Читать книгу Es darf auch mal Champagner sein - Erma Bombeck - Страница 6

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Wann wurde ich die Mutter und meine Mutter das Kind?

Ein Atomphysiker hat es einmal ausgerechnet: Wenn eine Zwanzigjährige ein Baby bekommt, ist sie zwanzigmal so alt wie das Baby. Wenn das Baby zwanzig Jahre alt und die Mutter vierzig ist, ist sie nur doppelt so alt wie ihr Kind. Wenn das Baby sechzig ist und die Mutter achtzig, ist sie nur noch eineindrittel-mal so alt wie ihr Sprössling. Wann wird das Baby die Mutter eingeholt haben? Ja, wann?

Beginnt es in der Nacht, in der deine Mutter sich schlaflos im Bett wälzt und du in ihr Zimmer gehst und ihr die Bettdecke über die nackten Arme hinaufziehst? Oder an dem Nachmittag, an dem du nervös und reizbar bist und in scharfem Ton sagst: »Wie soll ich dir denn hier eine Dauerwelle machen, wenn du nicht stillhältst? Vielleicht ist es dir egal, wie du aussiehst – mir nicht!«

(Meine Güte, hast du da nicht eben ein Echo gehört?) Oder war es an dem Regentag, an dem du vom Supermarkt heimfuhrst und scharf bremsen musstest und dabei unwillkürlich den Arm schützend zwischen die Mutter und die Windschutzscheibe gestreckt hast? Haben deine und ihre Blicke sich wehmütig und wissend gekreuzt?

Die Wandlung vollzieht sich langsam, wie zwischen jeder Mutter und ihrer Tochter. Die Macht wechselt.

Die Verantwortung wird übertragen. Die Pflichten werden abgetreten. Man überrascht sich plötzlich dabei, dass man die auf dem Schoß der Mutter erlernten Sprüche von sich gibt.

»Natürlich fehlt dir was! Meinst du, ich merke nicht, wann es dir schlecht geht? Ich hole dich um elf Uhr ab und fahre dich zum Arzt. Sei dann bitte fertig.«

»Und wo ist wieder deine Strickjacke? Du weißt doch, wie kalt es in den Geschäften mit Klimaanlage ist. Eine Erkältung fehlte dir jetzt gerade noch!«

»Du siehst aber nett aus heute. Hab ich dir nicht gesagt, dass dieses Kleid dir prima stehen wird? Das andere macht dich alt. Wozu denn älter aussehen, als man ist?«

»Musst du noch mal ins Bad, bevor wir fahren? Geh doch einfach bloß so zur Sicherheit, dann musst du unterwegs nicht.«

»Wenn du nicht zu müde bist, gehen wir nachher einkaufen. Hast du heute Vormittag ausschlafen können? Sag es gleich, wenn du müde wirst, dann fahre ich dich heim.«

Plötzlich Auflehnung: »Danke schön, mein Fräulein, aber ich treffe meine Entscheidungen schon noch selbst. Ich weiß, wann ich müde bin, und dann bin ich vernünftig genug, ins Bett zu gehen. Hör auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln. «

Sie ist noch nicht bereit, das Feld zu räumen.

Aber langsam, heimtückisch und unaufhaltsam entrinnt die Zeit, und plötzlich ist niemand mehr da, an den sich Mutter halten kann.

»Wo ist wieder meine Brille? Nie kann ich sie finden. Bin ich im Kino wieder mal eingeschlafen? Worum ging’s denn bei dem Film?«

»Wähl doch bitte mal diese Nummer für mich. Du weißt ja, ich verwähle mich ständig.«

»Dieses Jahr stelle ich mir keinen Christbaum auf. Es sieht ihn ja doch keiner, und im Januar hat man dann die ganzen Nadeln im Teppich.«

»Schau mal meine neue Stickarbeit. Ich mach sie dir, wenn du willst, in Blau für die Küche.« (Dabei fällt einem der Gipsabdruck des Händchens ein, der gerahmt über dem Sofa hängt.)

