Читать книгу Die Sünde des Abbé Mouret - Эмиль Золя, Emile Zola, Еміль Золя - Страница 12

KAPITEL VIII

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In der Mittagssonne schlief das Haus bei geschlossenen Fensterläden im Gebrumm der dicken Fliegen, die am Efeu hinauf bis zu den Dachziegeln flogen. Ein glücklicher Friede badete diese sonnenübergossene Ruine.

Der Doktor stieß die Tür des schmalen Gartens auf, den eine sehr hohe Hecke umgab. Dort im Schatten einer Hauswand rauchte Jeanbernat, seine hohe Gestalt gerade aufgerichtet, seelenruhig seine Pfeife in der großen Stille und sah zu, wie seine Gemüsepflanzen wuchsen.

„Wie! Sie sind auf den Beinen, Sie Spaßvogel!“ rief der Doktor verblüfft.

„Sie wollten mich wohl schon begraben!“ schimpfte der Alte grob. „Ich brauche niemand. Ich habe mich zur Ader gelassen . . .“

Er hielt jäh inne, als er den Priester erblickte, und machte eine so schreckliche Gebärde, daß sich Onkel Pascal schleunigst einschaltete.

„Das ist mein Neffe“, sagte er, „der neue Pfarrer von Les Artaud, ein tüchtiger Junge . . . Zum Teufel! Wir haben uns nicht zu solcher Stunde auf den Straßen herumgetrieben, um Sie zu fressen, Vater Jeanbernat.“

Der Alte beruhigte sich ein wenig.

„Ich will keinen Pfaffen bei mir haben“, murmelte er. „So was genügt, um die Leute zum Verrecken zu bringen. Verstehen Sie, Doktor, keine Arzneien und keine Priester, wenn ich mal von hinnen gehe; sonst ist es aus zwischen uns . . . Der da mag trotzdem reinkommen, weil er Ihr Neffe ist.“

Abbé Mouret, der ganz bestürzt war, fand keine Worte. Er blieb mitten auf einem Weg stehen und betrachtete prüfend diese seltsame Gestalt, diesen verrunzelten Einsiedler mit dem ziegelroten Gesicht und den vertrockneten Gliedern, die wie zusammengebundene Stricke gewunden waren, der seine achtzig Jahre mit spöttischer Lebensverachtung zu tragen schien. Da der Doktor versucht hatte, ihm den Puls zu fühlen, wurde er jetzt wieder böse.

„Lassen Sie mich doch in Ruhe! Ich sage Ihnen ja, daß ich mich mit einem Messer zur Ader gelassen habe! Damit hat sichʼs . . . Welches Hornvieh von Bauer hat Sie denn aufgestört? Der Arzt, der Priester, warum nicht gar der Leichenträger? – Na ja, was soll man machen, die Leute sind eben dumm. Das soll uns nicht hindern, einen Schluck zu trinken.“ Er stellte eine Flasche und drei Gläser auf einen alten Tisch, den er in den Schatten zog. Als die Gläser bis zum Rand gefüllt waren, wollte er anstoßen. Sein Zorn löste sich in spöttische Heiterkeit. „Das wird Sie nicht vergiften, Herr Pfarrer“, sagte er. „Ein Glas guter Wein ist keine Sünde . . . Das ist wahrhaftig das erste Mal, daß ich mit einem Schwarzrock anstoße, mit Verlaub gesagt, ohne Sie beleidigen zu wollen. Der arme Abbé Caffin, Ihr Vorgänger, lehnte es ab, mit mir zu diskutieren . . . Er hatte Angst.“ Er lachte laut auf und fuhr dann fort: „Stellen Sie sich vor, er hatte sich darauf eingelassen, mir zu beweisen, daß es einen Gott gibt . . . Ich konnte ihm dann gar nicht mehr begegnen, ohne ihn herauszufordern. Doch ich versichere Ihnen, er kniff immer.“

„Wie, es gibt keinen Gott?“ rief Abbé Mouret, aus seiner Schweigsamkeit auffahrend.

