Читать книгу Verraten - Die Linie der Ewigen - Emily Byron - Страница 15

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Unsichtbare Hände fassten nach mir, packten mich an den Schultern und schüttelten mich heftig, doch mein Entsetzen saß zu tief, als dass ich zu irgendeiner Reaktion fähig gewesen wäre. Es war mir egal, wer mich festhielt und wem all die Stimmen gehörten, die ich wie durch eine gepolsterte Wand vernahm. Ich erkannte ihre Klangfarben, nicht aber das, was sie sagten. Es kümmerte mich auch nicht. Das Einzige, was ich wollte, war, mein Leid, das sich in meinem Herzen zu einer hochexplosiven Bombe gebündelt hatte, zur Detonation zu bringen und damit für immer zu beenden.

Ein kurzer, scharfer Schmerz fuhr mir in meinen rechten Arm, gefolgt von einem unterschwelligen Brennen, dass sich wie tausend Feuerameisen beißend bis hoch in meine Schulter ausbreitete. Ich hasste dieses Gefühl, überhaupt hasste ich, irgendetwas zu fühlen, verriet es mir doch, dass ich mit jeder Sekunde, die verging, wieder mehr zur Besinnung kam.

Ich wollte nicht fühlen.

Nicht aufwachen.

Nie mehr.

„Aline, verdammt noch mal, mach endlich die Augen auf!“, hörte ich eine weibliche Stimme über mir und registrierte noch im selben Moment, dass sie Franziska gehörte. Ich wollte meine Augen aber nicht öffnen, nicht sehen, wer um mein Bett stand. Ich wollte nur wieder hinabgleiten in meinen Schmerz, in meine Scham und mein Verderben, um mich darin zu suhlen wie ein Schwein im Morast. Denn genauso fühlte ich mich.

Phelan hatte recht gehabt.

Ich hatte es nicht anders verdient.

„Aline!“

Mittlerweile war Franziskas Stimme zu einem grellen Schrei verzerrt. Panik durchströmte ihre Stimme. Ich konnte ihre Furcht nicht nur hören, sondern sogar förmlich riechen, wie sie ihr scharf wie aufgekochter Essig aus den Poren strömte. Sie hatte wirklich Angst, und damit knackte sie mich.

Denn wie gern ich mich auch weiter aus der Realität ausgeklinkt hätte und für immer liegen geblieben wäre, so erhob sich doch im hintersten Eckchen meines mit Selbstvorwürfen übersäten Herzens eine kleine Stimme der Vernunft, die mich leise, aber eindringlich mahnend fragte, ob es trotz aller Demut richtig sei, eine gute Freundin dermaßen zu quälen?

Scheißgewissen.

Meine Welt war am Zerbrechen, aber egal, Hauptsache der Anstand bekam seinen Willen.

Widerstrebend öffnete ich erst das eine, dann das andere Auge. Es dauerte einen Moment, bis sich die verschwommenen Umrisse vor mir schärften und sich zurückbildeten in die Menschen, die mir am nächsten standen. Menschen, lachte ich bei dem Gedanken innerlich auf. Was war an uns allen denn schon menschlich? Wir waren nichts anderes als Launen der Natur, Launen einer höheren Macht, der nicht mal die ach so starken McÉags in ihrer Bestimmung zu entkommen vermochten.

Heiß brannten mir die Tränen in den Augen, die ich soeben noch im Traum vergossen hatte. Doch ich wusste es besser.

Es war kein Traum gewesen, sondern eine Zukunftsvision, eine Vorahnung.

Gedemütigt wandte ich meinen Kopf zur Seite, damit ich keinen der Anwesenden anblicken musste. Zu unfassbar groß war in diesem Moment meine Schmach, zu intensiv die Schande, die ich auf mich geladen hatte. Auf mich, auf Daron und auf seine gesamte Familie.

