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»Das ist der böse Blick.«

Aziz beobachtete seine Mutter, die an der Küchenspüle stand und mit einem Arm in der Luft herumfuchtelte. Sie war klein und rund wie seine Schwester, während er die hohe Gestalt seines Vaters geerbt hatte. Doch nicht zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass er, der Erstgeborene, das Gemüt seiner Mutter und Nazleen das des Vaters mitbekommen hatte. Während er verschlossen und nachdenklich war wie seine Mutter und nie mehr sagte als notwendig, war Nazleen diejenige, die Worte mit Leidenschaft wie Waffen einsetzte.

Nicht dass seine Mutter jetzt, während sie Gemüse putzte, besonders verschlossen und nachdenklich war. Ihre Wortkargheit bedeutete auch nicht, dass sie fügsam und zurückhaltend war. Wenn sie sich erst etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es unmöglich, sie davon abzubringen. So wie jetzt.

»Das ist alles Zufall«, sagte Aziz. »Das hat nichts mit dem bösen Blick zu tun.«

Seine Mutter ließ sich nicht beirren.

»Du hast Erfolg«, bemerkte sie über die Schulter, während sie routiniert eine Mohrrübe schälte. »Es läuft gut mit dem Studium, du bist deinen Eltern ein guter Sohn, und viele süße Mädchen, die eine gute Partie wären, stehen Schlange, um dich als Ehemann zu bekommen.«

Aziz tat sein Bestes, neutral auszusehen. Allein der Gedanke an andere Mädchen als an Rose brachte ihn ins Schwitzen. Er wusste, dass seine Eltern darauf vertrauten, dass er einmal ein moslemisches Mädchen pakistanischer Herkunft heiraten würde. Er wusste auch, dass sie eine ganz Bestimmte im Kopf hatten. Sie hatten das nicht zu entscheiden, aber es war nicht gerade einfach, ihnen das zu erklären.

Sie gab die Möhre in die Schale zu den anderen. Sie fiel mit einem kleinen Plumps ins Wasser.

»So viel Unheil auf einmal«, sagte sie dramatisch.

Mit dem Schälmesser in der Hand begann sie, die Unglücksfälle an ihren fleischigen Fingern abzuzählen. Wie immer, wenn sie am Spülbecken arbeitete, hatte sie die goldenen Ringe ausgezogen und auf die Fensterbank gelegt.

»Erst der Autounfall, dann bist du die Treppe hinuntergefallen und hast dir ein Loch in den Kopf geschlagen, dann hast du deine Brieftasche mit hundert Kronen verloren und jetzt das.«

Sie verdrehte die Augen und machte mit beiden Händen eine beschwörende Geste, sodass ein Stück Mohrrübenschale vom Messer auf den Linoleumboden fiel. Aziz bückte sich und hob es auf.

»Diese Frau, der man das Kind weggenommen hat – möge Allah uns da raushalten –, diese Frau, die man im Hafen gefunden hat.«

»Ich habe damit nichts zu tun. Wir wollten nur in die Disko«, verteidigte er sich.

Aber er hatte die Botschaft verstanden. Wie die meisten Moslems vertrat auch seine Mutter die Ansicht, dass der Tod Unglück mit sich brachte, und wenn man irgendwie mit einem toten Menschen in Verbindung gebracht wurde, war das eine Katastrophe.

»Ich habe eine Opfergabe bestellt«, sagte seine Mutter bestimmt und griff entschlossen nach der nächsten Mohrrübe. »Ich habe mit deinem Vetter in Pakistan vereinbart, dass ich ihm hundert Kronen schicke, damit er zwei Ziegen opfern und das Fleisch in deinem Namen an die Armen verteilen kann.«

Aziz stöhnte. Aber es war sinnlos zu protestieren, das wusste er aus Erfahrung. Außerdem machte es nichts, wenn ein paar arme Teufel Ziegenfleisch auf seine Rechnung bekamen.

»Und dann habe ich noch einen Talisman bestellt«, sagte sie schließlich. »Den musst du immer tragen. Er wird dich vor dem Bösen beschützen.«

»Das hilft nicht. Ich glaube nicht an so etwas«, sagte er.

»Natürlich hilft das.«

Er gab es auf, weiter zu protestieren. Es würde auch nichts bringen. Er konnte genauso gut akzeptieren, dass einer der arabischen Zauberer, die viel Geld damit verdienten, Amulette für gutgläubige moslemische Mütter herzustellen, wieder einmal ein Opfer gefunden hatte. Dieser Aberglaube war nun mal nicht auszurotten. Aber es ärgerte ihn hundertmal mehr als das mit den beiden Ziegen.

