit diversen Waren hantierten. Es herrschte reges Treiben, es brodelte und duftete verführerisch, und Küchenutensilien mit Goldglanz und religiösen Motiven wurden ebenso feilgeboten wie bunte Vorhänge aus Glasperlen, dekorierte Wasserpfeifen und unendlich viele Kissen und Bettdecken in den verschiedensten Varianten von hellrotem, hellblauem oder hellgelbem Chintz.

Sie verirrte sich in ein Geschäft, angelockt von der Musik und einem wirklich grauenvollen Angebot exotischer Souvenirs, und schämte sich ein wenig, weil sie sie nach ihrem nüchternen westlichen Geschmack beurteilte. Hier gab es Volants für kleine Babys, Mokkageschirr mit kleinen, henkellosen Tassen, Decken mit aufgedruckten Minaretten und Moscheen vor einem glänzenden Sternenhimmel und mit Perlen verzierte Silber- und Goldrahmen für die Enkelkinder oder das Hochzeitsbild.

Sie begab sich weiter in das Menschenlabyrinth hinein, angelockt von den Düften der Restaurants und der arabischen Imbissbuden. Eine Caféteria in einer Ecke machte einen guten Eindruck, und sie bestellte einen gegrillten Lammspieß mit Salat. Sie hatte sich gerade an einen Tisch gesetzt und einen Block herausgeholt, um sich Stichworte zu notieren, als sie vom Eingang des Cafés Lärm hörte. Sie machte einen langen Hals und sah ein dänisches Ehepaar, das mit seinem Hund, einem weißen Pudel, in der Caféteria Platz genommen hatte. Ein arabisch aussehender Mann stand dicht neben ihnen. Er schien sich ziemlich aufzuregen und zeigte auf den Ausgang. Dicte spitzte die Ohren, konnte aber nicht hören, was gesagt wurde. Der Araber trat in Richtung des Hundes in die Luft und spuckte der Ordnung halber noch einmal hinterher. Unverständliche Worte, die sie als Flüche und Beschimpfungen interpretierte, ergossen sich wie ein Vulkan aus seinem Mund. Die Frau nahm schnell den Hund auf den Arm, und das Paar verließ eilig das Café.

Eine Gruppe Schulmädchen saß am Nebentisch. Sie hatten den Aufruhr ebenfalls mitbekommen. Zwei von ihnen trugen Kopftücher, eine sah türkisch aus, trug aber kein Kopftuch und die Vierte schien Dänin zu sein, mit hellem Haar und heller Haut. Dicte beugte sich zu ihnen hinüber.

»Habt ihr mitbekommen, um was es da ging?«, fragte sie.

Die Mädchen sahen sie an, als wäre sie eine Idiotin. Sie kicherten herzhaft. Dann schien das dänische Mädchen Mitleid mit ihr zu haben.

»Nur Dummköpfe nehmen einen Hund mit in den Bazar«, erklärte sie. »Alle wissen doch, dass Moslems Hunde hassen.«

Dicte guckte wohl verwirrt, denn eins der Mädchen mit Kopftuch sagte freundlich:

»Der Hund ist ein unreines Tier.«

Erst nachdem sie mit einigen Restaurantbesitzern gesprochen und in der Gemüseabteilung einen Haufen Gemüse gekauft hatte, ging ihr die Bedeutung der Episode richtig auf.

Entgegen ihrem Vorsatz griff sie sofort zum Telefon, als sie zurück in der Redaktion war.

»Hast du nicht gesagt, dass auf der Decke Menschen- und Hundehaare waren?«

Wagner schien über ihren Anruf nicht sehr erfreut.

»Das steht alles in der Pressemappe. Du kannst es dort nachlesen.«

»Sicher kann ich das«, sagte sie gutmütig. »Aber etwas habt ihr dabei möglicherweise übersehen, wenn ihr von der Theorie ausgeht, dass die Einwanderer beteiligt sind.«

»Wer sagt, dass wir das denken?«, kam es mürrisch.

»Na gut, dann bist du wohl auch nicht an meiner kleinen Information interessiert«, sagte sie süßlich.

»An was für einer Information?«

»Verfolgt ihr die Einwanderertheorie?«, fragte sie direkt.

Er versuchte einen Seufzer zu unterdrücken, aber sie hörte ihn deutlich.

»Wir gehen jedem Hinweis nach.«

»Mit euren eingeschränkten Ressourcen? Wie viele seid ihr im Team? Fünf? Wo ihr zehn sein solltet?«

»Was willst du eigentlich?«, kam die Gegenfrage. Er klang so müde, dass er ihr leidtat.

»Hundehaare. Ich musste daran denken, als ich heute draußen im Bazar Vest war und gesehen habe, wie sie einen Hund weggejagt haben. Du hast gesagt, dass ihr Hundehaare auf der Decke gefunden habt, in die die Frau gewickelt war?«

»Ja, und?«

Sie atmete tief durch. Einen Moment sah sie durch das offene Fenster auf den Telefontorvet hinunter, wo die Straßenverkäufer ihre Stände aufgebaut hatten.

»Dem Koran zufolge ist der Hund ein unreines Tier«, sagte sie schließlich. »Ich glaube nicht, dass viele Moslems einen Hund haben. Zumindest nicht als Haustier.«

Blutzoll: Skandinavien-Krimi

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