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KAPITEL VII

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Der Vormittag wurde glühend heiß. In diesem weiten Felsenrund entzündete die Sonne gleich in den ersten schönen Tagen die Weißglut eines Schmelzofens. Abbé Mouret erkannte am hohen Stand des Gestirns, daß er gerade noch Zeit hatte, zum Pfarrhaus zurückzukehren, wenn er um elf Uhr dasein wollte, damit ihn die Teuse nicht ausschalt. Nachdem er sein Brevier gelesen und bei Bambousse vorgesprochen hatte, ging er eiligen Schrittes zurück und schaute dabei in die Ferne auf den grauen Fleck seiner Kirche mit dem hohen schwarzen Balken, den die große Zypresse, die Einsiedlerin, auf das Blau des Horizontes zeichnete. In der einschläfernden Hitze dachte er daran, wie er am Abend möglichst üppig die Marienkapelle für die Maiandachten ausschmücken könnte. Der Weg entrollte vor ihm einen für die Füße weichen Staubteppich, eine Reinheit von strahlendem Weiß.

Als der Abbé bei dem Feld La Croix-Verte die Straße überqueren wollte, die von Plassans nach La Palud führt, zwang ihn ein zweirädriges Wägelchen, das den Abhang herabkam, hinter einen Steinhaufen auszuweichen. Er ging quer über die Kreuzung, als ihn eine Stimme anrief:

„He, Serge! He, mein Junge!“

Das Wägelchen hatte angehalten, ein Mann beugte sich heraus. Da erkannte der junge Priester einen seiner Onkel, Doktor Pascal Rougon, den das Volk von Plassans, wo er die armen Leute umsonst behandelte, kurzweg „Herr Pascal“ nannte. Obgleich er kaum die Fünfzig überschritten hatte, war er schon schneeweiß, mit seinem großen Bart und seinem vollen Haar, von dem umrahmt sein schönes regelmäßiges Gesicht einen gütigen, durchgeistigten Ausdruck annahm.

„Um diese Zeit tapst du hier im Staub herum, du!“ sagte er fröhlich und beugte sich dabei noch weiter vor, um dem Abbé beide Hände zu drücken. „Hast du denn keine Angst vor einem Sonnenstich?“

„Nicht mehr als Ihr, Onkel“, erwiderte der Priester lachend.

„Oh, ich! Ich habe das Verdeck meines Wagens. Außerdem können die Kranken nicht warten. Gestorben wird bei jedem Wetter, mein Junge.“ Und er erzählte ihm, daß er zum alten Jeanbernat fahre, dem Verwalter vom Paradou, den in der Nacht der Schlag getroffen habe. Ein Nachbar, ein Bauer, der nach Plassans zum Markt fuhr, habe ihn geholt. „Zur Stunde wird er wohl schon tot sein“, fuhr er fort. „Na ja, man muß schon mal nachsehen . . . Diese alten Teufelskerle haben ein mächtig zähes Leben.“

Er hob schon die Peitsche, als Abbé Mouret ihn zurückhielt. „Wartet . . . Wie spät habt Ihr es, Onkel?“

„Drei Viertel elf.“

Der Abbé zögerte. Er hörte die schreckliche Stimme der Teuse an seine Ohren klingen, die ihm zuschrie, das Mittagessen würde kalt. Aber tapfer sagte er rasch:

„Ich fahre mit Euch, Onkel . . . Dieser Unglückliche möchte sich vielleicht in seiner letzten Stunde mit Gott versöhnen.“

Doktor Pascal konnte ein schallendes Gelächter nicht unterdrücken.

