Читать книгу Verraten - Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 10

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„Das geht eindeutig zu weit!“, hörte ich Alan empört protestieren und vernahm das hohe Quietschen eines Stuhls, der ruckartig zurückgeschoben wurde. Offenbar war er zur Untermalung seines Einwurfs recht schwungvoll aufgestanden, doch da ich weiter Wettstarren mit Phelan veranstaltete, konnte ich meine Vermutung nicht überprüfen.

„Das sehe ich anders“, knurrte mein Gegenüber, ohne den Blick von mir zu wenden. Bildete ich mir das gerade ein oder wurden seine Augen noch gelber, als sie es ohnehin schon waren? „Ich glaube nicht an irgendwelche Prüfungen und abergläubischen Schnickschnack. Aline hat sich von Mael besteigen lassen wie eine rossige Stute und somit ihre Reinheit verspielt, egal, was sie in der Anderswelt erfahren haben will. Wie vertrauenswürdig ist wohl so ein Flittchen?“

Selbstgefällig begann Phelan zu grinsen, was angesichts seiner Optik eher an ein Zähnefletschen erinnerte. Kälte durchfuhr mich von der Mitte meines Körpers aus bis hinunter in den kleinen Zeh, als hätte in diesem Moment jemand in meinem Inneren alle Fenster geöffnet, wenn denn welche da gewesen wären.

Es kostete mich unermesslich viel Mühe, Phelan ob seiner Beleidigung nicht auf der Stelle eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Als ob ich aus Spaß mit Mael geschlafen hatte – na sicher, und danach waren wir zusammen händchenhaltend über grüne Wiesen gehüpft und hatten dem Osterhasen einen runtergeholt! – Oh, wie gern wäre ich ihm über sein arrogantes Lächeln gefahren, aber ich wusste, ich musste mich beherrschen.

Nun ja. Zumindest was unflätige Ausdrücke anging.

Mühsam presste ich die nächsten Worte hinter zusammengebissenen Zähnen hervor:

„Wenn du Zweifel an meiner Liebe zu Daron hast, ist das allein dein Problem, Phelan, und nicht meins. Bevor du hier den Besen der Moral schwingst, solltest du erst mal vor deiner eigenen Tür kehren. Ich jedenfalls habe nichts zu verbergen und habe es noch weniger nötig, meine Haare als Schutz zu benutzen, nur damit niemand sieht, wie abartig meine Augen sind.“

Das saß. Phelan sog scharf die Luft ein und verlor für wenige Sekunden die Kontrolle über seine Mimik. Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, so als hätte ich ihn tatsächlich mit der flachen Hand geschlagen. Oh, ich wünschte so sehr, ich hätte es. Lange hielt seine Verwunderung allerdings nicht an, sondern machte schon im nächsten Augenblick Platz für einen Zorn, der nahezu Funken aus seinen Augen sprühen ließ.

Super, Aline! Mach ihn noch richtig schön wütend; das erleichtert dir die Aufnahme in die Familie bestimmt ungemein.

So herum betrachtet war das kein guter Zeitpunkt zum Austeilen gewesen, egal, wie sehr Phelan diese verbale Klatsche auch verdient hatte. Fast rechnete ich schon damit, von Luan des Saals verwiesen zu werden, doch nichts dergleichen geschah. Stille hatte sich unter den McÉags breitgemacht, und ich vernahm lediglich das mühsam unterdrückte Wutschnauben meines direkten Gegenübers. Phelan versuchte so gut wie möglich, sich den verbalen Treffer nicht anmerken zu lassen, doch die Intensität, mit der er mir seinen warmen Atem ins Gesicht blies, zeigte mir, wie es wirklich um seine Verfassung bestellt war. Er stand gewaltig unter Strom und hätte mich sicher am liebsten auf der Stelle vom Schloss geprügelt. Sekunden verrannen wie Sand in einem Stundenglas, und gerade, als ich dachte, ich hätte mir meine Aufnahme endgültig versaut, begann Phelan leise zu sprechen.

