Читать книгу Die Sünde des Abbé Mouret - Эмиль Золя, Emile Zola, Еміль Золя - Страница 15

KAPITEL XI

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Gegen sechs Uhr gab es ein jähes Erwachen. Schlagen von Türen, die unter schallendem Gelächter aufgerissen und wieder zugeworfen wurden, erschütterte das ganze Haus, und Désirée erschien mit herabfallendem Haar, die Arme noch immer bis zu den Ellbogen nackt, und rief: „Serge! Serge!“ Als sie dann ihren Bruder im Garten erblickte, kam sie angerannt, setzte sich einen Augenblick zu seinen Füßen auf die Erde und flehte ihn an: „Komm dir doch die Tiere ansehen! – Du hast die Tiere ja noch nicht gesehen! Wenn du wüßtest, wie schön sie jetzt sind!“

Er ließ sich lange bitten. Der Wirtschaftshof setzte ihn ein wenig in Schrecken. Doch als er Tränen in Désirées Augen sah, gab er nach.

Da freute sie sich plötzlich wie ein junger Hund, fiel ihm um den Hals, lachte noch lauter dabei und trocknete sich nicht einmal die Wangen ab.

„Ach, du bist lieb!“ stammelte sie und zog ihn mit sich fort. „Du mußt dir die Hühner ansehen, die Kaninchen, die Tauben und meine Enten, die jetzt frisches Wasser haben, und meine Ziege, bei der die Stube nun ebenso sauber ist wie meine . . . Du weißt ja, ich habe drei Gänse und zwei Truthennen. Komm schnell. Du wirst alles sehen.“

Désirée war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt. Groß geworden auf dem Lande bei ihrer Amme, einer Bäuerin aus Saint-Eutrope, war sie gewissermaßen mitten auf dem Dunghaufen aufgewachsen. Mit ihrem leeren Hirn, ohne ernsthafte Gedanken irgendwelcher Art gedieh sie prächtig auf dem fetten Boden, in der frischen Landluft, nahm eine ganz und gar fleischliche Entwicklung und wurde ein schönes, frisches, weißes Tier mit rosigem Blut und straffer Haut. Sie war gleich einer rassigen Eselin, der die Gabe des Lachens zuteil geworden war. Obgleich sie von morgens bis abends herumpatschte, behielt sie ihre feinen Gelenke, die geschmeidigen Linien ihrer Hüften, die bürgerliche Verfeinerung ihres jungfräulichen Leibes, so daß sie ein besonderes Geschöpf war, weder Stadtfräulein noch Bäuerin, ein von der Erde genährtes Mädchen, breitschultrig und engstirnig wie eine junge Göttin.

Zweifellos war es ihre Geistesarmut, die sie den Tieren so nahebrachte. Sie fühlte sich nur in ihrer Gesellschaft wohl, verstand ihre Sprache besser als die der Menschen, umsorgte sie mit mütterlicher Zärtlichkeit. In Ermangelung von folgerichtigem Denkvermögen besaß sie einen Instinkt, der sie auf die gleiche Stufe mit ihnen stellte. Beim ersten Schrei, den sie ausstießen, wußte Désirée, wo es ihnen weh tat. Sie dachte sich Leckereien aus, über die sie gierig herfielen. Mit einer Handbewegung stiftete sie Frieden bei ihren Streitigkeiten, schien mit einem Blick ihren guten oder schlechten Charakter zu erkennen, erzählte lange Geschichten, gab so viele, so genaue Einzelheiten über die Wesensart des kleinsten Kükens an, daß sie die Leute zutiefst in Erstaunen setzte, für die ein Hühnchen sich in keiner Weise von einem anderen unterscheidet. So war ihr Wirtschaftshof für sie zu einem ganzen Reich geworden, in dem sie als unumschränkte Gebieterin herrschte, ein Reich mit einer sehr verwickelten Organisation, das von Revolutionen erschüttert, von den verschiedenartigsten Wesen, deren Annalen sie allein kannte, bevölkert wurde. Diese Sicherheit des Instinktes ging so weit, daß sie witterte, welche Eier einer Brut taub waren, und vorhersagte, wie viele Junge eine Kaninchenhäsin werfen werde.

