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„Sozialistische Marktwirtschaft“ in China nach 1978
ОглавлениеAuch wenn die zweite Reformwelle in Osteuropa scheiterte, lieferte sie einige Ideen, die in China nach Maos Tod von der neuen Führung unter Deng Xiaoping unter dem Label „Reform und Öffnung“ umgesetzt wurden. Kader und ÖkonomInnen, die die Phase zwischen 1961 und 1965 geprägt hatten, ließ die Parteiführung wieder rehabilitieren. Osteuropäische ÖkonomInnen, die als Vordenker von Reformen nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ ins westliche Exil gingen, wie zum Beispiel der Tschechoslowake Ota Šik und der Pole Włodzimierz Brus, lud die chinesische Regierung Anfang der 1980er-Jahre als Berater ein. Chinesische Delegationen wurden nach Ungarn und Jugoslawien entsandt, um von den dortigen Preis- und Betriebsreformen zu lernen, ohne sie allerdings zu kopieren.27 Obwohl die chinesische Strategie von „Reform und Öffnung“ durchaus als Teil eines transnationalen Ideentransfers zu sehen ist, lässt die KPCh sie heute als rein nationale Erfolgsgeschichte des „Sozialismus mit chinesischer Besonderheit“ schreiben. Von „sozialistischer Marktwirtschaft“ wird von offizieller Seite seit 1992 gesprochen.
Die weitgehendsten Schritte der KPCh waren bis Mitte der 1980er-Jahre die Auflösung der Volkskommunen und die Zulassung einer privaten Familienwirtschaft auf staatlichem Boden. Auf dem Gebiet der Industrieproduktion führte die Regierung unter Zhao Ziyang ein duales System der Festlegung von Preisen durch Plan und Markt ein. Die Landbevölkerung, die ohnehin in China nie in den sozialistischen Wohlfahrtsstaat integriert war, profitierte zunächst von den Reformen durch Steigerung der Einkommen und des Ernährungsniveaus.
Den Rahmen marktsozialistischer Reformen der zweiten Welle überschritt die chinesische Regierung unter Jiang Zemin erst zwischen 1998 und 2002, als große Teile der Staatsindustrie privatisiert wurden. Nach offiziellen Angaben sank die Zahl der urbanen Beschäftigten im Staatssektor zwischen 1995 und 2003 um ca. 44 Millionen.28 Außerdem ersetzte die Führung lebenslange Beschäftigung durch ein Arbeitsvertragssystem, sprich die Arbeitskraft wurde zur Ware gemacht. Die Regierung ließ zudem Privatunternehmen im großen Ausmaß zu. Vor diesen Schritten waren die „MarktsozialistInnen“ im sowjetischen Block zurückgeschreckt und es waren dort erst die Regimewechsel von 1989 nötig, um sie durchzusetzen. Die Öffnung Chinas für ausländisches Kapital führte dazu, dass ab den 2000er-Jahren ausländische Direktinvestitionen zum Hauptmotor des Wirtschaftswachstums wurden. Das Angebot von billigen Arbeitskräften, die vom Land in die Fabriken zogen, machte China zur „Werkbank der Welt“. In Osteuropa waren Löhne, Sozialstandards und auch das Ausbildungsniveau der Beschäftigten schon in den 1980ern zu hoch, um im kapitalistischen Weltsystem noch diese periphere Rolle einnehmen zu können. Diese strukturellen Unterschiede der Gesellschaften sollten bei einem Vergleich der Transformationen in China und Osteuropa bedacht werden.