„Mut hast du, Aline, das muss ich dir wirklich lassen“, knurrte er. „Sich auf derart dünnes Eis zu begeben – diesen Schneid besitzt nicht jeder. Doch ändert deine Kühnheit für mich nichts an den nackten Tatsachen. Du hast betrogen. Hast dich beflecken lassen. Mein Vertrauen in dich als künftige Mutter der Ewigen hast du verspielt. Ich fordere einen Bürgen, jemanden, der für dich und deine Loyalität unserer Familie gegenüber mit seinem Namen einsteht.“

Mit diesen Worten wandte er sich von mir ab und dem Rest seiner Familie zu. „Denn haben wir nicht alle schon einmal erlebt, was es heißt, von einer Bewahrerin im Stich gelassen zu werden?“

O Gott.

Das hatte er jetzt bitte nicht gesagt.

Ein dunkles Grollen erhob sich im Saal wie das Tosen einer herannahenden Lawine, bevor sie alles unter sich begrub.

„Wage es nicht, Sohn …“

Scheiße.

Er hatte doch.

Vorsichtig drehte ich mich zu Luan um und sah, dass dieser sich von seinem Thron erhoben hatte. Wutschauer ließen seinen Körper erzittern, und er konnte sie offenbar nur dadurch kontrollieren, dass er seine Hände an den Seiten angestrengt zu Fäusten ballte. Seine Knöchel traten weiß hervor, und es hatte den Anschein, als würde er sich jeden Moment selber die Finger brechen. Eiseskälte hatte sich nun nicht nur in meinem Inneren, sondern im gesamten Raum ausgebreitet. Ich wusste sofort, von wem die ausging. Das war eindeutig kein gutes Zeichen.

Schon zweimal hatte ich erlebt, wie die Ewigen sich verwandelten, weil ihre Emotionen sie übermannt hatten. Hatte erlebt, wie ihre Haut sich schwarz verfärbte, gewaltige Drachenflügel aus ihren Rücken hervorbrachen und ihre Augen sich in das rote Tor zur Hölle verwandelten. Es war wirklich kein schöner Anblick gewesen, und ich hatte nicht die geringste Lust, diesem schaurigen Schauspiel ein drittes Mal beizuwohnen. Ich sprach leise ein kurzes Gebet, dass Luan sich bitte nicht vergessen möge.

„Verzeih mir, Vater“, erwiderte Phelan und deutete eine entschuldigende Verbeugung in Richtung Drachenthron an, „es war nicht meine Absicht, das Andenken deiner Gefährtin zu beschmutzen. Doch wirst du mir wohl oder übel in der Sache selber zustimmen müssen. Wir wurden betrogen und allein gelassen. Ist es nach dieser schmerzlichen Erfahrung, nach diesem Verrat an unserer Familie nicht mehr als vernünftig, den Ernst der Situation gebührend aufzuzeigen?“

Da hörte sich für mich alles auf.

„Indem jemand für mich und meine Liebe garantiert?“, brach es aus mir heraus, so fassungslos war ich über Phelans Unverfrorenheit. Sicher, rein objektiv betrachtet hatte er recht: Was einmal schief gegangen war, konnte auch ein zweites Mal in die Hose gehen.

Wohlgemerkt: Konnte, musste aber nicht. Das kam nun einmal auf den persönlichen Blickwinkel an. Diese Erkenntnis behielt ich aber klugerweise für mich und setzte stattdessen zu einer Verteidigung meinerseits an:

„Liebe ist keine Klausel in einem Vertrag, den man unterschreibt und in einen Aktenordner heftet, Phelan. Wenn du je geliebt hättest, dann wüsstest du das. Es gibt keine Garantie für ihr Gelingen und noch weniger einen Ersatz im Schadensfall. Ich liebe Daron mehr als mein Leben und habe es nicht nötig, mich vor dir, deinen Brüdern oder deinem Vater zu rechtfertigen! Trotzdem tue ich es, weil es euren Gesetzen entspricht und ich damit eurer Tradition Respekt zollen möchte. Sag mir, Phelan: Sieht es Eure Tradition etwa auch vor, den Gast nach allen Regeln der Kunst zu demütigen?“

