Читать книгу Die Sünde des Abbé Mouret - Эмиль Золя, Emile Zola, Еміль Золя - Страница 16

KAPITEL XII

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Bruder Archangias aß jeden Donnerstag im Pfarrhaus zu Abend. Gewöhnlich kam er zeitig, um sich über die Gemeinde zu unterhalten. Er war es, der seit drei Monaten den Abbé auf dem laufenden hielt, ihn über das ganze Tal unterrichtete. Während sie an jenem Donnerstag darauf warteten, daß die Teuse sie rief, gingen sie mit gemächlichen Schritten vor der Kirche auf und ab. Als der Priester von seiner Zusammenkunft mit Bambousse erzählte, war er sehr überrascht, zu hören, daß der Bruder die Antwort des Bauern ganz natürlich fand.

„Er hat recht, dieser Mann“, sagte der Ignorantiner. „Man gibt sein Hab und Gut nicht einfach so hin . . . Die Rosalie ist nicht viel wert; aber es ist immer hart, mit anzusehen, wie die eigene Tochter sich einem Habenichts an den Hals wirft.“

„Trotzdem“, begann Abbé Mouret wieder, „kann nur die Heirat dieses Ärgernis aus der Welt schaffen.“

Der Bruder zuckte mit den kraftvollen Schultern. Er lachte beunruhigend.

„Wenn Sie glauben“, rief er, „daß Sie mit dieser Heirat die Gegend retten können! – Bevor zwei Jahre um sind, wird Catherine schwanger sein; dann werden die anderen kommen, alle werden sie dran glauben müssen. Sobald sie heiratsfähig sind, pfeifen sie auf die Leute . . . Diese Artauds wachsen aus den unehelichen Verhältnissen wie aus ihrem eigenen Dung. Es gäbe nur ein Heilmittel, ich habe es Ihnen gesagt, nämlich den Weibern den Hals umdrehen, wenn man nicht will, daß die Gegend vergiftet wird . . . Keinen Mann sollten sie kriegen, sondern Stockschläge, Herr Pfarrer, Stockschläge!“ Er beruhigte sich und fügte hinzu: „Lassen wir jeden über sein Hab und Gut verfügen, wie er es für richtig hält.“ Und er sprach von einer Regelung der Katechismusstunden.

Doch Abbé Mouret antwortete zerstreut. Er betrachtete das Dorf zu seinen Füßen im Sonnenuntergang. Die Bauern kehrten heim, stumme Männer, die langsam dahingingen mit dem Schritt abgerackerter Zugochsen, die zum Stall zurückkehren. Vor den baufälligen Häusern standen die Frauen und riefen sich etwas zu, unterhielten sich laut von einer Tür zur anderen, während Scharen von Kindern sich anrempelten, sich überkugelten, sich herumsielten und dabei die Straße mit dem Geklapper ihrer groben Schuhe erfüllten. Ein Geruch nach Mensch stieg von diesem Haufen wackliger Häuser auf. Und der Priester glaubte sich immer noch auf Désirées Wirtschaftshof angesichts eines Gewimmels sich unaufhörlich vermehrender Tiere. Hier fand er dieselbe Zeugungswärme, das gleiche fortwährende Gebären, das er mit Unbehagen verspürt hatte. Da er sich seit dem Morgen mit dieser Geschichte von Rosalies Schwangerschaft befaßte, mußte er schließlich an all das denken, an den Schmutz des Daseins, an das Drängen der fleischlichen Begierden, an die schicksalhafte Fortpflanzung der Gattung, die Menschen wie Getreidekörner sät. Die Artauds waren eine Herde, die zwischen die vier den Horizont begrenzenden Hügel eingepfercht war, die dort zeugte und sich bei jedem Wurf ihrer Weibestiere immer weiter über den Boden ausbreitete.

„Da!“ rief Bruder Archangias, der sich unterbrach, um auf ein großes Mädchen zu zeigen, das sich hinter einem Strauch von seinem Liebsten küssen ließ, „da ist schon wieder so eine Hure, da drüben!“ Er fuchtelte mit seinen langen schwarzen Armen, bis er das Paar in die Flucht getrieben hatte.

