Читать книгу Die Sünde des Abbé Mouret - Эмиль Золя, Emile Zola, Еміль Золя - Страница 14
KAPITEL X
ОглавлениеAls Abbé Mouret wieder mit sich allein war im Staub der Straße, fühlte er sich wohler. Die steinigen Fluren ließen ihn wieder zurücksinken in seinen Traum von Strenge, von einem verinnerlichten Leben in der Einöde. Den ganzen Hohlweg entlang hatten die Bäume ihm beunruhigende Frische auf den Nacken geträufelt, die die glühende Sonne jetzt trocknete. Die dürftigen Mandelbäume, das armselige Getreide, die kränklichen Weinstöcke zu beiden Seiten der Landstraße beruhigten ihn, befreiten ihn von der Verwirrung, in die ihn der zu schwere Atem des Paradou gestürzt hatte. Und mitten in der blendenden Helligkeit, die vom Himmel auf diese nackte Erde herabrann, blieb von Jeanbernats Gotteslästerungen nicht einmal mehr ein Schatten. Er empfand lebhafte Freude, als er aufsah und am Horizont den reglosen Balken der Einsiedlerin samt dem hellroten Fleck des Kirchendaches erblickte.
Doch je weiter der Abbé vorankam, um so mehr wurde er von einer anderen Unruhe ergriffen. Die Teuse würde ihm einen schönen Empfang bereiten mit ihrem kalt gewordenen Mittagessen, das seit nahezu zwei Stunden auf ihn wartete. Er stellte sich ihr schreckliches Gesicht vor, die Flut von Worten, mit denen sie ihn empfangen würde, das wütende Geklapper des Geschirrs, das er den ganzen Nachmittag über hören würde. Als er durch Les Artaud hindurch war, wurde seine Furcht so stark, daß er, von Feigheit erfaßt, zögerte und sich fragte, ob es nicht klüger sei, einen Umweg zu machen und von der Kirche aus heimzukommen. Doch wie er noch mit sich zu Rate ging, erschien die Teuse in Person auf der Schwelle des Pfarrhauses, die Haube schief auf dem Kopf, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
Er machte den Rücken krumm, er mußte den Abhang unter diesem gewitterschwangeren Blick hinaufgehen, den er auf seinen Schultern lasten fühlte.
„Ich glaube, ich habe mich verspätet, meine gute Teuse“, stammelte er schon beim letzten Stück Weg.
Die Teuse wartete, bis er ganz nahe vor ihr stand. Dann sah sie ihn wütend scharf an, drehte sich ohne ein Wort um, ging vor ihm her bis ins Eßzimmer, wobei sie mit ihren groben Absätzen hart auftrat, so stocksteif geworden vor Wut, daß sie kaum mehr hinkte.
„Ich hatte soviel zu tun!“ begann der Priester, dem dieser stumme Empfang Entsetzen einjagte. „Seit heute morgen laufe ich herum . . .“
Doch sie schnitt ihm das Wort ab mit einem neuen, so starren, so bösen Blick, daß ihm fast die Beine einknickten. Er setzte sich und begann zu essen. Sie tat ihm mit den schroffen Bewegungen eines Automaten auf, wobei sie fast die Teller zerschlug, mit solcher Wucht stellte sie sie hin.
Das Schweigen wurde so furchtbar, daß er den dritten Bissen nicht herunterbekam, weil ihm die Aufregung die Kehle zuschnürte.
„Hat denn meine Schwester Mittag gegessen?“ fragte er. „Das ist recht. Sie müssen immer Mittag essen, wenn ich draußen zurückgehalten werde.“
Keine Antwort. Die Teuse stand da und wartete, daß er seinen Teller leer aß, damit sie ihn dann abräumen konnte. Da er fühlte, daß er unter diesen unversöhnlichen Augen, deren Blicke ihn zerschmetterten, nicht würde essen können, stieß er jetzt seinen Teller zurück. Diese zornige Handbewegung wirkte wie ein Peitschenhieb, der die Teuse aus ihrer hartnäckigen Starre herausriß. Sie ging hoch.