Als Désirée mit sechzehn Jahren geschlechtsreif geworden war, hatte sie weder Schwindelanfälle noch Übelkeit wie andere Mädchen gehabt. Sie bekam die Breite einer erwachsenen Frau, sie fühlte sich wohler denn je, sie brachte ihre Kleider durch das prächtige Aufblühen ihres Fleisches zum Platzen. Seitdem hatte sie die füllige Gestalt, die sich ungezwungen bewegte, die kräftig gebauten Glieder einer antiken Statue, den strotzenden Wuchs eines kraftvollen Tieres. Es schien, als sei sie dem Humus ihres Wirtschaftshofes verhaftet, als sauge sie mit ihren stämmigen Beinen, die weiß und kräftig waren wie junge Bäume, den Lebenssaft aus dem Boden. Und in dieser Fülle stieg keinerlei fleischliches Verlangen in ihr auf. Sie fand fortgesetzt Befriedigung in dem Gewimmel rings um sich. Von dem Dunghaufen, von den sich paarenden Tieren ging ein Zeugungsstrom aus, in dem sie die Freuden der Fruchtbarkeit genoß. Irgend etwas in ihr fand Befriedigung, wenn die Hühner Eier legten; mit dem Lachen eines schönen, in sich ruhigen Mädchens trug sie ihre Häsinnen zum Rammler; beim Melken ihrer Ziege empfand sie das Glück einer Schwangeren. Es gab nichts, das gesünder war. In aller Unschuld sog sie sich voll mit dem Geruch, mit der Hitze des Lebens. Keine verderbte Neugier trieb sie dazu, sich angesichts der flügelschlagenden Hähne, der gebärenden Weibchen, des den engen Stall verpestenden Bockes Gedanken um die Fortpflanzung zu machen. Sie bewahrte die Ruhe eines schönen Tieres, ihren klaren, gedankenleeren Blick, war glücklich, zu sehen, wie ihre kleine Welt sich vermehrte, und empfand dabei ein Wachsen ihres eigenen Leibes, als sei sie befruchtet, so eins war sie mit allen diesen Muttertieren, daß sie gleichsam die gemeinsame Mutter war, die Mutter Natur, die ohne Erschauern Zeugungsschweiß von ihren Fingern tropfen ließ.

Seit Désirée in Les Artaud war, verbrachte sie ihre Tage in voller Glückseligkeit. Endlich erfüllte sich der Traum ihres Daseins, das einzige Verlangen, das sie in der Kindlichkeit einer geistig Zurückgebliebenen gequält hatte. Sie besaß einen Wirtschaftshof, einen Winkel, den man ihr überließ, wo sie nach ihrem Belieben Tiere aufziehen konnte. Seitdem vergrub sie sich da, baute selber Kaninchenställe, schaufelte den Enten einen Pfuhl, schlug Nägel ein, schaffte Stroh herbei und duldete nicht, daß man ihr half. Die Teuse brauchte sich nur noch darum zu kümmern, daß sich Désirée wieder richtig wusch. Der Wirtschaftshof lag hinter dem Friedhof; oft sogar mußte Désirée mitten zwischen den Gräbern irgendein neugieriges Huhn wieder einfangen, das über die Mauer geflattert war. Im Hintergrund befand sich ein Schuppen, in dem der Kaninchen- und der Hühnerstall untergebracht waren; rechts wohnte die Ziege in einem kleinen Stall. Im übrigen lebten alle Tiere zusammen, die Kaninchen liefen frei mit den Hühnern herum, die Ziege nahm ihr Fußbad inmitten der Enten; die Gänse, Truthennen, Perlhühner und Tauben lebten in brüderlichem Verein mit drei Katzen. Wenn sich Désirée an dem Holzgatter zeigte, das dieses ganze Völkchen hinderte, in die Kirche einzudringen, begrüßte sie ein ohrenbetäubender Lärm.

„Da! Hörst du sie?“ sagte sie zu ihrem Bruder schon an der Tür des Eßzimmers.

Doch als sie ihn hereingelassen und das Gatter hinter sich geschlossen hatte, wurde sie so ungestüm überfallen, daß sie fast gar nicht mehr zu sehen war. Die Enten und Gänse schnatterten und zogen sie an den Röcken; die gierigen Hühner flatterten zu ihren Händen hoch, auf die sie heftig lospickten, die Kaninchen kauerten sich zu ihren Füßen hin und sprangen hin und wieder bis zu ihren Knien hoch, während die drei Katzen ihr auf die Schultern kletterten und die Ziege hinten im Stall meckerte, weil sie nicht zu ihr konnte.

