Читать книгу Verraten - Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 13
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Оглавление„Du bleibst liegen, ich sehe nach“, befahl mir Daron in einem sanften, wenn auch sehr bestimmten Ton, stupste mich mit einem Finger auf die Nase und erhob sich vom Bett, um in Richtung Tür zu marschieren. Obwohl mir gerade mein nicht gehabtes Abendessen durch den Kopf gegangen war, ließ mich der Anblick seiner imposanten Statur, oder vielmehr seiner leckeren Kehrseite, leise erbeben. Das rote Hemd schmeichelte seinem schwarzen Haar, welches gleich einem Vorhang aus schimmernder Seide bis fast genau auf Ellenbogenhöhe auf seinem Rücken ruhte und einen wunderbar weichen Kontrast zu dem breiten V seiner definierten Schultern bildete. Sein knackiger Hintern steckte in einer eng sitzenden, schwarzen Lederhose, die mehr offenbarte als verhüllte. Daron trug diese Hose oft, weil er wusste, welche Wirkung sie auf mich hatte. Und natürlich, weil er sich durchaus im Klaren über mein Wissen darüber war, dass er generell nie Unterwäsche trug. Ich nahm seufzend noch einen Schluck Wasser, bevor ich mich tiefer in die Laken verkroch. Mittlerweile benutzte ich zwar wasserfeste Mascara, sodass ich mir sicher sein konnte, nicht wie eine Vogelscheuche auszusehen, dennoch fühlte ich mich einfach nicht gut und wollte in diesem Aufzug nicht unbedingt eine Audienz gewähren.
Ich vernahm, wie Daron die Tür öffnete und leise mit dem Besucher sprach. Einige Minuten später näherten sich Schritte meinem Bett. Ich zählte zwei Paar Schuhe. Ach verdammt, in diesem Zustand wollte ich niemanden sehen, so frisch ausgekotzt und halb nackt im Bett liegend. Man konnte mir doch wenigstens jetzt eine Pause gönnen.
„Na, da hat mich mein Instinkt mal wieder nicht getrogen, was, Aline?“
Eine weibliche Stimme, hell, sympathisch und mir nur allzu gut bekannt. Erstaunt schlug ich die Bettdecke von meinem Kopf zurück und erblickte ein von einem Haufen wilder Locken umrahmtes, freundliches Gesicht, in dessen Mitte sich zahlreiche Sommersprossen und eine randlose Brille befanden. Jetzt war ich wirklich überrascht. Keine Ahnung, seit wann Franziska sich innerhalb dieser Mauern befand; in den Stunden vor meiner offiziellen Vorstellung hatte sie jedenfalls nicht bei mir geklingelt.
„Seit wann bist du denn da?“, fragte ich und wollte mich schon hastig aufrichten, als Franziska mir sanft eine Hand auf die Schulter legte und mich niederdrückte.
„Unterstehe dich“, ermahnte sie mich und setzte dabei ihren strengen Doktorblick auf, den sie immer benutzte, wenn sie mich tadelte oder mir etwas nicht abkaufte. „Du bleibst mal schön artig liegen. Wie gut, dass ich sowieso nach dir sehen und fragen wollte, wie die Einführung gelaufen ist. Ich hatte mir schon gedacht, dass sich die ganze Aufregung irgendwann äußern wird. Deshalb habe ich Alan nach dem Termin des Zeremoniells gefragt und seit gestern Abend hier Quartier bezogen.“
„Gestern Abend? Als wir heute Morgen ankamen, habe ich deinen Smart gar nicht auf dem Parkplatz gesehen. Nur die üblichen dicken Schlitten.“
Ein Grinsen breitete sich auf Franziskas Gesicht aus und brachte ihre hellen Augen zum Strahlen. Normalerweise bestand der Fuhrpark der McÉags, wie auch der ihrer Angestellten, ausschließlich aus den nobelsten Karossen, die die Automobilindustrie zu bieten hatte. Franziska allerdings war kein Typ für derartigen Status-Schnickschnack. Sie hatte mir mal nebenbei erzählt, wie schwierig es gewesen war, Luan als Kopf des Clans davon zu überzeugen, dass der silberne Porsche zwar an Prestige und PS nicht zu überbieten war, sie allerdings für die Stadt ein praktischeres Gefährt favorisierte, mit dem man sich auch in die noch so kleinste Parklücke mogeln konnte. Für die McÉags und ihr seit Jahrhunderten wachsendes Vermögen stellte der Einkauf eines Porsche einen beinahe lächerlich kleinen Griff in die Portokasse dar, sodass Luan bei Franziskas Bitte nach einem vergleichsweise billigen Stadtflitzer erst einmal ungläubig die Stirn in Falten gelegt hatte. Dass jemand freiwillig ein solch exquisites Angebot zugunsten eines weitaus weniger wertvollen ausschlagen wollte, das war ihm in den vielen Jahrhunderten seiner Existenz bisher auch noch nicht untergekommen. Franziska hatte es letzten Endes aber doch geschafft, ihn mit plausiblen Argumenten von den Vorzügen eines kleinen Stadtautos zu überzeugen.
