Читать книгу Tausche Alltag gegen Alpaka - Erik Kormann - Страница 18
AN DER WELSE
ОглавлениеNoch ein paar Schritte in Richtung Frauenhagen, dann geht es rechts weg und wir nähern uns der Breitenteicher Mühle. Wir befinden uns am Rand des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin. Vor uns fließt die Welse, und ich bestaune die alten Gebäude der Mühle, die heute ein Seminarhaus beherbergt. Mitten im Wald, ruhig und abgeschieden. Man möchte die Welt um sich herum vergessen. Ich stehe zusammen mit einem Esel da und träume vor mich hin. Ich liebe Tagträume. Elias hat einen alten Pumpschwengel entdeckt und kratzt sich nach Herzenslust den Pelz. Ein Kanu liegt verlassen am Ufer, irgendwo bellt ein Hund. Kein Mensch ist zu sehen, wir sind allein. So habe ich mir das vorgestellt. Genau so.
Ich lege noch eine weitere kleine Pause ein, damit wir nicht schon zum Mittagessen das nächste Ziel erreichen. Dieser kleine Esel mit seinen kurzen Beinchen läuft so perfekt … komm mal her, ich mach dir die Ohren. Nicht ganz so schnell.
Die letzten Meter sind nicht der Rede wert. Welsow, die Ferienwohnung am Froschteich, erreichen wir Punkt 14 Uhr. Ein großer Garten, ein kleiner Hofhund und mehrere Katzen. Karnickel im Stall, Hühner, Enten, weiter hinten ein Pferd, ein Pony und ein Ziegenbock, eine Unterkunft für Elias – und im Hof, an einem großen Tisch, Hermann und Kalle: Willst’n Bier?
Mit einem Schlag ist man willkommen, fühlt sich zu Hause, und weil ich kein Bier trinke, gibts Limonade und selbst gemachten Quittenwein. Ich beziehe im Quergebäude mein Zimmer, stecke dem Esel noch ein paar Möhren zu und setze mich zu Kalle in den Hof. »Wir haben auch Schnaps!« »Aus Quitten?« Kalle nickt mit leuchtenden Augen. »Nur immer her damit«. Auf das Leben, die Quitten und die frische Luft. Prost.
Als Hermann wiederkommt – er war wegen einer Besorgung kurz weggefahren –, stoßen wir gemeinsam an und machen dem Quittenschnaps aus eigener Produktion den Garaus. Köstlicher Stoff.
Anschließend werden die Aufgaben für den Nachmittag verteilt. Kalle kümmert sich ums Abendbrot, und Hermann und ich bauen im Garten eine Bühne auf, damit am Sonnabend die Geburtstagsfeierlichkeiten zu Hermanns Siebzigsten auch ordentlich mit Karaoke besungen werden können. Also auf und ordentlich in die Hände gespuckt.
Hermann zaubert riesige Gerüststangen, eine Schubkarre voller Kupplungen, Werkzeug, Bretter, Sprühöl, Leitern und eine Plane hervor. Frisch ans Werk. Was könnte es Schöneres geben als erste Fachkenntnisse in Sachen Gerüstbau? Wenn ich schon mal hier bin: »Sag mal Hermann, is hier noch ne Wohnung frei?« Kalle redet von Wildschweingulasch mit Ratatouille und Klößen, Hermann und ich ziehen drei Stunden später die Plane über unser Bauwerk, und während das Tageslicht verschwindet, sitzen wir am Gartentisch und essen zu Abend.
Richtig was geschafft heute. Mit dem Esel gewandert, eine Bühne aufgebaut und jetzt dieses absolut perfekte Essen. Der Gulasch zergeht auf der Zunge, das Gemüse ist ein Gedicht, und die Klöße sind so perfekt wie die von Oma in meinen Erinnerungen. Sogar frische Semmelbrösel hat Kalle mit hineingesteckt. Hermanns Tochter setzt sich zu uns, ein junger Mann – sein Sohn – kommt mit seiner Freundin, um auch etwas vom Essen abzubekommen, und wenig später liege ich glücklich, satt und zufrieden in meinem Schlafsack. Freundliche Menschen lernte ich kennen. Danke für diesen wundervollen Tag. Hier war ich nicht einfach nur der Gast, dem alles hingestellt wird, nein, für diesen Nachmittag und diesen Abend war ich Teil einer Familie.
Der dritte Tag meiner Wanderung beginnt beizeiten in Hermanns Küche, wo Kalle über dem Einkaufszettel für geschätzte hundert Leute brütet. Zum siebzigsten Geburtstag werden keine halben Sachen gemacht. Gemeinsam überlegen wir, was alles gebraucht werden könnte. »Habt ihr genug Klopapier?« – »Da hängt eine Rolle, und eine als Reserve liegt auf dem Fensterbrett.« – »Ach, Hermann. Bei hundert Leuten zwei Rollen!« Kalle schüttelt den Kopf und notiert Klopaier.
Hermann stellt mir mein Frühstück vor die Nase, und eine Viertelstunde später heißt es auch schon Abschied nehmen. Während hier ein Fest vorbereitet wird, mache ich mich auf den Weg nach Görlsdorf. Rechts aus dem Haus und hinter der Dorfkirche wieder rechts in den Bruchhagener Weg. Nach wenigen Metern sind wir aus dem Dorf heraus und laufen allein durch den feinen Regen. Obstbäume säumen die Straße, und ich stecke Elias ein paar schöne Birnen zu. Wir trödeln beide vor uns hin. Ich möchte nicht ankommen müssen, mein Esel will von den Früchten kosten. Von möglichst vielen.
Die Landschaft duftet wunderbar nach Herbst, und obwohl die Bäume noch voller grüner Blätter sind, kündigt sich bereits der Winter an. Alles um uns herum steht still. Die leeren Felder scheinen nur auf eine Decke aus Schnee zu warten. Schnee wär mal wieder schön. Richtig dick Schnee.
Nach gut einer Stunde laufen wir über die Gleise und biegen hinter einer Rechtskurve nach links auf einen Feldweg ein. Versteckt im Wald neben uns fließt die Welse, rechts geht der Blick frei über Äcker und Wiesen. Elias läuft alleine vorneweg, ich spaziere mit Regenschirm hinterher. Man sollte viel häufiger mit einem Esel über Feldwege laufen. Das entschleunigt ungemein.
Kurz vor der B 198 nehme ich den Esel wieder am Strick, führe ihn nach links über die Brücke, dann nach rechts über die Straße, und am Parkwächterhaus betreten wir den