„Oh, wie Sie wollen!“ begann Jeanbernat spöttisch von neuem. „Wir fangen gemeinsam wieder von vorne an, wenn Ihnen das Freude macht . . . Nur, ich sage Ihnen vorher, daß ich sehr gut Bescheid weiß. Da oben in einer Stube habe ich einige tausend Bände, die bei der Feuersbrunst aus dem Paradou gerettet wurden, alle Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts, ein Haufen Schwarten über die Religion. Ich habe schöne Sachen daraus gelernt. Seit zwanzig Jahren lese ich das . . . Ach ja doch, Sie würden schon einen schlagfertigen Gesprächspartner finden, Herr Pfarrer.“ Er war aufgestanden. Mit einer weit ausholenden Gebärde wies er auf den ganzen Horizont, die Erde, den Himmel, wobei er feierlich mehrmals wiederholte: „Es gibt nichts, nichts, nichts . . . Wenn man die Sonne ausbläst, ist es aus.“

Doktor Pascal hatte Abbé Mouret leicht mit dem Ellbogen angestoßen. Er kniff die Augen zusammen, während er den Greis neugierig beobachtete, und nickte beifällig mit dem Kopf, um ihn zum Sprechen zu ermuntern.

„Dann sind Sie wohl ein Materialist, Vater Jeanbernat?“ fragte er.

„I wo, ich bin nur ein armer Mann“, erwiderte der Alte und zündete seine Pfeife wieder an. „Als der Graf de Corbière, dessen Milchbruder ich war, durch einen Sturz vom Pferd ums Leben kam, schickten mich die Kinder, diesen Dornröschenpark zu hüten, um mich los zu sein. Ich war sechzig Jahre alt, ich glaubte mich am Ende meiner Tage. Doch der Tod hat mich vergessen. Und ich habe mich in diesem Winkel einrichten müssen . . . Sehen Sie, wenn man ganz allein lebt, sieht man die Dinge schließlich auf eine seltsame Art. Die Bäume sind keine Bäume mehr, die Erde nimmt das Gehabe eines lebenden Wesens an, die Steine erzählen einem Geschichten. Kurzum, Dummheiten. Ich kenne Geheimnisse, die Sie umwerfen würden. Was soll man denn auch tun in dieser verteufelten Einöde? Ich habe die Schwarten gelesen, das hat mir mehr Spaß gemacht als das Jagen . . . Der Graf, der wie ein Heide fluchte, hat immer zu mir gesagt: ,Jeanbernat, mein Junge, ich rechne fest darauf, dich in der Hölle wiederzufinden, damit du mir da unten dienst, so wie du mir dort oben gedient hast.ʼ “ Er machte wiederum seine weit ausholende Gebärde über den Horizont hin und begann von neuem: „Hören Sie, nichts, es gibt nichts . . . All das ist ein Possenspiel.“

Doktor Pascal fing an zu lachen.

„Ein schönes Possenspiel auf jeden Fall“, sagte er. „Vater Jeanbernat, Sie sind ein Geheimniskrämer. Ich habe Sie im Verdacht, daß Sie trotz Ihres blasierten Getues verliebt sind. Sie sprachen vorhin recht zärtlich von den Bäumen und Steinen.“

„Nein, ich versichere Ihnen“, murmelte der Greis, „damit ist es bei mir vorbei. Früher, das stimmt, als ich Sie kennenlernte und wir zusammen botanisieren gingen, war ich dumm genug, allerlei zu lieben auf dieser großen verlogenen Flur. Zum Glück haben die Bücher das alles abgetötet . . . Ich wünschte, mein Garten wäre kleiner; keine zweimal im Jahr gehe ich auf die Straße. Sehen Sie diese Bank. Hier verbringe ich meine Tage und sehe zu, wie meine Salatköpfe wachsen.“

„Und Ihre Rundgänge im Park?“ unterbrach der Doktor.