„Ich stehe hinter dem Schloss. Da gibt es noch einen kleinen, versteckten Parkplatz, nur fürs Personal.“
Aha, das erklärte einiges.
„Und so, wie es aussieht, war es wohl nicht verkehrt, dich im Auge zu behalten, Aline. Eine gute Ärztin kann die Probleme ihrer Patienten quasi über Kilometer hinweg riechen.“
„Na ja, riechen kommt in diesem Fall den Tatsachen wirklich unangenehm nahe“, versuchte ich einen lahmen Scherz und schmeckte erneut das Brennen bitterer Galle. Ich wollte einfach nicht zugeben, wie zermatscht ich mich in Wahrheit fühlte, und kassierte dafür prompt einen tadelnden Blick über Franziskas Brillengläser hinweg.
„Okay, ich halte die Klappe“, ruderte ich schnell zurück und zog mir wieder die Decke bis unter die Nase.
„Wird wohl auch besser sein. Glücklicherweise habe ich meine Notfalltasche mitgenommen. Schauen wir mal, was sie hergibt.“ Geschäftig raschelte und klapperte Franziska neben meinem Bett, doch konnte ich nicht sehen, was genau sie da tat. Kurze Zeit später tauchte sie wieder aus der Versenkung auf und hielt mir zwei Tabletten hin, eine weiße und eine knallig pinkfarbene. Ich blinzelte zweimal fragend und machte keine Anstalten, mir die Decke vom Mund zu nehmen. Frau Doktor Stein kannte meine Abneigung gegen Tabletten jeglicher Art. Vielleicht mal eine Aspirin, wenn denn gar nichts mehr ging. Normalerweise war mir schon die tägliche Einnahme der Antibabypille zuwider. Doch da ich noch nicht wirklich scharf auf Nachwuchs war, war diese Maßnahme einfach unumgänglich und zudem die sicherste Methode, noch ein wenig Zeit allein mit Daron genießen zu können.
„Jetzt schau nicht so, als wollte ich dich vergiften“, seufzte Franziska und rollte mit den Augen, als hätte sie meine Gedanken erraten. Sie kannte mich einfach schon viel zu gut. Oft war ich deswegen richtig froh. Manchmal aber konnte es auch gewaltig nerven. Als ich immer noch nicht reagierte, legte Franzi die Stirn in Falten. Kein gutes Zeichen. Das bedeutete, dass sie ungeduldig wurde.
„Die rosa Kapsel ist gegen die Übelkeit und völlig harmlos. Die weiße ist ein freundlicher kleiner Helfer, der dich entspannen wird und dich endlich mal den Schlaf finden lässt, den du so dringend benötigst. Auch wenn du mir noch so oft erzählst, dass es dir gut geht – Daron hat mir gerade berichtet, wie es wirklich bei dir aussieht. Also verhalte dich jetzt bitte wie eine brave Patientin und nimm die Dinger.“
Noch immer schaute ich sie misstrauisch an. Ich mochte einfach keinen Medizinkram, besonders nicht, nachdem ich mir im Cubarium das Aevum in selbstvernichtender Absicht in den Hals gerammt hatte.
„Aline, jetzt komm schon, tu es mir zuliebe.“ Daron hatte sich hinter Franziska auf mein Bett gesetzt und seine Hand beschwörend auf meinen Oberschenkel gelegt. Oder zumindest dahin, wo er ihn unter der Decke vermutete.
Sehr schön.
Zwei gegen einen und dabei immer auf die Kleinen.
Widerwillig schob ich die Decke runter und öffnete demonstrativ genervt den Mund. Ein leichtes Lächeln umspielte Franziskas Lippen, als sie mir wie einem kleinen Kind die zwei Tabletten auf die Zunge legte und im Anschluss das Wasserglas reichte.
„Na bitte, geht doch“, lobte sie mich, während ich mir einen abwürgte, um die beiden Tabletten auf einen Schlag herunterzuschlucken. Mein durch die Säure aufgerauter Hals machte es dabei nicht einfacher.
