Читать книгу Verraten - Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 5
1
ОглавлениеDunkelheit hüllte den engen Gang ein, der durch eine steinerne Wendeltreppe in das Herz des kleinen Schlosses tief unter der Erde führte. Einzelne Fackeln an den Wänden erleuchteten warm die alten Stufen, die hier und da durch Absplitterungen und tiefe Löcher zu wahren Stolperfallen mutierten. Bei meinem Talent für Tollpatschigkeit eine echte Herausforderung.
„Meinst du nicht, hier sollte dringend mal was getan werden?“, fragte ich meinen stattlichen Begleiter, bei dem ich mich an seinem rechten Arm eingehakt hatte.
Langes, nachtschwarzes Haar floss über seine Schultern fast bis auf Ellenbogenhöhe hinab und bildete einen atemberaubenden Kontrast zu dem dunkelroten Hemd, das an Kragen und Knopfleiste mit ebenso schwarzen Schnörkeln bestickt war.
„Wenn das gerade deine einzige Sorge ist, Aline, dann hast du meine volle Bewunderung. Man trifft schließlich nicht jeden Tag zum ersten Mal seine zukünftige Familie.“
Neckisch zwinkerte Daron mir zu, doch konnte er den Hauch Unsicherheit nicht verbergen, der sich hinter dem funkelnden Grün seiner Augen abzeichnete. Er war tatsächlich nervös.
Na, wenigstens einer von uns beiden.
Mit meinem Ellenbogen versetzte ich ihm einen leichten Stoß in die Rippen, während wir die letzten Stufen nach unten nahmen, und hoffte, dass sich seine Anspannung nicht auf mich übertragen würde. Irgendwie tat es mir richtig leid, dass das kommende Event Daron so zu schaffen machte, während ich doch relativ gelassen blieb. Nach einer unerwarteten Begegnung mit dem Tod, der Vergewaltigung durch seinen Bruder und einem beinahe geglückten Suizid konnte mich einfach nichts mehr so leicht aus der Fassung bringen.
Na ja, fast nichts.
Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wer mich hinter der schweren Holztür mit den massiven Eisenverschlägen erwartete, die am Ende der Treppe vor uns aufragte – darum machte ich mir keine Sorgen. Es gab nur einen einzigen Namen, der mich, sobald ich an ihn dachte, bis ins Mark erschauen ließ.
Mael.
Einer von Darons großen Brüdern.
Er war es gewesen, der von Anfang an meine Beziehung zu Daron hatte sabotieren wollen und dem dafür wirklich kein Mittel zu schade gewesen war. Er hatte ohne Skrupel gelogen, manipuliert und gemeuchelt, bis ihm schließlich ein Pakt meinerseits mit dem Schicksal Einhalt gebot. Ein Pakt, der mir lediglich eine Fifty-fifty-Chance zu überleben eingeräumt hatte und den ich trotzdem bereit gewesen war einzugehen, um Darons Leben zu retten. Ich hatte Glück gehabt: Das Schicksal war an diesem Tag mit dem rechten Fuß aufgestanden und hatte mein Angebot akzeptiert. Hätte es das nicht … daran mochte ich überhaupt nicht mehr denken.
Mael war derjenige gewesen, der mich erst in diese Situation gebracht hatte. Zu tief war er mit seiner Aufgabe verbunden, als dass er es hätte akzeptieren können, in absehbarer Zeit von einem meiner - noch nicht einmal gezeugten - Söhne abgelöst zu werden. Dabei stand hinter allem Hass und Neid, die sein Innerstes verdarben, nichts anderes als die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben, einer Frau und einer Familie. Ein Wunsch, der ihm nie erfüllt werden konnte, ihm ebenso wenig wie den anderen sieben Männern seiner Linie. Denn nur Daron, mein sanfter Riese, trug die Bürde auf seinen Schultern, die Generation der Ewigen weiterzuführen, indem er seine wahre Liebe fand. Für seine Brüder bedeutete diese schicksalhafte Genverteilung im besten Fall Liebe auf Zeit, im schlimmsten Fall ewige Einsamkeit. Vielleicht täuschte ich mich aber auch gewaltig, und jede Einsamkeit, egal wie lange sie dauerte, war allemal besser als die Aussicht, eines Tages den Menschen, den man liebte, zurücklassen zu müssen.