„Aha, so ist das!“ schrie sie. „Jetzt sind Sie auch noch böse. Nun gut! Ich gehe. Sie werden mir die Reise bezahlen, damit ich wieder nach Hause fahren kann. Ich habe genug von Les Artaud und von Ihrer Kirche! Und von allem!“ Sie band sich mit zitternden Händen ihre Schürze los. „Sie hätten wohl merken müssen, daß ich nicht sprechen wollte . . . Ist denn das ein Leben? Nur unsichere Kantonisten machen so was, Herr Pfarrer! Es ist wohl jetzt elf Uhr, nicht wahr? Schämen Sie sich nicht, kurz vor zwei Uhr noch bei Tisch zu sitzen? Ein guter Christ tut das nicht, nein, ein guter Christ nicht!“ Dann pflanzte sie sich vor ihm auf. „So, wo kommen Sie eigentlich her? Wen haben Sie gesprochen? Welche Angelegenheit hat Sie so aufhalten können? – Wären Sie ein Kind, würde man Ihnen was mit der Rute geben. Ein Priester gehört nicht auf die Landstraße in der größten Sonnenhitze, wie die Bettler, die kein Dach über dem Kopf haben . . . Ach, Sie sind in einer schönen Verfassung, die Schuhe ganz weiß, die Soutane von Staub ganz verdorben! Wer wird sie Ihnen abbürsten, Ihre Soutane? Wer wird Ihnen eine neue kaufen? – So reden Sie doch, sagen Sie, was Sie getrieben haben! Auf Ehre, wenn man Sie nicht kennte, würde man schließlich noch seltsame Sachen annehmen. Und soll ich Ihnen was sagen? Nun gut, ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen. Wenn man zu solcher Stunde Mittag ißt, ist man zu allem fähig.“
Erleichtert ließ Abbé Mouret das Gewitter vorübergehen. Er spürte, wie sich seine Nerven bei den aufgebrachten Worten der alten Magd entspannten.
„Lassen Sie es gut sein, mein gute Teuse“, sagte er, „erst einmal binden Sie Ihre Schürze wieder um.“
„Nein, nein“, schrie sie, „es ist aus, ich gehe!“
Aber er stand auf und band ihr lachend die Schürze um.
Sie sträubte sich und stotterte:
„Nein, sage ich Ihnen! – Sie sind ein Schmeichler. Ich durchschaue Ihr Spiel, ich sehe recht gut, daß Sie mich einwickeln wollen mit Ihren süßen Worten . . . Wo sind Sie gewesen? Na, wir werden ja sehen.“
Fröhlich setzte er sich wieder zu Tisch, als ein Mann, der den Sieg davongetragen hat.
„Zunächst“, begann er wieder, „müssen Sie mich mal essen lassen . . . Ich sterbe vor Hunger.“
„Kein Wunder“, murmelte sie mitleidig. „Hat so was denn etwa Sinn und Verstand? – Soll ich Ihnen noch zwei Spiegeleier machen? Das dauert nicht lange. Nun gut, wenn Sie genug haben . . . Und alles ist kalt! Und ich hatte mir solche Mühe gegeben mit Ihren Auberginen! Die sehen jetzt aus! Alte Schuhsohlen, könnte man meinen . . . Ein Glück, daß Sie kein Leckermaul sind wie der arme Herr Caffin . . . Oh, Sie haben auch gute Eigenschaften, ich bestreite das nicht.“
Sie tat ihm mit mütterlicher Aufmerksamkeit auf, wobei sie weiterschwatzte. Dann, als er fertig war, lief sie in die Küche, nachsehen, ob der Kaffee noch heiß sei. In der Freude über die Aussöhnung ließ sie sich gehen und hinkte auf abenteuerliche Art. Gewöhnlich fürchtete Abbé Mouret den Kaffee, von dem er schwere Nervenstörungen bekam; unter diesen Umständen jedoch nahm er, da er den Frieden besiegeln wollte, die Tasse an, die sie ihm brachte. Und da er einen Augenblick am Tisch verweilte, setzte sie sich vor ihn hin und wiederholte sanft, von Neugier gepeinigt:
„Wo sind Sie gewesen, Herr Pfarrer?“
„Aber“, antwortete er lächelnd, „ich habe die Brichets besucht, ich habe mit Bambousse gesprochen . . .“ Jetzt mußte er erzählen, was die Brichets gesagt hatten, was Bambousse gesagt hatte, was Bambousse beschlossen hatte, was für ein Gesicht sie gemacht und wo sie gearbeitet hatten.