„Der! Der Jeanbernat!“ sagte er. „Das ist gut! Wenn du den jemals bekehrst! – Das macht nichts, komm nur immer mit. Allein dein Anblick ist imstande, ihm auf die Beine zu helfen.“

Der Priester stieg ein. Der Doktor, der seinen Scherz zu bedauern schien, zeigte sich sehr herzlich, während er das Pferd durch leichtes Zungenschnalzen antrieb. Aus dem Augenwinkel betrachtete er neugierig seinen Neffen mit jenem scharfen Blick von Gelehrten, die sich etwas einprägen. Gutmütig stellte er ihm kurze Fragen über sein Leben, über seine Gewohnheiten, über das ruhige Glück, das er in Les Artaud genoß. Und bei jeder befriedigenden Antwort murmelte er in beruhigtem Ton, als spräche er zu sich selber:

„Na, um so besser, das ist vortrefflich.“

Er fragte besonders eindringlich nach dem gesundheitlichen Befinden des jungen Pfarrers.

Erstaunt versicherte ihm dieser, es ginge ihm ausgezeichnet, er habe weder Schwindelanfälle noch Übelkeit noch Kopfschmerzen.

„Vortrefflich, vortrefflich“, wiederholte Onkel Pascal. „Im Frühling, weißt du, arbeitet das Blut. Aber du, du bist kräftig . . . Dabei fällt mir ein, ich habe deinen Bruder Octave im vergangenen Monat in Marseille gesehen. Er geht nach Paris, er soll dort unten eine schöne Stellung in der besseren Geschäftswelt bekleiden. Ach, der fidele Kerl! Er führt ein hübsches Leben.“

„Was für ein Leben?“ fragte unbefangen der Priester.

Um eine Antwort zu vermeiden, schnalzte der Doktor mit der Zunge. Dann begann er von neuem:

„Kurzum, allen geht es gut, deiner Großmutter, deinem Großvater und den anderen . . . Das hindert nicht, daß wir deiner Gebete wohl bedürfen. Du bist der Heilige in der Familie, mein Bester; ich zähle darauf, daß du die ewige Seligkeit für die ganze Bande erwirkst.“ Er lachte, doch so freundschaftlich, daß sogar Serge zum Scherzen aufgelegt wurde. „Es gibt nämlich welche in dem Haufen“, fuhr er fort, „die nicht leicht ins Paradies zu bringen sein werden. Du würdest schöne Beichten hören, wenn sie alle der Reihe nach kämen . . . Mir brauchen sie nicht zu beichten, ich verfolge ihr Leben von weitem, ich habe ihre Sündenregister zu Hause bei meinen Pflanzensammlungen und Krankheitsgeschichten. Eines Tages werde ich eine hochinteressante übersichtliche Darstellung geben können . . . Man wird ja sehen, man wird ja sehen!“ Er vergaß sich, von jugendlicher Begeisterung für die Wissenschaft erfaßt. Ein kurzer Blick, den er auf die Soutane seines Neffen warf, bewog ihn, jäh innezuhalten.,,Du, du bist Pfarrer“, murmelte er, „du hast recht getan, man ist sehr glücklich als Pfarrer. Das hat dich ganz und gar gepackt, nicht wahr? So daß du dich nun dem Guten zugewandt hast . . . Geh, du hättest niemals woanders Genüge gefunden. Deine Verwandten, die wie du loszogen, mögen noch so viele Gemeinheiten begangen haben, sie haben noch immer keine Befriedigung gefunden … Das ist alles logisch, mein Junge. Ein Priester vervollständigt die Familie. Übrigens mußte das so sein. Mit unserem Blut mußte es schließlich dahin kommen . . . Um so besser für dich, du hast das meiste Glück gehabt.“ Doch er verbesserte sich seltsam lächelnd. „Nein, deine Schwester Désirée hat das meiste Glück gehabt.“ Er pfiff, versetzte den Pferden einen Peitschenhieb und wechselte das Gesprächsthema.

Nachdem das Wägelchen einen ziemlich steilen Hang hinaufgefahren war, rollte es zwischen trostlosen Schluchten rasch dahin; dann gelangte es auf eine Hochebene, in einen Hohlweg und fuhr an einer endlosen hohen Mauer entlang.

Les Artaud war verschwunden; die beiden waren mitten in der Einöde.

„Wir sind wohl bald da, nicht wahr?“ fragte der Priester.

