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Wandern
ohne Wanderweg

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Bei Pepelow stieß ich auf eine riesige Ferienanlage. So etwas hatte ich noch nicht gesehen: Bungalows, Zelte, Wohnwagen, so weit das Auge reichte. Dazu ein Betrieb und Lärm wie auf einem Festivalgelände. Und Massen von Menschen. Mir war es ein Rätsel, wie man sich für so einen Urlaubsort entscheiden konnte. Für mich wäre das die reine Folter. Und ich übertreibe nicht. Ich empfand es wirklich schon als extrem anstrengend, nur durch die Anlage zu laufen. Alle fünf Meter dröhnte eine andere Musik aus irgendeiner Bluetooth-Box, Kinder kreischten hier und da, und es herrschte ein Treiben, das für mich weit jenseits meiner Vorstellung von Urlaub und Erholung liegt. Aber wer weiß, das empfindet sicher jeder anders, und vielleicht waren diese tausend Gäste auch gar nicht auf der Suche nach Erholung.

So plötzlich wie der Trubel der Ferienanlage begonnen hatte, so schnell war er auch wieder vorbei. 200 Meter weiter war kein Mensch mehr unterwegs, und ich lief nun an der Küste des Salzhaffs, auf einem Pfad entlang der Dünen, der seine besten Tage als Wanderweg allerdings hinter sich hatte. Es war schon abenteuerlich, den Weg überhaupt zu finden. Ständig blieb mein Rucksack an irgendwelchen Zweigen großer Sträucher hängen. Eigentlich sah mein Plan vor, bis zu einem Wald zu laufen, den ich auf der Karte gesehen hatte. Doch plötzlich stand ich vor einer verrotteten Bank, die bereits etwas zugewachsen war. Sie bot jedoch ausreichend Freifläche, um mein Zelt hinter ihr aufzustellen. Ich hatte einen super Blick über das Haff, und ein toller Sonnenuntergang kündigte sich an.

Das Salzhaff ist ein durch die Halbinsel Wustrow fast abgetrennter Teil der Ostsee in der Mecklenburger Bucht. Auch am nächsten Morgen ging es ähnlich abenteuerlich weiter. Bis auf eingestürzte Fußgängerbrücken und Stege, die wohl einmal den Sumpf überbrückt hatten, war von einem Wanderweg nichts mehr übrig geblieben. Ich kämpfte mich voller Abenteuerlust durch das Gestrüpp. Da es sehr schwül war, kam ich bei diesem Hindernisparcours sehr schnell ins Schwitzen. Als ich dann irgendwann gar nicht mehr weiter wusste, lief ich quer über ein Feld, bis ich wieder vernünftigen Boden, vor allem einen Weg unter den Füßen hatte. Auch wenn nicht mehr viel davon vorhanden war, hat mir dieser Wanderweg auf jeden Fall richtig Freude bereitet und war darüber hinaus landschaftlich ein echter Genuss.

Bei Rerik, einem typischen Touristennest mit den üblichen Cafés und Strandzugängen, erregte die Halbinsel Wustrow meine Aufmerksamkeit. Mehrere Jahrhunderte lang war die Halbinsel im Besitz von Adelsfamilien. 1933 kaufte die Wehrmacht die Landzunge und errichtete dort die größte Flakartillerieschule Deutschlands. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten die sowjetischen Truppen eine Garnison, sprengten sämtliche Militäranlagen und errichteten neue Gebäude. Im Oktober 1993 zogen sie ab, hinterließen jedoch militärische Altlasten, sodass die Insel gesperrt blieb. Im Jahr 1998 ging das Gelände an die Fundus-Gruppe über, und es sollten eine Ferienanlage und Eigentumswohnungen entstehen. Mehr Besucher bringen allerdings auch mehr Verkehr mit sich. So entschied sich die Kleinstadt Rerik dagegen und untersagte den öffentlichen Verkehr auf der Zufahrtsstraße. Profitiert hat von der Situation bis heute vor allem die Natur: Statt Hotels und Hafenbauten gedeihen hier nun Bäume und Büsche. Das Ufer wird von Dünen, Schilfgürteln und Salzwiesen gesäumt. Es leben rund 90 verschiedene Vogelarten auf der Halbinsel. Leider blieb es mir verwehrt, dieses Fleckchen zu besichtigen. Zwar ist es möglich, die Insel vom Wasser aus bei einer geführten Bootstour zu umrunden oder sie bei einer Kutschfahrt zu entdecken, aber die Bootstour war leider schon vorbei, als ich ankam, und die Kutschfahrt wurde an diesem Tag nicht angeboten. Also lief ich am Strand bis zum Stacheldrahtzaun, der mich erfolgreich von der Insel fernhielt. Entlang der Absperrung erhoffte ich mir, wenigstens von außen einen Blick auf den geschichtlich ausgesprochen interessanten Lost Place werfen zu können.


Nach einem anstrengenden Wandertag gibt es für mich nichts Erholsameres, als das Schauspiel und die Ruhe der Natur zu genießen, wie hier am Salzhaff südlich von Rerik.

Anschließend folgte ich bis Meschendorf einem traumhaften Wanderweg, der direkt auf der Steilküste verlief und immer wieder schöne Ausblicke auf die Ostsee freigab. Irgendwann hörte dieser Weg plötzlich auf beziehungsweise war mein Wanderweg am Salzhaff offensichtlich schon lange nicht mehr begangen worden. Mir blieb nur noch der Strand. Wer schon mal mit einem 15 Kilogramm schweren Reiserucksack und Wanderstiefeln im Sand gelaufen ist, weiß, was das bedeutet. Bei jedem Schritt hat man das Gefühl, es zieht einem von unten jemand die Füße in den Boden.

Dennoch kam ich glücklich und zufrieden an meinem Tagesziel an. Ich entschied mich für einen Schlafplatz auf der Sandzunge zwischen Ostsee und Rieder See. Vom Zelt konnte ich direkt auf die Ostsee blicken und den Wellen beim Brechen zusehen. Nachdem ich mich bettfertig gemacht hatte, setzte auch der Regen ein. Er hielt zwar bis zum nächsten Morgen an, hörte aber gerade rechtzeitig genug auf, um alles wieder trocken einzupacken und weiterzuziehen.

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