Читать книгу Verraten - Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 7

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Wie auf Kommando öffnete sich nur einen Augenblick später eine Tür links hinter dem Drachenthron. Sie war so geschickt durch einen der Wandteppiche verdeckt, dass ich sie glatt übersehen hatte.

Nicht zu übersehen waren nun dagegen die sieben stattlichen Hünen, allesamt in Schwarz gekleidet, die einer nach dem anderen durch die Tür in den Thronsaal traten. Einige Gesichter waren mir fremd, doch drei erkannte ich auf Anhieb.

Cayden betrat als Erster den Raum. Seine nahezu weiße Mähne funkelte mit dem Silber seiner Augen im Licht des Feuers um die Wette. Gerade als ich ihn herzlich begrüßen wollte, schoss er mir sekundenschnell einen Blick zu, der mich umgehend innehalten ließ. Nicht jetzt, schien er mir sagen zu wollen, und verwundert blieb ich stehen. Ohne mich weiter anzusehen schritt er zum vordersten Sitzplatz auf der linken Seite und setzte sich.

Okay. Das bedeutete wohl, dass ich die Klappe halten und abwarten sollte.

Auch so eine Sache, mit der ich meine Schwierigkeiten hatte.

Als Nächster folgte ein Mann mit kinnlangen, rotblonden Haaren, die aussahen, als wären sie von einem heftigen Windstoß zerzaust worden. Er würdigte mich keines Blickes, was mich etwas verunsicherte, und setzte sich auf der rechten Seite auf den Stuhl genau gegenüber von Cayden.

Der Dritte, der den Saal betrat, war mir einer der Liebsten. Alan, nie um einen blöden Spruch verlegen und ein wahrhaft treuer Freund in schweren Zeiten, selbst wenn seine Loyalität mir gegenüber die Zerstörung seiner eigenen kleinen Welt bedeutete. Alans ganze Liebe gehörte Franziska, der Hausärztin der McÉags und gleichzeitig zigfachen Urenkelin des einst irrtümlich als Monsterschöpfer bekannt gewordenen Frankenstein. Jener hatte vor unzähligen Jahren einen Pakt mit den Ewigen geschlossen: Wenn sie ihm trotz seiner voranschreitenden Krankheit sein Leben gewährten, würde er seine wertvolle Forschungsarbeit fortan in ihren Dienst stellen. Die Ewigen hatten eingewilligt. Seither war es die Bestimmung jedes Nachfahren der Steins, als Arzt im sogenannten Cubarium die Körper der Ewigen zu bewachen, wenn diese ihre menschliche Hülle verließen, um in der Anderswelt ihren Aufgaben nachzugehen. Alan und Franziska liebten sich von ganzem Herzen, und doch war ihre Liebe von Vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn Alan war zeugungsunfähig wie alle sieben Sündentode. Ohne Samen kein neuer Spross, kein neuer Nachfahr im Dienste der Ewigen. Nur mein Daron, der reine Tod, besaß die Fähigkeit, Kinder zu zeugen.

Mit einer Bewahrerin.

Also mit mir.

Ja, da hatte ich auch erst mal mächtig geschluckt.

Ehrlich gesagt, kaute ich da noch immer gewaltig dran, denn in meinen Augen war das Ganze furchtbar ungerecht, und Ungerechtigkeit verabscheute ich noch mehr als Lakritze. Während es Daron und mir vergönnt war, unsere Liebe so lange, wie wir wollten, in vollen Zügen zu genießen, waren seine sieben Brüder dazu verdammt, ihr Herz entweder für immer für sich zu behalten oder zu lieben mit dem Wissen, eines Tages gehen zu müssen, ohne jemals wiederzukehren. Auch wenn Franziska als Eingeweihte darüber Bescheid wusste, welches Schicksal ihr bestimmt war, und sie deshalb ihre Beziehung zu Alan geheim hielt, hatte beispielsweise Laurin, Caydens große Liebe, nicht den Hauch einer Ahnung, an wen sie ihr Herz verloren hatte. Und genauso wenig wusste sie davon, dass sie eines Tages nach Hause kommen und ihr Heim verlassen vorfinden würde. Jedem der Ewigen stand die Entscheidung frei, gleich einem Casanova durch sämtliche Betten zu turnen und dabei das Singleleben in vollen Zügen auszukosten, oder sich eine Partnerin auf Zeit zu suchen, mit der sie gemessen an der Dauer ihres eigenen Daseins nur einen Wimpernschlag gemeinsamen Glücks erfahren durften. Irgendwann kam für jeden, der sich für eine feste Partnerschaft entschied, der Zeitpunkt, untertauchen zu müssen. Wie sollte man seiner Partnerin denn auch erklären, dass man nicht alterte, während sie dagegen immer faltiger und gebrechlicher wurde? Ich hatte Laurin zwar bisher noch nicht kennengelernt, doch hatte sie allein bei dieser Vorstellung bereits mein tief empfundenes Mitgefühl. Manche Bestimmungen des Schicksals waren an Grausamkeit einfach nicht zu überbieten.