In der Ferne erstarb über der roten Erde, über den kahlen Felsen die Sonne im letzten Aufflammen einer Feuersbrunst. Allmählich sank die Nacht herab. Der warme Duft der Lavendelbüsche wurde frischer, von aufkommenden leisen Winden herübergeweht. Für Augenblicke war da ein weites Seufzen, als hätte sich diese schreckliche, von Leidenschaften ganz verbrannte Erde unter dem grauen Regen der Dämmerung endlich beruhigt. Glücklich über die Kühle, fühlte Abbé Mouret, der seinen Hut in der Hand hielt, wie der Frieden der Nacht in ihn herabstieg.

„Herr Pfarrer! Bruder Archangias!“ rief die Teuse. „Schnell! Die Suppe ist aufgetan.“

Es war eine Kohlsuppe, deren kräftiger Dunst das Eßzimmer des Pfarrhauses erfüllte. Der Bruder setzte sich und leerte langsam den Riesenteller, den die Teuse soeben vor ihn hingestellt hatte. Er aß viel, und seine Kehle gab dabei ein Glucksen von sich, an dem man hören konnte, wie das Essen in den Magen rutschte. Er hielt die Augen auf den Löffel gerichtet und gab keinen Laut von sich.

„Meine Suppe schmeckt Ihnen wohl nicht, Herr Pfarrer?“ fragte die alte Magd. „Sie stochern ja so in Ihrem Teller herum.“ „Ich habe nicht viel Hunger, meine gute Teuse“, erwiderte der Priester lächelnd.

„Bei Gott! Das ist kein Wunder, wenn man so draufloslebt! – Sie würden schon Hunger haben, wenn Sie nicht erst nach zwei Uhr Mittag gegessen hätten.“

Bruder Archangias sagte bedächtig, nachdem er die paar Tropfen Brühe, die auf dem Boden seines Tellers geblieben waren, in seinen Löffel gegossen hatte: „In seinen Mahlzeiten muß man regelmäßig sein, Herr Pfarrer.“

Unterdessen war Désirée, die ebenfalls ernst und ohne ein Wort ihre Suppe gegessen hatte, aufgestanden, um der Teuse in die Küche zu folgen.

Der Bruder, der mit Abbé Mouret allein geblieben war, schnitt sich lange Stücke Brot ab, die er in Erwartung des Hauptgerichtes verschlang.

„Sie waren also heute viel unterwegs?“ fragte er.

Der Priester hatte nicht die Zeit, zu antworten. Lärm von Schritten, Ausrufen, hallendem Lachen erhob sich am Ende des Flures auf der Hofseite. Es klang wie ein kurzer Wortwechsel. Eine schnell sprechende Flötenstimme, die den Abbé verwirrte, ereiferte sich und ging in einem Heiterkeitsausbruch unter. „Was gibt es denn?“ sagte er, von seinem Stuhl aufstehend. Désirée kam mit einem Satz wieder herein. Sie hielt etwas unter ihrem hochgerafften Rock verborgen. Rasch sagte sie immer wieder:

„Ist die komisch! Sie hat nicht reinkommen wollen. Ich habe sie an ihrem Kleid festgehalten, aber die hat ganz schön Kräfte, sie ist mir entwischt.“

„Von wem redet sie denn?“ fragte die Teuse, die aus der Küche herbeigelaufen kam und ein Kartoffelgericht brachte, auf dem ein Stück Speck lag.

Désirée hatte sich gesetzt. Mit unendlicher Vorsicht holte sie unter ihrem Rock ein Amselnest hervor, in dem drei Junge schliefen. Sie legte es auf ihren Teller. Sowie die Jungen das Licht wahrnahmen, streckten sie zerbrechliche Hälse aus, sperrten ihre blutroten Schnäbel auf und wollten zu fressen haben. Désirée klatschte entzückt in die Hände, ungemein aufgeregt angesichts dieser Tiere, die sie nicht kannte.

„Das ist das Mädchen aus dem Paradou!“ rief der Abbé aus, der sich jäh erinnerte.

