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Wagner starrte verstimmt auf das Telefon.

Dicte Svendsen und ihre Neugier waren nicht gerade das, was er jetzt brauchte.

Er blieb eine Weile sitzen und versuchte zur Ruhe zu kommen, während er darüber nachdachte, was er eigentlich wollte. Vielleicht in seinem Lieblingsstuhl zu Hause sitzen, Bachs Wohltemperiertes Klavier hören und ein kaltes Bier trinken. Oder den verdammten Chip, den Bo Skytte nicht herausrücken wollte und der vielleicht einen kleinen Hinweis geben konnte, in welche Richtung sie ermitteln sollten. Er wusste genau, dass er es nicht Dicte anlasten konnte, wenn ihr Lebensgefährte mit Informationen geizte und wie ein Paragrafenreiter auf dem Gesetz der Pressefreiheit und des Quellenschutzes herumritt. Aber er war auch nur ein Mensch, und er hatte einen scheußlichen Mord aufzuklären. Außerdem war es so verdammt heiß.

Er zog eine Papierserviette aus der Pappschachtel auf dem Schreibtisch und trocknete sich die Stirn. Dann griff er nach dem Wasserglas und trank von der warm gewordenen Brühe.

Vielleicht brauchte er vor allem eine Klimaanlage, damit er endlich wieder klar denken konnte. Er vertrug die Hitze einfach nicht. Schließlich fasste er einen Entschluss, schob den Stuhl zurück und verließ das Büro. Der Fahrstuhl war außer Betrieb, deshalb nahm er die Treppe hoch zur polizeitechnischen Abteilung und drückte außer Atem auf die Klingel. Seine Kondition war schlecht, das wusste er. Aber dass ihm schon bei der kleinsten Anstrengung der Schweiß ausbrach, überraschte ihn doch.

Ohne dass er es verhindern konnte, hörte er wieder seine innere Uhr ticken, und im Geiste sah er den Sekundenzeiger, der sich unbarmherzig bewegte. Er näherte sich der Vierundfünfzig und Wagner war aufmerksamer geworden, was sein Alter, seinen Körper und dessen Verfall anging. Und all der Dinge, die er nicht mehr konnte oder von denen er das Gefühl hatte, sie nicht mehr zu können. Wie zum Beispiel zu Hause mit Alexander auf dem Rasen Fußball zu spielen. Nach ihrem letzten Spiel hatte er sich wie nach einem Marathon gefühlt, so erschöpft war er – und das nicht nur physisch. Vielleicht war das eine Art Krise, überlegte er kurz, schob den Gedanken jedoch schnell wieder beiseite. Er hatte keine Zeit für Krisen.

Die Tür zu der Abteilung im vierten Stock war wie immer geschlossen. Es ging nicht an, dass alle möglichen Leute zwischen Schubladen und Schränken voller Beweismaterial und Ordnern mit zusammengetragenen Spuren herumliefen.

Hinter der Tür hörte er Schritte. Kjeld Haunstrup machte ihm auf.

»Genau dich habe ich gesucht«, sagte Wagner.

Haunstrup hatte rote Haare und glich einem Komiker aus einem alten dänischen Film. Karamellfarbene Sommersprossen zierten seine Stupsnase. Der Mund war breit und fast immer zu einem schelmischen Lächeln langgezogen, wie auch jetzt.

»Ja, dann komm rein.«

Haunstrup trat galant zur Seite und ließ den Gast ins Allerheiligste.

»Habt ihr etwas gefunden?«, fragte Wagner.

Als er die Frage gestellt hatte, wurde ihm klar, dass er genau deshalb gekommen war. Um den Frauenmord im Hafen aufzuklären und nicht, wie er ursprünglich geglaubt hatte, um den Kauf eines Gemäldes für den Kunstverein der Polizei zu diskutieren. Als Vorsitzender dieses Vereins ging Wagner auf Ausstellungen und besuchte Künstler, und hin und wieder musste er seine Entscheidungen mit dem zweiten Vorsitzenden diskutieren. Er hatte dies noch vor der Pressekonferenz erledigen wollen.

