Читать книгу Deutschland zu Fuß - Enno Seifried - Страница 14

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Bei Sehestedt wollte ich die Nacht verbringen, um dort am nächsten Morgen die Fähre über den Kanal zu nehmen. Also plante ich, bis Sehestadt zu laufen, mir dort Wasser zu besorgen und irgendwo in der Nähe zu übernachten. Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als mich ein junger Mann fragte, ob er helfen könne. Ich antwortete, dass ich gerade nach Wasser und einem Schlafplatz Ausschau halte. Er erklärte, nicht weit von hier zu wohnen. Ich könne gern Wasser von ihm haben. Kurz darauf bot er mir auch seine Couch an, von der er mich allerdings um 5 Uhr verjagen müsse, um zur Arbeit zu gehen. Das ist definitiv nicht meine Zeit, um aus dem Bett zu springen oder auch nur die Augen aufzumachen. Nach einem freundlich ablehnenden Dankeschön lief ich trotzdem mit ihm und füllte meinen Wasservorrat auf. In seiner Wohnung bot er mir noch Brot an und fragte, ob er sonst noch etwas für mich tun könnte. Aber mit dem Wasser war ich schon wunschlos glücklich. Er erzählte mir noch, dass in seiner Nachbarschaft wohl mal ein Mann gewohnt hat, der die Legida-Demos in Leipzig mitorganisierte. Diese Information hatte zur Folge, dass wir die Europawahl vom 26. Mai 2019 auswerteten, bei der die AfD in Sachsen mit 25,3 Prozent gewonnen hatte. Ich war beruhigt, dass ihn das ebenso schockierte wie mich.

Als ich von einem Trampelpfad aus durch ein Gebüsch trat, eröffnete sich mir ein herrlicher Blick über den Ahrensee. Mir war sofort klar, dass ich die perfekte Stelle für die Nacht gefunden hatte. Nachdem mein Zelt aufgebaut und das Lager eingerichtet war, hüpfte ich ins kühle Nass. Was heißt kühl? Arschkalt war es. Aber es tat gut. Dann setzte ich mich ans Ufer und entspannte. Bald darauf hörte ich Stimmen. Ein junges Pärchen kam aus dem Gebüsch, wo auch ich kurz vorher gewesen war. Zum Glück hüpfte ich nicht mehr nackt in der Gegend umher. Die beiden grüßten zwar freundlich, waren aber sicher weniger erfreut, dass ausgerechnet an dieser Stelle bei Einbruch der Dunkelheit noch jemand vor Ort war. Da sie in ihrer Zweisamkeit etwas Abstand suchten und ich gerade entfernt von meinem Zelt saß, machten sie es sich genau vor der Nische meines Zeltes bequem, was sie offensichtlich gar nicht wahrnahmen. Das traf sich gar nicht gut, denn ich wollte bald zum Zelt gehen, um dort mein Abendbrot zuzubereiten. Ich wartete noch etwas, tat dann, was getan werden musste, ging zum Zelt und entschuldigte mich, dass ich die beiden jetzt stören müsse, weil ich nämlich heute Nacht hier wohne und mein Essen im Zelt liege. Das Mädel, sehr locker und freundlich, sagte, dass sie sich nicht gestört fühle, wünschte einen guten Appetit und schon einmal vorsorglich eine gute Nacht. Ich bezweifelte, dass ihre Begleitung das auch so entspannt sah. Daraufhin dauerte es auch nicht lang, und die beiden brachen auf. Wir verabschiedeten uns mit ein paar netten Worten. Nun war ich allein der kalten Nacht überlassen. In meinem Schlafsack spürte ich davon nicht viel. Zusätzlich lag ich auf einer weichen Unterlage aus hoch gewachsenem Gras und schlief wunderbar bis zum Morgen, der mich mit überraschend grauem Himmel und anhaltendem Dauerregen begrüßte.

Der Tag war für Regen denkbar ungünstig, denn ich konnte nicht den ganzen Tag im Zelt am See verbringen. Bis auf ein Frühstück war nichts Essbares mehr im Rucksack zu finden. Hätte ich nur nicht all die leckeren Powerriegel, die ich am Vortag vorsorglich in einem kleinen Laden gekauft hatte, schon am Vorabend als Nachtisch verschlungen! Und dann traf mich noch eine Erkenntnis wie ein Blitz: Heute war Feiertag, Christi Himmelfahrt. Es steuerten also die üblichen Himmelfahrtskommandos auf Testosteron und Alkohol durch die Landschaft, um sich selbst bis zum Umfallen zu feiern.

Ab zehn Uhr morgens war dann rings um den See auch die Hölle los. Von den Ufern drang übersteuerte Technomucke – K.I.Z., die Böhsen Onkelz, Trailerpark – und dazu grölende Männerchöre über den See. Ich mag diese Bands. Ich habe auch nichts gegen feiernde Menschen. Doch wenn man gerade in einem ganz anderen Film sitzt, der noch dazu am Ufer eines idyllischen Sees spielt und dann im Gegenzug die angetrunkene Menge hört, die den freien Tag als Aufforderung begreift, so richtig die Sau rauszulassen, drängt sich einem schon die Frage auf, ob die Menschheit noch zu retten ist. In der Befürchtung, eine der Dorfgangs könnte sich zu mir verlaufen, mit der Absicht, in meinem Zelt feuchtfröhlich weiterzufeiern, packte ich – klitschnass wie ich war – alles zusammen und machte mich auf Richtung Kiel.

Deutschland zu Fuß

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