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Weng ma mi ba mi hong

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Weng ma mi ba mi hong! ist die Formel stiller Einkehr. Dicht daran, ihr Geheimnis zu erfahren, hat LaoWai unbedacht oder einer schnöden Tasse Kaffees wegen die Glückseligkeit verwirkt. Denn wo begegnet der Mensch, ob Lektor, Bote, Redakteur, Layout-Frau, ob Übersetzerin oder Schreibmaschinenkraft, des Tages stillem Glück? –

In der Zehnuhrpause.

Fünfzehn Minuten gesteht das staatliche Verlagshaus jedermann zu. Du schreitest fröhlich aus dem Arbeitszimmer, hallend singst du in Gang und Treppenflur einen Part Pekingoper; du forderst deinen Nachbarn zu einer Runde Go oder Schach heraus, die Kiebitze beraten dich; du eilst zu deinem Qigong-Lehrer, um zu atmen; du rauchst eine Tabakspfeife; du kletterst unters Dach zum Tanz oder nimmst, lärmend angefeuert, am Pingpong-Turnier gegen die Nachbarstube teil; du greifst zum Schwert, wirst, wenn du dir Mühe gibst, es schwingen wie der Kriegsgott selbst. Das ist, wie alles Übrige, in einer Viertelstunde nicht zu schaffen, und jeder sieht es ein.

LaoWai aber geht eine Tasse Kaffee trinken. Im großen Ess- und Versammlungssaal hat die Leitung des Hauses für eine durch Blumen abgetrennte Ecke eine Konzession vergeben. Dort treffen sich die ausländischen Mitarbeiter verschiedener Nationen, eigentlich arme Schweine (obwohl siebenmal reicher als ihre chinesischen Kollegen), kauen einen Keks und bereinigen, im Unterschied zu den Regierungen, friedlich die Querelen der Epoche.

Auf seinem Wege zur geheimen Weltregierung ist LaoWai auf dem Hofe eines Tages auf Leute jungen und mittleren Alters gestoßen, die in sich gekehrt ein paar einfache, zudem langsame Bewegungsübungen machen, immer wieder angestachelt durch den überraschenden wie erlösenden Ruf hsiang. Das kannst du ebenfalls, denkt er, wird freundlich in die Runde aufgenommen, ruft endlich auch hsiang, was mit nachsichtigem Lächeln quittiert wird - und trollt sich fort zu den Weltproblemen.

Das wiederholt sich zwei, drei Tage, wobei er inzwischen rausgekriegt hat, dass hsiang "Es duftet!" heißt. Damit können, so früh im Jahr, kaum die bescheidenen Hibiskusblüten gemeint sein, denkt er, schon gar nicht ein heranschwebender dunkler Schwaden vom Heizhaus-Duft von innen gewiss, erlöst durch Gemeinsamkeit.

Am dritten Tage wird LaoWai bedeutet, das Duften sei nicht der Stufen höchste. Es ginge nicht an, die Runde vorzeitig zu verlassen. Schon will LaoWai Besserung versprechen, besinnt sich aber rechtzeitig (die Weltprobleme, der Kaffee) und benennt seine sprachkundige Gattin zu möglicher Nachfolge. Ihr berichtet er überschwänglich etwas von Seelenduft; sie wird misstrauisch oder neugierig, jedenfalls lässt sie ihren morgendlichen Gemüseeinkauf fahren, taucht ein in den Rhythmus der Gruppe, vernimmt hsiang! und steht alles bis zum Ende durch, wo eine jede, ein jeder die Hände vor der Brust aneinanderlegen und den Kopf senken. Schon kommt sie einem Geheimnis auf die Spur, denn die duftende Übung der Gleichgestimmten mündet in ein inbrünstiges, mehrfach wiederholtes Gebet: Weng ma mi ba mi hong!

Befragt, erklärt sich eine Hübsche aus der Englisch-Abteilung bereit, LaoWais Frau Weng ma mi ba mi hong! in chinesischen Schriftzeichen aufzuschreiben, damit sie den Sinn verstehe. Das Aufschreiben aber gelingt nicht. Was der Satz bedeute, könne sie leider auch nicht sagen, beharrt aber darauf, dass er unentbehrlich sei. Weng ma mi ba mi hong! heiße einfach Weng ma mi ba mi hong!

Zu Hause, dem geheimnisvollen Klang der Worte nachlauschend, fällt der Frau Om mani padme hum! ein. Sie erinnert sich ihres alten Leipziger Tibetischlehrers, Professor Schubert, der den heiligen Satz der tibetischen Lamas noch in der ersten Vorlesungsstunde ins Sanskrit zurückverfolgt und interpretiert hatte: "Du Kleinod in der Lotusblüte!".

Om mani padme hum! Weng ma mi ba mi hong! - das Mysterium bleibt geheimnisvoll, noch im Nachklang. LaoWai hat es nicht erspürt, ist er doch davongelaufen, einer Tasse Kaffee wegen.

(1993)

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