Jetzt war er ein wenig verlegen. Er trieb die Kriminaltechniker, die meist ausgezeichnete Arbeit leisteten, gewöhnlich nicht zur Eile an, doch Haunstrup schien nichts gegen seine Frage zu haben.

»Nicht viel, tut mir leid. Aber etwas finden wir immer.«

Letzteres sagte er aus reiner Höflichkeit, das wusste Wagner. Um ihn nicht total zu enttäuschen.

Sie gingen zusammen den Gang hinunter. In diesen wenigen Sekunden nahm Wagner die besondere Atmosphäre der technischen Abteilung in sich auf.

Einst hatte er selbst mit dem Gedanken gespielt, sich zum Techniker weiterbilden zu lassen. Der Job gefiel ihm, und er hatte Sinn für Ordnung, doch das Talent fürs Praktische, das auch dazu nötig war, fehlte ihm. Man musste ein wenig von einem Handwerker haben und man musste gut mit den Zahlen sein. Alles wurde von vorne bis hinten nummeriert, denn hier ging es um Beweismaterial, das vor Gericht Bestand haben musste, und es wäre fatal, zwei Spermaproben in einem Vergewaltigungsdelikt zu vertauschen oder einen falschen Fingerabdruck an die Abteilung in Kopenhagen zu schicken. Und wenn die Gerichte erst einmal Schlamperei witterten, wirkte sich das auf den eigenen Ruf aus. Es war nun einmal so, dass den Ergebnissen der Techniker vor Gericht ungeheures Gewicht beigemessen wurde.

»Ich habe mir gerade einen Beutel aus dem Drogenfund letzte Woche vorgenommen.«

»Du meinst die Sache in der Munkegade?«

Haunstrup nickte.

»Ich habe einen brauchbaren Abdruck gefunden.«

Er öffnete die Tür zu dem Raum, in dem der Bedampfungsschrank stand. Wagner war schon viele Male dort gewesen, und wie immer imponierte ihm das System. In dem Schrank hingen einige harmlos aussehende Beutel mit weißem Pulver. Alle waren nummeriert. Eine weiße Haut hatte sich wie Mehlstaub auf die Beutel gelegt. Er wusste, dass dies passierte, wenn die Feuchte im Schrank eingeschaltet wurde und demineralisiertes Wasser eine Verbindung mit den Dämpfen einging. Die Bedampfungsmethode wurde vor allem angewandt, um Fingerabdrücke auf Plastik und lackiertem Holz zu sichern, wie zum Beispiel dem Schaft einer Axt. Bei rohem Holz war es komplizierter. Hier wurde die Ninhydrin-Methode angewandt und das Holz in ein chemisches Bad gelegt.

Haunstrup öffnete den Schrank und holte einen Beutel heraus. Er hielt ihn sorgfältig am Bügel fest und fasste ihn nicht an.

»Schau es dir selbst an.«

Er zeigte auf etwas. Wagner suchte den Staub ab und hatte Schwierigkeiten, das Muster eines Fingerabdrucks zu erkennen. Vielleicht brauchte er doch eine Brille.

»Genau da.«

Plötzlich sah er es. Ganz deutlich. Winzige Wirbel schlängelten sich ineinander, bis sie sich in einer kleinen Spirale in der Mitte trafen.

»Schön«, sagte er und wünschte, das wäre sein Fall. Es bedeutete immer einen Durchbruch, wenn ein brauchbarer Fingerabdruck gesichert werden konnte. In der Regel ließ sich damit ein Verdächtiger beim Verhör festnageln. Es sei denn, man hatte es mit einem Rocker zu tun. Die sagten nie etwas.

Alle hatten von dem Rauschgiftfund gehört. Die Polizei hatte einen brauchbaren Tipp bekommen und eine Wohnung im Zentrum von Århus durchsucht. Man hatte über ein Kilo Heroin und einiges an Hehlerware gefunden. In der Wohnung wohnte ein Libanese.

»Habt ihr in dem Rauschgiftfall noch etwas anderes entdeckt?«

Haunstrup zuckte leicht mit den Schultern.

