Читать книгу Die Sünde des Abbé Mouret - Эмиль Золя, Emile Zola, Еміль Золя - Страница 5

KAPITEL I

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Die Teuse stellte beim Eintreten ihren Besen und ihren Flederwisch an den Altar. Sie hatte sich etwas verspätet, weil sie die Halbjahreswäsche einweichen mußte. Sie durchquerte die Kirche, um das Angelus 1 zu läuten; in ihrer Eile hinkte sie noch mehr und riß die Kirchenstühle um.

Neben dem Beichtstuhl hing das Glockenseil von der Decke herab, nackt, abgewetzt, mit einem dicken Knoten am Ende, der vom Zugreifen so vieler Hände speckig geworden war; und in regelmäßigen Rucken zog sie an dem Seil, hängte sich mit ihrer ganzen Leibesfülle daran, ließ sich dann mitschwingen, rollte gleichsam in ihren Röcken hin und her; dabei saß ihr die Haube schief auf dem Kopf, und das Blut brachte ihr breites Gesicht schier zum Bersten.

Nachdem die Teuse ganz außer Atem ihre Haube mit einem leichten Klaps wieder zurechtgerückt hatte, kehrte sie zurück und fegte vor dem Altar noch einmal kurz aus. Hier setzte sich der Staub jeden Tag hartnäckig zwischen den schlecht aneinandergefügten Bohlen fest. Der Besen durchstöberte die Ecken mit gereiztem Brummen. Sie nahm dann die Decke vom Altartisch und ärgerte sich, als sie feststellte, daß das große obenauf liegende Tuch, das schon an die zwanzig Mal ausgebessert war, ausgerechnet in der Mitte eine neue schadhafte Stelle hatte; man konnte das doppelt gelegte zweite Tuch sehen, das so hauchdünn, so durchsichtig war, daß der geweihte Stein durchschimmerte, der in den Altar aus bemaltem Holz eingelassen war. Sie klopfte den Staub von diesem durch den Gebrauch vergilbten Linnen, fuhr mit dem Flederwisch nachdrücklich den Altaraufsatz entlang, an den sie wieder die Kanontafeln stellte. Sie stieg auf einen Stuhl und befreite sodann das Kreuz und zwei der

Leuchter von ihren gelben Kattunüberzügen. Das Kupfer war mit matten Flecken übersprenkelt.

„Na“, murmelte die Teuse halblaut, „die haben eine Säuberung verflixt nötig! Die muß ich mit Putzzeug blank reiben.“

Sie humpelte, verrenkte sich dabei fast die Hüften und trat mit einem Bein so heftig auf, daß die Fliesen hätten zerbrechen können, als sie dann das Meßbuch aus der Sakristei holte, das sie, ohne es zu öffnen, auf das Pult auf der Epistelseite stellte, den Schnitt der Mitte des Altars zugekehrt. Und sie zündete die beiden Kerzen an. Dann nahm sie ihren Besen, blickte sich noch einmal um, um sich zu vergewissern, daß der Haushalt des lieben Gottes gut aufgeräumt war. Die Kirche schlief; nur das Glockenseil neben dem Beichtstuhl schaukelte noch zwischen Gewölbe und Fußboden mit langen, geschmeidigen Bewegungen.

Abbé Mouret war soeben in die Sakristei heruntergekommen, einen kleinen kalten Raum, der vom Eßzimmer nur durch einen Flur getrennt war.

„Guten Morgen, Herr Pfarrer“, sagte die Teuse und stellte ihren Besen weg. „Na, heute früh haben Sie aber gefaulenzt! Wissen Sie, daß es Viertel sieben ist?“ Und ohne dem jungen Priester, der lächelte, Zeit zum Antworten zu lassen, fuhr sie fort: „Ich muß Sie ausschelten. Die Altardecke hat schon wieder Löcher. So ein Unverstand! Wir haben nur eine zum Wechseln, und seit drei Tagen verderbe ich mir schier die Augen damit, sie auszubessern . . . Wenn Sie so weitermachen, wird der arme Jesus schließlich noch ganz nackt und bloß sein.“

Abbé Mouret lächelte noch immer. Er sagte fröhlich:

„Jesus braucht nicht soviel Wäsche, meine gute Teuse, ihm ist immer warm, er wird immer königlich empfangen, wenn man ihn nur recht liebhat.“ Dann ging er auf ein kleines Waschbecken zu und fragte: „Ist meine Schwester aufgestanden? Ich habe sie nicht gesehen.“

„Mademoiselle Désirée ist schon lange unten“, erwiderte die Magd, die vor einer alten Anrichte kniete, in der die geweihten Gewänder verwahrt wurden. „Sie ist schon bei ihren Hühnern und ihren Kaninchen . . . Sie hat gestern auf Küken gewartet, die nicht gekommen sind. Sie können sich ja vorstellen, was für eine Aufregung das ist!“ Sie unterbrach sich und sagte: „Das goldene Meßgewand, nicht wahr?“

Der Priester, der sich andächtig die Hände gewaschen hatte, wobei seine Lippen ein Gebet murmelten, nickte.