Mann, jetzt war ich so richtig fett in Fahrt. So sehr, dass ich vor Wut unkontrolliert zu zittern begann, was ich wiederum nur dadurch in den Griff bekam, dass ich die Arme vor der Brust verschränkte und mir die Fingernägel so tief in die Haut bohrte, dass sie zu schmerzen begann. Davon würden mir morgen sicher einige blaue Flecken und blutige Kerben zurückbleiben, aber das war mir egal. Hauptsache, ich ging nicht so weit, Phelan tatsächlich zu schlagen. Lust dazu hatte ich auf jeden Fall.

„Genug jetzt, es reicht!“, ließ Luan erneut seine tiefe Stimme so laut durch den Raum beben, dass es mir war, als würde sie gleich einem Echo hundertfach auf uns niederprasseln. Fast hätte ich mir aus Reflex die Ohren zugehalten, so sehr dröhnte sein Bass in meinem Kopf, schaffte es aber, mich zu beherrschen.

Die darauf folgende Ruhe war nahezu erdrückend. Ich wagte kaum zu atmen.

Welch schreiende Stille.

So war die Aufnahmezeremonie bestimmt nicht gedacht gewesen.

„Aline, ich entschuldige mich bei dir für Phelans Verhalten“, fuhr Luan in einem wesentlich ruhigeren Tonfall fort und schenkte mir dabei einen Blick aufrichtigen Verzeihens aus seinen silbrig schimmernden Augen. „Dies ist nicht der normale Verlauf der Prozedur.“

Ach was, sag bloß.

„Allerdings hat Phelan, so wenig es mir gefällt, einen Punkt angesprochen, den er meiner Meinung nach zwar weitaus früher hätte anmerken können, der nun aber im Raum steht und – so leid es mir tut – nicht von der Hand zu weisen ist. Der Verlust meiner geliebten Frau und Mutter meiner Söhne hat uns als Familie schwer erschüttert. Es kostete uns alle Kraft, nicht daran zu zerbrechen. Mir wäre es um ein Haar so ergangen, und wärst du nicht gekommen, Aline, so würde ich wohl heute noch in unserer Welt verweilen, während mein Körper im Cubarium schliefe.“

Luan war im Cubarium gewesen?

Ich hatte ihn bei meinem letzten Besuch dort nirgendwo gesehen. Nicht, dass ich Gelegenheit dazu gehabt hätte, ihn zu suchen – ich war schließlich ausreichend mit Darons Rettung beschäftigt gewesen. Wahrscheinlich hatte er in einer separaten Einzelkammer gelegen. Ich beschloss, bei Gelegenheit Franziska, die Leibärztin der McÉags und mittlerweile meine beste Freundin, um eine private Führung zu bitten. Es gab im Keller des McÉag-Buildings offenbar noch mehr zu entdecken, als ich gedacht hatte. Schnell schrieb ich den Gedanken an meine imaginäre Pinnwand und lauschte weiter dem Vater meines Zukünftigen.

„Was ich damit sagen will, Aline … An deiner Liebe und Aufrichtigkeit zweifelt keiner hier in diesem Raum“ – dabei schoss Luan blitzschnell einen mahnenden Blick in Richtung seines wolfsäugigen Sohnes ab –, „doch kann ich die Verunsicherung und Skepsis nachvollziehen, die Phelan gegenüber einer neuen Bewahrerin in der Familie äußert. Es obliegt mir als Oberhaupt, für unsere weitere Existenz Sorge zu tragen, so lange, bis ich selbst meinen Platz zugunsten meines Jüngsten räumen werde.“ Eine kurze Pause entstand, und ich hatte Mühe, nicht vor lauter Ungeduld mit etwas Unüberlegtem herauszuplatzen. Konnte Luan bitte mal auf den Punkt kommen?