»Wo ist denn schon wieder der Zettel mit meiner Flugnummer und den Abflugzeiten? Du tippst sie immer und steckst sie in das Mäppchen mit dem Flugticket, aber ich kann so kleine Zahlen nicht mehr lesen.«

Und wieder Auflehnung: »Wirklich, Mutter, so alt bist du noch nicht. Du kannst deine Angelegenheiten noch selbst erledigen. Du siehst doch bestimmt noch genug, um dir den Faden einzufädeln. «

»Nein, so müde kannst du unmöglich sein, dass du nicht imstande wärst, eben mal Florence guten Tag zu sagen. Fünfzehnmal hat sie schon angeklingelt, und nie hast du zurückgerufen! Warum gehst du nicht mal mit ihr essen? Es täte dir gut, mal aus deinen vier Wänden herauszukommen.«

Noch ist die Tochter nicht bereit, die Last auf sich zu nehmen. Aber der neue Kurs liegt bereits fest.

Das erste Mal, dass Weihnachten in deinem Haus gefeiert wird und du die Gans brätst und die Mutter den Tisch deckt.

Das erste Mal, dass du dich unbewusst während eines Fernsehfilms oder im Kino zu ihr umdrehst und sagst:

»Pschscht!«

Das erste Mal, dass du herbeistürzt und sie am Arm packst, wenn sie über eine gefrorene Pfütze geht. Während deine eigenen Kinder groß, stark und selbstständig werden, wird deine Mutter immer kindischer.

»Nein, Mutter, ich hab die Programmzeitschrift nicht vom Fernsehapparat weggenommen.«

»Hast du doch.«

»Nein.«

»Hast du doch.«

»Nein.«

»Doch.«

»Nein.«

»Gestern Abend habe ich deinen Vater gesehen. Er hat gesagt, er käme heute erst später.«

»Du hast Vater nicht gesehen. Er ist tot, Mami.«

»Warum sagst du solche Sachen? Du bist grässlich. «

(Wie lautete es einst: »Heut ist Mister Ripple zu mir gekommen und hat mich stundenlang geschaukelt!«

»Es gibt keinen Mister Ripple. Den hast du dir ausgedacht. Der existiert gar nicht.«

»Das ist nicht wahr. Warum sagst du solche Sachen? Bloß weil du ihn nicht siehst? Das heißt noch lange nicht, dass er nicht da ist!«)

»Nie willst du mit mir zusammen Besuche machen. Du zerreißt dich viel zu sehr für die Kinder. Dabei haben sie dich gar nicht mehr nötig.«

(»Was, du willst schon wieder Bridge spielen gehen? Immer gehst du weg und nie hast du Zeit, mir Geschichten vorzulesen.«)

»Mutter, sprich um Himmels willen nicht darüber, dass Fred ein Toupet trägt. Wir wissen es alle, aber bitte schweige darüber.«

(»Benimm dich, Kleines. Sprich nur, wenn du gefragt wirst.«)

Und die Tochter überlegt: »Muss das denn sein? In den vielen Jahren, in denen ich gebadet, gefüttert, beraten, bestraft, herumkommandiert und geliebt worden bin und man jedem meiner Wünsche zuvorgekommen ist, habe ich so sehnsüchtig auf den Tag gewartet, an dem ich selbst die Befehlsgewalt habe. Jetzt habe ich sie. Warum also bin ich so traurig?«

Du badest und trocknest den Körper, der dich einst beherbergt hat. Du fütterst den Mund, dessen Kuss einmal Heile-Heile-Segen für alle Wunden und Schrammen bedeutet hat. Du kämmst das Haar, dessen Locken man dir im Scherz ins Gesicht geschüttelt hat, um dich zum Lachen zu bringen. Du ziehst eine warme Decke über die Beine, auf denen du früher Hoppe-Hoppe-Reiter gespielt hast.

Jetzt hält deine Mutter so oft ein Schläfchen, wie sie es dir früher vorschrieb. Du begleitest sie zur Toilette und wartest dort, bis du sie wieder ins Bett bringen kannst. Zu Silvester hast du bereits einen Babysitter für sie engagiert. Nie hast du dir vorstellen können, dass es einmal so werden würde.

Und wenn du eines Tages mit deiner Tochter in deren Wagen fährst und sie plötzlich scharf bremsen muss, streckt sie instinktiv schützend den Arm aus, damit du nicht gegen die Windschutzscheibe krachst.

Mein Gott. So bald schon?

Es darf auch mal Champagner sein

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