So bedachte ich Alan mit einem warmen, wenn auch traurigen Blick, als er an mir vorüberging und sich neben Cayden setzte. Ich seufzte kurz, um die Schwere zu verscheuchen, die sich nahezu unbemerkt auf mein Herz gelegt hatte, und widmete meine ganze Aufmerksamkeit den beiden nächsten Männern, die durch die Geheimtür kamen. Der vordere besaß so strahlend türkise Augen, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie bildeten einen atemberaubenden Kontrast zu seinen schwarzen Haaren, die er zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Der andere dagegen ließ seine schulterlangen Locken, wie nur die Natur sie zustande brachte, ungebändigt sein Gesicht umrahmen. Mit gesenktem Haupt ging er an mir vorbei. Als er sich neben Alan platzierte, kam mir für einen Moment der Gedanke, er würde mit seinen Haaren sein Gesicht gegen unerwünschte Blicke abschirmen wollen. Keine Ahnung wieso, aber in meinem Magen breitete sich ein merkwürdiges Gefühl aus, das ich schnell wieder zu unterdrücken versuchte. Es gab gerade Wichtigeres, auf das ich mich konzentrieren musste. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass ich hier nun alle von Darons Brüdern kennenlernte.

Ein Stich fuhr mir durchs Herz und ließ es innerhalb einer Sekunde mehrere Takte schneller schlagen. Wenn das wirklich Darons Brüder waren und sie, wie ich vermutete, der Geburtsfolge nach den Raum betraten, dann wusste ich nur zu gut, wer als Nächstes in der Tür erscheinen würde.

Mit schlagartig trockener Kehle wandte ich meinen Blick wie in Zeitlupe in die Richtung, aus der bisher alle Männer gekommen waren. Hatte ich gedacht, ich wäre auf dieses Zusammentreffen vorbereitet gewesen, so musste ich mir eingestehen, dass ich mich gründlich getäuscht hatte.

Mael stand in der Öffnung; seine Haare fielen ihm wie ein Rahmen aus goldenen Wellen über die Schultern fast bis zu den Hüften. Auch wenn er noch einige Meter von mir entfernt war, fühlte ich doch umgehend den stechenden Blick seiner eiswasserblauen Augen auf mir ruhen. Kälte breitete sich in meinem Inneren aus und spendierte mir im Handumdrehen eine Freifahrt ins Gänsehautland.

Langsam setzte Mael sich in Bewegung und ging auf mich zu. Am liebsten hätte ich geschrien, mich auf dem Absatz umgedreht und in Lichtgeschwindigkeit aus dem Staub gemacht, doch war ich zu erstarrt vor Entsetzen, als dass ich auch nur hätte blinzeln können. Während er auf mich zukam, blitzten innerhalb einer Hundertstelsekunde in meinem Hirn all die Szenen auf, die mich mit ihm verbanden.

Wie Mael mich das erste Mal im Traum besucht hatte.

Wie er mich unter der Dusche hatte vergewaltigen wollen.

Wie er mich schließlich im Cubarium tatsächlich missbraucht hatte – mit dem Versprechen, dafür Darons Leben zu schonen.

Und wie er im Anschluss daran trotzdem versucht hatte, Darons Körper mit einer Injektion hoch dosierten Aevums auszuschalten.