»Nicht viel. Nur ein paar Haare. Wie gewöhnlich, hätte ich beinahe gesagt. Es findet sich ja fast immer etwas, wenn man genauer hinsieht.«

»Und in dem anderen Fall? Dem Mord im Hafen?«

»Das Gleiche. Ein paar Fasern auf der Decke, das ist alles. Nichts Spektakuläres.«

»Von Tieren oder von Menschen?«

»Beides, denke ich«, antwortete Haunstrup. »Wir haben alles an die Morphologen nach Kopenhagen geschickt, eine Probe sah aus wie Struppis Haare.«

»Struppis Haare?«

Haunstrup lachte sein Mick-Jagger-Lachen.

»Unser Hund. Ein Drahthaarfox.«

Er nahm einen Umschlag und steckte den Beutel mit dem Fingerabdruck hinein.

»Jetzt können die in der Hauptstadt sich den Kopf darüber zerbrechen.«

Wagner stand auf. Er nickte in Richtung des Umschlags.

»Ich hoffe, er ist registriert.«

Haunstrup kreuzte Zeigefinger und Mittelfinger und hob sie beschwörend hoch. Wagner wusste, wie wichtig das war. Wenn die Fingerabdrücke des Täters im Archiv des CFI, des Zentralbüros für Identifikation, waren, war die Chance groß, dass sie ihn kriegten. Wenn nicht, halfen ihnen die Fingerabdrücke so gesehen gar nichts, es sei denn, sie hatten einen Verdächtigen.

»Hast du dir die Kvium-Ausstellung angesehen?«, fragte Haunstrup, während er ein Formular ausfüllte, das dem Beutel beigefügt werden sollte.

»Ja«, sagte Wagner und spürte plötzlich wieder die Müdigkeit. »Darüber wollte ich eigentlich mit dir sprechen. Eins der Bilder können wir vielleicht zu einem erschwinglichen Preis bekommen. Du solltest es dir ansehen.«

Haunstrup machte einen leicht gehetzten Eindruck.

»Wir haben alle Hände voll zu tun. Aber der Künstler hat einen guten Namen, und wenn der Preis in Ordnung ist, kannst du ruhig ja sagen. Ich bringe dich hinaus«, fügte er hinzu.

Auf dem Weg den Gang hinunter kamen sie an der Tafel mit den verschiedenen Seilen und Knoten vorbei. Wagner dachte kurz an einen anderen schwierigen Fall, den er früher im Jahr bearbeitet hatte. Die Schwester von Dicte Svendsens Nachbarin war mit einem Seil um den Hals und einer Axt im Kopf im Moor von Kasted gefunden worden. Die Ermittlungen waren zunächst nur schwer vorangekommen, doch verschiedene Spuren, die die technische Abteilung sichergestellt hatte, hatten schließlich zur Lösung des Falls geführt. Vielleicht würde es auch diesmal so sein, dachte er hoffnungsvoll. Vielleicht würde ein Wunder geschehen, die unglückselige Frau aus dem Hafen konnte identifiziert werden, und die Verantwortlichen würden verurteilt werden.

Haunstrup schien seine Gedanken zu lesen.

»Das ist schlimm, was da im Hafen passiert ist. Die Obduktion war ein Schock, nicht?«

Wagner schauderte. Er mochte gar nicht daran denken. Er und Hansen hatten zugesehen, wie Gormsen die Frau aufgeschnitten und getan hatte, was er am besten konnte. Bei dem Resultat lief es ihm noch immer kalt den Rücken hinunter.

Er sah Haunstrup an.

»Es ist mir egal, wie wenig du hast. Auch wenn es nur ein mikroskopisches Partikel von einem Haar oder ein Krümel von einem Brötchen ist. Wir müssen diese Teufel kriegen – so schnell wie möglich.«

Haunstrup schien nicht überrascht, weder über den Tonfall noch über das leichte Zittern in seiner Stimme. Er legte Wagner freundschaftlich eine Hand auf die Schulter.

»Ich kümmere mich darum. Wir nehmen uns die Decke noch einmal vor«, versprach er.

Blutzoll: Skandinavien-Krimi

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