„Laßt mich doch in Ruhe, meine Tiere!“ rief sie mit ihrem schönen klingenden Lachen, gekitzelt von der Berührung all dieser Federn, Pfoten und Schnäbel. Und sie tat nichts, um sich zu befreien. Sie hätte sich fressen lassen, wie sie sagte, so süß war es für sie, wenn sie fühlte, wie dieses Leben an sie prallte und sie in Flaumwärme hüllte. Schließlich blieb nur eine der Katzen eigensinnig auf Désirées Rücken sitzen.

„Das ist Moumou“, sagte sie. „Sie hat Pfoten wie Samt.“ Dann zeigte sie ihrem Bruder den Wirtschaftshof und fügte stolz hinzu: „Sieh nur, wie sauber hier alles ist!“

Der Hof war wirklich gefegt, gescheuert und geharkt. Aber von dem aufgerührten schmutzigen Wasser, von der mit der Forke gewendeten Streu strömte ein wilder, so scharfer Geruch aus, daß es Abbé Mouret an der Kehle packte. Der Dung war an der Friedhofsmauer zu einem riesigen dampfenden Haufen aufgeschichtet.

„Sieh nur, was für ein Haufen!“ begann Désirée wieder, indem sie ihren Bruder in den beißenden Dunst führte. „Das habe ich alles da hingetan, niemand hat mir geholfen . . . Nein, das ist nicht schmutzig. Das macht sauber. Guck dir meine Arme an.“

Sie streckte ihre Arme aus, die sie nur in einen Eimer Wasser getaucht hatte, königliche Arme mit prachtvollen Rundungen, die wie weiße und üppige Rosen in diesem Dung gewachsen waren.

„Ja, ja“, murmelte der Priester, „du hast tüchtig gearbeitet. Das ist jetzt sehr hübsch.“

Er ging auf das Gatter zu; doch sie hielt ihn zurück.

„Warte doch! Du sollst alles sehen. Du ahnst ja nicht . . .“ Sie zog ihn in den Schuppen vor den Kaninchenstall. „In allen Boxen sind Junge“, sagte sie und klatschte vor Begeisterung in die Hände. Dann erklärte sie ihm ausführlich die einzelnen Würfe. Er mußte sich niederhocken, mußte die Nase an das Gitter drücken, während sie genaueste Einzelheiten anführte. Die Muttertiere mit ihren großen ängstlichen Ohren sahen sie schnuppernd von der Seite her an, vor Angst wie festgenagelt. In einer anderen Box war ein Nest aus Tierhaaren, in dem ein lebendiger Haufen herumkrabbelte, eine schwärzliche, unbestimmte Masse, die tief atmete wie ein einziger Körper. Nebenan wagten sich die Jungen mit ihren riesigen Köpfen bis an den Rand des Nestes. Weiter hinten waren sie schon recht kräftig, glichen jungen Ratten, schnüffelten, hoppelten herum und reckten den Hintern in die Luft, auf dem der weiße Knopf des Schwanzes einen Fleck bildete. Sie hatten die spielerische Anmut kleiner Kinder, rannten im Galopp in den Boxen herum, die Weißen mit Augen aus mattem Rubin, die Schwarzen mit Augen, die wie Jettknöpfe glänzten. In panischem Schrecken stoben sie jäh auseinander und entblößten bei jedem Sprung ihre winzigen, vom Urin geröteten Läufe. Und sie setzten sich wieder in einem Haufen so eng zusammen, daß man die Köpfe nicht mehr sah.

„Du hast sie erschreckt“, sagte Désirée. „Mich kennen sie gut.“

Sie rief sie und zog eine Brotkruste aus ihrer Tasche. Die jungen Kaninchen beruhigten sich wieder, kamen eins nach dem anderen herbei, mit schief gehaltenem Kopf, mit kraus gezogener Nase, und reckten sich am Gitter empor. Und sie ließ sie einen Augenblick so stehen, um ihrem Bruder ihr rosiges Bauchfellchen zu zeigen. Dann gab sie die Kruste dem Dreistesten.