Die Teuse war ans Fenster getreten.

„Wahrhaftig“, sagte sie. „Ich hätte sie an ihrer Grillenstimme erkennen müssen . . . Ach, die Zigeunerin! Sehen Sie nur, sie ist da unten stehengeblieben, um uns auszuspionieren.“

Abbé Mouret trat herzu. Er glaubte in der Tat hinter einem Wachholderstrauch Albines orangefarbenen Rock zu sehen.

Aber hinter ihm reckte sich Bruder Archangias ungestüm empor, streckte die Faust aus, schüttelte sein wildes Haupt und donnerte:

„Der Teufel soll dich holen, Räuberbrut! Ich werde dich an den Haaren um die Kirche schleifen, wenn ich dich hier bei deinen Hexereien erwische!“

Helles Gelächter, frisch wie ein Atemhauch der Nacht, klang vom Weg herauf. Dann vernahm man leichtfüßiges Laufen, das Rascheln eines über das Gras streifenden Kleides gleich dem Gleiten einer Natter.

Abbé Mouret, der am Fenster stand, folgte mit den Blicken einem blonden Fleck, der wie ein Widerschein des Mondes zwischen die Tannen glitt. Der Hauch, der aus der Flur zu ihm herüberwehte, hatte jenen starken Duft nach Grün, jenen Geruch wilder Blumen, den Albine aus ihren nackten Armen, aus ihrer durch nichts behinderten Gestalt, aus ihren gelösten Haaren schüttelte.

„Eine Verruchte, eine Tochter der Verdammnis!“ schimpfte Bruder Archangias dumpf vor sich hin, während er sich wieder zu Tisch setzte. Er aß gierig seinen Speck und schlang anstelle von Brot ganze Kartoffeln herunter.

Die Teuse konnte Désirée in keiner Weise dazu bewegen, zu Ende zu essen. Das große Kind blieb verzückt vor dem Amselnest sitzen, fragte, was die wohl fräßen, ob die Eier legten, woran man bei diesen Tieren da die Hähne erkenne.

Aber der alten Magd schwante etwas. Sie stellte sich auf ihr gesundes Bein und sah dem jungen Priester in die Augen.

„Sie kennen also die Leute vom Paradou?“ fragte sie.

Da sagte er ganz einfach die Wahrheit, erzählte von dem Besuch, den er beim alten Jeanbernat gemacht hatte.

Die Teuse wechselte mit Bruder Archangias entrüstete Blicke. Zunächst erwiderte sie nichts. Sie ging wütend hinkend um den Tisch herum und stampfte dabei so heftig mit den Absätzen, als wolle sie den Fußboden eintreten.

„Sie hätten mir in diesen drei Monaten doch wohl von diesen Leuten erzählen können“, sagte schließlich der Priester. „Dann hätte ich wenigstens gewußt, wo ich hingeriet.“

Die Teuse blieb jäh stehen, als versagten ihr die Beine.

„Lügen Sie nicht, Herr Pfarrer“, stammelte sie. „Lügen Sie nicht, das würde Ihre Sünde noch verschlimmern . . . Wie können Sie es wagen, zu sagen, ich hätte Ihnen nicht vom Philosophen, von diesem Heiden erzählt, der ein Ärgernis für die ganze Gegend ist! Die Wahrheit ist, daß Sie mir niemals zuhören, wenn ich rede. Das geht bei Ihnen zu einem Ohr rein und zum anderen wieder raus . . . Ach! Wenn Sie doch auf mich hören wollten, dann würden Sie sich manchen Verdruß ersparen!“

„Auch ich habe Ihnen ein Wort über dieses Greuel gesagt“, bestätigte der Bruder.

Abbé Mouret zuckte leicht die Achseln.