Die Pfarre besaß nur drei Meßgewänder, ein violettes, ein schwarzes und eins aus Goldstoff. Dieses Goldstoffgewand, dessen man sich an den Tagen bediente, an denen Weiß, Rot oder Grün vorgeschrieben war, nahm eine außergewöhnliche Bedeutung an. Die Teuse hob es gottesfürchtig von dem mit blauem Papier bespannten Brett, auf das sie es nach jeder heiligen Handlung bettete; sie legte es auf die Anrichte und nahm vorsichtig die feinen Leinentücher fort, die die Stickereien schützten. Ein goldenes Lamm schlief dort auf einem goldenen Kreuz, umgeben von breiten goldenen Strahlen. Der in den Falten zerschlissene Stoff ließ winzige Fusseln herabfallen; die erhabenen Ornamente waren vom Zahn der Zeit angenagt und schwanden dahin. Im Hause umgab man dieses Meßgewand mit ständiger Sorge, mit schreckerfüllter Zärtlichkeit, da man sah, wie es so Goldfaden um Goldfaden zerfiel. Der Pfarrer mußte es fast täglich anlegen. Und wenn einmal die letzten Goldfäden abgenutzt waren, wie sollte man es dann ersetzen, wie die drei Meßgewänder kaufen, an deren Stelle es benutzt wurde.

Die Teuse breitete über dem Meßgewand die Stola, die Manipel, das Zingulum, die Albe und das Schultertuch aus. Doch sie schwatzte weiter, wobei sie ihre ganze Aufmerksamkeit darauf wandte, die Manipel kreuzweise über die Stola zu legen und das Zingulum wie eine Girlande anzuordnen, so daß es den verehrten Anfangsbuchstaben des heiligen Namens Maria bildete.

„Es taugt nicht mehr viel, dieses Zingulum“, murmelte sie. „Sie werden sich entschließen müssen, ein neues zu kaufen, Herr Pfarrer . . . Das ist nicht so schlimm, ich würde Ihnen gern selber eins weben, wenn ich nur Hanf hätte.“

Abbé Mouret antwortete nicht. Er bereitete auf einem kleinen Tisch den Kelch vor, einen großen alten Kelch aus vergoldetem Silber mit einem Bronzefuß, den er soeben hinten aus einem billigen Holzschrank hervorgeholt hatte, in dem die geweihten Gefäße und Tücher, das heilige Öl, die Meßbücher, die Leuchter und die Kreuze eingeschlossen waren. Er legte ein sauberes Kelchtüchlein über den Kelch, stellte auf dieses Tüchlein die Patene aus vergoldetem Silber, die eine Hostie enthielt und die er wiederum mit einer kleinen Palla bedeckte. Als er den Kelch verhüllte, indem er die beiden Falten des Velums aus Goldstoff, aus dem gleichen wie das Meßgewand, erfaßte, rief die Teuse: „Warten Sie, es ist kein Korporale in der Bursa . . . Ich habe gestern abend alle schmutzigen Kelchtüchlein, Pallas und Korporale genommen, um sie zu waschen, extra natürlich, nicht mit der Wäsche . . . Ich habe es Ihnen noch nicht gesagt, Herr Pfarrer: Ich habe eben die Wäsche eingeweicht. Sie ist ganz schön schmutzig! Sie wird besser werden als letztes Mal.“

Und während der Priester ein Korporale in die Bursa schob und die mit einem goldenen Kreuz auf goldenem Grund verzierte Bursa auf das Velum legte, fuhr sie munter fort:

„Übrigens, das hätte ich ja bald vergessen! Vincent, dieser Schlingel, ist nicht gekommen. Soll ich ministrieren, Herr Pfarrer?“

Der junge Priester sah sie streng an.

„Nun! Das ist keine Sünde“, redete sie weiter mit ihrem gutmütigen Lächeln. „Ich habe schon einmal zur Zeit von Herrn Caffin bei der Messe ministriert. Ich ministriere besser als diese Lausbuben, die wegen einer Fliege, die in der Kirche herumfliegt, wie Heiden lachen . . . Lassen Sie man gut sein, mag ich auch eine Haube tragen, sechzig Jahre alt sein und dick wie ein Turm, ich achte den lieben Gott mehr als dieses Gesindel, diese Kinder, die ich erst neulich wieder überrascht habe, als sie hinter dem Altar Bockspringen machten.“

Der Priester sah sie weiter an und schüttelte ablehnend den Kopf.