Nun kam die ganze Schar angelaufen, überkugelte sich und drängte sich aneinander, ohne sich zu zanken; drei Junge knabberten manchmal an derselben Kruste; andere liefen davon und drehten sich zur Wand, um ungestört zu fressen, während die Mütter im Hintergrund weiterschnupperten und mißtrauisch die Krusten verschmähten.

„Oh, die Leckermäuler!“ rief Désirée. „Sie würden bis morgen früh so weiterfressen! – Nachts kann man hören, wie sie an den übriggebliebenen Blättern knabbern.“

Der Priester hatte sich wieder erhoben; doch sie wurde es nicht müde, den lieben Kleinen zuzulächeln.

„Siehst du den Dicken da hinten, den ganz weißen mit den schwarzen Ohren . . . Denk Dir nur, er frißt für sein Leben gern Mohnblumen. Er sucht sie sich aus den anderen Gräsern heraus . . . Neulich hat er Bauchweh gehabt. Unter den Hinterpfoten saß es bei ihm. Da habe ich ihn genommen und in meiner Tasche gewärmt. Seitdem ist er kreuzfidel.“ Sie steckte die Finger durch die Maschen des Gitters und streichelte den Tieren den Rücken. „Das fühlt sich an wie Atlas“, begann sie wieder. „Sie sind wie Prinzen gekleidet. Und eitel obendrein! Sieh, da ist eins, das sich immerfort putzt. Mit den Pfötchen macht es das . . . Wenn du wüßtest, wie drollig sie sind! Ich, ich sage nichts, aber ich bemerke ihre Bosheiten wohl. Der Graue zum Beispiel, der uns anguckt, konnte eine kleine Häsin nicht leiden, die ich schließlich wegnehmen mußte. Es hat schreckliche Geschichten zwischen ihnen gegeben. Es würde zu lange dauern, das alles zu erzählen. Als er die Häsin das letztemal geschlagen hat, was sehe ich da, wie ich wütend ankomme? Da hockt doch der Lump da ganz hinten und tut so, als wollte er verröcheln. Ich sollte glauben, daß er sich über das Weibchen zu beklagen habe . . .“ Sie unterbrach sich; dann wandte sie sich an den Rammler: „Hör mir nur immer schön zu, du bist doch nur ein Halunke!“ Und zu ihrem Bruder gewandt, murmelte sie mit einem Augenzwinkern: „Er versteht alles, was ich sage.“

Abbé Mouret konnte es in der Hitze, die von den Tieren aufstieg, nicht mehr aushalten. Das Leben, von dem es unter diesen aus dem Bauchfell der Muttertiere gerissenen Haaren wimmelte, hatte einen starken Atem, den er verwirrend an den Schläfen spürte.

Désirée, die nach und nach gleichsam berauscht worden war, wurde immer lustiger, immer rosiger und strotzender in ihrem Fleisch.

„Aber es ruft dich doch nichts!“ rief sie. „Du siehst immer so aus, als ob du fortlaufen willst . . . Und meine kleinen Küken! Sie sind heute nacht ausgekrochen.“

Sie nahm etwas Reis und warf eine Handvoll vor sich hin. Die Henne kam mit aufforderndem Glucksen würdig näher, gefolgt von der ganzen Kükenschar, die piepste und wie verirrte Vögel närrisch durcheinanderrannte. Als sie dann mitten in den Reiskörnern waren, teilte die Mutter wütende Schnabelhiebe aus und streute die Körner umher, die sie zerhackte, während die Jungen sie hastig aufpickten. Sie waren köstlich in ihrer Kindlichkeit, waren halbnackt, der Kopf rund, die Augen scharf wie Stahlspitzen, der Schnabel so drollig hingepflanzt, der Flaum auf so lustige Art aufgewuschelt, daß sie wie Spielzeug zu zwei Sous aussahen. Désirée lachte vor Entzücken bei ihrem Anblick.

„Sie sind allerliebst!“ stammelte sie, nahm zwei Küken, in jede Hand eins, und bedeckte sie mit einer Flut von Küssen. Und der Priester mußte die Kleinen überall betrachten, während sie ruhig sagte: „Es ist nicht leicht, die Hähne rauszukennen. Ich, ich irre mich nicht . . . Das ist eine Henne, und das ist auch eine Henne.“

Sie setzte sie wieder auf die Erde. Doch die anderen Hühner kamen herbei, um den Reis zu vertilgen. Ein großer roter Hahn mit flammendem Gefieder folgte ihnen, seine breiten Füße mit bedächtiger Würde hebend.

