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Die Krise der zentralistischen Planwirtschaft

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Mitte der 1950er-Jahre zeichneten sich in einigen Ländern deutliche Probleme mit dem sowjetischen Modell ab. Zu Stalins Lebzeiten hatte die sowjetische Regierung zur Durchsetzung des entbehrungsreichen Akkumulationsregimes massiv Zwang und Terror eingesetzt. Dazu gehörten das System von Arbeitslagern („Gulag“) sowie drakonische Strafen für „Arbeitsverweigerung“ in der Industrie und „Unterschlagung“ von Getreide in den Kollektivwirtschaften. Betriebsleitungen mussten fürchten, bei Nichterfüllung von Plänen der Sabotage beschuldigt zu werden.

Im „Tauwetter“ nach Stalins Tod 1953 begannen die sowjetische Regierung und andere Länder unter dem Stichwort „neuer Kurs“ die Ankaufspreise für Agrarprodukte zugunsten der BäuerInnenschaft deutlich zu erhöhen und auch den städtischen KonsumentInnen entgegenzukommen. Außerdem wurde das Gulag-System weitgehend aufgelöst. Nicht überall reichten die Maßnahmen aus. ArbeiterInnen wie auch BäuerInnen forderten Anrecht auf mehr Konsum, Mitsprache sowie weniger Arbeitszwang ein. In der DDR kam es 1953 zum Aufstand, in Polen und Ungarn 1956. Der Unmut über die Versorgungslage und die Arbeitsnormen verband sich mit nationalistischen Stimmungen gegen den übermächtigen Einfluss der Sowjetunion. Außerdem wurden Forderungen nach dem Ende des Machtmonopols der Kommunistischen Parteien und ihrer Kontrolle von Medien und Kultursektor laut. Die Legitimationskrisen des Systems waren offensichtlich.

Die Phase zwischen 1953 und 1957 wird auch als „erste Reformwelle“ bezeichnet. Kader und ÖkonomInnen begannen Debatten darüber, wie man ein Gleichgewicht in der Entwicklung von Schwer- und Leichtindustrie sowie der Landwirtschaft herstellen könnte.15 Jugoslawien und Polen ließen eine weitgehend private Landwirtschaft zu. Eine Dezentralisierung der Planung sowie mehr Autonomie für die Betriebe sollten zum Beispiel in Polen dazu beitragen, eine flexiblere Anpassung an die Bedürfnisse der KäuferInnen aber auch an technische Herausforderungen vornehmen zu können. Anstatt von Reformen wurde zunächst vorsichtig von einer „Perfektionierung des Plans“ gesprochen. Ein großes Problem bestand zum Beispiel darin, dass Betriebe Materialien und Arbeitskräfte horteten, zum Teil auch versteckt vor den Behörden, um Mangel in der Zukunft ausgleichen zu können. Konsumierende handelten ähnlich, in dem sie Waren horteten, wenn sie gerade in den Läden verfügbar waren und verstärkten dadurch den Mangel beim Angebot. Die Festlegung von Planzielen nach überwiegend quantitativen Kriterien (die berühmt-berüchtigte „Tonnenideologie“) führte zu Qualitätsmängeln und großer Verschwendung von Ressourcen.16 Die Arbeitsmoral in den Belegschaften ließ zu wünschen übrig, da es besonders unter den begehrten Fachkräften keine Sorge vor Arbeitslosigkeit gab. Der Enthusiasmus der Aufbruchsjahre war weitgehend verflogen. Zumindest in Osteuropa wollten und konnten die Parteiführungen nicht mehr auf drakonische Strafen wie in der Stalin-Ära setzen, um Arbeits-, Ablieferungs- und Plandisziplin zu erzwingen. In den meisten staatssozialistischen Ländern des sowjetischen Blocks wurden 1957 die Reformversuche abgebrochen und die entsprechenden Ideen als „Revisionismus“ verworfen. Scheinbar war die Krise des Modells der zentralistischen Planwirtschaft noch nicht tief genug – die konservativen Kräfte in den Parteien behielten die Oberhand.

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