„Im Park!“ wiederholte Jeanbernat mit dem Ausdruck tiefsten Erstaunens. „Aber seit mehr als zwölf Jahren habe ich den Park nicht betreten! Was sollte ich wohl mitten auf diesem Friedhof tun? Er ist zu groß. Das ist ja stumpfsinnig, diese Bäume, die kein Ende nehmen, mit Moos überall, zerbrochene Statuen, Löcher, in denen man sich bei jedem Schritt den Hals brechen kann. Als ich das letzte Mal dorthin ging, war es so dunkel unter den Blättern, die wilden Blumen rochen so giftig, es wehte so seltsam durch die Alleen, daß ich irgendwie Angst bekam. Und ich habe mich verrammelt, damit der Park nicht hier hereinkommt. Ein Sonnenplätzchen, drei Fußbreit Salat vor mir, eine große Hecke, die mir den ganzen Horizont versperrt, das ist schon zuviel, um glücklich zu sein. Nichts möchte ich haben, gar nichts, etwas so Enges, daß die Außenwelt mich dort nicht stören kann. Zwei Meter Erde, wenn Sie wollen, um auf dem Rücken liegend zu verrecken.“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch, und jäh die Stimme hebend, schrie er Abbé Mouret an: „Los, noch einen Schluck, Herr Pfarrer. Der Teufel sitzt nicht auf dem Flaschenboden, vorwärts!“

Dem Priester wurde unbehaglich. Er fühlte, daß er nicht die Kraft hatte, diesen seltsamen Greis, dessen Verstand ihm so eigentümlich verworren vorkam, zu Gott zurückzuführen. Jetzt erinnerte er sich an manches Geschwätz der Teuse über den Philosophen, wie die Bauern von Les Artaud Jeanbernat nannten. Fetzen ärgerniserregender Geschichten zogen undeutlich durch sein Gedächtnis. Er stand auf, machte dem Doktor ein Zeichen, wollte dieses Haus verlassen, in dem er Geruch nach Verdammnis zu atmen glaubte. Doch in seiner dumpfen Furcht hielt ihn eine sonderbare Neugier zurück. Er blieb da und ging ans Ende des kleinen Gartens, durchsuchte den Hausflur mit dem Blick, wie um darüber hinaus, hinter die Wände zu schauen. Durch die weitgeöffnete Tür gewahrte er nur das finstere Treppenhaus. Und er kam zurück, suchte irgendein Loch, irgendeinen Ausblick auf dieses Blättermeer, dessen Nähe er an einem gewaltigen Rauschen spürte, das wie Meeresbrausen gegen das Haus zu branden schien.

„Und der Kleinen geht es gut?“ fragte der Doktor und nahm seinen Hut.

„Nicht schlecht“, entgegnete Jeanbernat. „Sie ist nie da. Den ganzen Vormittag ist sie oft weg . . . Es kann jedoch sein, daß sie in den Zimmern oben ist.“ Er hob den Kopf und rief: „Albine! Albine!“ Dann sagte er achselzuckend: „Ach ja, das ist eine Rumtreiberin . . . Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer. Ganz zu Ihrer Verfügung.“

Doch der Abbé hatte nicht die Zeit, diese Herausforderung des Philosophen anzunehmen. Eine Tür war soeben hinten im Hausflur jäh aufgegangen; eine blendendhelle Öffnung war im Schwarz der Mauer entstanden. Es war gleichsam die Vision eines Urwalds, ein unermeßlicher, sonnenübersprühter Hochwald als Hintergrund dieses Gemäldes. In diesem Aufleuchten erfaßte der Priester deutlich in der Ferne genaue Einzelheiten: eine große gelbe Blume mitten auf einem Rasenplatz, einen breiten Wasserfall, der von einem hohen Felsen niederstürzte, einen riesigen Baum, in dem ein Schwarm Vögel sich niedergelassen hatte; das Ganze ertränkt, verloren, flammend inmitten eines solchen Wirrwarrs von Grün, einer solchen Orgie wuchernder Pflanzen, daß der ganze Horizont nur ein einziges Aufblühen war.

Die Tür schlug zu, alles verschwand.