„Nun ja, ich habe eben nicht mehr daran gedacht“, begann er wieder. „Erst im Paradou glaubte ich, mich an gewisse Geschichten zu erinnern . . . Übrigens wäre ich trotzdem zu diesem Unglücklichen gegangen, den ich in Todesgefahr glaubte.“ Bruder Archangias, der den Mund voll hatte, schlug heftig mit dem Messer auf den Tisch und schrie:

,,Jeanbernat ist ein Hund. Wie ein Hund soll er verrecken.“ Als er dann sah, daß der Priester kopfschüttelnd Einspruch erheben wollte, schnitt er ihm das Wort ab: „Nein, nein, für ihn gibt es keinen Gott, keine Buße, kein Erbarmen . . . Da wäre es besser, die heilige Hostie den Schweinen hinzuwerfen als sie zu diesem Lumpenkerl zu tragen.“ Er nahm sich noch einmal Kartoffeln, hatte die Ellbogen auf dem Tisch und das Kinn in seinem Teller und kaute wütend drauflos.

Mit zusammengekniffenen Lippen und ganz weiß vor Zorn, sagte die Teuse trocken:

„Lassen Sie, der Herr Pfarrer will sich eben nur nach seinem eigenen Kopf richten, der Herr Pfarrer hat jetzt Geheimnisse vor uns.“

Ein lastendes Schweigen herrschte. Einen Augenblick lang hörte man nur des Bruders Kinnbacken mahlen, wozu das sonderbare Glucksen seiner Kehle die Begleitung bildete.

Désirée, die ihre nackten Arme um das Amselnest legte, das noch immer auf ihrem Teller lag, das Gesicht vorneigte und den Jungen zulächelte, sprach lange auf sie ein, ganz leise, in einem ihr eigenen Gezwitscher, das sie zu verstehen schienen.

„Man sagt, was man tut, wenn man nichts zu verbergen hat!“ rief unvermittelt die Teuse.

Und das Schweigen setzte von neuem ein.

Was die alte Magd aufbrachte, war der Umstand, daß der Priester anscheinend ihr gegenüber ein Geheimnis aus seinem Besuch im Paradou gemacht hatte. Sie kam sich vor wie eine schändlich hintergangene Frau. Ihr blutete das Herz vor Neugier. Sie umkreiste den Tisch, sah den Priester nicht an, wandte sich an niemand und machte sich ganz allein Luft.

„Wahrhaftig, darum also kommt man so spät zum Essen! – Ohne etwas zu sagen, geht man fort, um bis zwei Uhr nachmittags herumzubummeln. Man geht in die Häuser, die in so schlechtem Ruf stehen, daß man nachher nicht einmal wagt, zu erzählen, was man getan hat. Da lügt man dann, man hintergeht alle Welt . . .“

„Aber“, unterbrach sanft Abbé Mouret, der sich anstrengte zu essen, um die Teuse nicht noch mehr zu ärgern, „niemand hat mich gefragt, ob ich zum Paradou gegangen bin, ich hatte es gar nicht nötig zu lügen.“

Die Teuse fuhr fort, als hätte sie nicht gehört:

„Man macht seine Soutane im Staub zuschanden, man schleicht sich heim wie ein Dieb. Und wenn ein guter Mensch, der Anteil an einem nimmt, einen zu seinem Besten fragt, stößt man ihn zurück, behandelt man ihn wie einen Nichtswürdigen, zu dem man kein Vertrauen hat. Man versteckt sich wie ein Duckmäuser, man würde lieber verrecken, als sich ein Wort entschlüpfen zu lassen, man besitzt nicht einmal soviel Höflichkeit, seinen Leuten zu Hause ein bißchen Abwechslung zu verschaffen, indem man erzählt, was man erlebt hat.“ Sie wandte sich dem Priester zu, sah ihm ins Gesicht. „Ja, das gilt Ihnen, das alles . . . Sie sind ein Geheimniskrämer, Sie sind ein böser Mensch!“ Und sie begann zu weinen.

Der Abbé mußte sie trösten.

„Herr Caffin hat mir immer alles gesagt!“ rief sie noch. Doch sie beruhigte sich wieder.

Bruder Archangias aß ein großes Stück Käse, ohne daß ihn dieser Auftritt im geringsten zu stören schien. Nach seiner Ansicht brauchte Abbé Mouret eine feste Hand; die Teuse tat recht daran, ihn die Zügel spüren zu lassen. Er leerte ein letztes Glas Krätzer, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verdaute.