„Alexandre wird prächtig“, sagte der Abbé, um seiner Schwester eine Freude zu machen.

Der Hahn hieß Alexandre. Er hielt den Kopf schief, sah das junge Mädchen mit seinem feurigen Auge an und spreizte die Schwanzfedern. Dann pflanzte er sich dicht an ihrem Rocksaum auf.

„Er liebt mich sehr“, sagte sie. „Nur ich darf ihn anfassen . . .

Es ist ein guter Hahn. Er hat vierzehn Hennen, und ich finde nie ein taubes Ei in der Brut . . . Nicht wahr, Alexandre?“ Sie hatte sich gebückt. Der Hahn entzog sich ihrer Liebkosung nicht. Es war, als setzte eine Woge von Blut seinen Kamm in Brand. Mit den Flügeln schlagend und den Hals ausstrekkend, stieß er einen langgezogenen Schrei aus, der wie das Geschmetter einer bronzenen Tuba klang. Viermal hintereinander krähte er, während alle Hähne von Les Artaud aus der Ferne antworteten. Désirée amüsierte sich köstlich über das entgeisterte Gesicht ihres Bruders.

„Es zerreißt dir die Ohren, was!“ sagte sie. „Er hat tüchtig was in der Kehle . . . Aber, ich versichere dir, er ist nicht böse. Die Hennen, die sind böse . . . Erinnerst du dich an die große gesprenkelte, die immer gelbe Eier legte? Vorgestern hat sie sich den Fuß aufgeschunden. Als die anderen das Blut sahen, wurden sie wie toll. Alle liefen ihr nach, pickten nach ihr, tranken ihr Blut, so daß sie ihr am Abend den Fuß aufgefressen hatten . . . Ich habe sie gefunden, den Kopf hatte sie hinter einen Stein gesteckt, wie eine Blöde; sie gab keinen Ton von sich und ließ sich verschlingen.“ Über die Gefräßigkeit der Hühner lachte sie nur. Sie erzählte ruhig von anderen Grausamkeiten: junge Hühnchen, denen das Hinterteil zerfetzt, die Eingeweide herausgerissen wurden und von denen sie nur noch den Hals und die Flügel wiedergefunden hatte; ein Wurf junger Katzen, die in wenigen Stunden im Hühnerstall aufgefressen worden waren.

„Du könntest ihnen einen Christenmenschen vorsetzen“, sagte sie, „und sie würden ihn auch klein kriegen . . . Und Schmerzen können sie aushalten! Sie können recht gut mit einem gebrochenen Glied leben. Wenn sie auch noch so große Wunden haben, Löcher im Körper, daß man die Faust reinstecken könnte, so schlingen sie ihr Fressen doch nicht weniger gierig hinunter. Gerade deshalb liebe ich sie; ihr Fleisch wächst in zwei Tagen nach, ihr Körper ist immer warm, als hätten sie einen Vorrat an Sonne unter den Federn . . . Wenn ich ihnen einen Festschmaus bereiten will, schneide ich ihnen rohes Fleisch klein. Und die Würmer erst! Du wirst sehen, wie gern sie die mögen.“

Sie lief zum Dunghaufen, fand einen Wurm, den sie ohne Ekel in die Hand nahm. Die Hühner stürzten sich auf ihre Hände. Doch sie hielt den Wurm sehr hoch und hatte Spaß an ihrer Gier. Schließlich ließ sie ihn los. Die Hühner stießen einander, machten sich darüber her, dann suchte eins von ihnen mit dem Wurm im Schnabel das Weite, verfolgt von den anderen. So wurde er aufgepickt, fallen gelassen, wieder aufgepickt, bis ein Huhn ihn mit einem heftigen Ruck verschlang. Da blieben alle jäh stehen, den Hals zurückgebogen, und warteten mit runden Augen auf einen anderen Wurm. Glücklich rief Désirée sie bei ihren Namen, sagte ihnen freundliche Worte, während Abbé Mouret angesichts dieser Heftigkeit gefräßigen Lebens einige Schritte zurückwich.

„Nein, ich möchte lieber nicht“, sagte er zu seiner Schwester, die ihn eine Henne, die sie mästete, anheben lassen wollte. „Es ist mir unangenehm, lebende Tiere anzufassen.“ Er versuchte zu lächeln.