Bei dem Gedankenflash an all die schrecklichen Momente, die er mir bereitet hatte, an all die Minuten, die er auf mir gelegen hatte, verkrampfte sich unwillkürlich mein ganzer Körper und ein dumpfer Phantomschmerz schoss mir durch den Unterleib, dort, wo Mael so fest zugestoßen hatte, dass ich heftig geblutet hatte. Selbst jetzt, noch Wochen später, hatte ich leichte Probleme in der Region unterhalb des Bauchnabels. So hatte sich beispielsweise meine Periode seit der Vergewaltigung nicht mehr eingestellt. Franziska führte dies auf die psychischen Nachwirkungen der Vergewaltigung zurück; schließlich nahm ich seit Jahren die Pille, und Mael war sowieso unfruchtbar. Mal ganz abgesehen davon, dass Cayden ihn damals noch vor seinem Erguss von mir herunter gerissen hatte. Untersuchungen hatten ergeben, dass ich körperlich mittlerweile wieder in Ordnung war, wenn man einige kleine innere Hämatome ignorierte, die noch nicht vollständig abgeheilt waren, weshalb Franziska weiterhin auf einer regelmäßigen Kontrolle bestand. Vorsicht war schließlich besser als Nachsicht, wie sie immer sagte, und da musste ich ihr komplett recht geben. Nach außen hin hatte ich die ganze Geschichte zur Verwunderung aller relativ gut weggesteckt – nun ja, zumindest bewusst. Über das Unterbewusstsein maß ich mir dagegen kein Urteil an. Daron befürchtete zwar, dass mir das Ganze doch mehr zu schaffen machte, als ich mir jetzt eingestehen wollte, und dass es mich in einem unerwarteten Moment mit voller Kraft von hinten niederstrecken würde. Ich dagegen glaubte irgendwie nicht daran. Nein, ich war vielmehr der festen Überzeugung, die Halbvergewaltigung gut verkraftet zu haben. Vielleicht, weil ich dem Akt letzten Endes zugestimmt hatte, um Darons Leben zu retten, und weil ich Mael seine Tat inzwischen vergeben hatte.

Ja genau, vergeben.

Aber nicht vergessen.

Der Tiger besaß schließlich immer noch seine Zähne, auch wenn er geschworen hatte, fortan Möhrchen zu knabbern.

Als Mael nun mit der Geschmeidigkeit und dem scharfen Blick jener tödlichen Raubkatze auf mich zukam, fragte ich mich, wie viel Wildheit noch in ihm stecken mochte. Langsam, beinahe majestätisch schritt er an mir vorbei und ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen. Ich versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu lesen, scheiterte jedoch kläglich. Zu gut hatte er sich in der Gewalt, als dass er sich seine Gefühle hätte anmerken lassen. Ich fragte mich, was man in den letzten Wochen, nachdem Cayden ihn mit Gewalt in die Anderswelt befördert hatte, wohl mit ihm angestellt hatte. Mael war, so hatte ich noch vor meiner Vergewaltigung erkannt, nichts anderes als eine verirrte Seele, die sich nichts weiter wünschte, als eine Liebe zu finden, wie sie Daron und ich füreinander spürten, um sie auf ewig festzuhalten. Seine Bestimmung jedoch sah anders aus, und genau das hatte ihn zerbrechen lassen. Das und der Umstand, dass er anstelle seines Bruders Kian ihrer Mutter das Leben hatte nehmen müssen.

Hatte er sich seit seiner Verbannung in die Anderswelt wirklich so sehr in seinem Wesen geändert, wie Daron mir berichtet hatte, und sein Schicksal akzeptiert?

War das überhaupt möglich?

Und, falls ja, was hatte man bloß mit ihm gemacht, dass er sich um ganze hundertachtzig Grad gedreht hatte? Die noch gut erkennbaren Überreste der Prügel, die Mael im Cubarium kassiert hatte, sowie ein nicht ganz akkurat zusammengewachsener Nasenbeinbruch zeigten mir, wie immens allein die physische Gewalt gewesen war, die er in dieser Welt erfahren hatte.

Wozu waren die Ewigen wohl noch fähig? Nein, da wollte ich jetzt gar nicht weiter drüber nachdenken. Manche Dinge blieben besser im Dunkeln. Sonst würden mich nur noch Albträume verfolgen.