Darons Vater atmete einmal tief durch, dann spannte er seine Schultern an und sprach mit einer solch majestätischen Würde, dass es mir vor Ehrfurcht die Nackenhärchen aufstellte, fein säuberlich eins nach dem anderen.

„Hiermit entscheide ich, Luan McÉag, Vater der Ewigen, dass Phelans Anliegen, wenngleich auch unpassend vorgetragen, stattgegeben wird. Ihm obliegt die Verantwortung, einen Bürgen für Aline zu wählen.“

Ach.

Du.

Scheiße.

Mir war, als hätte mir jemand ein unsichtbares Brett vor den Kopf geknallt. Da konnte ich ja gleich einpacken. Nicht nur, dass einer der McÉag-Brüder in Zukunft Aufpasser für mich spielen sollte und davon sicher alles andere als begeistert sein würde. Nein, ich kam mir dabei vor wie ein kleines, unfähiges Kind, dem man absolut nichts zutraute. Klar, die Welt der Ewigen hatte bestimmt noch allerlei Überraschungen für mich parat, aber nach dem, was ich erlebt hatte, sollte jetzt doch zumindest ein klein wenig mehr Vertrauen in mich vorhanden sein. Ich war schließlich nicht Abigail, aber das konnte ich nicht laut sagen, ohne Gefahr zu laufen, der Familie verwiesen zu werden, bevor ich überhaupt aufgenommen worden war.

Trotz kroch aus meinem Magen hervor und brannte sich ätzend wie Säure in mein Herz. War meine Prüfung denn überhaupt nichts wert gewesen? Mit Daron an meiner Seite war meiner Meinung nach umfassend genug für meine Anpassung gesorgt, aber mich beschlich allmählich das ungute Gefühl, dass man mich gar nicht fragen würde und mein Liebster als Bürge für mich von vornherein ausschied. Zu schmerzlich hatte ich in der letzten Zeit erfahren müssen, dass es nie verkehrt war, in der Welt der Übernatürlichen auf seinen Instinkt zu hören.

„Ich danke dir, Vater, für dein weises Urteil“, verneigte sich Phelan vor dem Drachenthron und wandte sich anschließend mit seinem zurückgekehrten, selbstgefälligen Lächeln an den Rest der Achtlinge. „Nun denn, meine Brüder, ihr habt es gehört. Wer von euch ist bereit, mit seinem Wort für unsere zukünftige Mrs. McÉag einzustehen?“

„Ich bürge“, riefen Alan und Cayden umgehend wie aus einem Mund. Dankbarkeit überströmte mich in unsichtbaren Wellen und veranlasste mich, ihnen ein nahezu unmerkliches, erleichtertes Lächeln zu schenken. Mit ihnen als Gouvernanten konnte ich tatsächlich leben. Doch wieder mal hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

„Abgelehnt!“, ertönte Phelans herablassendes Lachen hinter mir. Erschrocken drehte ich mich zu ihm um. Was passte ihm denn jetzt wieder nicht? Da hatte er schon zwei Bürgen auf einmal und war immer noch nicht zufrieden.

„Weshalb?“, erhob sich Cayden, und sein Haar schillerte im Licht der Kerzen wie tausend Eiskristalle auf einem schneebedecktem Berg.

„Ganz einfach, Bruder“, höhnte Phelan. „Ich verlange einen Bürgen, der nicht zu Alines bisherigen Sympathisanten gehört. Einen Bürgen, der fähig ist, ihre Entwicklung mit dem nötigen Abstand zu beurteilen. So leid es mir tut, aber ihr werdet wohl kaum bezweifeln, dass ihr zwei dafür nicht objektiv genug seid. Wer sonst stellt sich also der Verantwortung?“

Super.