Als die Teuse erfuhr, was Rosalies Vater geantwortet hatte, rief sie:
„Bei Gott! Wenn das Kleine stirbt, fällt die Schwangerschaft nicht ins Gewicht.“ Dann faltete sie mit einem Ausdruck neidvoller Bewunderung die Hände. „Was haben Sie schwatzen müssen, Herr Pfarrer! Länger als einen halben Tag, damit das dabei herauskommt! – Sind Sie auch schön langsam zurückgegangen? Es war sicher höllisch heiß auf der Landstraße?“
Der Abbé, der aufgestanden war, antwortete nicht. Er wollte vom Paradou sprechen, wollte Näheres erfahren. Aber die Furcht, zu stürmisch ausgefragt zu werden, eine Art unbestimmter Scham, die er sich selber nicht eingestand, ließen ihn über seinen Besuch bei Jeanbernat Schweigen bewahren. Er schnitt jedes weitere Verhör kurz ab, indem er fragte:
„Und meine Schwester, wo ist sie denn? Ich höre sie gar nicht.“ „Kommen Sie, Herr Pfarrer“, sagte die Teuse und legte lachend einen Finger auf den Mund.
Sie traten in den Nebenraum, ein bäuerliches Wohnzimmer mit einer Tapete mit verschossenen großen grauen Blumen, möbliert mit vier Sesseln und einem Sofa, die mit Roßhaarstoff bezogen waren. Auf dem Sofa schlief Désirée, lang ausgestreckt, den Kopf von ihren beiden geschlossenen Fäusten gestützt. Ihre Röcke hingen herab und ließen die Knie frei, während ihre erhobenen, bis zu den Ellbogen bloßen Arme die kräftigen Linien ihrer Brust hervortreten ließen. Ein wenig schwer strich der Atem zwischen ihren roten, halbgeöffneten Lippen hindurch, zwischen denen die Zähne zu sehen waren.
„Wie sie schläft!“ murmelte die Teuse. „Sie hat nicht einmal gehört, wie Sie mich vorhin ausgeschimpft haben . . . Weiß Gott, sie muß ganz schön müde sein. Stellen Sie sich vor, fast bis zum Mittag hat sie ihre Tiere ausgemistet . . . Nach dem Essen ist sie wie ein Bleiklumpen dort hingefallen. Sie hat sich nicht mehr gerührt.“
Der Priester betrachtete seine Schwester eine Weile mit großer Zärtlichkeit.
„Wir müssen sie schlafen lassen, solange sie will“, sagte er. „Gewiß . . . Wie jammerschade, daß sie so einfältig ist! Sehen Sie doch nur, diese kräftigen Arme! Wenn ich sie anziehe, denke ich immer, was für eine schöne Frau sie geworden wäre. Ach, sie hätte Ihnen prächtige Neffen geschenkt, Herr Pfarrer . . . Finden Sie nicht, daß sie jener großen Dame aus Stein ähnlich sieht, die an der Getreidehalle von Plassans steht?“
Sie meinte eine auf Garben ruhende Kybele, das Werk eines Schülers von Puget, das in den Giebel der Markthalle gemeißelt war. Ohne zu antworten, schob Abbé Mouret sie sanft aus dem Wohnzimmer und empfahl ihr, möglichst wenig Lärm zu machen. Und bis zum Abend ruhte das Pfarrhaus in tiefer Stille. Die Teuse machte im Schuppen ihre Wäsche fertig. In der Tiefe des Gartens war der Priester, das Brevier auf den Knien, in eine fromme Betrachtung versunken, während rosa Blütenblätter von den blühenden Pfirsichbäumen regneten.