„Kleines, was ist los?“

Sorgen färbten Darons tiefen Bass noch dunkler, als er ohnehin schon war. Nein, ich konnte ihm jetzt nicht antworten, geschweige denn ihn ansehen. Hätte ich es getan – ich hätte vollends die Kontrolle über mein nur noch mühsam aufrechterhaltenes Nervenkostüm verloren. Der Umstand, dass ich ihn mehr liebte als mein Leben und er mich nicht minder, machte es mir umso schwerer, nicht auf der Stelle Schutz in seinen Arme zu suchen. Er war doch mein sanfter Riese, der immer für mich da war, egal, was das Schicksal uns bescherte.

Das Schicksal.

Diesmal lachte ich lauthals los.

Das Schicksal, diese alte Schlampe!

Was um alles in der Welt hatte ich nur verbrochen, dass es mich durch eine solche Hölle schickte, und mit mir all diejenigen, die ich liebte? Von einer Sekunde auf die nächste schlug bei diesem Gedanken mein Lachen in ein hysterisches Schluchzen um und gab all die Verzweiflung preis, welche mein Herz gewaltsam herausgerissen hatte, um sich dann an dessen Stelle breitzumachen.

„Was ist los mit ihr, Franziska?“

Aha.

Alan war also auch da. Na, wie schön. Sollte doch gleich der ganze Clan von meinem Verderben erfahren, früher oder später würde es sowieso die Runde machen.

Nein, riss ich mich zusammen. So nicht. Und nicht jetzt.

Ich holte tief Luft und schaffte es, zwischen meinen krampfhaften Schluchzern zumindest leise ein einzelnes Wort zu artikulieren:

„Raus!“

Die nachfolgende Stille hallte schwerer als das Getöse Tausender Stimmen. Ich wappnete mich innerlich für das Unvermeidliche.

„Aline, wieso?“

Da war sie, verkleidet in eine so scheinbar harmlose Formulierung.

Da war sie, die Frage nach dem Warum, die ich gerade nicht beantworten konnte und wollte, gestellt von demjenigen, der mich besser kannte als irgendjemand sonst auf der Welt.

Gestellt von demjenigen, für den ich bereit gewesen war, mein Leben zu geben, und der in diesem Augenblick nicht mal wusste, dass ich es tatsächlich längst gegeben hatte.

Denn das, was zurückgekehrt war, war nicht mehr das, was er einst zu lieben begonnen hatte.

„Bitte – raus!“, verlieh ich meinem verzweifelten Flehen mehr Nachdruck. Auch wenn ich niemanden sehen wollte, gelang es mir entgegen meinem Vorhaben nicht, die Augen geschlossen zu halten. Denn so unverständlich allen Anwesenden mein Verhalten erschien, so hatten sie es doch nicht verdient, ignoriert zu werden. Ich dagegen, ich verdiente die Last, ihnen direkt in die Augen sehen und ihre Sorge wie zig Messerstiche in meiner Seele spüren zu müssen, während mir eine kleine Stimme unaufhörlich ins Ohr flüsterte, dass ich sie alle verraten hatte.

Dass ich Daron verraten hatte.

Dass es nichts gab, was dieses Vergehen wieder rückgängig machen konnte.

Die unsichtbare Hand der Scham wollte meine Lider weiterhin nach unten drücken, doch ich kämpfte wie eine Irre dagegen an, fest entschlossen, meine Strafe in Empfang zu nehmen. Langsam wanderte mein Blick über meinen rechten Arm, aus dessen Beuge ein kleiner Blutstropfen quoll, bis hinauf zu meiner Hand, die von Daron sanft und gleichzeitig krampfhaft verzweifelt festgehalten wurde. Sein Gesicht war so wunderschön, wie es voller Sorge und Angst über mir zu schweben schien. Seine Haare hatte er sich nach hinten gestrichen, doch eine neckische Strähne war widerspenstig geblieben und kitzelte nun federleicht meine Schulter. Wässrig grün schimmerten seine Augen wie Monets Seerosenblätter auf dem Teich einer französischen Parkanlage. Bedingungslose Liebe schoss mir wie ein Feuerschwall durch jede meiner Poren und vermengte sich mit der Schande, die ich über uns gebracht hatte.