„Kleines, bist du bereit?“, fragte mich Daron und bedachte mich mit einem Blick aus seinen Smaragdaugen, der mir die Knie weich werden ließ. Noch immer konnte ich nicht fassen, welche Verbindung zwischen diesem maskulinen Hünen und mir bestand. Nie hätte ich gedacht, dass solch ein Bild von einem Mann mich jemals lieben würde. Mich, die Zynikerin mit den wuscheligen, roten Haaren und der vorlauten Klappe, die mich ungebremst in jedes Fettnäpfchen im Umkreis von fünfzig Metern springen und darin suhlen ließ wie ein kleines Ferkel.
Ich gönnte mir einen kurzen Augenblick, in dem ich mir Darons Liebe bewusst wurde, und sog dabei jeden Zentimeter seiner umwerfenden Gestalt in mich auf, betrachtete seine Größe und bewunderte seine breiten Schultern, die unter seinem Hemd verborgen abwärts in einen knackigen Sixpack mündeten, an dessen Ende sich das befand, was mir schon so manche Nacht versüßt hatte. Beim Gedanken daran begann sich ein leichtes Flackern entlang der Nervenbahnen zwischen meinen Beinen auszubreiten, doch bremste ich umgehend das anlaufende Kopfkino und erstickte die auflodernde Flamme im Keim.
Jetzt war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt für erotische Fantasien.
Ich atmete tief durch, straffte meine Schultern und drückte meinen Busen nach vorn, der eingeschnürt in ein straffes Korsett gleich einem Kinderpo aus dem großzügigen Ausschnitt hervorgepresst wurde. Kleider und Röcke waren so gar nicht mein Stil, aber anlässlich des bevorstehenden Ereignisses hatte ich mich von Daron überreden lassen, ausnahmsweise über meinen Schatten zu springen. Man konnte seinem zukünftigen Schwiegervater beim ersten Kennenlernen einfach nicht in Jeans gegenübertreten. Zumindest nicht, wenn dieser Schwiegervater selber der Linie der Ewigen entstammte und älter war als alles, was man sich vorstellen konnte.
Also war Daron mit mir einkaufen gegangen – oder das, was er so unter „einkaufen“ verstand. Er hatte mich zu seinem persönlichen Lieblingsschneider gebracht, der Maß genommen und mir ein Kleid auf den Leib gezaubert hatte, das meiner Meinung nach etwas zu sehr old fashioned war.
Cremefarbene Seide und Chiffon verschmolzen zu einer pompösen Sinfonie aus Rüschen, die sich um meinen Ausschnitt und um andere Teile des Kleides wölbten, so als wäre ich Marie Antoinette auf ihrer letzten Party. Vielleicht war ich ja auch so was Ähnliches, wer konnte das schon wissen?
Als Daron mich das erste Mal in diesem Kleid mit dem bauschigen Rock gesehen hatte, hatte es ihm die Sprache verschlagen, so begeistert war er von meinem Anblick gewesen. In dem Moment war mir klar geworden, dass es für mich kein Zurück gab, egal wie unwohl ich mich in dem Fummel fühlte. Also hatte ich schön meine Klappe gehalten, mich artig für mein neues Gewand bedankt und Daron sich noch eine Weile an meinem Auftritt als Sahne-Baiser erfreuen lassen, während Gustave, der Hausschneider der McÉags, die letzten Fäden an meinen Trompetenärmeln entfernte.
Trompetenärmel.
Auch das noch.
„Alles klar, Baby, die Show kann beginnen!“, zwinkerte ich Daron aufmunternd zu und gab ihm noch einen kleinen Kuss auf die Wange. Ein Lächeln huschte über sein angespanntes Gesicht und zeigte mir für eine Sekunde die weiten, grünen Auen hinter seiner Iris, welche sich sanft im Wind wiegten.
„Na dann … los geht’s!“
Mit diesen Worten drückte Daron die schwere Eisenklinke herunter und öffnete die Tür.
Mir stockte beinahe der Atem.
Wenn ich auch mit vielem gerechnet hatte – damit ganz bestimmt nicht.