„Danke Kleines, das war vernünftig“, tätschelte mich Daron lobend durch das Bettzeug. Ich streckte ihm die Zunge raus. Er wusste, dass ich ihm keine Bitte abschlagen konnte, wenn er seinen treuherzigen Hundeblick aufsetzte. Ich nannte das emotionale Erpressung, er hingegen taktisch kluge Ressourcennutzung. Egal, wie man es auch drehte und wendete – Fakt war: Sie hatten mich beide weichgeklopft. Memo an mich selbst: Dafür würde ich mich revanchieren.
„Sieh zu, dass sie noch mehr trinkt, bevor sie einschläft, und wunder dich nicht, wenn sie morgen nicht vor zehn Uhr aus den Federn kommt. Die Weiße hat es wirklich in sich.“ Mit diesen Worten erhob sich Franziska vom Bett und drückte Daron eine weitere rosafarbene Kapsel in die Hand. „Falls ihr nach dem Aufwachen wieder schlecht wird. Aber nur, wenn es richtig schlimm sein sollte.“
Daron nickte Franziska bestätigend zu und dankte ihr für ihre Mühe. „Ich bin mir sicher, unser Dickkopf hier würde sich auch gern bei dir bedanken, wenn er gerade nicht zu bockig dafür wäre.“
„Ich kann schon selber danke sagen. Du brauchst mich nicht wie ein kleines Kind zu behandeln“, zickte ich meinen Liebsten an und fühlte mich, als würde ich mit Mama und Papa sprechen. Daron ging grinsend mit einer Hand unter die Decke und kniff mich sacht in die Wade.
„Dann führ dich nicht wie eines auf.“ Hätte er mir in diesem Moment nicht dieses freche Lausbubenlächeln und ein neckendes Zwinkern geschenkt – ich wäre tatsächlich ernsthaft sauer geworden. So aber schluckte ich meinen Kommentar wie kurz zuvor die Medikamente hinunter und grummelte in den Bettbezug.
„Wenigstens auf dich hört sie“, lachte Franziska und machte sich daran, ihre Tasche wieder zu schließen. „Ich komme morgen noch mal und werde unserer Patientin eine Blutprobe entnehmen, nur ein Check aus reiner Vorsicht. Ich rechne mal mit einem niedrigen Eisenwert, der unter anderem zu Erschöpfung und Ermüdung führt. Die Spuckerei liegt vermutlich am Stress; Frauen reagieren darauf häufig mit Magenproblemen. Aber ich möchte lieber sicher gehen und auf mögliche Entzündungsherde hin kontrollieren.“
Blut abnehmen? Eine Spritze?
Alle meine Alarmglocken waren in Millisekunden angesprungen.
Alles, nur das nicht.
Doch gerade als ich protestieren wollte, hielt mir Daron mahnend einen Zeigefinger vors Gesicht. „Keine Widerrede, es wird gemacht, was der Doc anordnet. Du willst doch schließlich so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen, oder?“
Verdammt.
„Meinetwegen“, maunzte ich leise in die Decke und zog sie mir noch tiefer ins Gesicht. Meine beiden Aufpasser quittierten mein Zugeständnis mit einem dicken Grinsen und tauschten hierauf einen Blick aus, der mehr als deutlich ihren Sieg unterstrich. Auch wenn es mir in diesem Augenblick gegen den Strich ging, tief in mir drin wusste ich, dass sie recht hatten und sich nur um mich sorgten. Deshalb schob ich meinen gesamten Groll zur Seite und verdiente mir sogar noch einen Extrapunkt, indem ich mein ganzes Wasserglas leerte, während Daron Franziska zur Tür brachte.
„Ich hole dir gleich noch mehr“, sagte mein Zukünftiger, als er zurückkam, sich zufrieden das Glas schnappte und nebenan im Bad verschwand.
„Ich liebe dich“, rief ich ihm noch hinterher und verkroch mich im Anschluss bis zum Anschlag unter die Laken. Auf einmal war ich unerträglich müde, und meine Lider fühlten sich an wie mit Steinen beschwert, sodass ich sie kaum mehr aufhalten konnte. Erschöpfung zerrte an meinem Körper wie ein hungriger Wolf, der mit Gewalt den letzten Fleischrest von einem kahlen Knochen abriss.
Wie ein Wolf …
„Ich liebe dich auch, Kleines“, vernahm ich aus dem Bad, was mich umgehend von meinen düsteren Gedanken ablenkte. Ich verspürte noch kurz ein Stück Erleichterung darüber, jemanden zu haben, der sich so hingebungsvoll um mich kümmerte, bis im nächsten Augenblick schon die Müdigkeit über mir zusammenbrach wie eine bis dahin mühsam aufrecht erhaltene Mauer und mich begrub unter einem schweren, unendlich tiefen Schlaf.