„Kleines …?“

So viele Fragen standen in Darons Gesicht geschrieben.

Ich drückte seine Hände mit meiner und entlockte ihm dadurch ein kleines Lächeln.

„Bitte, Daron“, schaffte ich es, ein paar Worte zu sprechen, und schluckte heftig gegen den unsichtbaren Amboss an, der auf meiner Brust lag, „bitte, geh nach draußen. Und nimm Alan mit. Ich muss mit Franziska allein reden.“

Das Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. Unverständnis trat an dessen Stelle, und irritiert blickte Daron von mir zu Franziska, dann zu Alan und wieder zurück zu mir.

„Kleines, du hast im Schlaf geschrien und getobt, als wäre dir das größte Unheil der Welt auf den Fersen. Du warst kaum zu bändigen, geschweige denn aufzuwecken. Deshalb habe ich Franziska geholt. Sie hat dir etwas gespritzt, um das Schlafmittel zu neutralisieren. Wir wussten nicht, was mit dir ist, und haben uns furchtbare Sorgen um dich gemacht. Und nun verlangst du von uns, dass wir dich allein lassen? Kommt nicht in Frage!“

Das größte Unheil der Welt.

Er hatte ja keine Ahnung.

Ärger huschte über Darons Gesicht und ließ mehr als deutlich erkennen, dass er nicht willens war, in diesem Moment auch nur einen Millimeter von meiner Seite zu weichen.

Mist.

Beschämt senkte ich meinen Blick.

„Damit das klar ist, Aline: Keiner hier, dem du so einen Schrecken eingejagt hast, verlässt das Zimmer. Wir sind hier, um dir zu helfen. Du kannst nicht immer alles mit dir allein ausmachen. Wir sind deine Freunde, deine Familie. Was dich bekümmert, das belastet auch uns.“

Ich hob überrascht meinen Kopf, während Daron noch immer meine Hand hielt.

Noch nie zuvor hatte ich ihn solch große Worte so ernst aussprechen hören. Sie fassten unsichtbar nach meinem Herzen und drückten zu.

Rührung überrollte mich gleich einem Tsunami und schnürte mir die Kehle enger. Nein, ich würde nicht schon wieder heulen. Doch mein Körper verweigerte mir mittlerweile komplett den Gehorsam, und ehe ich mich’s versah, schmeckte ich Salz in meinem Mundwinkeln.

Eine Hand fasste nach meinem Gesicht und streichelte mir sanft die Tränen fort.

Der Ärger war bereits wieder aus Darons Gesicht verschwunden und einer Mischung aus Liebe und Hilflosigkeit gewichen.

„Kleines, bitte rede mit uns. Wir lieben dich doch. Wir wollen dir helfen. Ich will dir helfen.“

Da musste ich durch meinen verschwommenen Vorhang aus Tränen hindurch lächeln.

Helfen, das konnte mir inzwischen keiner mehr.

Nur war ich die Einzige, die das bisher wusste.

Ich drückte erneut wie zur Bestätigung Darons Hand, was ein kleines Leuchten auf sein Gesicht zauberte. Oh, ich liebte diesen Ausdruck – war er doch Zeuge davon, wie tief mein sanfter Riese mich in sein Herz geschlossen hatte. Umso schwerer fiel es mir nun, das zu tun, was ich tun musste. Daron und Alan hatten nicht gehen wollen, obwohl ich sie darum gebeten hatte. Dann mussten sie jetzt mit dem klarkommen, was ich ihnen eigentlich hatte ersparen wollen.

Müde wandte ich meinen Kopf nach rechts und blickte in Franziskas sorgenvolles Gesicht.

So viel Zuneigung lag darin, so viel bedingungslose Freundschaft.

Und wieder mal lag es an mir, all das zu zerstören.

Stockend holte ich Luft und setzte zu der Frage an, auf die ich die Antwort bereits kannte.

„Franziska … bin ich vielleicht schwanger?“

Verraten - Die Linie der Ewigen

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