Aber Désirée nannte ihn einen Hasenfuß.

„Na! Und meine Enten, meine Gänse, meine Truthühner! Was würdest du tun, wenn du das alles zu versorgen hättest! – Die Enten, die sind schmutzig. Hörst du, wie sie im Wasser schnattern? Und wenn sie tauchen, sieht man nur noch ihren Schwanz, der kerzengerade hochsteht . . . Die Gänse und Truthühner sind auch nicht leicht zu regieren. Hach, ist das spaßig, wenn sie mit ihren langen Hälsen einherstolzieren, die einen ganz weiß, die anderen ganz schwarz. Wie feine Herren und Damen . . . Das sind auch welche, denen du deinen Finger lieber nicht hinhalten solltest. Sie würden ihn dir glatt abbeißen, mit einem einzigen Hieb . . . Mir küssen sie die Finger, siehst du!“

Das Wort wurde ihr abgeschnitten durch ein fröhliches Mekkern der Ziege, der es endlich gelungen war, die schlecht verschlossene Stalltür gewaltsam zu öffnen. Mit zwei Sätzen war das Tier bei ihr, ließ sich auf die Vorderbeine nieder und liebkoste sie mit seinen Hörnern. Der Priester fand, daß die Ziege ein teuflisches Lachen habe mit ihrem spitzen Kinnbart und ihren schräggestellten Augen. Doch Désirée faßte sie um den Hals, küßte sie auf den Kopf, spielte Häschen mit ihr und sprach davon, an ihrem Euter zu saugen. Das täte sie oft, sagte sie. Wenn sie im Stall Durst bekäme, legte sie sich hin und saugte an ihr.

„Da, das ist voller Milch“, fügte sie hinzu und hob die ungeheuren Zitzen des Tieres an.

Der Abbé schlug die Augen nieder, als hätte man ihm etwas Unzüchtiges gezeigt. Er erinnerte sich, im Kreuzgang der Kirche Saint-Saturnin in Plassans als Verzierung eines Wasserspeiers eine Ziege aus Stein gesehen zu haben, die mit einem Mönch Unzucht trieb. Die Ziegen, die nach Bock stanken, die launisch und starrköpfig waren wie Dirnen, die ihre hängenden Zitzen dem ersten besten darboten, waren für ihn Geschöpfe der Hölle geblieben, die Geilheit ausschwitzten. Seiner Schwester hatte er erst nach wochenlangem Flehen erlaubt, sich eine zuzulegen. Und wenn er kam, vermied er die Berührung mit dem langen Seidenhaar des Tieres, schützte seine Soutane vor der Nähe der Hörner.

„Geh nur, ich lasse dich gleich wieder laufen“, sagte Désirée, die sein zunehmendes Unbehagen bemerkte. „Aber vorher muß ich dir noch etwas zeigen . . . Versprichst du, mich nicht auszuschelten? Ich habe dir nichts davon gesagt, weil du es nicht gewollt hättest . . . Wenn du wüßtest, wie ich mich freue!“ Sie begann zu schmeicheln, faltete ihre Hände und legte den Kopf an die Schulter ihres Bruders.

„Wieder irgendeine Torheit“, murmelte dieser, der nicht umhin konnte, zu lächeln.

„Du hast doch nichts dagegen?“ begann sie wieder mit vor Freude leuchtenden Augen. „Du wirst nicht böse sein? – Es ist so niedlich!“ Sie lief und öffnete eine niedrige Tür unter dem Schuppen.

Ein Ferkel sprang mit einem Satz auf den Hof.

„Oh! Das Engelchen!“ sagte sie mit einem Ausdruck tiefen Entzückens und sah ihm zu, wie es davonrannte.

Das Ferkel war allerliebst, ganz rosig, hatte einen vom schmierigen Wasser blankgewaschenen Rüssel und vom ständigen Wühlen im Trog eine kreisrunde Dreckkruste dicht unter den Augen. Es trabte herum, rempelte die Hühner um, kam angerannt, um ihnen wegzufressen, was man ihnen hinwarf, und erfüllte den engen Hof mit seinem unverhofften Hakenschlagen. Seine Ohren klatschten ihm auf die Augen, sein Rüssel grunzte auf der Erde herum; auf seinen dünnen Pfoten glich es einem Tier auf Rädern. Und von hinten sah sein Schwanz aus wie ein Stück Bindfaden, mit dem man es anbinden konnte.