Da konnte ich mir ja gleich selbst ein Ei legen.

Meine einzige Hoffnung auf ein wenig Beistand war geplatzt wie eine Seifenblase, und ich erkannte, dass mein Bauchgefühl mich nicht betrogen hatte. Die Sache würde noch so richtig unschön werden. Und noch während ich mich dafür schimpfte, nicht selbst daran gedacht zu haben, dass nach den Geschehnissen der jüngsten Zeit eine Art Misstrauensvotum auf den Tisch kommen könnte, vernahm ich eine mir nur allzu gut bekannte Stimme in meinem Rücken.

„Ich bürge für Aline.“

Mein Herz setzte gefühlte zwei Schläge aus und Angstschweiß kroch jäh aus jeder meiner Poren. Nie im Leben würde ich jemals wieder diesen silbrigen Klang vergessen, der mich in manchen Nächten bis in meine schlimmsten Träume hinein verfolgte. Mein Körper fühlte sich an wie schockgefroren, und ich bekam kaum mehr Luft. Stockend drehte ich meinen Kopf und blickte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Behutsam erhob Mael sich von seinem Platz und trat, ohne mich anzublicken, in die Mitte des Raumes.

„Mael, welch Überraschung“, erwiderte Phelan. „Du willst für Aline bürgen? Ausgerechnet du, der nichts unversucht gelassen hat, ihre Liebe zu unserem jüngsten Bruder zu zerstören? Was hat dich denn zu diesem überraschenden Entschluss bewogen?“

„Meine Gründe hierfür gehen nur mich etwas an, Bruder“, schnitt Maels helle Stimme wie ein Messer durch die zentimeterdicke Stille im Saal, „aber wenn es dich so sehr interessiert, dann nenne es meinetwegen Buße für mein Vergehen. Auch wenn ich deinen Kriterien gemäß ebenfalls nicht gerade als objektiv bezeichnet werden kann, so frage ich dich, Phelan: Wer von uns könnte wohl besser beurteilen als ich, ob Aline sich ihrer zukünftigen Stellung als würdig erweist?“

Jetzt klappte mir der Unterkiefer auf den Steinboden.

Das konnte einfach nicht wahr sein.

Am liebsten hätte ich mich gezwickt, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träumte.

Mael als mein Befürworter und zukünftiger Babysitter.

Ja nee, is klar.

Und die Flüsse flossen fortan aufwärts.

Gerade als ich auf die Etikette pfeifen und aktiv protestieren wollte, fragte Luan seinen Sohn, ob es tatsächlich dessen aufrichtiger Wunsch sei, für mich zu bürgen. Er gab sich dabei keine Mühe, seine Irritation zu verbergen.

„Ja, so ist es, Vater“, bestätigte Mael und verneigte sich leicht vor dem Drachenthron.

„Und du, Phelan, bist du mit diesem Bürgen einverstanden?“

„Ja, Vater.“

„Nun“, antwortete Luan mit seinem tiefschwarzen Bass, „das kommt zwar etwas unerwartet, aber wenn Phelan mit diesem Bürgen einverstanden ist, dann soll es so sein. Mael steht Aline fortan als Ratgeber zur Seite, wann immer sie Fragen zu unseren Traditionen und Gesetzen hat. Er wird sie auf ihrem Weg in unsere Familie begleiten, wodurch gemäß Phelans Verlangen ihr problemloses Einleben gewährleistet werden soll.“

Ich fiel mittlerweile einfach nur vom Glauben ab und bekam aufgrund der Enge des Korsetts kaum mehr Luft.

Was für eine Scheiße lief da nur gerade ab?

Und, noch viel wichtiger: Wer fragte denn mich, ob ich das alles überhaupt wollte? Hilfesuchend blickte ich wie ein kopfloses Hühnchen um mich und traf schließlich auf Alans fassungslosen Gesichtsausdruck. Auch er konnte offenbar nicht verstehen, was sich gerade ereignete. Als sich unsere Blicke begegneten, erwachte er endlich aus seiner Starre, trat energisch vor seinen Vater und verbeugte sich kurz.