„Was haben Sie denn nun im Paradou gesehen?“ fragte die alte Magd. „Erzählen Sie uns das doch wenigstens.“

Lächelnd schilderte Abbé Mouret in wenigen Worten die eigentümliche Art, mit der Jeanbernat ihn empfangen hatte.

Die Teuse, die ihn mit Fragen überschüttete, stieß Schreie der Entrüstung aus.

Bruder Archangias fuchtelte drohend mit den geballten Fäusten.

„Der Himmel soll ihn zerschmettern!“ sagte er. „Er soll sie verbrennen, ihn samt seiner Hexe!“

Da versuchte nun der Abbé, neue Einzelheiten über die Leute aus dem Paradou zu erfahren. Mit tiefer Aufmerksamkeit hörte er dem Bruder zu, der ungeheuerliche Dinge erzählte.

„Ja, diese Teufelin ist eines Morgens in die Schule gekommen.

Es ist schon lange her, sie mochte zehn Jahre alt sein. Ich, ich ließ sie gewähren; ich dachte, ihr Onkel schickte sie wegen ihrer Erstkommunion. Zwei Monate lang hat sie die ganze Klasse rebellisch gemacht. Sie ließ sich anschwärmen, das Weibsbild! Sie kannte so mancherlei Spiele, sie erfand allerlei Tand aus Blättern und Stoffetzen. Und gescheit dabei, wie all diese Töchter der Hölle! Sie war die Beste im Katechismus . . . Da platzt eines Morgens der Alte mitten in den Unterricht hinein. Er wollte alles kurz und klein schlagen, er schrie, die Pfaffen hätten ihm das Kind weggenommen. Der Feldhüter mußte kommen, um ihn vor die Tür zu setzen. Die Kleine hatte sich aus dem Staube gemacht. Ich sah durch das Fenster, wie sie in einem gegenüberliegenden Feld über die Wut ihres Onkels lachte . . . Sie war seit zwei Monaten von sich aus zur Schule gekommen, ohne daß er es ahnte. Eine haarsträubende Geschichte!“

„Nie ist sie zur Erstkommunion gegangen“, sagte die Teuse halblaut mit einem leisen Schauder.

„Nein, niemals“, begann Bruder Archangias wieder. „Sie muß jetzt sechzehn Jahre alt sein. Sie wächst auf wie ein Tier. Ich habe sie in einem Dickicht bei La Palud auf allen vieren laufen sehen.“

„Auf allen vieren“, murmelte die Magd, die sich, von Unruhe ergriffen, zum Fenster umdrehte.

Der Priester wollte einen Zweifel äußern, doch der Bruder brauste auf.

„Jawohl, auf allen vieren! Und sie sprang wie eine Wildkatze, die Röcke hochgerafft, daß ihre Schenkel zu sehen waren. Hätte ich ein Gewehr gehabt, dann hätte ich sie niederknallen können. Es werden ja Tiere getötet, die Gott wohlgefälliger sind . . . Und außerdem weiß man recht wohl, daß sie jede Nacht miauend um Les Artaud herumschleicht. Sie miaut wie eine läufige Hure. Wenn der da jemals ein Mann in die Klauen fällt, zieht sie ihm gewiß das Fell über die Ohren.“ Und sein ganzer Weiberhaß kam zum Vorschein. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß er wackelte, er schrie seine üblichen Schimpfworte hinaus: „Sie haben den Teufel im Leib. Sie stinken nach Teufel; an den Beinen, an den Armen, am Bauch, überall stinken sie danach . . . Aber gerade das behext die Dummköpfe.“

Der Priester nickte zustimmend. Die Heftigkeit Bruder Archangiasʼ, die geschwätzige Tyrannei der Teuse waren wie Geißelhiebe, deren brennendes Schmerzen er oft auf seinen Schultern auskostete. Er hatte eine fromme Freude daran, sich in die Niedrigkeit zu versenken, in diese Hände voll pöbelhafter Grobheit. Der Friede des Himmels schien ihm am Ende dieser Weltverachtung, dieses Sichgemeinmachens seines ganzen Seins zu stehen. Das war ein Schimpf, den er seinem Leib mit Lust antat, eine Gosse, durch die er seine zarte Natur mit Wonne schleifte.