Ich straffte meine Schultern und schaffte es trotz meines fast zum Zerspringen klopfenden Herzens, Maels Blick nahezu gleichgültig über mich ergehen zu lassen. Stattdessen richtete ich meine Aufmerksamkeit weiter auf die geheime Öffnung in der Wand, aus der, wie schon geahnt, Kian als Letzter hervortrat. Er sah Mael wirklich zum Verwechseln ähnlich, und hätte er nicht durch seine leicht geduckte Haltung einen merklichen Kontrast zu seinem mächtigen Zwillingsbruder ausgestrahlt, hätte ich sie tatsächlich nicht voneinander unterscheiden können.

Mael mal zwei.

Fast hätte ich mir bei dem Gedanken ins Höschen gemacht, doch wie durch ein Wunder an Selbstbeherrschung gelang es mir, meine im Bauch herumflatternde Panik im Zaum zu halten. Bewusst kontrolliert drehte ich mich zu Daron um, darauf bedacht, jedwede fahrige Bewegung zu vermeiden. Ich wollte einfach nicht zeigen, wie sehr mich das Aufeinandertreffen mit Mael trotz intensiver psychischer Vorbereitung erschüttert hatte. Also achtete ich mehr als üblich auf das, was ich tat, wie ein Betrunkener, der sich betont bemüht, nicht alkoholisiert zu wirken - und es dadurch erst recht tut.

Das aufmunternde Zwinkern, das ich mir als Belohnung von Daron erwartet hatte, wo ich mich doch gerade so wacker geschlagen hatte, blieb zu meiner großen Überraschung allerdings aus. Nichts spiegelte sich in seinem Gesicht, als ich ihn ansah, nicht das kleinste bisschen Aufmunterung. Er betrachtete mich teilnahmslos wie eine völlig Fremde und machte auch keine Anstalten, meine Hand zu nehmen. Mir war, als würde der Boden unter mir zu schwanken beginnen.

Kaum hatte Kian auf dem letzten Thron an der linken Seite Platz genommen, ging Daron kommentarlos zu den anderen hinüber und ließ sich, ohne mich eines Blickes zu würdigen, auf dem letzten noch verbliebenen Platz nieder.

Er ließ mich allein in der Mitte dieses Kellergewölbes, umrahmt von all seinen Brüdern und seinem Vater, ungewiss, was nun kommen würde. Ich fühlte mich plötzlich wie ein Schaf inmitten eines Rudels hungriger Wölfe.

Scheiße!

Mein Herz pumpte schneller und schneller, und ich brauchte all meine Konzentration, um keinen hysterischen Anfall zu kriegen. Das wäre mir in diesem Korsett auch ziemlich schlecht bekommen, ein Hyperventilieren hätte mich umgehend ausgeknockt und vor versammelter Mannschaft zu Boden geschickt. Nein, diese Blamage konnte ich mir keinesfalls leisten. Wenn ich daran dachte, was ich bereits alles auf mich genommen hatte, um so weit zu kommen, dann würde ich jetzt auch noch mit dem, was mir bevorstand, fertig werden.

Irgendwie.

Also konzentrierte ich mich für zwei Sekunden angestrengt auf meine Atmung und schaffte es, mich ein wenig zu beruhigen. Du packst das, Aline, du packst das!, feuerte ich mich gedanklich selber an. Insgeheim wünschte ich mir, Daron hätte mich besser auf das Familientreffen vorbereitet. Was hatte ich ihn gelöchert, er sollte mir doch um Himmels willen erzählen, was mich hier erwartete. Stattdessen hatte er sich in Schweigen gehüllt und mir versichert, dass es nicht so schlimm werden würde. Pah, von wegen! Gerade jetzt, wo ich ihn am nötigsten brauchte, seine Stärke und seinen Beistand, da ließ er mich einfach stehen wie bestellt und nicht abgeholt, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was von mir erwartet wurde.

Wohl wieder so ein beschissenes Gesetz der Ewigen.

Allmählich ging mir diese Kryptik mächtig auf den Keks.

Verraten - Die Linie der Ewigen

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