„Bei allem Respekt vor deiner Autorität, Vater, aber ich muss vehement gegen diese Entscheidung protestieren. Wir alle wissen, was Mael Aline angetan hat. Auch wenn er sich inzwischen gebessert hat, so ist es meiner Meinung nach unverantwortlich, ein Opfer von seinem Peiniger betreuen zu lassen. Ich spreche hier nicht nur von der immensen psychischen Belastung, der Aline dadurch ausgesetzt ist. Ein zahnloser Löwe besitzt schließlich immer noch seine Krallen.“

Eiskaltes Schweigen senkte sich auf alle Beteiligten herab wie ein Vorhang aus schwerem Samt. Die Stimmung war zum Zerreißen gespannt und drohte jeden Moment in eine Richtung zu kippen. Die Frage war nur, in welche.

Eins war mir jedenfalls klar: Egal wie diese von Phelan inszenierte Schmierenkomödie ausgehen würde – allein dafür, dass Alan sich vor mich gestellt hatte, hatte er was bei mir gut. Mehr noch hätte ich mir natürlich gewünscht, dass Daron sich für mich eingesetzt hätte, doch mein schwarzer Riese saß wie versteinert auf seinem Platz und verzog nicht die geringste Miene. Was zum Geier war los mit ihm?

Luan maß Alan mit einem Blick, der zunächst nichts als zorniges Missfallen über dessen Einspruch erkennen ließ. Härte zeichnete sich in seinem Gesicht ab und ließ es in diesem Moment um Jahre älter wirken. Es gefiel ihm nicht, für seine Entscheidung kritisiert zu werden. Nun, wer mochte das schon gern, noch dazu vom eigenen Kind?

Aber gerade als ich dachte, er würde Alan gleich übers Knie legen, änderte sich Luans Gesichtsausdruck. Wo soeben noch Verärgerung vorgeherrscht hatte, trat nun eine andere Empfindung in den Vordergrund. Erst konnte ich sie nicht identifizieren, doch als Luan nickte, wusste ich, was es war.

Anerkennung.

„Dein Einsatz für Aline ehrt dich, Sohn, vor allem, da du keiner Verpflichtung unterliegst, für sie zu sprechen. Dein Einwand ist hiermit zur Kenntnis genommen.“

Langsam drehte sich Luan in meine Richtung und sah mich so durchdringend mit seinen hellblauen Augen an, dass es mich fröstelte. Gerade noch rechtzeitig widerstand ich dem Impuls, mich zu schütteln.

„Es ist mir sehr wohl bewusst, mit welcher Situation ich dich hiermit konfrontiere, Aline. Meinen Entschluss habe ich nicht leichtfertig getroffen, und wäre ich mir nicht sicher, dass du die Stärke besitzt, damit umgehen zu können, so hätte ich Phelans Wahl widersprochen. Doch es ist wie so oft im Leben. Jedem, der einen Fehler gemacht hat, steht die Chance zu, etwas wiedergutzumachen und sich zu bewähren. Mael hat sich in den letzten Wochen wahrlich reumütig gezeigt, und das sage ich als sein Oberhaupt, nicht als sein Vater. Ich bin überzeugt davon, dass es euch beiden gut tun wird, euch auf einer anderen Ebene kennen und verstehen zu lernen. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe. Meine Entscheidung ist gefallen.“ Mit diesen Worten machte Luan auf dem Absatz kehrt und nahm wieder auf seinem Thron Platz.

Ich wusste nicht, ob ich jetzt lachen oder weinen sollte. Hysterie keimte in meinem Innern auf und drohte mich jede Sekunde wie eine heranrollende Monsterwelle zu verschlucken.

Mael als Babysitter - das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein.

Verraten - Die Linie der Ewigen

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