Er setzte sich an den Küchentisch und sah eine Weile aus dem Fenster. Er versuchte, seine Gedanken unter Kontrolle zu bekommen und nicht zu viel an Samstagnacht zu denken und an das, was er gesehen hatte. Da war er doch lieber der gute Sohn, nahm Talismane an und hörte sich die Ermahnungen seiner Mütter an. Selbst Nazleens religiöse Predigten waren besser als die Gedanken, die in seinem Kopf hämmerten und ihm den Schädel zu zerschmettern drohten.

»Hast du Hunger?«

»Nicht wirklich.«

Seine Mutter war am Spülbecken fertig und manövrierte ihre breite Gestalt zum Kühlschrank hinüber, aus dem sie einen Teller holte.

Sorgfältig griff sie nach einem Messer und schnitt eine Scheibe Kuchen ab. Sie goss kalten Saft in ein Glas und schob das Ganze vor ihn hin, bevor er Protest einlegen konnte.

»Du brauchst etwas auf die Rippen. Du bist viel zu dünn.«

Er musste lächeln. In ihren Augen befand sich jeder, der nicht ihr selbst glich, im Zustand gefährlicher Unterernährung. Sie nahm sich selbst einen Teller voll und setzte sich hin, während sie den süßen Kuchen genüsslich in sich hineinschaufelte.

Eine überwältigende Zärtlichkeit stieg in ihm auf, und er ertappte sich bei dem Wunsch, den Augenblick festhalten zu können und alles andere für immer auszublenden. Sie war seine Mutter. Nichtsahnend saß sie hier, zufrieden und stolz auf ihren großen Sohn, der an der Universität studierte und es einmal sehr viel weiter bringen sollte als sie und ihr Mann – sein Vater. Denn das musste man ihnen lassen. Im Gegensatz zu so vielen Eltern seiner Kameraden hatten seine Eltern begriffen, dass ihre Kinder in der dänischen Gesellschaft zurechtkommen mussten. Das war wohl auch einer der Gründe gewesen, weswegen sie von Gjellerup fort und nach Viby gezogen waren, obwohl es noch einen anderen Grund gegeben hatte, an den er lieber nicht denken mochte.

»Wo ist Nazleen?«

Er fragte, während er kaute. Er konnte unmöglich das ganze Stück aufessen, doch um ihr eine Freude zu machen, musste er so tun als ob, den Kuchen auf dem Teller ein wenig hin und her schieben und in kleine Stücke zerteilen.

»Auf ihrem Zimmer«, seufzte ihre Mutter. »Sie macht Hausaufgaben.«

»Hat sie sich noch nicht umentschieden?«

Seine Mutter schüttelte energisch den Kopf.

»Du kennst sie doch. Sie ist stur.«

Sie sah ihn bittend an.

»Auf dich würde sie hören. Kannst du nicht mit ihr reden?«

Sie sprach es nicht direkt aus. Das konnte sie sich nicht gestatten. Wie konnte eine gute moslemische Mutter es ihrer Tochter verbieten, das Kopftuch zu tragen? Das war undenkbar.

Aziz trank einen Schluck Saft und wägte das Für und Wider ab. Was tat man, wenn die eigene Schwester die Regeln des Korans befolgen wollte, als wäre sie in einem türkischen Bergdorf aufgewachsen? Obwohl ihre eigene Mutter längst kein Kopftuch mehr trug.

»Es herrscht ein solches Chaos zur Zeit«, sagte seine Mutter und runzelte die Stirn, bevor sie noch ein Stück Kuchen aß. »Es ist nicht gut, zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.«

»Ich werde mit ihr reden«, sagte er. »Später«, fügte er hinzu und stand auf.

»Ich muss noch lernen, Mutter.«

Er beugte sich über sie und küsste sie auf die Stirn, atmete den Duft der Küche und den schwachen Geruch ihres Schweißes ein. Sie war seine Mutter, und er liebte sie über alles. Und das schmerzte ihn, weil er wusste, dass er ihr bald wehtun musste.

Daran dachte er, als er auf sein Zimmer ging und sich aufs Bett legte. Er dachte an Rose und daran, was sie aneinander hatten; an den Blick ihrer Augen und den weichen Mund und die Haut, die wie Marmor schimmerte. Aber vor allem dachte er an Samstagnacht und an das, was er gesehen hatte: das grüne Auto, das um den Container gekreist war, während er und Rose in der Schlange gestanden und damit gerechnet hatten, mit ihren Freikarten hereingelassen zu werden. Es war ein mitgenommener alter Simca mit einem braunen vorderen Kotflügel, der nicht lackiert worden war. Er hatte das unklare Gefühl gehabt, das Auto irgendwoher zu kennen. Und schließlich war es ihm wieder eingefallen, als sie wenige Stunden später zwischen den gaffenden Menschen um die Leiche herumgestanden hatten. Er erinnerte sich an den gewaltigen Stoß in die Magengrube, der sich schnell zu einer Übelkeit ausgewachsen hatte, als ihm klar geworden war, wem das Auto gehörte.

Blutzoll: Skandinavien-Krimi

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