„Ein Nest, dieses Dorf“, brummte sie. „Keine hundertfünfzig Seelen . . . Es gibt Tage wie heute, da würden sie keinen Menschen in Les Artaud finden. Selbst die Wickelkinder gehen in die Weinberge! Was die bloß alle in den Weinbergen machen, du liebe Güte! Weinstöcke, die unter den Kieselsteinen hervorwachsen und ausgetrocknet sind wie Disteln! Und eine gottverlassene Gegend ist das, eine Meile von jeder Landstraße entfernt! – Wenn nicht ein Engel herabsteigt, um bei Ihrer Messe zu ministrieren, Herr Pfarrer, werden Sie nur mich haben, wahrhaftig, oder eines der Kaninchen von Mademoiselle Désirée, mit Verlaub zu sagen!“

Doch gerade in diesem Augenblick stieß Vincent, der Jüngste von Brichets, leise die Tür der Sakristei auf. Seine struppigen roten Haare, seine schmalen, funkelnden Augen ärgerten die Teuse.

„Aha, da ist ja der gottlose Bengel!“ rief sie. „Ich möchte wetten, daß er irgendwas ausgefressen hat! – Na, komm schon, Lausejunge, wo doch der Herr Pfarrer Angst hat, daß ich den lieben Gott schmutzig mache!“

Als Abbé Mouret den Jungen sah, nahm er das Schultertuch. Er küßte das gestickte Kreuz in seiner Mitte, legte das Tuch einen Augenblick auf sein Haupt; dann schlug er es über den Kragen seiner Soutane zurück, legte die Bänder übereinander und band sie fest, das rechte über das linke. Danach streifte er, mit dem rechten Arm beginnend, die Albe über, das Sinnbild der Reinheit. Vincent, der sich niedergehockt hatte, rutschte um ihn herum, zupfte die Albe zurecht und paßte darauf auf, daß sie auf allen Seiten gleichmäßig herabfiel, bis auf zwei Fingerbreit vom Boden. Dann reichte er dem Priester das Zingulum, der es sich fest um die Lenden schlang, um so an die Fesseln zu erinnern, mit denen der Erlöser in seiner Passion beladen war.

Die Teuse blieb stehen, war eifersüchtig, gekränkt und bemühte sich zu schweigen; doch sie konnte es sich nicht verkneifen, gleich wieder anzufangen:

„Bruder Archangias war da . . . Kein Kind ist heute bei ihm in der Schule gewesen. Er ist wie ein Windstoß davongebraust, um diesem Kroppzeug in den Weinbergen die Ohren langzuziehen . . . Sie müßten mal zu ihm gehen. Ich glaube, er hat Ihnen etwas zu sagen.“

Abbé Mouret gebot ihr mit der Hand Schweigen. Er hatte die Lippen nicht mehr aufgetan. Er sprach die heiligen Gebete, während er die Manipel nahm und sie küßte, bevor er sie unterhalb des Ellbogens über seinen linken Arm legte, als ein Zeichen, das das Wirken der guten Werke anzeigte, und während er die Stola, das Sinnbild seiner Würde und seiner Macht, nachdem er sie gleichfalls geküßt hatte, auf seiner Brust übereinanderlegte.

Die Teuse mußte Vincent helfen, das Meßgewand zu befestigen, das sie mit Hilfe dünner Bänder festband, so daß es nicht nach hinten zurückrutschen konnte.

„Ach herrje! Ich habe die Meßkännchen vergessen!“ stammelte sie und stürzte zu der Anrichte. „Los, schnell, du Schlingel!“

Vincent füllte die Meßkännchen, kleine Fläschchen aus ungeschliffenem Glas, während sie sich beeilte, ein sauberes Lavabotuch aus einem Schubfach zu nehmen.

Abbé Mouret, der den Kelch mit der linken Hand am Knauf hielt, die Finger der rechten Hand auf der Bursa, grüßte tief, ohne sein Barett abzunehmen, ein schwarzes Holzkruzifix, das über der Anrichte hing. Der Junge verneigte sich ebenfalls; die mit dem Lavabotuch bedeckten Meßkännchen in der Hand, verließ er dann als erster die Sakristei, gefolgt von dem Priester, der die Augen gesenkt hielt und in tiefer Andacht dahinschritt.

Die Sünde des Abbé Mouret

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