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Kapitel 1: Neue Ökonomische Politik (NÖP): Taktischer Rückzug oder Modell für den Aufbau des Sozialismus?

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Im ersten Kapitel geht es den Autoren um die Frage, ob die sowjetische NÖP (1921−1928) ein Modell für den Aufbau des Sozialismus sein kann. Bis 1929 fanden in der bolschewistischen Partei noch breite Debatten um den Entwicklungsweg der Sowjetunion statt.29 Ausgewählt wurden hier nur drei zentrale Akteure: Lenin, Bucharin und Stalin.

Lenin erklärte 1921 zunächst, dass die Einführung der NÖP eine große Niederlage auf wirtschaftlichem Gebiet für die Bolschewiki darstelle, da die Partei das Scheitern des „Kriegskommunismus“ einsehen musste. Indem die Ablieferungspflicht für Getreide der BäuerInnen gegenüber dem Staat durch eine Besteuerung ersetzt würde, ließe man den freien Handel wieder zu. Darin und in Konzessionen für ausländisches Kapital sieht Lenin einen „Übergang zur Wiederherstellung des Kapitalismus in beträchtlichem Ausmaß“. Gleichzeitig stellt er die NÖP aber als unabwendbaren strategischen Rückzug dar, ohne den die Sowjetmacht nicht zu halten sei. Der Klassenkampf werde darüber entscheiden, ob das Proletariat oder die Bourgeoisie die BäuerInnen auf ihre Seite ziehen können. Von der NÖP als „Marktsozialismus“ kann bei Lenin keine Rede sein, weil er die Maßnahmen als notwendiges Übel und Zugeständnis an die kapitalistischen Kräfte sah.

Nach dem Tod Lenins entwickelte Bucharin 1925 in der Broschüre „Der Weg zum Sozialismus“ die Konzeption der NÖP weiter. Die NÖP sei keine Kapitulation vor dem Kapitalismus, sondern eine Aufgabe der falschen Vorstellung des „Kriegskommunismus“. Bei dessen Bestehen sei fast die gesamte Industrie zum Stillstand gekommen. Nun sei der proletarische Staat stark genug, freien Handel in Stadt und Land zuzulassen, da er die „Kommandoposten“ der Wirtschaft kontrolliere. Die Konkurrenz zwischen der staatlichen Industrie und den privaten Sektoren wäre notwendig, um die Warenzirkulation zu steigern und die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Es sei aber auch eine Form des Klassenkampfes, in dem sich der Staatssektor in Form von höherer Produktivität beweisen müsse, so Bucharin. Auf dem Land müssten Genossenschaften im Wettbewerb mit den privaten Familienwirtschaften stehen und durch bessere Leistungen die BäuerInnen zum freiwilligen Beitritt überzeugen. Bucharins Ausführungen unterscheiden sich von den späteren „Marktsozialisten“ darin, dass er die NÖP in erster Linie mit der bolschewistischen Logik des Klassenkampfes begründet, nicht mit technokratischer Effizienzsteigerung.

Die Positionen von Bucharin wurden 1928 von Stalin angegriffen, als dieser von der NÖP abrückte. In der hier dokumentierten Rede Stalins von 1929 kritisierte er die in Bucharins Broschüre geäußerten Ansichten ausdrücklich als „rechte Abweichung“. Stalins zentraler Vorwurf bestand darin, dass Bucharin die Verschärfung des Klassenkampfes durch die „Kulaken“ nicht erkennen würde. Bucharin stelle sich vielmehr die Auseinandersetzung als einen friedlichen Wettbewerb der verschiedenen Sektoren vor, bei dem am Ende die „Kulaken“ in den Sozialismus hineinwachsen würden. Nur die forcierte Kollektivierung der Landwirtschaft könne auch die Indus­trialisierung beschleunigen, da die Einzelwirtschaften kein großes Potenzial zur Steigerung der Getreideproduktion hätten. Außerdem könnten moderne Technologien wie Traktoren nur in den größeren Betriebseinheiten der Kollektive effektiv eingesetzt werden. Für die Industrialisierung sei es notwendig, dass die Bauernschaft in Form der „Preisschere“ (zwischen den hohen Preisen für Industrieprodukte und den niedrigen Preisen für Agrarprodukte) einen „Tribut“ leiste, so Stalin an einer anderen Stelle der Rede.30 Die Kollektivierung der Landwirtschaft sollte nicht zuletzt den staatlichen Zugriff auf das agrarische Mehrprodukt erleichtern. Bucharins Vorschlag, die Getreidekrise durch Importe zu lösen, würde das Tempo der Industrialisierung weiter verlangsamen, da dadurch Devisen für den Import von industrieller Technologie fehlten.

In Stalins Rede finden sich zentrale Argumente gegen einen graduellen Übergang zum Sozialismus mit Koexistenz von Plan und Markt sowie Staats- und Privatsektor wieder. Der Weg Bucharins dauere angesichts der bedrohlichen internationalen Lage zu lange und die Übergangsphase würde dem Klassenfeind helfen sich neu zu formieren. Ähnlich argumentierten Ende der 1940er auch die radikalen Kräfte in den Volksdemokratien, um einen schnelleren Übergang von der „demokratischen“ zur sozialistischen Wirtschaft durchzusetzen. In China ähnelte 1953 die Position Maos der Stalin von 1929, während Liu Shaoqi für eine lange Übergangsphase der „Neuen Demokratie“ eintrat.31

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