„Ich will dieses Tier hier nicht!“ rief der Priester sehr verärgert.

,,Serge, mein guter Serge“, flehte Désirée von neuem,,,sei nicht böse . . . Sieh, wie unschuldig es ist, das liebe Kleine. Ich werde es waschen, ich werde es schön sauberhalten. Die Teuse hat es sich für mich schenken lassen. Man kann es jetzt nicht wieder zurückschicken . . . Da, es sieht dich an, es riecht dich. Hab keine Angst, es wird dich nicht fressen.“

Doch sie unterbrach sich und begann wie toll zu lachen. Erschrocken war das Schweinchen soeben der Ziege zwischen die Beine gefahren und hatte sie über den Haufen geworfen. Quiekend, sich überkugelnd, setzte es den ganzen Wirtschaftshof in Bestürzung und rannte wieder weiter. Um es zu beruhigen, mußte Désirée ihm eine Schüssel Abwaschwasser hinstellen. Da steckte es den Kopf bis zu den Ohren hinein; es gurgelte, es grunzte, während kurze Schauer über seine rosige Haut liefen. Sein Schwanz hing schlaff herunter.

Abbé Mouret befiel heftigster Ekel, als er dieses Herumschmatzen in dem schmutzigen Wasser hörte. Seit er da war, hatte ihn eine Atemnot überkommen, aufsteigende Hitze verbrannte ihm Hände, Brust und Gesicht. Allmählich drehte es sich ihm im Kopf. Er roch in ein und demselben Pesthauch die stinkige Wärme der Kaninchen und des Federviehs, den geilen Geruch der Ziege, die fettige Schalheit des Schweins. Das war gleichsam eine mit Befruchtung geladene Luft, die zu schwer auf seinen keuschen Schultern lastete. Ihm war, als sei Désirée gewachsen, in den Hüften breiter geworden, als bewege sie riesige Arme und fege mit ihren Röcken diesen starken Geruch, in welchem ihm die Sinne schwanden, über den Erdboden hin. Er hatte gerade noch Zeit, das Gatter zu öffnen. Seine Füße blieben an dem vom Dung noch feuchten Pflaster kleben, so sehr, daß er sich durch eine Umarmung der Erde zurückgehalten glaubte. Und plötzlich kam ihm die Erinnerung an das Paradou mit den großen Bäumen, den schwarzen Schatten, den starken Gerüchen, ohne daß er sich dessen erwehren konnte.

„Du bist ja jetzt ganz rot geworden“, sagte Désirée und kam ihm auf die andere Seite des Gatters nach. „Freust du dich denn nicht, daß du alles gesehen hast? – Hörst du sie schreien?“ Als die Tiere sie fortgehen sahen, drängten sie sich gegen die Gitter, stießen klägliche Schreie aus. Vor allem das Ferkel kreischte lang anhaltend wie eine Säge, die geschärft wird. Sie aber machte ihnen Verbeugungen, warf ihnen Kußhände zu und lachte, sie alle da auf einem Haufen zu sehen, als wären sie in sie verliebt. Dann schmiegte sie sich an ihren Bruder und begleitete ihn zum Garten.

„Ich möchte gern eine Kuh haben“, flüsterte sie ihm ins Ohr und wurde über und über rot.

Er sah sie an und lehnte schon mit einer Handbewegung ab. „Nein, nein, nicht jetzt“, fuhr sie rasch fort. „Ich werde später wieder davon anfangen . . . Es wäre Platz im Stall. Eine schöne weiße, rotbraun gescheckte Kuh. Du sollst nur sehen, was für gute Milch wir dann hätten. Eine Ziege ist schließlich doch zuwenig . . . Und wenn die Kuh dann ein Kälbchen bekommt!“ Sie tanzte umher, sie klatschte in die Hände, während der Priester den Geruch des Wirtschaftshofes an ihr wiederfand, der ihren Röcken anhaftete. So ließ er sie denn hinten im Garten, wo sie sich in der prallen Sonne vor einem Bienenkorb auf die Erde gesetzt hatte, dessen Bienen wie Goldbällchen auf ihrem Hals, über ihre nackten Arme, in ihren Haaren summten, ohne sie zu stechen.

Die Sünde des Abbé Mouret

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