„Es gibt nichts als Unrat“, murmelte er beim Zusammenlegen seiner Serviette.

Die Teuse räumte den Tisch ab. Sie wollte den Teller fortnehmen, auf den Désirée das Amselnest gelegt hatte.

„Sie werden doch hier nicht schlafen, Mademoiselle“, sagte sie. „Lassen Sie doch diese garstigen Tiere.“

Aber Désirée verteidigte den Teller. Sie bedeckte das Nest mit ihren nackten Armen, sie lachte nicht mehr, wurde vielmehr böse, weil man sie störte.

„Sie werden doch hoffentlich diese Vögel nicht behalten“, rief Bruder Archangias aus. „Das bringt Unglück . . . Man muß ihnen den Hals umdrehen.“ Und er streckte schon seine groben Hände aus.

Désirée stand auf und wich zitternd und das Nest an ihre Brust drückend zurück. Sie starrte den Bruder an, ihre Lippen waren gedunsen, und sie sah aus wie ein Wölfin, die gleich zubeißen wird.

„Rühren Sie die Jungen nicht an!“ stammelte sie. „Sind Sie aber häßlich!“

Sie betonte dieses Wort mit einer so seltsamen Verachtung, daß der Abbé zusammenfuhr, als sei ihm zum ersten Mal aufgefallen, wie häßlich der Bruder war.

Der beschränkte sich darauf, vor sich hin zu schimpfen. Er hegte einen dumpfen Haß gegen Désirée, deren schönes tierhaftes Wachstum ihm zuwider war. Als sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen, rückwärts aus dem Zimmer gegangen war, zuckte er die Achseln und brummelte zwischen den Zähnen eine Unflätigkeit, die niemand verstand.

„Es ist besser, sie geht jetzt schlafen“, sagte die Teuse. „Sie würde uns nachher in der Kirche nur stören.“

„Sind sie denn schon da?“ fragte Abbé Mouret.

„Eine ganze Weile schon sind die Mädchen draußen, mit Armen voll Laub . . . Ich werde die Lampen anzünden. Wir können anfangen, wenn Sie wollen.“

Einige Sekunden danach hörte man sie in der Sakristei fluchen, weil die Streichhölzer feucht waren.

Bruder Archangias, der mit dem Priester allein geblieben war, fragte mit mürrischer Stimme:

„Ist das für den Marienmonat?“

„Ja“, erwiderte Abbé Mouret. „In den letzten Tagen konnten die Dorfmädchen, die schwer zu arbeiten hatten, nicht kommen, um den Marienaltar zu schmücken, wie es Brauch ist. Die Zeremonie ist auf heute abend verschoben worden.“

„Ein hübscher Brauch“, brummte der Bruder. „Wenn ich sehe, wie sie ihre Zweige niederlegen, bekomme ich Lust, sie zu Boden zu werfen, damit sie wenigstens ihre Gemeinheiten beichten, bevor sie den Altar berühren . . . Es ist eine Schande, zu dulden, daß Weiber mit ihren Kleidern so dicht um die heiligen Reliquien herumscharwenzeln.“

Der Abbé entschuldigte sich mit einer Handbewegung. Er sei erst seit kurzem in Les Artaud, er müsse sich an die Bräuche halten.

„Wollen Sie jetzt, Herr Pfarrer?“ rief die Teuse.

Doch Bruder Archangias hielt ihn noch einen Augenblick zurück.

„Ich gehe“, sagte er. „Die Religion ist keine Dirne, daß man sie in Blumen und Spitzen hüllt.“ Er schritt langsam zur Tür. Dort blieb er noch einmal stehen, hob einen seiner behaarten Finger und fügte hinzu: „Nehmen Sie sich in acht vor Ihrer Marienverehrung.“

Die Sünde des Abbé Mouret

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