„Dies hier ist das Paradou“, entgegnete der Doktor, auf die Mauer deutend. „Bist du denn noch nie hierhergekommen? Wir sind nicht eine Meile von Les Artaud entfernt . . . Ein Besitztum, das prachtvoll gewesen sein muß, dieses Paradou. Die Mauer des Parks ist auf dieser Seite wohl zwei Kilometer lang. Aber seit mehr als hundert Jahren wächst hier alles, wie es will.“

„Was für schöne Bäume“, bemerkte der Priester und hob den Kopf, überrascht von den Massen überströmenden Grüns.

„Ja, dieses Fleckchen hier ist sehr fruchtbar. Daher ist der Park auch ein wahrer Wald inmitten der kahlen Felsen, die ihn umgeben . . . Übrigens entspringt dort der Mascle. Er soll drei oder vier Quellen haben, wie man mir gesagt hat.“ Und in abgehackten Sätzen, unterbrochen von Zwischenbemerkungen, die nichts damit zu tun hatten, erzählte er die Geschichte des Paradou, eine Art Legende, die in der Gegend umging. Zur Zeit Ludwigs XV. hatte sich hier ein adliger Herr einen prächtigen Palast gebaut mit riesigen Gärten, Wasserbecken, Springbrunnen, Statuen, ein regelrechtes kleines Versailles, das sich zwischen die Steine unter der heißen Sonne des Südens verirrt hatte. Aber er hatte hier nur einen Sommer verbracht, in Gesellschaft einer anbetungswürdig schönen Frau, die zweifellos dort gestorben war, denn niemand hatte sie wieder herauskommen sehen. Im folgenden Jahr brannte das Schloß nieder, die Parktore wurden zugenagelt, selbst die Schießscharten in den Mauern füllten sich mit Erde; so kam es, daß seit jener fernen Zeit niemand mehr einen Blick in dieses weitläufige Gehege geworfen hatte, das eine der Hochebenen der Garrigues gänzlich einnahm.

„An Brennesseln wird es darin nicht fehlen“, sagte lachend Abbé Mouret. „Längs der ganzen Mauer riecht es nach Feuchtigkeit, findet Ihr nicht, Onkel?“ Nach einem Schweigen fragte er dann: „Und wem gehört das Paradou jetzt?“

„Meiner Treu, man weiß es nicht“, antwortete der Doktor. „Der Besitzer ist vor etwa zwanzig Jahren mal hergekommen. Aber er war so entsetzt über dieses Natternnest, daß er nicht wieder aufgetaucht ist . . . Der eigentliche Herr ist der Wächter des Besitztums, dieses alte Original, der Jeanbernat, der Mittel und Wege gefunden hat, sich in einem Gartenhaus einzurichten, dessen Steine noch zusammenhalten . . . Da, siehst du, dieses alte graue Gemäuer da unten mit den großen von Efeu überwucherten Fenstern.“

Das Wägelchen fuhr an einem herrschaftlichen Gittertor vorbei, das vom Rost blutrot und innen mit Brettern vernagelt war. Die Wolfsgruben waren schwarz von Brombeeren. Etwa hundert Meter weiter stand das von Jeanbernat bewohnte Gartenhaus, das mit der Rückwand an den Park grenzte. Doch schien der Wächter seine Behausung auf dieser Seite verrammelt zu haben; er hatte einen schmalen Garten auf der Straßenseite angelegt; dort auf der Südseite lebte er und kehrte dem Paradou den Rücken zu, ohne daß er die überwältigende Fülle des Grüns, das hinter ihm alles überflutete, zu ahnen schien.

Der junge Priester sprang ab, sah sich neugierig um und erkundigte sich bei dem Arzt, der sich beeilte, das Pferd an einem in die Mauer eingelassenen Ring anzubinden.

„Und dieser Greis lebt allein in dem verlorenen Loch hier?“ fragte er.

„Ja, vollkommen allein“, erwiderte Onkel Pascal. Doch er verbesserte sich: „Er hat eine Nichte bei sich, die ihm unvermutet übern Hals gekommen ist, ein drolliges Mädchen, ein Wilde . . . Beeilen wir uns. Es sieht aus, als ob in dem Haus alles tot ist.“

Die Sünde des Abbé Mouret

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