„Aha, das liederliche Weibsbild!“ rief Jeanbernat. „Sie war schon wieder im Paradou!“

Albine stand lachend auf der Schwelle des Hausflures. Sie trug einen orangefarbenen Rock und ein auf dem Rücken befestigtes, großes rotes Schultertuch, was ihr das Aussehen einer Zigeunerin im Sonntagsstaat verlieh. Und sie fuhr fort zu lachen, den Kopf zurückgeworfen, die Brust ganz geschwellt von Fröhlichkeit, glücklich über ihre Blumen, wilde Blumen, die in ihre blonden Haare geflochten, um ihren Hals, ihr Mieder, ihre schlanken nackten und goldbraunen Arme gewunden waren. Sie glich einem großen, stark duftenden Strauß.

„Na, du siehst ja schön aus!“ schimpfte der Alte. „Du riechst nach Gras wie die Pest . . . Würde man denken, daß sie schon sechzehn Jahre alt ist, diese Puppe!“

Übermütig lachte Albine noch lauter. Doktor Pascal, der ihr großer Freund war, gab sie einen Kuß.

„Hast du denn keine Angst im Paradou?“ fragte er sie.

„Angst? Wovor denn?“ fragte sie zurück und machte erstaunte Augen. „Die Mauern sind zu hoch, niemand kann herein . . . Da bin nur ich. Das ist mein Garten, er gehört mir ganz allein. Er ist unheimlich groß. Ich habe sein Ende noch nicht gefunden.“

„Und die Tiere?“ unterbrach der Doktor.

„Die Tiere? Die sind nicht böse, sie kennen mich gut.“

„Aber es ist doch finster unter den Bäumen?“

„Klar, schattig ist es; sonst würde die Sonne mir das Gesicht verbrennen . . . Es ist schön im Schatten, in den Blättern.“ Und sie drehte sich um und erfüllte den schmalen Garten mit dem Schwingen ihrer Röcke, schüttelte den herben Geruch des Grüns ab, das sie mit sich herumtrug. Sie hatte Abbé Mouret zugelächelt, ohne jede Scheu, ohne sich um die überraschten Blicke zu bekümmern, mit denen er ihr nachsah.

Der Priester war beiseite getreten. Dieses blonde Kind mit dem länglichen Gesicht, das vor Leben glühte, erschien ihm wie die geheimnisvolle und verwirrende Tochter dieses Waldes, den er in einer Sonnenbahn flüchtig geschaut hatte.

„Ich habe ein Amselnest, wollen Sie es haben?“ fragte Albine den Doktor.

„Nein, danke“, antwortete dieser lachend. „Du mußt es der Schwester vom Herrn Pfarrer geben, die hat Tiere sehr lieb . . . Auf Wiedersehen, Jeanbernat.“

Doch Albine hatte sich an den Priester herangewagt.

,,Sie sind der Pfarrer von Les Artaud, nicht wahr? Sie haben eine Schwester? Ich werde sie besuchen . . . Sie dürfen nur nicht von Gott zu mir sprechen. Mein Onkel will das nicht.“

„Du fällst uns auf die Nerven, geh“, sagte Jeanbernat achselzuckend.

Mit einem Gemsensprung verschwand sie, einen Blütenregen hinter sich zurücklassend. Man hörte das Zuschlagen einer Tür, dann Lachen hinter dem Haus, ein klangvolles Lachen, das sich allmählich verlor wie das Dahinhasten eines tollen, im Grase losgelassenen Tieres.

„Sie werden sehen, sie wird schließlich noch im Paradou schlafen“, brummte der Alte mit unbeteiligter Miene. Und als er seine Besucher hinausbegleitete, begann er wieder:

„Doktor, wenn Sie mich eines Morgens tot finden, erweisen Sie mir doch den Dienst, mich in das Loch beim Misthaufen zu werfen, dort, hinter meinen Salatköpfen . . . Guten Abend, meine Herren.“

Er ließ das Holzgatter wieder herunterfallen, das die Hecke schloß. Das Haus fand seinen glücklichen Frieden wieder in der Mittagssonne, im Gebrumm der dicken Fliegen, die am Efeu hinauf bis zu den Dachziegeln flogen.

Die Sünde des Abbé Mouret

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